Detektivarbeit zu Handschriftensammlung des 14. Jahrhunderts

Forschungsprojekt von Prof. Anna Kathrin Bleuler beschäftigt sich mit dem Codex Manesse
 

Einen wahren Schatz birgt der Codex Manesse, eine aktuell im Jahr 2023 von der UNESCO zum Weltdokumenterbe ernannte, um 1300 entstandene Handschrift. Auf etwa 430 Pergamentblättern, diese entsprechen 860 Buchseiten, ist mittelhochdeutsche Lyrik von 140 Autoren versammelt, ausgestaltet ist das Buch mit 137 Bildern. Es gibt heute weltweit nur wenige Faksimile (wertige Nachdrucke), die Originalschrift liegt gesichert in einem klimatisierten Tresor in der Heidelberger Universitätsbibliothek.

„Wir gehen davon aus, dass die Zürcher Patrizierfamilie Manesse Ende des 13. Jahrhunderts mit dem Sammeln von Lyrik wie Minnegesängen begonnen hat. Ziel war offenbar eine möglichst vollständige Sammlung; zu den bekannten Autoren in dem Band gehört zum Beispiel Walter von der Vogelweide“, erklärt Anna Kathrin Bleuler, Professorin für Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters. Sie wechselte zum 1. April 2023 aus Salzburg an die Universität Augsburg und brachte unter anderem dieses herausragende Forschungsprojekt, finanziert vom Österreichischen Wissenschaftsfond und der Deutschen Forschungsgemeinschaft, mit: die literaturwissenschaftliche Analyse des Codex Manesse. Diese über sechs Jahrhunderte alte Lyriksammlung steht seit etwa 150 Jahren intensiv im Blickpunkt von Forschung und Politik. Sie wurde als deutsches Kulturgut idealisiert, doch bis heute wirft der Codex Manesse sehr viele offene Forschungsfragen auf.

 

© University of Augsburg

Lyrik von 140 Autoren

„Es ist ein opulenter Schatz der Literatur- und Kunstgeschichte, der einen tiefen Einblick in die Lyrik seiner Zeit bietet, und zeigt, wie vielfältig die mittelhochdeutsche Lyrik war“, so Bleuler. Sie beschreibt das Forschungsprojekt als eine spannende Detektivarbeit. Denn von den 140 Autoren seien 30 bis 40 Prozent weitgehend unerforscht, man weiß außer den Namen und vorliegenden Texten nichts über sie. Selbst zur Zeit der Erstellung der Handschrift scheint es offene Fragen gegeben zu haben, denn mitunter wurde Platz für Strophen gelassen oder wurden gar freie Seiten eingezogen, die offenbar noch befüllt werden sollten. „Vollendet war das Werk Codex Manesse nicht“, erklärte die Wissenschaftlerin. Dies zeige sich auch den mehrfachen Neugliederungen, die am Codex Manesse vorgenommen wurden.

Herausgelöst und neu einsortiert

„Wir möchten herausfinden, wie die Anordnung der Beiträge überlieferungsgeschichtlich zustande kam, denn wir können der Handschrift ansehen, dass im Zug der Herstellung des Buches Pergamentlagen umgeordnet wurden. Manche wurden auseinander getrennt und neu zusammengefügt; etliche Doppelblätter wurden zerschnitten und in anderer Anordnung wieder zusammengenäht. Warum war das so, fragen wir uns? Welche Bewertung lag diesen herstellungstechnischen Vorgängen zugrunde?“

Mit mehreren Mitarbeitern in Augsburg und Konstanz, aber auch durch Unterstützung aus der Universitätsbibliothek Heidelberg wird der Codex Manesse weiter erforscht. Ziel ist es, eine Datenbank über diesen zu erstellen, die eine digitale Transkription des gesamten Werkes enthält und eine Vielzahl an Informationen zur Handschrift abrufbar macht. Des Weiteren ist eine Monografie geplant, in der der Codex mit allen Autoren der Öffentlichkeit vorgestellt wird.

Unsere Forscherin

Lehrstuhlinhaberin und Fachsprecherin Germanistik
Deutsche Sprache und Literatur des Mittelalters
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