Thomas Hausmanninger
Ein Plädoyer gegen herkömmliche Ansichten zum Umgang mit einem umstrittenen Genre.

 

 

Nicht nur der "Katastrophenfilm", auch der Horrorfilm widmet sich Katastrophen. Sie sind genau besehen geradezu sein Thema: Allen voran und in vielfältigster symbolischer Aufbereitung steht die existentielle Katastrophe des Todes in seinem Fokus. Oft ist sie Folge der Katastrophe von Schuldverstrickungen oder unaufgearbeiteter Schuld - so in Carpenters "The Fog". Katastrophale Triebschicksale zeichnet der Vampirfilm nach; bei Cronenberg verbindet sich dies mit einer Reflexion katastrophaler technisch-wissenschaftlicher Entwicklungen. Und meist ist der Katastrophendiskurs des Horrorfilms ethisch grundiert - er bezieht Stellung zu den aufgenommenen Themen. Beinahe also bietet er so etwas wie eine narrative Katastrophenethik.

 

Im Gegenzug dazu jedoch betrachten ihn verschiedene organisierte Kreise der Öffentlichkeit keineswegs als Diskursort oder gar als Chance, sondern vielmehr selbst als Katastrophe. Mit einigen kontextlosen Verweisen auf "rasselnde Kettensägen", "zerstückelte Körper" und "halbverweste Leichen" wird die Existenz des Horrorfilms zum Skandal erklärt. Das daneben gestellte Bild des schaudernden Kindes oder einer pathologischen Tat eines Jugendlichen, der, aus welchen Motiven auch immer, unter anderem Horrorfilme konsumiert, reicht dann hin, um daraus seinerseits ein filmreifes Katastrophenszenario entstehen zu lassen. Die Lösung für die Katastrophe ist nicht minder rasch gefunden - vor allem in Deutschland sieht man sie sogleich in staatlichem Handeln, in einer Stärkung der Institutionen, Zentralisierung und massiven Beschränkungen der Medien- und Kommunikationsfreiheit.

 

Meines Erachtens beschwört diese Lösung der vermuteten Katastrophe jedoch erst eine wirkliche herauf - nämlich für die Freiheit der Kommunikation, derer die moderne Demokratie unbedingt bedarf. Ich will daher nachfolgend dem genannten Katastrophenszenario entgegentreten und für den Katastrophendiskurs des Horrorfilms eine Lanze brechen.

 
Von Comics und Selbstkontrollgängen

Unter demokratischen Verhältnissen bringen populäre Forderungen der Medienkontrolle normalerweise keine Reichsfilmintendantur (mehr) hervor. Statt dessen entstehen meist Selbstkontrollinstanzen als Reaktion aufgeschreckter Medienproduzenten, um externen Kontrollen vorzubeugen. Das Hays-Office im Hollywood der 30/40er Jahre, der amerikanische Comics-Code von 1954 und jüngst die bundesdeutsche Freiwillige Selbstkontrolle Fernsehen (FSF) sind Beispiele für diesen Mechanismus. Sie sind gleichzeitig aber auch Beispiele für die damit verbundenen Probleme: Die "Schere im Kopf" der Produzenten und Distributeure von Medien kann mächtig sein und den gesellschaftlichen Diskurs nachhaltig behindern, ja über Jahrzehnte hinweg bremsen und verschleppen. Als Beispiel sei nur auf die kritikhemmende Wirkung des Comics-Code verwiesen: Wo "Regierung, Polizei und respektierte Institutionen" nicht angegriffen werden durften (Comics-Code A 3), schied auch jede Beschäftigung mit Korruption, Imperialismus und struktureller Diskriminierung aus. Die Comic-Kritik der 70er Jahre hat dies zu Recht kritisch vermerkt, (ohne allerdings zu berücksichtigen, daß es Folge der Zensurkampagne eines Teils der Öffentlichkeit, nicht aber einer Verschwörung der Herrschenden war). Auch damals war zudem der Horror - nämlich in den EC-Comics - ein Auslöser, und ein zentrales Argument, daß es sich dabei ja um minderwertige Literatur handle, deren Begrenzung oder Beseitigung keinen kulturellen Schaden anrichten könne.

