Pressemitteilung 10/23 - 13.02.2023

Botschaften aus dem Fettgewebe

Identifizierung einer bislang unbekannten Funktion des Fettgewebes bei der Insulinausschüttung

Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern an der Universität Augsburg und am Forschungszentrum Helmholtz Munich ist mit der Identifizierung einer bislang unbekannten Übertragung von Botenstoffen aus Fettgewebe zur Bauchspeicheldrüse ein wichtiger Durchbruch gelungen, um frühe Prozesse in der Entstehung des Diabetes-Typ-2 besser verstehen zu können. Das Team unter der Leitung von Prof. Dr. Kerstin Stemmer konnte mit einer Veröffentlichung in Nature Communication zeigen, dass Fettzellen winzige, als extrazelluläre Vesikel bezeichnete Lipidmembranpartikel ins Blut abgeben, die die Ausschüttung des Blutzucker-senkenden Hormons Insulin aus der Bauchspeicheldrüse stimulieren können.

Frühe Prozesse in der Entstehung von Diabetes Typ 2 besser verstehen Colourbox.de

Fettgewebe hat einen schlechten Ruf. Dieser ist nicht zuletzt der weltweit steigenden Zahl von übergewichtigen und fettleibigen Menschen geschuldet. Die Zellen des Fettgewebes sind hocheffiziente Energiespeicher, die überschüssige Kalorien aus der Nahrung in Fettpolster von oft beachtlicher Größe umwandeln. Dennoch ist Körperfett nicht generell schlecht, sondern hat auch äußerst wichtige Funktionen. Als endokrines, d.h. Hormon-produzierendes Organ, ist das Fettgewebe beispielsweise an der Regulation vieler Körperprozesse beteiligt. Den ForscherInnen der Universität Augsburg und des Forschungszentrums Helmholtz Munich, Partner im Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD),  ist es nun gelungen, eine weitere Funktion des Fettgewebes aufzuklären. Denn Fettzellen geben nicht nur Hormone ins Blut ab, sondern auch sogenannte extrazelluläre Vesikel.

„Extrazelluläre Vesikel sind kleine membranumhüllte Partikel, die aus allen Körperzellen freigesetzt werden und eine Art Momentaufnahme des zellulären Geschehens durch den Körper tragen. Man kann sie mit Trojanischen Pferden vergleichen, die Proteine, Lipide und Nukleinsäuren zu einem Zielgewebe transportieren und dort freisetzen. In der neuen Zelle angekommen, können sie deren Funktion verändern“, erklärt Konxhe Kulaj, Doktorandin und Erstautorin der Studie. „So gelangen extrazelluläre Vesikel aus den Fettzellen gezielt zu den Betazellen der Bauchspeicheldrüse, werden dort aufgenommen und steigern dort die Ausschüttung des Hormons Insulin“ führt Kulaj weiter aus.

Gesundes und adipöses Fettgewebe mit verschiedener „Fracht“ unterwegs

Zusammen mit ihrer Mit-Doktorandin Michaela Bauer, ihrer Kollegin Dr. Alexandra Harger und mit Hilfe der Proteom-Forscherinnen Dr. Natalie Krahmer und Özüm Sehnaz Caliskan von Helmholtz Munich konnte sie in einer Reihe von Versuchen nachweisen, dass extrazelluläre Vesikel aus gesundem und adipösem Fettgewebe eine sehr unterschiedliche Zusammensetzung an Botenstoffen als „Fracht“ mit sich führen und dadurch die Funktion von Betazellen der Bauchspeicheldrüse verschiedenartig beeinflussten. Stammten die extrazellulären Vesikel aus gesundem Fettgewebe, wie es bei Normalgewicht vorliegt, wurde die Insulinausschüttung nur geringfügig verändert. Extrazelluläre Vesikel aus adipösem Fettgewebe übertrugen dagegen spezifisch Proteine und Nukleinsäuren auf die Bauchspeicheldrüse, die dort die Freisetzung von Insulin stark erhöhten. In Folge sanken die Blutzuckerspiegel.

