Nachgefragt zum Friedensfest: Wie wir in Augsburg besser mit Konflikten umgehen können

Das Augsburger Hohe Friedensfest feiert 2025 sein 375-jähriges Jubiläum – ein besonderer Anlass, um über die Bedeutung von Frieden heute nachzudenken. Prof. Dr. Christoph Weller, Professor für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Augsburg, begleitet das Friedensfest nicht nur wissenschaftlich, sondern ist auch Initiator des Transferzentrums Frieden Augsburg. Im Interview spricht er darüber, wie konstruktive Konfliktbearbeitung in der Stadtgesellschaft gelingen kann – und welchen Beitrag die Friedens- und Konfliktforschung dazu leisten kann.

© Universität Augsburg

Was bedeutet Frieden für Sie persönlich – und wann empfinden Sie eine Gesellschaft als friedlich?

Wichtig ist aus meiner Sicht, Frieden nicht als Zustand zu betrachten, den wir vielleicht irgendwann erreichen. In der Friedensforschung verstehen wir Frieden als Prozess abnehmender Gewalt und zunehmender Gerechtigkeit. Für mich entsteht gesellschaftlicher Frieden dort, wo Konflikte konstruktiv bearbeitet werden, um beispielsweise mehr Gerechtigkeit zu schaffen. Konflikte sind dabei nichts Negatives, sondern ein wichtiger Teil gesellschaftlicher Entwicklung – wenn wir lernen, gut mit ihnen umzugehen.

Sie haben das Transferzentrum Frieden Augsburg ins Leben gerufen. Was ist Ihr Ziel – und was ist dabei besonders herausfordernd?

Der thematische Schwerpunkt meines Lehrstuhls wurde im Kontext des Friedensfests 2005 auf die Friedens- und Konfliktforschung hin ausgerichtet. Weil es in der Friedensstadt Augsburg eine erhöhte Aufmerksamkeit für Friedensthemen gibt, stellen wir im Rahmen des Transferzentrums die praxisrelevanten Erkenntnisse der Friedens- und Konfliktforschung, beispielsweise wissenschaftlich fundiertes Wissen über Konfliktbearbeitung, für die Stadtgesellschaft zur Verfügung. Und die Nachfrage ist hoch: Wir bekommen auch viele Anfragen von Einrichtungen und Initiativen, die sich mehr Sicherheit im Umgang mit Konflikten wünschen.

Was ist besonders herausfordernd für das Transferzentrum?

Die Herausforderung liegt häufig darin, die passenden Formate zum richtigen Zeitpunkt anzubieten – und diese auch gut zu kommunizieren. Oft hören wir: „Wenn ich gewusst hätte, dass das stattfindet, wäre ich gerne gekommen.“ Das zeigt uns, wie wichtig neben dem inhaltlichen Angebot auch die breite Information darüber ist.

Können Sie ein Beispiel nennen, wo Ihr Lehrstuhl und das Transferzentrum konkret zu einem friedlicheren Miteinander in Augsburg beigetragen haben?

Das Transferzentrum kann kein unmittelbarer Friedensstifter sein – aber es hilft dabei, Konflikte besser zu verstehen und konstruktiv mit ihnen umzugehen. Unser Ziel ist es, Menschen zu ermutigen, Konflikte nicht zu vermeiden, sondern sie als Chance für Veränderung zu begreifen. Ein Beispiel: Im Auftrag der Stadt haben wir einen Beteiligungsprozess zur Weiterentwicklung des Programms zum Friedensfest begleitet. Dabei konnten wir die Konfliktlinien sichtbar machen, die dann konstruktiv bearbeitet werden konnten.

Sie bieten mit dem Transferzentrum vielfältige Bildungs- und Qualifizierungsangebote an. Welche Zielgruppen erreichen Sie damit – und welche Formate haben sich besonders bewährt?

Wir erleben ein breites Interesse an Fragen der praktischen Konfliktbearbeitung, quer durch alle Altersgruppen und gesellschaftlichen Bereiche. Viele Menschen werden durch Konflikte verunsichert und würden sie deshalb gerne vermeiden. Unsere Workshops vermitteln ihnen Wissen und Werkzeuge, um mit Konflikten bewusster, mutiger und konstruktiver umzugehen. Besonders gefragt sind unsere Qualifizierungsangebote für pädagogische Fachkräfte in Kindertageseinrichtungen zur Stärkung ihrer Konfliktkompetenzen.

Diese Formate wollen wir künftig noch ausweiten – etwa auf andere Berufsfelder, in denen professionell mit gesellschaftspolitischen Konflikten umgegangen werden muss. Denkbar wären zum Beispiel auch Angebote für Journalistinnen und Journalisten, die mit ihrer Berichterstattung Einfluss auf gesellschaftliche Konfliktdynamiken nehmen.

