Von der Relativierung des nulla-poena-Prinzips
Der dritte und abschließende Vortrag der Reihe "(Un-)Recht in Unrechtssystemen" war dem Strafrecht gewidmet. Prof. Dr. Dr. Milan Kuhli (Universität Hamburg) sprach über die "Relativierung des nulla-poena-Prinzips". Das Gesetzlichkeitsprinzip gilt als rechtsstaatlicher Fundamentalgrundsatz. Es steht an der Spitze des Strafgesetzbuchs (§ 1 StGB) und ist zudem verfassungsrechtlich verankert (Art. 103 Abs. 2 GG). Als Ahnherr des Satzes "nulla poena sine lege" gilt Paul Johann Anselm Feuerbach (1775-1833). Der Referent schilderte eindringlich, dass es bereits unmittelbar nach der "Machtergreifung" aus Anlass des Reichstagsbrands - mit Billigung des Reichsgerichts - zu einer einschneidenden Relativierung des Rückwirkungsverbots kam ("lex van der Lubbe": rückwirkende Anwendung der Todesstrafe für schwere Brandstiftung). Das nunmehr als "liberalistisch" denunzierte Analogieverbot wurde im Jahre 1935 durch die sog. "Analogienovelle" geschliffen. Maßgeblich war fortan nicht mehr der Gesetzeswortlaut, sondern das (vermeintliche) Strafbedürfnis des "gesunden Volksempfindens". In der nachfolgenden, eingehenden Diskussion richteten sich die Fragen der zahlreich erschienenen Studierenden nicht allein auf das NS-Strafrecht, sondern auch auf die Problematik des Gesetzlichkeitsprinzips im Zusammenhang mit der Aufarbeitung des NS- und DDR-Unrechts. Aufgrund der außerordentlich großen Beteiligung der Studierenden erfährt die Vortragsreihe "(Un-)Recht in Unrechtssystemen" im kommenden Sommersemester eine Fortsetzung.