Die Bedeutung dieser Ergebnisse fasst Stemmer wie folgt zusammen: „In unserem Verständnis zur Entstehung des Typ-2-Diabetes klafft eine Lücke. Bei Übergewicht und Fettleibigkeit reagieren unsere Körperzellen zum Beispiel im Muskel oder Fettgewebe weniger empfindlich auf Insulin, wir sprechen von Insulinresistenz. In diesem sehr frühen Stadium des Typ-2-Diabetes muss unsere Bauchspeicheldrüse, zum Beispiel nach einer Mahlzeit, mehr Insulin ausschütten, um die Blutzuckerspiegel im Normalbereich zu halten. Wie können die Betazellen der Bauchspeicheldrüse aber erkennen, dass eine Insulinresistenz vorliegt, sie also mehr Insulin bereitstellen müssen?“

Die Forscherin führt weiter aus: „Eine Erhöhung der Insulinsekretion ist in diesem Frühstadium des Typ-2-Diabetes sehr förderlich und führt dazu, dass der Körper seinen Blutzuckerspiegel auf normalem Niveau halten kann. Vielen übergewichtigen und adipösen Menschen gelingt dies über Jahrzehnte, die Krankheit bricht nie aus. Die extrazellulären Vesikel aus den Fettzellen scheinen in diesem Prozess eine wichtige Rolle zu spielen“.

„Optimale Voraussetzungen für innovative Forschung"

„Insgesamt haben extrazelluläre Vesikel sehr großes Anwendungspotential für die Diagnostik und Therapie verschiedenster Erkrankungen“, so Stemmer. „Unsere laufenden Studien zielen darauf ab, die Vesikel gezielt zu beladen, um sie für therapeutische Zwecke nutzen zu können.“

In weiteren Studien entwickeln die Augsburger und Münchner Forschenden derzeit neue Verfahren, um im Blut zirkulierende extrazelluläre Vesikel für eine minimalinvasive Untersuchung von Organfunktionen nutzen zu können. „Die enge Vernetzung unseres Instituts für theoretische Medizin mit der Augsburger Universitätsklinik und dem Forschungszentrum Helmholtz Munich und dem Deutschen Zentrum für Diabetesforschung (DZD) schafft für solch innovative Forschungsansätze optimale Voraussetzungen, die letztendlich dem Wohl der Diabetes-Patienten dienen werden“, so Kerstin Stemmer.

 

Originalartikel

Kulaj et al., Adipocyte-derived extracellular vesicles increase insulin secretion through transport of insulinotropic protein cargo. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-023-36148-1
Link: https://www.nature.com/articles/s41467-023-36148-1

Weitere Informationen

Die Arbeitsgruppe für molekulare Zellbiologie am Institut für Theoretische Medizin an der medizinischen Fakultät der Universität Augsburg beschäftigt sich mit der Entstehung, Diagnostik und Therapie metabolischer Erkrankungen, wie Adipositas, und Typ 2 Diabetes, sowie deren mögliche Folgeerkrankungen wie die diabetische Nephropathie und das Pankreaskarzinom. Im Zentrum der Arbeiten stehen die extrazellulären Vesikel.

Die neu gegründete Medizinische Fakultät der Universität Augsburg setzt mit den beiden Forschungsschwerpunkten „Environmental Health Sciences“ (EHS) und „Medical Information Sciences“ (MIS) auf ein aufstrebendes und zukunftsorientiertes, international attraktives und interdisziplinäres wissenschaftliches Profil. Mit den klinischen Profilzentren Gefäßmedizin, Tumormedizin und Allergologie bietet sie darüber hinaus exzellente Möglichkeiten zur Etablierung vernetzter Forschungsstrukturen zwischen grundlagenwissenschaftlichen und klinischen Fachdisziplinen. In der medizinischen Lehre verfolgt sie mit dem ersten Modellstudiengang in Bayern ein innovatives kompetenzorientiertes fächerübergreifendes und organ- und themenzentriertes Ausbildungskonzept, in dem der Patient und die Versorgungsrealität, aber auch die Evidenzbasis und die Wissenschaftlichkeit im Zentrum stehen.