Wie bringt sich das Transferzentrum darüber hinaus in das städtische Friedensengagement ein?

Zwei Beispiele möchte ich nennen, die es bereits seit vielen Jahren gibt: Die Peace Summer School, die jedes Jahr im Rahmen des Friedensfests angeboten wird, stand in diesem Jahr unter dem Thema „Intersektionalität“. Dabei ging es um die Überschneidung verschiedener Diskriminierungsformen – etwa aufgrund von Herkunft, Geschlecht oder sozialem Status – und darum, wie sich die damit verbundenen Konflikte sensibel und konstruktiv bearbeiten lassen.

Außerdem werden jedes Jahr die zentralen Ergebnisse des Friedensgutachtens der großen deutschen Friedensforschungsinstitute in Augsburg vorgestellt. Der aktuelle Bericht trägt den Titel „Frieden retten!“ und analysiert globale Konflikte – vom Krieg in der Ukraine, im Gazastreifen bis hin zum Krieg im Sudan. Zugleich formuliert das Gutachten konkrete Empfehlungen, wie Europa besser Verantwortung für den Frieden übernehmen kann.

Das Augsburger Friedensfest blickt auf eine lange Tradition zurück. Welche Bedeutung hat es heute – und was sind aus Ihrer Sicht die zentralen friedenspolitischen Aufgaben für die Zukunft?

Gerade in einer Zeit, in der globale Krisen und gesellschaftliche Spannungen zunehmen, kommt dem Friedensfest eine besondere Bedeutung zu. Es ist viel mehr als ein Feiertag – es ist Ausdruck einer besonderen Augsburger Friedens-Tradition, die sich nicht im Erinnern erschöpft. Diese Tradition wird beim Friedensfest immer wieder aktualisiert und ist heute mehr den je gefordert. Wir nennen das einen konstruktiven Konfliktbearbeitungs-Modus, was die Bedeutung des Friedensfests, aber auch des Transferzentrums Frieden zeigt.

Wo zeigte sich diese Tradition in diesem Jahr in besonderer Weise?

Der Deutschen Präventionstag fand in diesem Jahr in Augsburg unter der Themenstellung „Prävention und gesellschaftlicher Frieden“ statt. Auch das war Ausdruck dieser Tradition. Es ging um die Frage, was gesellschaftlichen Frieden stärken kann. Alle individuellen Bemühungen um konstruktive Konfliktbearbeitung strahlen positiv auf den gesellschaftlichen Frieden aus. Das lege ich in meiner Konzeptualisierung von „Gesellschaftlichem Frieden“ dar: Frieden ist ein Prozess, der im konstruktiven Umgang mit gesellschaftspolitischen Konflikten gestaltet wird. Auf diese Weise wird eine Gesellschaft vor der Eskalation ihrer Konflikte geschützt - und dazu trägt jede und jeder einzelne durch konstruktive Konfliktbearbeitung bei.

 

Zur Person

Christoph Weller ist Professor für Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Augsburg. Seine Schwerpunkte sind unter anderem gesellschaftliche Konfliktbearbeitung, Friedensforschung, Gewaltprävention und politische Deutungskämpfe. Seit 2008 begleitet er das Augsburger Friedensfest wissenschaftlich und bringt friedenswissenschaftliche Expertise in die Stadtgesellschaft ein. Er ist Initiator des Transferzentrums Frieden Augsburg und Leiter des Bayerischen Zentrums für Friedens- und Konfliktforschung an der Universität Augsburg. In seiner Forschung entwickelt er u.a. Konzepte für gesellschaftlichen Frieden, die auch in der politischen Praxis Anwendung finden.

 

Das Transferzentrum Frieden Augsburg

Das Transferzentrum ist eine Kooperation der Universität Augsburg mit der Stadt Augsburg. Es fördert den Austausch zwischen Wissenschaft und Gesellschaft, bietet Bildungsformate, begleitet kommunale Projekte und stärkt das friedliche Miteinander in der Stadt. Es wird unterstützt durch den Forschungsverbund „Bayerisches Zentrum für Friedens- und Konfliktforschung“ und geleitet von Christoph Weller; Geschäftsführung: Christina Pauls; Netzwerkkoordination: Luisa Kneer; Koordination: Alexandra Nägele.

 

Erfahren Sie hier mehr zum Transferzentrum: Transferzentrum Frieden Augsburg

Wissenschaftlicher Kontakt

Lehrstuhl für
Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung

Startseite:

E-Mail:

Medienkontakt

Michael Hallermayer
Stellvertretender Pressesprecher, Stellv. Leitung
Stabsstelle Kommunikation & Marketing

E-Mail:

Suche