Press release 83/22 - 07.10.2022

Bühne frei für kleine Komponisten

Am Lehrstuhl für Musikpädagogik läuft ein außergewöhnliches Didaktikprojekt – Studierende unterstützen Grundschüler dabei, eigene Musik zu komponieren

Dass musikalische Komposition mehr Raum im Schulunterricht einnehmen sollte, beweist ein laufendes Projekt am Lehrstuhl der Musikpädagogik an der Universität Augsburg. Bereits zum dritten Mal komponieren Schülerinnen und Schüler der dritten Klasse der Wittelsbacher Grundschule mithilfe von Studierenden kleine Musikstücke und profitieren damit vom aufstrebenden Zweig der Kompositionspädagogik. Die Kooperation mit der Schule soll in den kommenden Semestern fortgeführt werden.

Schülerinnen und Schüler der Klasse 3b der Wittelsbacher Grundschule komponieren ein Musikstück zu dem Gedicht „Wünschelrute“ (1835) von Joseph von Eichendorff. Dafür haben sie Bilder von Dingen ausgedruckt, die frei nach dem Gedicht ein Lied innewohnen h © University of Augsburg

Wer gelungene musikalische Kompositionen mag, kommt am Rap-Song der Klasse 3a der Wittelsbacher Grundschule in Augsburg nicht vorbei. Unter der Anleitung von Studierenden der Musikpädagogik haben die Kinder den Songtext selbst geschrieben, die Akkordfolge ausgesucht und sogar eingesungen. Das Motto des Liedes lautet „Winter macht Spaß, Sommer nein danke“. Schlechte Karten für den Sommer also, dafür aber um so bessere Aussichten für die musische Weiterbildung der Schülerinnen und Schüler, die an einem Kompositionsprojekt des Lehrstuhls für Musikpädagogik der Universität Augsburg teilnehmen. Dr. Nélida Béjar ist Dozentin am Lehrstuhl und ist überzeugt davon, dass improvisiertes Trommeln, Summen und Singen nicht nur bedeutungslose Laute sind, sondern schon „Komponieren im weitesten Sinne“. Das möchte sie auch ihren Studierenden vermitteln und bietet in Kooperation mit der Wittelsbacher Grundschule seit dem Wintersemester 2021 eine Übung in der Kompositionsdidaktik an.

Musikalische Impulse setzen, keine Vorgaben machen

„Ziel des Projekts ist es, Musik erfinden an Schulen, das oft mit einer hohen Hemmschwelle verbunden ist, zu ermöglichen und zu fördern“, sagt Béjar. Bevor es aber an die praktische Arbeit mit Grundschülern geht, lernen ihre Studierenden in einem theoretischen Teil das weite Feld der Kompositionspädagogik kennen. Dieser pädagogische Zweig ist seit Jahren im Kommen und mittlerweile existieren Vorbildprojekte und etablierte Vorgehensweisen. Béjar betont aber: „Meine Studierenden bringen sehr viele eigene Ideen mit ein, sie überlegen sich kreative Impulse und Methoden.“ Anders funktioniere das gemeinsame Komponieren nicht. Im Laufe des Projekts treffen sich Studierende und Kinder fünf Mal für eine Doppelstunde in der Grundschule. Beim ersten Aufeinandertreffen sei eine Aufwärmphase besonders wichtig, erklärt die Musiktheoretikerin und Komponistin. Damit die Kinder gedanklich besser reinkommen, kann eine spielerische Improvisationsübung helfen, bei der ein Kind ein paar Takte trommelt oder auf dem Xylophon spielt und ein anders Kind die Abfolge wiederholt. Zu der sogenannten Improvisationsphase sagt Béjar: „Es geht mitunter darum, dass die Kinder lernen sollen, alle Klänge als potenzielle Musik wahrzunehmen.“

