Press release 101 - 02.12.2022

Leben retten durch Journalisten-Schulung

Studie: Qualitätskriterien für Suizid-Berichterstattung können präventiv wirken

Nachrichtenberichte über Suizide können Nachahmertaten hervorrufen. Folgen sie jedoch bestimmten Qualitätskriterien, tritt dieser Effekt nicht auf und die Berichterstattung kann sogar präventiv wirken. Dies wies Prof. Dr. Sebastian Scherr, Kommunikationswissenschaftler an der Universität Augsburg, in einer jüngst erschienenen Studie nach. Gemeinsam mit anderen Forschenden entwickelte er Interventionsmaterialien, um Redaktionen zu diesem Thema zu schulen.

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Normalerweise berichten Medien hierzulange nicht über Suizide, um den – wissenschaftlich mehrfach belegten – Nachahmereffekt zu vermeiden. Sind die Umstände von besonderem öffentlichem Interesse, wird jedoch berichtet und immer wieder wird die Rolle von Medien dann heftig diskutiert. So führte kürzlich der tragische Fall eines Suizids beim Augsburger Weihnachtsmarkt zu vielfachen Reaktionen und hohem medialen Interesse. Es hatte unangemessene Berichte, vor allem in den sozialen Medien, gegeben.

In einer jüngst im renommierten Journal of Communication publizierten Studie  aus einem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderten Forschungsprojekt untersuchten die Kommunikationswissenschaftler Dr. Sebastian Scherr (Universität Augsburg) und Dr. Florian Arendt (Universität Wien) zusammen mit Projektmitarbeiterin Antonia Markiewitz (LMU München) einerseits ob und wie sich die Berichterstattungsqualität über Suizide durch eine Aufklärungskampagne in Nachrichtenredaktionen verbessern lässt und andererseits, ob eine verbesserte Berichterstattung präventiv wirken und somit Leben retten kann.

Nachahmersuizide vermeiden

Die beiden Forscher haben dafür Interventionsmaterialien speziell für Journalistinnen und Journalisten entwickelt, die die globalen Empfehlungen für eine qualitativ hochwertige, verantwortungsvolle Suizidberichterstattung erläutern. So ist durch mehrere Studien belegt, dass eine detaillierte Darstellung der Suizidmethode oder des Orts sehr ungünstig ist, weil dies Nachahmungssuizide auslösen kann. Empfehlungen für eine qualitativ hochwertige, verantwortungsvolle Suizidberichterstattung aus Perspektive der Suizidprävention setzen genau bei diesen empirischen Befunden an und empfehlen Details zur Methode und Ort in der Berichterstattung zu vermeiden. Ziel ist, das Risiko für Nachahmungssuizide zu minimieren. Andererseits wird empfohlen mehr Geschichten über Personen zu bringen, die erfolgreich eine suizidale Krise überwunden haben und andererseits auch vermehrt über Hilfsangebote wie der Telefonseelsorge oder Kriseninterventionszentren zu berichten.

Diese Interventionsmaterialien wurden an Zeitungsredaktionen in Deutschland versendet. Im Anschluss wurde inhaltsanalytisch untersucht, inwiefern sich die Qualität der Suizidberichterstattung in den entsprechenden Zeitungen mit der Zeit veränderte. Die Veränderungen in der Qualität der Suizidberichterstattung wurden dann mit Hilfe von Zeitreihenanalysen mit den deutschen Suizidstatistiken verglichen, um abschätzen zu können, welchen Einfluss die Qualität der Suizidberichterstattung auf die tatsächlichen Suizide in Deutschland haben kann.

Erfolgsgeschichten machen Mut

Die Studie zeigt, dass sich die Qualität der Suizidberichterstattung durch Interventionen in Zeitungsredaktionen tatsächlich verbessern lässt. Die Daten liefern außerdem Hinweise, dass eine qualitativ verantwortungsvolle Suizidberichterstattung mit der Zeit zu einer Reduktion der tatsächlichen Suizide in Deutschland führen kann. "Nachrichten können also tatsächlich Leben retten“, sagt Dr. Sebastian Scherr, Professor für Digital Health Communication an der Universität Augsburg. Sein Kollege Dr. Florian Arendt, Professor für Gesundheitskommunikation an der Universität Wien ergänzt: "Der Ton macht die Musik. Wenn Suizidberichte aber sprichwörtlich den richtigen Ton treffen, also keine Details über Methode und Ort des Suizids veröffentlichen, aber vermehrt Geschichten über Personen mit einer erfolgreichen Krisenbewältigung, dann können Medien dazu beitragen, dass Leben gerettet werden. Das zeigt die Forschung."

Social-Media-Monitoring nötig

Über die aktuelle Studie hinausgehend stimmen die beiden Forscher darin überein, dass ein konstantes Monitoring von Suizidberichten in Deutschland auch von Social Media notwendig wäre, um besser abschätzen zu können, welche zusätzliche Gefahrenlage durch gefährliche Berichte über Selbsttötungen besteht. Es besteht nämlich die Gefahr, dass es aufgrund von sensationsträchtigen Suizidberichten zu zusätzlichen Nachahmungssuiziden kommt, die es sonst nicht gegeben hätte.

"Die Gefahren von Nachahmungssuiziden bleiben nach wie vor bestehen. Die Forschung zeigt allerdings auch, dass man Journalistinnen und Journalisten für das Thema z.B. im Rahmen von Workshops sensibilisieren kann. Dadurch erhöht sich die Qualität der Berichterstattung und das hat dann positive Folgen für die Gesellschaft", erklären die beiden Forscher.

Qualitativ hochwertige Suizidberichterstattung sollte weder genauer auf die Tötungsmethode eingehen, noch den Ort oder andere personenbezogenen Details nennen, die dazu führen können, dass sich Leser mit dem Suizid identifizieren. „Das klingt erstmal schwierig umzusetzen, lässt sich aber tatsächlich trainieren, z.B. wenn man den Fokus im Artikel auf andere Aspekte, wie beispielsweise Hoffnung und Hilfsangebote verschiebt“, sagt Sebastian Scherr.

Die Studie:

"News for life: improving the quality of journalistic news reporting to prevent suicides", erschienen im Journal of Communication, 28. November 2022.
https://doi.org/10.1093/joc/jqac039

Weiterführender Link für Journalistinnen und Journalisten:

https://reportingonsuicide.org/

 

Wissenschaftlicher Ansprechpartner

Chair, Professor of Digital Health Communication
Department for Media, Knowledge and Communication

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Corina Härning
Deputy Media Officer
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