 

Freilich - Selbstkontrolle ist staatlicher Kontrolle vorzuziehen, und Selbstbindung (unterhalb einer grundsätzlichen rechtlichen Rahmenordnung) ist besser als allzu detaillierte gesetzliche Kasuistik. Auch wird sich aus Gründen des Jugendschutzes wie des Selbstschutzes der demokratischen Gesellschaft auf eine institutionalisierte gesellschaftliche Kommunikationskontrolle kaum verzichten lassen. Für den Filmbereich ist dabei in der Bundesrepublik unterhalb bestimmter notwendiger rechtlicher Grenzziehungen mit der Freiwilligen Selbstkontrolle der Filmwirtschaft (FSK), der Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS) und der FSF bereits umfangreich für die Institutionalisierung dieser Kontrolle gesorgt; der Selbstkontrollstatus bei FSK und FSF, das Antragssystem bei der BPjS und die Arbeit in pluralen, gesellschaftlich repräsentativen Gremien bei allen dreien sorgt dafür, daß die Kontrollarbeit im Prinzip eine gesellschaftliche (bzw. gesellschaftlich rückgebundene) bleibt. Da die Vorlage eines Films bei der FSK nicht unausweichliche Pflicht ist bzw. sich auf Prüfung der "strafrechtlichen Relevanz" (also der Frage, ob ein Film gegen bestehende Gesetze verstößt, indem er z.B. zu Terror und Umsturz aufruft) beschränken kann, sowie (bislang) auch die Vorlage bei der FSF freiwillig ist, ist die Macht dieser Institutionen hinreichend zurückgenommen. Darüber hinaus enthalten die Prüfkriterien dieser Institutionen (noch?) nicht jene detaillierten inhaltsethischen Verpflichtungen zur Harmlosigkeit wie seinerzeit der Comics-Code. Es wäre daher unsinnig, die Zensurdebatte, wie sie Hanne Noltenius 1958 entfacht hat, zum gegenwärtigen Zeitpunkt in irgendeiner Form zu wiederholen.

 
Die Spirale der Institutionen

Dennoch ist es keineswegs so, als ob die bestehende institutionelle Kommunikationskontrolle nicht auch ihre Probleme hätte. Kontrollinstanzen - auch der Selbstkontrolle - beschränken, das ist nun einmal ihr Wesen. Wo die Nichtkennzeichnung eines Films zur Folge hat, daß er nur Erwachsenen vorgeführt werden darf bzw. eventuell zusätzlich rasch das Auge des Staatsanwalts auf sich zieht, oder die Nichtvorlage bei der FSF, daß ein Sender unter Umständen in der Öffentlichkeit das Image bekommt, nicht "familienfreundlich" zu sein, steigt zusammen mit der Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit diesen Institutionen auch deren Beschränkungsmacht. Nur einige wenige Hinweise dazu, weshalb dies - bei aller Notwendigkeit dieser Institutionen - nicht völlig unproblematisch ist. So kann es in diesem Zusammenhang eine institutionell verursachte "Prüfspirale" geben: Das Prüfgutachten der FSK nämlich fixiert neben der Alterseinstufung auch die erste Interpretation eines Films, noch bevor jedes Feuilleton und die Zuschauer sich ein Urteil bilden - geschweige denn ihre Urteile miteinander vergleichen und eventuell korrigieren - können. Das ist besonders prekär bei innovativen, avantgardistischen Filmen, deren spezifischer Wert sich oft erst nach längerer Zeit entdeckt. Verstört dieser Film die FSK, so droht unter Umständen sogar seine Einziehung. "Robocop" von Paul Verhoeven ist ein Beispiel für diese Problematik. Die FSK sah im Jugendausschuß einen "Ausfall jeder Wertbezüge" und eine "ideologische Botschaft", die "mit unserem Rechtsverständnis nicht in Einklang zu bringen ist" (zit. nach BPS-Gutachten in BPS-Report 2/1990, 39). Die ausgesprochen harsche und differenzierte Kritik Verhoevens an einer völlig von der Profitwirtschaft beherrschten Gesellschaft und seine Skandalisierung von Gewalt wurde offenbar trotz pluraler und kompetenter Zusammensetzung der Kommission ebensowenig wahrgenommen wie die sensible Humanität der Hauptfigur. Inzwischen gilt der Film als Klassiker.

