Lebensmittellogistik komplexer denn je

Verterter der Firmen Gerolsteiner, Müller-Milch, Raps und Frischemanufaktur präsentieren die aktuellen Herausforderungen im Supply Chain Management ihres Unternehmens und standen anschließend in einer Panel-Diskussion Rede und Antwort. Beteiligt waren zusätzlich Prof. Dr. Christian Fikar (Universität Bayreuth), Prof. Dr. Andreas Holzapfel (Geisenheim University), Prof. Dr. Alexander Hübner (TU München), Prof. Dr. Heinrich Kuhn (KU Eichstätt-Ingolstadt), Prof. Dr. Manuel Ostermeier (Universität Augsburg), Prof. Dr. Michael Sternbeck (TH Ingolstadt) sowie Prof. Dr. Sandra Transchel (Kühne Logistics University).

Wetter, Saison und Angebote erschweren die Absatzprognose

Saisonales Geschäft, kurzfristige Wetterschwankungen und zunehmendes Aktionsgeschäft erschweren die Planung von Produktion und Distribution im Getränkevertrieb stellte Roland Keul, Leiter Supply Chain Management und Logistik von der Gerolsteiner Brunnen in seinem Vortrag heraus. Auch bei Müller Milch bildet die saisonbehaftete und stark schwankende Nachfrage eine besondere Herausforderung, berichtet Dr. Benedikt Scheckenbach, Leiter Group Supply Chain von der Unternehmensgruppe Theo Müller, bekannt als „Müller Milch“. “Der Handel verlangt von uns und von der Konkurrenz fortlaufend Promotionen. Das Aktionsgeschäft des Handels und der Konkurrenz machen Absatzprognosen zum Teil unmöglich”, führte er weiter aus. “Aktionen der eigenen Produkte kennt man, die der Wettbewerber aber nicht und dies kann zu massiven Umsatzverschiebungen führen,” stellte Dr. Scheckenbach die Problematik dar. Die damit verbunden “erheblichen Schwankungen in der Nachfrage erfodern flexible Zeit- und Schichtarbeitsmodelle, die ohne flexible und verständnisfolle Mitarbeiter:innen nicht möglich wäre” wie Roland Keul für Gerolsteiner darlegte.

Nutzung von KI, aber fehlende Daten vom Handel

Die Nutzung von KI-basierten Absatzprognosen in Kombination mit Erfahrungswissen hilft Gerolsteiner dabei, um die notwendigen saisonalen Bestände aufzubauen und so eine hohe Verfügbarkeit sicherzustellen. Bestände binden jedoch Kapital, welches aufgrund gestiegener Zinsen nun auch viel stärker ins Kontor schlägt. Die mangelnde Bereitschaft des Handels Point-of-Sale-Daten für die Lebensmittelhersteller zur Verfügung zu stellen, verhindert eine höhere Supply Chain Transparenz. “Hierdurch ließen sich die Absatzprognosen erheblich verbessern”, stellt Dr. Scheckenbach klar. 

Frische Produkte und deren begrenzte Haltbarkeit

Schwankende Nachfrage lässt sich jedoch nur sehr begrenzt durch Bestandsaufbau für frische Produkte kompensieren, da deren Lagerfähigkeit durch das Mindesthaltbarkeitsdatum eingeschränkt ist. Erschwerend kommt hinzu, dass der sogenannte „Milchdruck“ die Verkaufspreise und Nachfrage beeinflußt. Milchdruck resultiert aus den mit der Landwirtschaft langfristig bestehenden Abnahmeverpflichtungen für die kontinuierlich erzeugte Milch. Dadurch muss das Supply Chain Management fortlaufend entscheiden, in welche Produkte (z.B. Butter, Drinks, Quark) die Milch weiterverarbeitet wird, um einerseits ausreichend Produkte herzustellen, aber andererseits auch Überbestände zu vermeiden, die dann rabattiert und zu geringeren Margen verkauft werden müssen. Durch eine gesamthafte Supply Chain Planung und Steuerung versucht man dem entgegenzuwirken.

Soziale Verantwortung in der Lieferkette 

Aspekte der Nachhaltigkeit und des sozialverantwortlichen Handelns stehen bei RAPS aktuell im besonderen Fokus, wie Michael Unger, Prokurist und Leiter Logistik der Gewürzfirma RAPS, Kulmbach darstellt. Dies wird erreicht durch eine konsequente Nachhaltigkeitsstrategie in der eigenen Produktion sowie durch eine strengen Sozialkodex und regelmäßige Vor-Ort-Besuche der Lieferanten. RAPS unterhält zahlreiche Lieferbeziehungen in weitentfernte Länder und ist daher insbesondere im Hinblick auf schwankende Liefermengen und -qualitäten sowie entstehende Transportkosten, Nachhaltigkeitsfragen und dem Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz gefordert. 

Organisatorische Hürden als Start-up

Dr. Jenny Müller, Gründerin von „Die Frischemanufaktur“, verdeutlichte die organisatorischen Herausforderungen als Start-up im Vertrieb. Das Unternehmen hält ein Patent auf die Haltbarmachung von aromatisiertem Wasser, das mit frischen Kräutern und frischem Obst bestückt und dadurch länger haltbar wird. Dr. Müller schilderte beispielhaft die Problematik, dass die von ihnen verwendete Glasflasche auch für andere Produktarten verwendet werden kann. Hier führen dann aber unterschiedliche Mehrwertsteuersätze zu Abrechnungsproblemen im Pfandsystem. Als Start-up konnte das Unternehmen die Filialen bisher nur direktbeliefern. Zukünftig plant man über die Verteilzentrenten der Händler die Filialen zu beliefern. Dies würde zu einer erheblichen Vereinfachung der logistischen Prozesse führen.

Im Anschluss an die Vorträge schloss sich eine Panel-Diskussion an, in der die Unternehmen noch einmal im Hinblick auf ihre Nachhaltigkeitsstrategie, der Vermeidung von Lebensmittelabfällen, der Klimakriese, sinkende Grundwasserspiegel und den besonderen Herausforderungen der zunehmenden Produkt-Komplexität durch die marktlichen Anforderungen nach veganen, glutenfreien und/oder der Freiheit von Allergenen und Konservierungsstoffen diskutiert wurden.

 

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