Vor der eigentlichen Kompositionsphase müssen sich die Studierenden im Klaren darüber sein, was sie den Kindern anbieten möchten. Daher gilt es, folgende Fragen vorab zu klären: Soll das Musikstück am Ende eine Geschichte zu einem bestimmten Thema erzählen? Komponieren die Kinder ein Lied mit Text und Melodie? Oder soll das Ergebnis rein instrumentale Musik oder gar Computermusik sein? Sollen die Kinder das Lied aufnehmen? Bei allen Überlegungen sei besonders wichtig, den Kindern nicht die eigenen Vorstellungen aufzudrücken, erklärt Béjar. „Wir setzen nur Impulse und helfen bei der Umsetzung. Wir wollen mit den Kindern auf Augenhöhe kommunizieren und ihre Ideen ernst nehmen.“

Musiktheorie muss nicht trocken sein

Ob nun ein Rap-Song über das Wetter entsteht, instrumentale Musik zu Kunststücken im Zirkus komponiert, eigene Instrumente gebaut oder ein Ausschnitt aus dem Marionettenspiel „Urmel aus dem Eis“ bzw. ein Gedicht Joseph von Eichendorffs vertont werden, ganz ohne Musiktheorie kommen Kinder und Betreuer beim Komponieren nicht aus. Die Komponistin kann aus der Lehre berichten, dass der Zweig der Musiktheorie ähnlich gefürchtet ist, wie der Matheunterricht an Schulen. Deshalb sei das Kompositionsprojekt eine schöne Gelegenheit, Kindern und Studierenden gleichermaßen zu zeigen, wie wichtig das Grundlagenwissen um Tonsatz und Gehörbildung ist.

Musiktheorie fließe aber nur dort ein, wo sie für das Komponieren wichtig ist, erklärt Béjar. Die eigene Komposition mit klassischen Noten zu notieren, ist nur eine Möglichkeit. Bei der Arbeit mit Kindern biete sich auch die sogenannte graphische Notation an. Sie nutzt Symbole, Farben und Bilder, die stellvertretend für Tonlängen, -höhen und die Lautstärke stehen. „Wenn wir mit den Kindern einen Song erfinden, brauchen wir verschiedene Akkorde. Diese lassen sich zum Beispiel anhand einer Farbpalette darstellen. Ein Akkord, eine Farbkarte. Und wenn Studierende Akkorde vorspielen, können Schüler und Schülerinnen mit Hilfe der Farben eine Reihenfolge festlegen.“ Eine gänzlich andere Herangehensweise bieten Medien. Einige Kinder haben am Computer Motive aufgenommen und daraus mithilfe verschiedener Apps und Tools neue musikalische Strukturen erschaffen. Ganz nebenbei haben sie gelernt, was in den heutigen Tonstudios Alltag ist: loopen, samplen, übereinanderschichten.

Um die Ideen der Kinder umzusetzen, bringen Studierende nicht nur Computer, iPads und Lautsprecher mit in die Schule, sondern auch eigene Instrumente. So zum Beispiel eine Cajón. Das ist ein Percussioninstrument, das ursprünglich aus Kuba und Peru stammt und trommelähnliche Klänge hervorbringt. Béjar sagt; „Die Studierenden müssen zum Teil ganz schön schleppen. Ich bin nicht nur von ihrem Engagement, sondern auch von der Ernsthaftigkeit und Fähigkeit, sich auf die Kinder einzulassen, sehr beeindruckt." Aktuell wird noch fleißig komponiert und geprobt. In einigen Wochen wird eine weitere dritte Klasse ihre Kompositionen bei einer Schulaufführung interpretieren. Auch wenn die Stücke  unterschiedlicher nicht sein können, eines haben sie laut Béjar gemeinsam: „Sie sind frisch, unverfälscht und nicht belastet von übertriebenem Anspruch.“ Grund genug, um die Kooperation mit der Wittelsbacher Grundschule in den kommenden Semestern fortzuführen.

 

Wissenschaftliche Ansprechperson

Lehrkraft für besondere Aufgaben
Musikpädagogik (Lehramt)

Medienkontakt

Dr. Manuela Rutsatz
Media Officer
Communications and Media Relations

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