 

Das FSK-Gutachten nun wird bei einer eventuellen Prüfung durch die BPjS herangezogen. Betrachtet schon die FSK einen Film als problematisch, wird diese zweite Instanz kaum abweichend urteilen. Auch hier ist die "Robocop"-Entscheidung ein Paradebeispiel. Obwohl durch mittlerweile veröffentliche Filmkritiken und den Anwalt der Verleihfirma über eine entsprechend andere Deutung des Films informiert, die dessen moralischen und ästhetischen Wert differenziert verdeutlicht, schließt sich die BPjS bruchlos dem FSK-Jugendausschuß an und benützt ausschließlich dessen Vorgabe als Begründung der Indizierung (BPS-Entscheidung Nr. 3967 vom 11. Mai 1989, in BPS-Report 2/1990, 40). Beide Gutachten wiederum rezipiert auch die FSF, wenn der Film im Fernsehen ausgestrahlt werden soll und zur Begutachtung vorgelegt wird. Über darin enthaltene Verdikte kann sie v.a. bei indizierten Filmen schon aus rechtlichen Gründen kaum hinweggehen - jugendgefährdende Filme dürfen Kindern und Jugendlichen bei Strafe nicht zugänglich gemacht und auch nach 23:00 Uhr nur ausgestrahlt werden, wenn der jugendgefährdende Charakter nicht mehr (oder zumindest nicht mehr im selben Maße) besteht. Zumindest bei indizierten Filmen muß die FSF daher letztlich fordern, daß der Film in einer Weise verändert wird, die die Vorwürfe der BPjS "gegenstandslos" macht. Keine leichte Aufgabe, falls die Vorwürfe selbst bereits gegenstandslos waren, weil sie den Film fehlinterpretiert haben. Für "Robocop" jedenfalls bedeuten die institutionellen Einschätzungen bis heute, daß er als tendenziell gewaltverherrlichend stigmatisiert ist - ein Tatbestand, der den Film bei genauem Zusehen kaum überzeugend trifft, aber seine Gestalt und Verbreitungschancen nachdrücklich bestimmt. - Wo ist nun bei all dem das Problem? Eine zumindest bestreitbare institutionelle Filminterpretation begrenzt die Freiheit ästhetischer Kommunikation (es gibt z.B. keine vollständige deutsche Fassung von "Robocop" im Kino, auf Video und im Fernsehen), und dies eventuell nur, weil ein Gremium von einem avantgardistischen Produkt überfordert war.

 
Jugendschutz, "Erwachsenenschutz" und veraltete Kriterien

Vor allem im Bereich des Fernsehens bringt die institutionelle Filmbeurteilung außerdem weiter mit sich, daß die berechtigten Anliegen des Jugendschutzes in einen "Erwachsenenschutz" überzukippen drohen. Unter dem gegenwärtig bis zum Überdruß wiederholten Argument, daß auch nach 23:00 Uhr noch vereinzelt Jugendliche vor dem Fernseher säßen, scheinen "Entschärfungsmaßnahmen" in Form von Schnitten auch für diesen (im Grunde für Erwachsene reservierten) Sendezeitraum unumgänglich. Die genannte Gewaltdebatte sorgt zusammen mit organisierten Aktionen des Boykotts von Produkten, die im Umfeld mißliebiger Filme beworben werden, auch unabhängig von FSF-Empfehlungen für vorauseilenden Gehorsam bei den Sendern selbst, der sich neben schlichten Sendeverzichten vor allem in eigenmächtigen Schnitten vollzieht. Dabei kommen "Fernsehfassungen" zustande, die oft bis zur Unverständlichkeit des Handlungsgangs, jedenfalls aber häufig mit dem Effekt eines holperigen, durch Sprünge beschädigten Erzählflusses und ästhetischen Rhythmus´ verstümmelt worden sind. Die 16er-Fassung von "The Terminator" ist - freilich schon im Video-Bereich "vorwegverursacht" - ein krasses Beispiel hierfür; die Schnitte in der Erstausstrahlung von "Total Recall" haben es sogar zustandegebracht, aus der zwiespältigen Hauptfigur einen positiven Helden zu machen (und damit seine Gewalttätigkeit gegen die verfolgte Intention positiv zu werten). Bei aller Zustimmung zur Wichtigkeit des Jugendschutzes ist doch die Frage, ob die Kollision zwischen diesem Gut und dem der Freiheit ästhetischer Kommunikation für einen ganzen Medienbereich, wie das Fernsehen, so einfach zu Lasten des zweiten Gutes aufgelöst werden darf. Im Sendezeitraum nach 23:00 Uhr ist das schon deshalb wenig plausibel, weil damit elterliche Erziehungsverantwortung durch institutionelle Prävention zu ersetzen gesucht wird, ein Vorgehen, das dem Subsidiaritätsprinzip widerspricht. Vor allem aber widerspricht der hierbei im Rücken mitbewerkstelligte "Erwachsenenschutz" massiv allen demokratischen Vorstellungen von Kommunikationsfreiheit.

