Pressemitteilung 98/20 - 22.12.2020

Einbahnstraße für Nanobeben

Neuartiges Bauelement könnte kostengünstige Herstellung von miniaturisierten Isolatoren für die Hochfrequenztechnik ermöglichen

Augsburg/MR– Idealerweise ist der Verkehrsfluss auf einer gewöhnlichen Straße, genau wie die Ausbreitung von elektrischen Signalen in elektrischen Leitern, in beiden, entgegengesetzten Richtungen gleich gut. Forschern der Universität Augsburg und des Walter-Meißner-Instituts in Garching ist nun die Entwicklung eines neuartigen Bauelements gelungen, welches – ähnlich einer Einbahnstraße für den Autoverkehr – Wechselspannungssignale in Form von sogenannten akustischen Oberflächenwellen oder „Nanobeben“ bevorzugt in nur eine Richtung passieren lässt. Akustische Oberflächenwellen finden in Form von Filtern und anderen Bauelementen z.B. in Mobiltelefonen Einsatz. Über ihre trickreiche Entdeckung berichten die Forscher in der renommierten Zeitschrift „Physical Review Letters“: Sie machen sich zunutze, dass die speziellen Nanobeben nur in einer Richtung magnetische Momente in speziell präparierten magnetischen Filmen „anstoßen“ können.  

Schemazeichnung des neuartigen Bauelements. Wechselspannung (RF) wird am linken Transducer (IDT) angelegt um das Nanobeben (Surface Acoustic Wave, SAW) auf einem piezoelektrischen Chip (LiNbO3) anzuregen. Ausgehend vom linken Transducer läuft das Nanobeben nach rechts und wird vom rechten Transducer als Spannungssignal ausgelesen. Ohne magnetischen Film (CoFeB/Pt) würde dieser Prozess auch in entgegengesetzte Richtung, also vom rechten Transducer ausgehend hin zum linken Transducer, gleich gut funktionieren. Durch den magnetischen Film wird die gekennzeichnete Richtung von links nach rechts allerdings bevorzugt. Grund dafür sind Spinwellen (rote Pfeile), welche im magnetischen Film nur in eine Richtung durch das Nanobeben angeregt werden können. Mit Hilfe eines äußeren Magnetfeldes (H) und der Schichtdicke des magnetischen Filmes lässt sich die Richtungsabhängigkeit anpassen.

 

Mit der Entwicklung der ‚klassischen‘ Diode hat der deutsche Physiker und Nobelpreisträger Ferdinand Braun 1874 die Grundlage für die heutige moderne Digitaltechnik gelegt. Dieses elektronische Bauelement lässt Strom nur in einer Richtung passieren, in der entgegengesetzten Richtung wird der Stromfluss stark gehemmt. Vergleichbar damit werden in der Hochfrequenztechnik sogenannte Isolatoren verwendet, um beispielsweise in der Satelliten- und Telekommunikation Empfängersignale passieren zu lassen, jedoch störende Signale in Gegenrichtung zu unterdrücken. Allerdings sind die heute kommerziell erhältlichen Isolatoren verhältnismäßig teuer und zudem relativ groß. Beide Probleme könnten mit dem neuartigen Ansatz des Forscherteams aus Augsburg und Garching behoben werden.

Nanobeben auf dem Chip auch im Smartphone

Zum einen ist der Augsburger Professor Achim Wixforth, ein seit Jahrzehnten weltweit anerkannter Experte für Nanobeben, eine der treibenden Kräfte hinter dem Projekt. Er erklärt: „Die Nanobeben kann man sich grob wie miniaturisierte Erdbeben vorstellen. Jedoch lassen sich die Nanobeben sehr effizient und kostengünstig auf nur Millimeter großen piezoelektrischen Chips durch Wechselspannung mit sogenannten Transducern anregen und auslesen. Deshalb sind Nanobeben für den technologischen Einsatz als Filter oder Sensor für die Massenfertigung besonders gut geeignet und werden beispielsweise in modernen Smartphones gleich dutzendweise verbaut.“ Laut Wixforth breiten sich die Nanobeben üblicherweise jedoch in beiden entgegengesetzten Richtung auf einem solchen Chip auf gleiche Weise aus. Das hat zwar viele Vorteile, aber es lassen sich damit somit keine richtungsabhängigen Isolatoren bauen.

