Florian Diekert und Kollegen haben ein theoretisches Modell entwickelt, das zeigt wie ein Frühwarnsystem das Management komplexer sozioökologischer Systeme unter Stress beeinflussen kann. Das vorgestellte Konzept ergänzt die Entwicklung von Resilienzindikatoren für komplexe Mensch-Natur-Systeme, indem es ein besseres Verständnis dafür vermittelt, wie, wann und warum diese Indikatoren zu verbesserten Entscheidungen führen. Die Autoren demonstrieren aber auch, dass Erkenntnisse über Kippunkte zu einem riskanterem Verhalten von Entscheidungsträgern führen können, was unter Umständen bedeutet, dass Kipppunkte noch eher überschritten werden.

 

 

 

Key Messages

  • Abrupte Veränderungen in komplexen sozioökologischen Systemen können bisweilen durch Beobachtung ihres Verhaltens unter zunehmendem Stressbedingungen vorhergesagt werden.
  • Die Autoren entwickeln ein theoretisches Modell eines Frühwarnsystems (Early Warning System – EWSys).
  • Das EWSys besteht aus einem Kippindikator, dessen Wert steigt, wenn sich das System dem Kipppunkt nähert, und einem Auslösewert bei der eine Warnung ausgegeben wird.
  • Derartige Frühwarnsysteme können dazu beitragen Kipppunkte besser zu verstehen und einzuschätzen.
  • Frühwarnsystem helfen den trade-off zwischen verbesserter Information und dem Risiko der Kipppunktüberschreitung zu navigieren und können unter Umständen eine erhöhte Risikoannahme nahelegen.
 
 
 
Erklärung der Funktionsweise eines einfachen Frühwarnsystems anhand des Fischereiwesens: Die Entscheidungsträger (decision maker) müssen entscheiden (1), wieviel sie von einem sozio-ökologischen System mit unbekanntem Kipp-Punkt (2) fangen wollen – in diesem Falle wieviel Fischerei die Fischpopulation verkraftet. Die wissenschaftliche Einrichtung (scientific agency) beobachtet das Systemverhalten (3) – hier Fischpopulation – und berechnet anhand der Daten einen Kippindikator. Kippindikator und Auslösewert bilden zusammen ein Frühwarnsystem (earling warning system) (4). Wenn der Kippindikator den Auslösewert überschreitet, wird ein binäres Frühwarnsignal an die Entscheidungsträger gesendet (5). Auf der Grundlage der erhaltenen Informationen können die Entscheidungsträger dann die nachfolgenden Maßnahmen anpassen (1). Diekert et al. 2025

Zitierung:

 

Diekert, F.; Heyen, D.; Nesje, F.; Shayegh, S. Do early warning signals of tipping points lead to better decisions? Journal of The Royal Society Interface 2025, 22 (225), 20240864. DOI: doi:10.1098/rsif.2024.0864.

 

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DOI

Kipppunkte und Frühwarnsysteme

Die Entscheidungsfindung in sozioökologischen Systemen kann erheblich von der Beobachtung der zugrunde liegenden Verhaltensmuster des Systems profitieren. Diese Beobachtungen können dazu dienen statistische Indikatoren für bevorstehende Kipppunkte zu erkennen. Geeignete Indikatoren können als Frühwarnsysteme eingesetzt werden, die dann Entscheidungsträger über die Risiken ihrer Handlungen informieren sollen. In der vorliegenden Studie wurden die Auswirkungen untersucht, die ein derartiges Frühwarnsystem auf die optimale Entscheidungsfindung bei einem möglichen Kipprisiko haben kann. Die theoretischen Ergebnisse deuten darauf hin, dass allein die Existenz eines Frühwarnsystems zur Erkennung des Kipppunkts zu vorsichtigeren ersten Handlungsmaßnahmen führt. Wenn tatsächlich ein Warnsignal (Early Warning Signal - EWS) eingeht, bestätigt dies, dass die Vorsicht gerechtfertigt war, während das Ausbleiben eines EWS impliziert, dass ein Kipppunkt unwahrscheinlich ist (oder vereinfacht ausgedrückt bedeuten „keine Nachrichten sind gute Nachrichten“). Dies kann Entscheidungsträger aber dazu ermutigen, nachfolgend risikoreichere Handlungen zu ergreifen, die im Ernstfall sogar zu einem höheren Gesamtrisiko eines Kippens führen können – verglichen mit der Situation, in der kein Frühwarnsystem verfügbar ist.