 

Deshalb sind auch die organisierten Boykottaktionen mehr als ärgerlich: Widerstand aller Art sollte es in einer demokratischen Gesellschaft nur bei Bedrohung ihrer grundsätzlichen Wertentscheidungen geben, nicht aber zum Zweck der Begrenzung ihrer Verwirklichung. Doppelt ärgerlich zudem, weil die Aktion von oben kommt und kein Komplement besitzt. Die berühmte "Rote Karte" für das Fernsehen, deren Nutzung übrigens wenig Überlegung voraussetzt, weil die Gründe für die Beschwerde (Gewalt und/oder Sex) schon zum Ankreuzen vorgedruckt sind, wird von einer Ministerin bereitgestellt; vorgedruckte Boykottbriefe sind bei diversen Vereinigungen erhältlich. Keineswegs hingegen wird irgendwo die "Gelbe Karte" für Schnitte und Verstümmelungen angeboten; derartige Beschwerden erhalten keine äußere Motivation und Unterstützung. Da die einen aber aufgerufen werden, sich im Kontext einer "Bewegung" vorgedruckt zu äußern, die anderen hingegen auf die bloße Kraft ihres Unmuts angewiesen bleiben, ergeben die Einsendungen noch nicht einmal ein halbwegs repräsentatives Bild dessen, was "die Öffentlichkeit" denn nun eigentlich wirklich denkt.

 

Ein weiteres Problem sei zumindest noch erwähnt: Die Prüfkriterien der genannten Institutionen (wie übrigens auch die des GjS) verdanken sich weitgehend dem Reichslichtspielgesetz von 1920, das sie wiederum aus dem Württembergischen Lichtspielgesetz von 1914 bezieht und - wie dieses - unter Einfluß der wilhelminisch-nationalkonservativen Kinoreformbewegung entstanden ist. Wie sich etwa am Kriterium der "Verrohung" oder der "Gefährdung der Sittlichkeit" (§ 1.1 GjS; zugleich BPjS-Kriterium und § 2 FSK-Grundsätze, bei letzterer "entsittlichend") zeigen ließe, beruhen diese Kriterien auf längst überholten Wirkungsannahmen (Verrohung) und Gesellschaftsbegriffen (Rolle der Sittlichkeit; vgl. dazu: Th. Hausmanninger: Kritik der medienethischen Vernunft, München 1993). Sie an gegenwärtige Standards anzupassen aber ist schwierig, wie allein daraus hervorgeht, daß immer dann, wenn das Verrohungskriterium angewendet werden soll, unterschwellig auf ein negatives Menschenbild und ein Reiz-Reaktions-Schema (mitunter lerntheoretisch verkleidet) zurückgegriffen wird (dazu ebd. 387-396, 613-615): Der Mensch gilt in den theoretischen Vorgaben als "urzeitlicher Schlächter", mühsam durch die Zivilisation domestiziert, und scheint sich bei Rezeption gewalthaltiger Filme allzu bereitwillig an sein "eigentliches" Wesen zu erinnern. Auf diesem Hintergrund ist es freilich schlüssig, wenn solchen Filmen dann unterstellt wird, sie leiteten dazu an, die "zivilisatorische Tünche" abzustreifen und lustvoll auf den Stand eines Primaten zurückzukehren. Die Erkenntnisse moderner Anthropologie - der Mensch als reflexives, stellungnehmendes Wesen, das neben der intraspezifischen Aggression auch solidarische und fürsorgende Antriebe besitzt - bleiben dabei außen vor. Hier bringt auch eine Lerntheorie keinen Fortschritt, die unterstellt, daß durch Darstellung auch nur ansatzweise erfolgreicher Aggressionen Gewalttäter und Sadisten im großen Stil systematisch erzeugt werden könnten. Der Primat tritt hier in Gestalt eines zur Reflexion und Stellungnahme anscheinend völlig unfähigen Wesens wieder auf, dessen Bewußtsein das bloße Produkt medialer Darstellungen des Seins ist (dazu ebd. 387-396). Gerade diese Variante der Lerntheorie aber legt z.B. die BPjS explizit ihren Filmprüfungen zugrunde (siehe zum Beleg etwa Entscheidung Nr. 2814 in BPS-Report 3/1987, 15; Nr. 3968 in BPS-Report 5/1989, 42).