Helmholtz Munich verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus, Allergien und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Helmholtz Munich beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. www.helmholtz-muenchen.de

Das Deutsche Zentrum für Diabetesforschung e.V.ist eines der sechs Deutschen Zentren der Gesundheitsforschung. Es bündelt Experten auf dem Gebiet der Diabetesforschung und verzahnt Grundlagenforschung, Epidemiologie und klinische Anwendung. Ziel des DZD ist es, über einen neuartigen, integrativen Forschungsansatz einen wesentlichen Beitrag zur erfolgreichen, maßgeschneiderten Prävention, Diagnose und Therapie des Diabetes mellitus zu leisten. Mitglieder des Verbunds sind Helmholtz Munich – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt, das Deutsche Diabetes-Zentrum DDZ in Düsseldorf, das Deutsche Institut für Ernährungsforschung DIfE in Potsdam-Rehbrücke, das Institut für Diabetesforschung und Metabolische Erkrankungen des Helmholtz Munich an der Eberhard-Karls-Universität Tübingen und das Paul-Langerhans-Institut Dresden des Helmholtz Munich am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus der TU Dresden, assoziierte Partner an den Universitäten in Heidelberg, Köln, Leipzig, Lübeck und München sowie weitere Projektpartner. www.dzd-ev.de

Wissenschaftliche Ansprechpartnerin

Professorin für Molekulare Zellbiologie
Biochemie und Molekularbiologie

Medienkontakt

Dr. Manuela Rutsatz
Pressesprecherin, Leitung
Stabsstelle Kommunikation & Marketing

Scientists at the University of Augsburg and Helmholtz Munich have made an important breakthrough in better understanding early processes in the development of type 2 diabetes by identifying a previously unknown transmission of messenger substances from adipose tissue to the pancreas. In a publication in Nature Communication, the team led by Prof. Dr. Kerstin Stemmer was able to show that adipose cells release tiny lipid membrane particles known as extracellular vesicles into the blood, which can stimulate the release of the blood sugar-lowering hormone insulin from the pancreas.

Better understanding early processes in the development of type 2 diabetes © Colourbox.de

Adipose tissue has a bad reputation. This is not least because of the increasing number of overweight and obese people worldwide. Adipose tissue cells are highly efficient energy stores that convert excess calories from food into fat deposits, often of considerable size. Nevertheless, body fat is not generally bad as it has extremely important functions. For example, as an endocrine, a hormone-producing organ, adipose tissue is involved in the regulation of many bodily processes. Researchers at the University of Augsburg and Helmholtz Munich have now succeeded in revealing another function of adipose tissue. This is because fat cells not only release hormones into the blood but also so-called extracellular vesicles.

“Extracellular vesicles are small membrane-enveloped particles that are released from all body cells and carry a kind of snapshot of cellular events through the body. They can be compared to Trojan horses that transport proteins, lipids, and nucleic acids to a target tissue for release. Once in the new cell, they can alter its function,” explains Konxhe Kulaj, PhD candidate and first author of the article. “For example, extracellular vesicles from fat cells are targeted to the beta cells of the pancreas, where they are taken up and increase the release of the hormone insulin,” Kulaj continues.

Healthy and obese adipose tissue on the move with different “cargo”

Together with doctoral candidate Michaela Bauer, her colleague Dr Alexandra Harger, and with the help of proteome researchers Dr Natalie Krahmer and Özüm Sehnaz Caliskan from Helmholtz Munich, Kulaj was able to demonstrate in a series of experiments that extracellular vesicles from healthy and obese adipose tissue carry a very different composition of messenger substances as “cargo” and thus influence the function of beta cells of the pancreas in different ways. If the extracellular vesicles originated from healthy adipose tissue, as is the case with normal weight, insulin secretion was only slightly altered. In contrast, extracellular vesicles from obese adipose tissue specifically transferred proteins and nucleic acids to the pancreas, where they greatly increased the release of insulin. As a result, blood glucose levels dropped.

