
Der Weihbischof-Defregger-Weg in Pöcking soll künftig Filetto-Weg heißen. Darauf hat sich der Gemeinderat mit großer Mehrheit verständigt und damit Konsequenzen aus Defreggers Beteiligung an einem Kriegsverbrechen in Italien 1944 gezogen. Geplant ist auch eine Erinnerungstafel über Defreggers Umgang mit seinen Taten und deren Folgen – und ein Besuch der Nachkommen der Opfer in Pöcking im Juli.
Pöcking – Wie wird man einem Menschen gerecht, der zwar große Sympathien weckte, sich aber auch äußerst fragwürdig verhalten hatte? Dieser Frage stellte sich der Pöckinger Gemeinderat im Umgang mit der Person des Weihbischofs Matthias Defregger (1915-1995), der zwar in Pöcking sehr geachtet, aber auch für die Erschießung von 17 Zivilisten im italienischen Filetto di Camarda am 7. Juni 1944 verantwortlich war. Die rund zweieinhalb Jahre dauernde Diskussion um den Weihbischof-Defregger-Weg fand am Dienstagabend ein vorläufiges Ende. Einstimmig votierte der Gemeinderat für die Errichtung einer Info-Tafel (Text siehe unten) – und gegen die Stimmen der CSU für die Umbenennung des Weges in Filetto-Weg. Ende Mai sollen das neue Straßenschild und die Tafel enthüllt werden.
Als zum 25. Todestag des Weihbischofs im Jahr 2020 die Erinnerung an Defreggers Beteiligung an dem Kriegsverbrechen wieder aufflammte und seine Ehrung mit einem Weg in Pöcking diskutiert wurde, näherten sich Bürgermeister Rainer Schnitzler und der Gemeinderat dem Thema professionell. Die Pöckinger Historikerin Prof. Dr. Marita Krauss recherchierte, was am 7. Juni 1944 tatsächlich in dem kleinen Abruzzenort passiert war. Der Gemeinderat beschloss, Kontakt mit Filetto aufzunehmen. Eine Delegation reiste im Juni 2022 zum Gedenktag nach Italien. Der Besuch war von Versöhnung geprägt (wir berichteten). Der Gegenbesuch ist für Juli geplant: Rund 20 Filettesi wollen im Sommer an den Starnberger See kommen.
Der neue Name Filetto-Weg habe einen Bezug zur Vergangenheit, aber auch zur Gegenwart, „in der wir mit den Filettesi Kontakt aufgenommen haben, wo sich eine fast freundschaftliche Beziehung entwickelte, aus der eine Partnerschaft für die Zukunft erwächst“, stellte Hans-Christoph von Gronau (Grüne) fest. Die CSU favorisierte dagegen „Friedensweg“ als neuen Namen. „Den einzigen Weg zum Friedhof mit Filetto in verbindung zu bringen, finde ich makaber“, sagte Fraktionschef Stefan Fischer. Ein Filetto-Weg oder Filetto-Platz könne an anderer Stelle benannt werden. Margret Kaspar (CSU) war angesichts „meiner Verantwortung für meinen Vater, der mit 17 in dem Krieg gekämpft hat“, und des Ansehens Defreggers in Pöcking insgesamt gegen eine Umbenennung.
Die Beliebtheit des Priesters in seiner Heimatgemeinde wird auf der Info-Tafel erwähnt. Kaspar wandte zudem ein, die frühere, hochbetagte Haushälterin des Weihbischofs habe ihr gesagt, dass Defregger später durchaus in Italien gewesen sei. Das hätten aber sein Privatsekretär und sämtliche Quellen nicht bestätigen können, wandte Historikerin Krauss ein. Mehr noch als der Erschießungsbefehl stört viele Pöckinger, dass Defregger als Mann der Kirche nach 1945 und den drei eingestellten Prozessen nie in Filetto um Verzeihung gebeten hatte.