 
Überprüfung der Prüfungen statt neuer Kommunikationsbegrenzungen

Betrachtet man diese Probleme, so müßte es eigentlich darum gehen, das Funktionieren der genannten Institutionen unter Maßgabe einer freiheitlichen Medienkultur und bei Förderung autonomer Rezeptionskompetenzen des Publikums zu verbessern. Angesichts der angedeuteten Unzeitgemäßheit (und wissenschaftlichen Überholtheit) mancher Prüfkriterien wäre hierzu eine Revision derselben in der einen und anderen Hinsicht angezeigt. Außerdem sollte dazu ermutigt werden, in der Institutionenabfolge vorangegangene Interpretationsentscheidungen auch einmal in Frage zu stellen, ja überhaupt Interpretationsleistungen diskursiver und beweglicher zu machen. Darüber hinaus müßte die Möglichkeit geschaffen werden, Entscheidungen nach einiger Zeit auch innerinstitutionell durch ein neues Gremium nochmals zu überprüfen. Dies gilt besonders für die BPjS: Jugendgefährung ist ein dynamischer, "geschichtlicher" Begriff, wie schon der Blick auf die in den 50er Jahren diesbezüglich eingestuften Western und der Vergleich mit der heutigen Einschätzung ihrer Jugendeignung deutlich machen dürfte. Auch bei vielen Filmen der 70er Jahre - wie z.B. bei John Carpenters "Assault on Precinct 13" - erscheint die Aufrechterhaltung ihrer Indizierung zwanzig Jahre später und angesichts des gegenwärtigen Kinoprogramms kaum noch nachvollziehbar. Eine periodische Überprüfung der indizierten Filme in Abständen von beispielsweise fünf Jahren auf ihre noch bestehende oder inzwischen überholte Gefährdungseignung wäre daher äußerst wünschenswert.

 

Keineswegs wünschenswert hingegen sind die gegenwärtigen Bestrebungen diverser Vereinigungen - wie etwa der "Verbrauchervereinigung Medien" -, die institutionalisierte Kommunikationskontrolle in der Bundesrepublik nochmals zu verschärfen. Das vorhandene Instrumentarium ist mehr als ausreichend. Jede Zunahme an institutioneller Macht, jede Zentralisierung und jede über das Bestehende hinausgehende Detaillierung kasuistischer Vorschriften hingegen würde bedeuten, daß die ohnehin schwierige und kunstreiche Gratwanderung zwischen notwendiger Kontrolle und gebotener Medienfreiheit mehr und mehr in Gefahr gerät, doch in eine un- oder antidemokratische Herrschaft über den gesellschaftlichen Diskurs - der auch vermittelt durch die sogenannten Unterhaltungsprodukte geführt wird - zu kippen. Um so wichtiger scheint es daher, dem gegenwärtigen Klima einer großen Bereitschaft zur weiteren Beschränkung medialer Kommunikation etwas entgegenzusetzen. Wer wirklich sachhaltig über Film, Video, Fernsehen und insbesondere seine Kontrolle diskutieren will, benötigt Information über die sozialethische und politische Begründung des Werts der Medienfreiheit, über die Komplexität der Wirkungen von Mediengehalten, über den Film selbst schließlich, seine ästhetische Dimension wie seine Inhalte, und über die möglichen Gründe, warum bestimmte Filmformen das Interesse von Menschen finden. Sachhaltige Information wie Informiertheit jedoch scheint mir im genannten Klima eher selten zu sein. So dürfte beispielsweise der deutsche Chansonnier, der sich in der genannten Vereinigung engagiert, kaum ein filmphilologisch gebildeter Spezialist für Horror sein - wie überhaupt viele Engagierte oft nicht gerade zu den Kennern der Genres zu gehören scheinen, die sie gerne verboten sehen wollen. Gefährlich aber ist es, wenn ein diffuses Phantombild strukturelle Forderungen motiviert. Das gilt ebenso für die seit hundert Jahren unverändert kolportieren, populären Vorstellungen über Medienwirkungen - gemessen an der kommunikationstheoretischen Fachliteratur haben viele Zeitungsartikel und Talkshows zum Thema "Mediengewalt" den Charakter eines Mythos.