Stemmer explains the significance of the results: “There is a gap in our understanding of the development of type 2 diabetes. When we are overweight or obese, for example, our body cells in muscle or adipose tissue react less sensitively to insulin; we talk about insulin resistance. In this very early stage of type 2 diabetes, our pancreas has to secrete more insulin, for example after a meal, to keep blood glucose levels in the normal range. But how do the pancreatic beta cells recognise that there is insulin resistance such that they need to provide more insulin?”

The researcher continues: “An increase in insulin secretion is very beneficial in this early stage of type 2 diabetes and leads to the body being able to maintain its blood glucose level at a normal level. Many overweight and obese people manage to do this for decades, and the disease never develops. Extracellular vesicles from the fat cells appear to play an important role in this process.”

“Overall, extracellular vesicles have great potential for application in the diagnosis and treatment of a wide variety of diseases,” says Stemmer. “Our ongoing studies aim to specifically load the vesicles to be able to use them for therapeutic purposes.”

In other studies, researchers in Augsburg and Munich are currently developing new methods for being able to use extracellular vesicles circulating in the blood for a minimally invasive investigation of organ functions. “The close networking of our Institute for Theoretical Medicine with the Augsburg University Hospital and the Helmholtz Munich Research Center creates optimal conditions for such innovative research approaches, which will ultimately serve the well-being of diabetes patients,” says Stemmer.

Original article
Kulaj et al., Adipocyte-derived extracellular vesicles increase insulin secretion through transport of insulinotropic protein cargo. Nature Communications. DOI: 10.1038/s41467-023-36148-1

 

Further information

The research group for molecular cell biology at the Institute for Theoretical Medicine at the Medical Faculty of the University of Augsburg focuses on the development, diagnosis, and therapy of metabolic diseases, such as obesity and type 2 diabetes, as well as their possible consequences, such as diabetic nephropathy and pancreatic carcinoma. The focus of the work is on extracellular vesicles.

The newly founded Medical Faculty of the University of Augsburg, with its two main research areas “Environmental Health Sciences” (EHS) and “Medical Information Sciences” (MIS), is focused on developing a future-oriented, internationally attractive, and interdisciplinary scientific profile. With clinical centres in vascular medicine, tumor medicine, and allergology, it offers excellent opportunities for establishing networked research structures between basic scientific and clinical disciplines. With the first model medical degree programme in Bavaria, the medical faculty is developing an innovative competence-oriented, interdisciplinary, organ and topic centred training concept, in which the patient and the realities involved in the provision of care stand in focus guided by an evidenced-based, scientific approach.

Helmholtz Munich, as the German Research Center for Environmental Health, is aiming to develop personalised medicine for the diagnosis, therapy, and prevention of widespread diseases such as diabetes mellitus, allergies, and lung diseases. To this end, it investigates the interaction of genetics, environmental factors, and lifestyle. The centre’s headquarters are located in Neuherberg to the north of Munich. Helmholtz Munich employs about 2,300 people and is a member of the Helmholtz Association, which comprises 18 scientific-technical and medical-biological research centres with about 37,000 employees. www.helmholtz-muenchen.de

The German Center for Diabetes Research is one of the six German Centers for Health Research. It brings together experts in the field of diabetes research and combines basic research, epidemiology, and clinical application. The goal of the centre is to make a significant contribution to the successful, tailored prevention, diagnosis, and therapy of diabetes mellitus through a novel, integrative research approach. Members of the network are Helmholtz Munich - German Research Center for Environmental Health, the German Diabetes Center in Düsseldorf, the German Institute of Human Nutrition Potsdam-Rehbruecke, the Institute for Diabetes Research and Metabolic Diseases of Helmholtz Munich at the Eberhard Karls University of Tübingen and the Paul Langerhans Institute Dresden of Helmholtz Munich at the Carl Gustav Carus University Hospital of TU Dresden, associated partners at the universities in Heidelberg, Cologne, Leipzig, Lübeck, and Munich, as well as other project partners. www.dzd-ev.de

 

 

Scientific contact

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Biochemie und Molekularbiologie

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Dr. Manuela Rutsatz
Pressesprecherin, Leitung
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