Professor
Prof. Dr. Florian Diekert: Umweltökonomik

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Risikominderung oder maximale Wertsteigerung?

Die Studie zeigt aber, dass dennoch eine EWS-Analyse wirtschaftlich wertvoll sein kann. Das wichtigste Ergebnis ist, dass ein Frühwarnsystem ein Spannungsfeld zwischen der höchsten Steigerung des wirtschaftlichen Werts und der größten Risikominderung aufzeigt. Innerhalb des Spannungsfeldes sind Entscheidungen relativ sicher. Das Risiko einen Kipppunkt zu überschreiten, kann aber durch Gewinnmaximierung zunehmen. Das in der Studie verwendete Modell betont, dass es eine Pareto-Grenze gibt, die darauf hinweist, dass der Auslösewert immer zwischen der maximalen wirtschaftlichen Wertsteigerung und der maximalen Risikoreduzierung liegen sollte. Das Modell bietet damit einen nützlichen Rahmen, um über die Folgen der Verfügbarkeit eines Frühwarnsystems in einer Situation nachzudenken, in der eine Handlung einen Mehrgewinn bringt, aber auch das Risiko eines Kippens birgt.
Ein zentrales Merkmal des vorgestellten Modells ist die direkte Beziehung zwischen menschlichem Handeln und dem Auftreten des Kipppunkts. Das heißt die Funktionsweise des Systems entlang des kritischen Übergangs und der relevanten Zeitskalen wird hier eindeutig verstanden – Ursachen und Wirkungen können einander zugeordnet werden. In anderen Situationen ist die menschliche Kontrolle jedoch weniger direkt und das Kippen kann von zusätzlichen Faktoren abhängen. Ein besseres Verständnis solcher unkontrollierbaren Prozesse, ihrer Wechselwirkung mit menschlichen Handlungen und der Zuverlässigkeit von Frühwarnsystemen ist eine wichtige Aufgabe für die zukünftige Forschung.

 

Wissenswertes

Ein Frühwarnsystem ist ein Mechanismus oder eine Methode, die dazu dient, potenzielle Probleme oder Risiken frühzeitig zu erkennen, bevor sie zu größeren Schwierigkeiten führen. Solche Systeme werden häufig in verschiedenen Bereichen eingesetzt, wie zum Beispiel:

  • Wirtschaft: Um finanzielle Krisen oder Marktschwankungen vorherzusagen.
  • Umweltschutz: Zur Überwachung von Naturkatastrophen wie Erdbeben oder Überschwemmungen.
  • Gesundheitswesen: Um Ausbrüche von Krankheiten frühzeitig zu identifizieren.
Das Ziel eines Frühwarnsystems ist es, rechtzeitig Maßnahmen zu ergreifen, um negative Auswirkungen zu minimieren. In der vorliegenden Studie geh es konkret um Frühwarnsysteme die auf statistischen Indikatoren basieren, die nur gemessen werden können wenn das System dabei dem Kipprisiko ausgesetzt wird.
 
Die Pareto-Grenze bezieht sich hier auf eine Situation in der zwei Ziele nicht gleichzeitig erreicht werden können (zum Beispiel maximaler Profit und maximale Sicherheit). Die Pareto-Grenze beschreibt, um wie viel man die Erreichung eines Ziel verbessert, wenn man das Erreichen des anderen Ziel verschlechtert. Alle Punkte auf der Pareto-Grenze sind effizient aber wie genau man das Spannungsverhältnis zwischen den verschiedenen Zielen austariert hängt von den Präferenzen der Entscheidungsträger ab.
 
Image by Grant Muller on Pixabay.

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