 
Eine Lanze für den Horror

Das Phantombild von den "rasselnden Kettensägen" hat gleichwohl schon seine Wirkung getan. Betrachtet man die Verleihpolitik der letzten Jahre, so drängt sich der Eindruck auf, daß unter dem Druck der Gewaltdebatte Horrorfilme in Deutschland (bis vor kurzem?) kaum noch ihren Weg ins Kino gefunden, sondern allenfalls Videopremieren erlebt haben. Eben dies, die Verlagerung des Genres in den Videobereich, aber stellt(e) eine sehr beredte Verdrängung dar: Video ist hierzulande noch längst kein renommiertes Medium, sondern nach wie vor mit dem Geruch der Schmuddelecke oder jedenfalls mit dem Stempel, eher ein Problem, als eine kulturelle Möglichkeit zu sein, versehen. Auf diesem Hintergrund verwundert es nicht, daß junge deutsche Regisseure, die an dem Genre Gefallen finden, ins Ausland ausweichen oder ihre Geschichten unter dem Signum anderer Genres erzählen müssen. Dies ist etwas eigenartig in einem Land, das mit der Erfindung des Schauerromans und großen Regisseuren wie F. Murnau erheblichen Anteil an der Begründung des Horrors gehabt hat. Gerade in Deutschland sollte es gar nicht erst des Verweises auf F. Coppolas "Dracula" bedürfen, um den kulturellen Wert des Horrorfilms vor Augen zu führen. Freilich - unter Umständen erleben wir hier gegenwärtig auch eine neuerliche Wende: Die berühmten "X-Files" haben im Fernsehbereich ein neues Publikum für "Mystery" gewonnen, das letztlich ein Publikum für das Genre des Schauerlichen ist. Im Kino boomte wider alles Erwarten "Scream" von Wes Craven. Damit fand ausgerechnet eine der diskriminiertesten Subgenres im Horrorbereich, nämlich das Slasher-Movie, breiten Zuspruch. Unter Umständen erzwingt dieses neue Publikum so gegen die Gewaltdebatte und ihre strukturellen Forderungen, daß der Horrorfilm im Kino eine Renaissance erlebt. Trotzdem dürften auch zum gegenwärtigen Zeitpunkt einige Hinweise zum kulturellen Wert des Horrorfilms nicht verfehlt sein.

Wenigstens drei Aspekte: Der Horrorfilm betreibt existentiale Hermeneutik und darin einen konstruktiven Katastrophendiskurs. Er stößt in die Bereiche jenseits des Alltagsbewußtseins vor und macht zusammen mit Grundfragen des Menschseins ebenso katastrophische Urängste wie eschatologisch-utopische und metaphysische Hoffnungen zu seinem Gegenstand. Darin ist er beinahe so etwas wie ein Platzhalter existentieller Themen in einer Zeit ihrer oftmaligen Verdrängung, die sich auch in dieser Hinsicht als "nachmetaphysisch" zu verstehen scheint. Daneben widmet sich der Horrorfilm - mitunter in Travestie, oft aber auch unverblümt - der Zeitdiagnostik und der Gesellschaftsanalyse. Dabei kann er geradezu tagesaktuell werden und gesellschaftliche wie politische Themen aufgreifen. Für alle drei Aspekte hält der Horrorfilm zudem qua Genre eine Bandbreite an symbolischen Darstellungsmöglichkeiten bereit, die weit über die anderer Genres - insbesondere des realistischen Problemfilms - hinausgehen. In vielen Fällen unterstützt das eine vertiefte und differenzierte Behandlung entsprechender Themen eher, als daß es sie hindern würde.