Die Nanobeben „stoßen“ Spinwellen an

Professor Manfred Albrecht aus Augsburg mit ausgewiesener Expertise im Bereich Magnetismus liefert hier mit maßgeschneiderten magnetischen Filmen eine Lösung, die wie so oft durch Kombination zweier Techniken auf einem Hybridchip Innovationspotenzial hat: „Dehnt oder staucht man magnetische Materialien, dann hat das Einfluss auf die Magnetisierung. Falls nun ein Nanobeben durch einen Magneten läuft, so „wackeln“ die Nanobeben aufgrund dieses magnetostriktiven Effekts an den magnetischen Momenten und regen sogenannte Spinwellen an. Diese originelle Idee wollten wir unbedingt umsetzen und wurden für diese Vorhaben von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) mit einem gemeinsamen Forschungsprojekt an der Universität Augsburg finanziell unterstützt.“
Besonders gut mit Spinwellen kennt sich Professor Mathias Weiler vom Walther-Meißner-Institut in Garching aus und würde den Prozess folgendermaßen erklären: „Reiht man mehrere Kompassnadeln in einer Reihe auf, so „fühlt“ jede magnetische Kompassnadel die Ausrichtung der benachbarten Nadeln. Stößt das Nanobeben nun die erste Nadel an, dann breitet sich diese Auslenkung aus – ähnlich einer Wasserwelle, nach dem Wurf eines Steines ins Wasser.“ Und Weiler weiter: „Der Clou an der Sache ist nun, dass sich Spinwellen manchmal in entgegengesetzten Richtungen auf unterschiedliche Weise ausbreiten. Diese so genannte Nicht-Reziprozität ist in nur wenigen Atomlagen dicken magnetischen Filmen, die von Platin überdeckt werden, aufgrund der sogenannten Dzyaloshinskii-Moriya Wechselwirkung besonders groß“. Dies machen sich die Physiker gemeinsam zu Nutze und kombinieren „Nanobeben auf dem Chip“ mit Spinwellen in magnetischen Filmen um auch die Nanobeben bevorzugt in nur eine Richtung passieren zu lassen.

Weitere Projekte sind geplant

Für den Physik-Doktoranden Matthias Küß, der die Experimente mit großem Geschick durchgeführt, optimiert und interpretiert hat, war es „schön zu sehen, dass die Nanobeben die Spinwellen derart effizient antreiben können. Deshalb breiten sich Nanobeben und die elektrischen Signale, welche diese erzeugen, auch mit einem sehr hohen Kontrast in nur eine Richtung aus. In diesem Punkt sind wir bereits jetzt schon konkurrenzfähig mit aktuell kommerziell erhältlichen Isolatoren. Klar ist aber auch, dass an anderer Stelle noch Aufwand in die Optimierung unserer Bauteile gesteckt werden kann und muss.“ Das Forscherteam zeigt sich zuversichtlich, dass „gerade auch wegen der faszinierenden vielfältigen Eigenschaften von Spinwellen und deren komplizierten Interaktion mit den akustischen Wellen deutliche Optimierungen möglich sind.“ Und so viel verraten die Forscher noch: „Wir sind schon jetzt recht weit mit der zweiten Evolutionsstufe unserer Bauteile und deren Performance ist im Vergleich des soeben publizierten ersten „proof of principle“ noch einmal deutlich verbessert.“
 

Originalpublikation:

Die Forschungsergebnisse wurden kürzlich im renommierten Physik-Fachjournal „Physical Review Letters“ publiziert: Matthias Küß, Michael Heigl, Luis Flacke, Andreas Hörner, Mathias Weiler, Manfred Albrecht und Achim Wixforth, Nonreciprocal Dzyaloshinskii–Moriya Magnetoacoustic Waves, Physical Review Letters 125, 217203 (2020).

Wissenschaftlicher Ansprechpartner

Wiss. Mitarbeiter, AG Hörner
Experimentalphysik I

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