Press release 30/22 - 20.04.2022

Macht und Grenzen der „Diplomatenpäpste“

Kirchenhistorische Publikation beschreibt Friedensbemühungen der Außenpolitik des Vatikans

In seiner kürzlich erschienen Monographie weist der Augsburger Kirchenhistoriker Prof. DDr. Jörg Ernesti auf einen Umstand hin, der in der Forschung bisher noch kaum untersucht wurde: Fast alle Päpste im Zeitraum zwischen 1878 und 1978 hatten eine diplomatische Ausbildung und wirkten vor ihrer Wahl als Diplomaten oder Mitarbeiter der päpstlichen Außenpolitik. Die katholische Kirche wurde also ein Jahrhundert lang von politisch-diplomatisch versierten Männern geleitet. Diese Prägung sollte nicht ohne Einfluss auf die Ausrichtung des Heiligen Stuhls bleiben.
 

© Verlag Herder

„Man könnte also durchaus von einem Zeitalter der Diplomatenpäpste sprechen.“, so fasst Jörg Ernesti, Professor für Mittlere und Neue Kirchengeschichte und Dekan der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Augsburg, diesen Aspekt seiner Forschung zusammen. In seiner Monographie „Friedensmacht. Die vatikanische Außenpolitik von 1878 bis 1978.“ zeigt er auf, dass das Jahr 1870 eine Zäsur darstellt, insofern es seither zu einer Neuumschreibung des päpstlichen Rollenbildes kam. Nach dem Verlust der territorialen Herrschaft suchten sich die Päpste schon bald als Vermittler in internationalen Konflikten zu profilieren. Die entscheidenden Schwerpunkte dieser neuen Politik wurden bereits während des Ersten Weltkriegs ausgebildet. So verurteilte Benedikt XV. zwar diesen Krieg mit scharfen Worten und ließ keine Rechtfertigung gelten, ihn zu führen. Doch wahrte er ansonsten eine strikte Überparteilichkeit, um die humanitären Interventionen des Heiligen Stuhls nicht zu gefährden und die Möglichkeit einer Friedensvermittlung offenzuhalten. Das sollte in allen kriegerischen Konflikten des 20. und 21. Jahrhunderts so bleiben.

Humanitäre Aktivitäten (wie zum Beispiel ein Vermisstensuchdienst) waren im Ersten und Zweiten Weltkrieg mit Einschränkungen möglich, nicht aber eine echte Friedensvermittlung. „Als Hemmschuh für das außenpolitische Standing des Vatikans sollte sich nach 1945 eine theologische Prämisse erweisen: Die Päpste hatten seit der Französischen Revolution immer wieder die Religionsfreiheit sowie die Trennung von Staat und Kirche verurteilt“, so Ernesti. Erst nach einer längst überfälligen Korrektur dieser Position in den sechziger Jahren sei eine Mitarbeit des Heiligen Stuhls bei der UNO und ihren Sonderorganisationen, beim Europarat und der OSZE möglich gewesen. In den letzten 40 Jahren stieg auch die Zahl der diplomatischen Vertretungen im Vatikan auf heute 184 Staaten an. Neben die klassische Friedensvermittlung trat nun der Einsatz für Menschenrechte, globale Entwicklungschancen, Flüchtlinge und Umweltschutz.

„Diplomatenpäpste“ – Ausdruck der Friedensvermittlungen des Heiligen Stuhls

All diese Entwicklungen wurden von den „Diplomatenpäpsten“, so der Begriff von Jörg Ernesti, der letzten 150 Jahre stark vorangetrieben. „Beim Begriff ‚Diplomatenpapst‘ mag manchen Beobachter ein gewisses Unbehagen überkommen. Denn Außenpolitik, Diplomatie, Einsatz für Menschenrechte und Vermittlung in internationalen Konflikten sind ja nicht die primäre Aufgabe des Papstes – ist dieser doch in erster Linie Leiter der Gesamtkirche und ihr oberster theologischer Lehrer.“, führt der Kirchenhistoriker weiter aus und formuliert: „Im Evangelium steht nichts von Friedensdiplomatie, wohl aber die Weisung Christi: ‚Darum gehet hin und lehret alle Völker…‘“

Dennoch gehört das außenpolitische Engagement heute zum Rollenbild eines jeden Papstes, zwar nicht als zentrales, aber doch als ein wichtiges Element. In der Politikwissenschaft ist die Außenpolitik des Heiligen Stuhls als Soft Power beschrieben worden. Soft Power basiert im Unterschied zu Hard Power nicht auf wirtschaftlichem Gewicht oder militärischer Stärke, sondern auf Glaubwürdigkeit und moralischer Überzeugungskraft. „Wenn den Päpsten diese Autorität zugestanden wird, können sie wirksam in Konflikten vermitteln und sich für humanitäre Belange einsetzen – aber eben nur dann.“

Stehen nun der 1978 zum Papst gewählte Johannes Paul II. und der aktuelle Papst Franziskus  in der Tradition der „Diplomatenpäpste“, oder verkörpern sie einen anderen Typus?

Prof. Dr. Jörg Ernesti erklärt: „Mit dem polnischen Papst assoziiert man gewiss nicht sogleich die Diplomatie, sondern man denkt eher an seine kompromisslose Haltung gegenüber dem kommunistischen Regime in Polen.“ Dennoch fiel in seinen Pontifikat auch die Vermeidung eines Krieges zwischen Argentinien und Chile im Jahr 1980 durch einen päpstlichen Schiedsspruch – „ein diplomatisches Meisterstück“. Vor dem Dritten Golfkrieg tat der Papst zwar alles, um diesen zu verhindern, doch blieben Gespräche mit den Regierungschefs der damaligen „Koalition der Willigen“ ergebnislos. „Ähnlich verhält es sich mit Papst Franziskus, der als unkonventioneller, ja, vielleicht als revolutionärer Geist erlebt wird, der eine offene und undiplomatische Sprache spricht.“, beschreibt Ernesti den aktuellen Papst: „Dennoch zeigen seine Interventionen im Ukrainekrieg, dass er auf dem Boden einer langen diplomatischen Tradition agiert. Dazu gehören die strikte Überparteilichkeit und der Verzicht darauf, den Aggressor zu verurteilen (eine zuletzt nicht unumstrittene Haltung!); dazu zählen diplomatische Bemühungen um humanitäre Korridore; und dazu zählt schließlich der Versuch, Einfluss auf den russisch-orthodoxen Patriarchen Kyrill zu nehmen, der als ein wichtiger Unterstützer des russischen Präsidenten Putin gilt. Wie jetzt deutlich wird, ist Franziskus sicherlich mehr Diplomat, als viele Zeitgenossen das erwartet hätten. Das Zeitalter der Diplomatenpäpste endet nicht im Jahr 1978, sondern es wird bis in die Gegenwart fortgeschrieben.“

 

Publikation

Jörg Ernesti: Friedensmacht. Die vatikanische Außenpolitik seit 1870. Verlag Herder 2022.

Wissenschaftliche Ansprechperson

Professor
Kirchengeschichte (Mittlere und Neue)

Medienkontakt

Dr. Manuela Rutsatz
Media Officer
Communications and Media Relations

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