 

Beispiele dafür: Katastrophendiskurs, Zeitdiagnostik und existentiale Hermeneutik überschneiden sich etwa in den Filmen von D. Cronenberg. Dessen großes Thema: das Schicksal des Körpers und die modernen Hoffnungen auf technisch-medizinische Verbesserung des Menschen als Ersatz für eine verlorengegangene metaphysisch-religiöse Ausrichtung auf ein besseres Leben im Jenseits steht in der Durchführung ganz in der Nähe gegenwärtiger philosophischer Zeitdiagnostik. Das "Schweigen des Körpers" (G. Ceronetti) und das "Schwinden der Sinne" (D. Kamper) unter dem bis in die Zellstruktur und Genetik vordringenden Zugriff rächt sich in seinen Filmen jeweils katastrophisch: Wo der Bezug zu Leibhaftigkeit und Sinnlichkeit geschwunden ist, fehlen auch die dringend nötigen Informationen über den richtigen Umgang des Menschen mit sich. Daher führt der Versuch der Hauptfigur in "Die Fliege", die eigene Körperlichkeit zu steigern, in die Irre und bleibt am Ende nach der buchstäblichen Fusion des Körpers mit einer Maschine (welch ein Bild für den Zustand der Leiblichkeit unter den Bedingungen einer losgelassenen instrumentellen Vernunft!) nur noch der Tod, der hier jedoch keine Erlösung mehr, sondern lediglich ein Auslöschen von Leid ist. In "Rabid" bedingt die Erfindung künstlicher Körperelemente bei der damit versehenen Hauptfigur vampiristischen Blutdurst, der zudem epidemisch ist; in "Shivers" mündet der Versuch, den Menschen mittels eines eingepflanzten künstlichen Parasiten wieder an seine Triebe anzuschließen in ein epidemisches running wild der Sinnlichkeit, das die Zivilisation auslöschen wird. Wo die Körper instrumentell zugerichtet werden und der Kampf gegen Krankheit, Alter und Tod die metaphysische Dimension ersetzen soll, wird der Durst nach Leben vernichtend und läuft die Lust katastrophal aus dem Ruder.

 

Eigentlich unnötig, zu sagen, daß all diese Filme damit auch eine politische Dimension haben. Explizit gibt es diese etwa in Cronenbergs "Videodrome" - einem Kommentar gleichzeitig zur Gewaltdebatte: Rechtskonservative Kreise versuchen hier, durch Kodierung gewalt- und sexhaltiger Fernsehprogramme mit subliminals, welche Wahnvorstellungen erzeugen, das linke, libertinistische Publikum langfristig auszumerzen. Dabei ist Cronenberg nicht undifferenziert - auch die Verstrickung in Perversion und Affektsucht sowie die kommerzielle Ausbeutung affektiver Anreize in dem Medien wird anhand der Hauptfigur vorgeführt. Ausbeutung ist unter anderem das Thema von J. Carpenters "They Live". Aliens aus Andromeda paktieren hier mit den Mächtigen der Erde und gehen mit unserem Planeten so um, wie auf diesem die sogenannte Erste mit der Dritten Welt. Die als Konsequenz drohende Katastrophe gleicht daher ebenfalls der Realität: Vernichtung der ökologischen Balance steht als Preis für die Kooperation mit den fremden Ausbeutern zu erwarten. Beinahe parodistisch inszeniert Carpenter dabei mediale Manipulation - ausgerechnet eine schwarze Brille verhilft hier zum aufdeckenden Durchblick.