Über den Text der Informationstafel, den die Historikerin verfasst hatte, herrschte weitgehend Einigkeit. Auf Vorschlag der Grünen wurden die Namen der Getöteten aufgenommen. „Das macht sie greifbarer und weniger abstrakt“, sagte von Gronau. Dieser Vorschlag traf auf große Zustimmung. Anders als der Wunsch der CSU, aus dem „verbrecherischen Befehl“ lediglich einen „Befehl“ zu machen. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg sei die Erschießung von Zivilisten als Kriegsverbrechen zu werten gewesen, sagte der Bürgermeister. „Defregger hat einen verbrecherischen Befehl weitergegeben.“
Der Text der Info-Tafel im Wortlaut
„Am 7. Juni 1944 gab der deutsche Wehrmachtshauptmann Matthias Defregger (1915-1995), seit 1935 Berufsoffizier, als Kommandeur der Nachrichten-Einheit 114 einen verbrecherischen Befehl seines Divisionskommandeurs General Boelsen weiter: Nach einem Partisanenüberfall, bei dem zwei deutsche Soldaten starben, ließ er alle männlichen Einwohner des kleinen Dorfes Filetto di Camarda in den italienischen Abruzzen erschießen und das Dorf niederbrennen; 17 Männer zwischen 17 und 65 Jahren wurden ermordet, das Dorf zerstört, die Leichen ins Feuer geworfen. Die Deutschen befanden sich bereits auf dem Rückzug, die alliierten Truppen standen in Rom, etwa 65 Kilometer vor Filetto. Diese 17 Männer aus Filetto wurden erschossen: Gradito Alloggia, Cesido Altobelli, Antonio Celestini, Loreto Cialone, Pasquale Cialone, Clemente Ciampa, Raimondo Ciampa, Giovanni Gambacurta, Carlo Marcocci, Domenico Marcocci, Luigi Marcocci, Mario Marcocci, Tito Marcocci, Ferdinando Meco, Antonio Palumbo, Sabatino Riccetelli und Agostino Spezza.
Nach dem Krieg ergriff Defregger, Enkel des bekannten Malers Franz von Defregger, die geistliche Laufbahn und machte Karriere; 1968 ernannte ihn Kardinal Julius Döpfner zum Weihbischof von München-Freising. 1969 veröffentlichte das Nachrichtenmagazin ,Der Spiegel‘ seine Beteiligung an den Kriegsverbrechen in Italien; dies führte national und international zu heftigen Diskussionen über die Schuldfrage. Drei Gerichtsprozesse in Deutschland und Italien gegen Defregger wurden wegen Verjährung eingestellt: Es habe sich um Totschlag, nicht um Mord gehandelt. Auch später stellte er die Berechtigung des fatalen Befehls nicht infrage und sah sich ohne persönliche Schuld. Hier lag Defreggers eigentliches moralisches Versagen: Er bat nie in Filetto um Verzeihung, er tat nichts für die Angehörigen der Erschossenen und die Bewohner des zerstörten Dorfes.
Seit 1969 wohnte Defregger bis zu seinem Tod 1995 in Pöcking, das er seit seinen Kindertagen kannte. Er war in der Gemeinde sehr beliebt und als christlicher Mensch, charismatischer Prediger und zugewandter Gesprächspartner hochgeschätzt. Im Jahr 1996 hatte der Gemeinderat den Weg zum neuen Friedhof nach ihm benannt. Als 25 Jahre nach seinem Tod seine Verantwortung für das Kriegsverbrechen in Filetto neu diskutiert wurde, nahm die Gemeinde mit den Nachfahren der Opfer von Filetto Kontakt auf. Eine Delegation des Gemeinderats besuchte am 7. Juni 2022 den kleinen Abruzzenort und legte am Gedenktag des Massakers am Mahnmal einen Kranz nieder. Die Wunden des 7. Juni 1944 sind dort nicht verheilt, es gab aber bei den Menschen in Filetto, deren Väter, Großväter und Onkel zu den Opfern gehörten, eine große Bereitschaft zur Verständigung, ja Versöhnung. Zur Erinnerung an den Schrecken des Krieges, die Verantwortung des Einzelnen und das Leid der Opfer wurde der Weg 2023 von ,Weihbischof-Defregger-Weg‘ in ,Filetto-Weg‘ umbenannt.“
https://www.merkur.de/lokales/starnberg/poecking-ort377114/wegen-todesbefehl-weihbischof-defregger-verliert-seinen-weg-in-poecking-92117619.html