 

Aber nicht nur Kritik und Katastrophenstimmung beherrschen den Horrorfilm. Sei je ist die Erlösung durch die Liebe ein Zentralthema des Vampirfilms gewesen. In A. Cummings "Nosferatu in Venedig" darf das untote Triebwesen daher auch die erlösende Liebe der Frau finden und am Ende einen Tod sterben, der nicht mehr nur die Existenz löscht. Und in K. Bigelows "Near Dark" werden am Ende sogar die Generationen versöhnt: Durch eine Transfusion seines eigenen Blutes holt der Vater den Sohn aus den Fängen des Vampirismus zurück; die Liebe des Sohnes rettet dann die vampiristische Freundin und am Ende findet sogar das alte Vampirpaar im gleißenden Sonnenlicht seine Erlösung. Die Transfusion ist ein starkes Bild für die heilsame Kraft der vom Vater verkörperten Tradition, ohne daß Bigelow ein einsinnig konservatives Statement abgäbe - das junge Paar steht schlußendlich durchaus eigenständig da und selbst den alten Vampiren wird Sympathie zuteil. Im Subtext bricht Bigelow zudem - Feministin, die sie ist - die Rollenklischees von Mann und Frau auf. Hier werden die Wege aus den drohenden Katastrophen aufgeschlüsselt.

 

Die Beispiele sind bewußt gewählt. Fast alle Filme sind umstritten, einige indiziert. Die meisten enthalten Splatterelemente. Und dennoch ist keiner von ihnen vordergründig, billig, effekthascherisch oder spekulativ auf "niedere Instinkte" gerichtet. Schwerlich lassen sich mit ihnen die gegenwärtig vorgebrachten zusätzlichen Beschränkungsforderungen stützen.

 
Wirkungen? Keine Angst vor dem Publikum!

Aber wie steht es mit den befürchteten katastrophalen Wirkungen? Wer im breiten Publikum liest schon philosophische Zeitdiagnostik, bevor er zum Horrorfilm greift? Zugegebenermaßen kaum jemand. Die oben erhobene Forderung, autonome Rezeptionskompetenzen zu fördern, schließt deshalb die Forderung nach Medienpädagogik ein. Diese hätte in der Schule zu beginnen - nicht nur die Geschichte der Literatur und bildenden Kunst, sondern auch des Films müßte Gegenstand des Unterrichts sein; wie Tafelbild und Performance im Kunstunterricht erschlossen werden, sollten dies auch Montage und Bild-Ton-Interaktion beim Film. Außerdem könnte und sollte es Aufgabe der Medien selbst sein, Rezeptionshilfen anzubieten. Einige Programmzeitschriften bemühen sich bereits darum; das Kunststücke-Team im österreichischen Fernsehen hat zudem bewiesen, daß allgemeinverständliche Filmeinführungen keineswegs undankbar beim Publikum aufgenommen werden. Im übrigen gibt es das Feuilleton und seine Filmkritiken, so daß kein Film intellektuell unbegleitet auf die Öffentlichkeit "losgelassen" werden muß.

 

Abgesehen davon ist übergroße Angst vor dem Publikum unter den Bedingungen der existenten gesellschaftlichen Kommunikationskontrolle jedoch ohnehin nicht angebracht. Verabschiedet man sich einmal von dem unsachgemäßen, katastrophischen Bild des urzeitlichen Schlächters und blank außengeleiteten Ensemble medialer Verhältnisse, so läßt sich durchaus in Blick bringen, daß Menschen zumindest auch souverän, selbstbestimmt und kompetent mit Medien umzugehen wissen. Eine im Auftrag des Bundesinnenministeriums erstellte empirische Studie hat dies sogar im Bereich jugendlicher Horrorfilm-Fans nachgewiesen: Ihr zufolge gibt es eine Nutzungsleiter, die vom "Fremden", der zufällig dem Horror begegnet und sich meist schaudernd wieder abwendet, über den "Touristen", der dennoch Interesse gefunden hat und insbesondere emotionales Erleben sucht, über den "Buff", der bereits genrespezifisches Wissen besitzt, sich in Gruppen austauscht und an der kognitiven Dimension wie intertextuellen Verweiszusammenhängen von Horrorfilmen interessiert ist, bis zum "Freak" reicht, der selbst aktiv wird, an Fanzines mitarbeitet oder eigene Filmversuche unternimmt (R. Eckert (Hg.): Grauen und Lust. Die Inszenierung der Affekte: Studie zum abweichenden Videokonsum, Pfaffenweiler 1990). Entscheidend ist dabei, daß diese Nutzungsleiter gerade nicht die allzu plausibel erscheinende Wirkungsvermutung einer zunehmenden Abstumpfung der Rezipienten - mit zunehmender "Sucht nach Reizsteigerung" - und bewußtloser emotionaler Hingabe an den Film belegt, sondern vielmehr die Tatsache einer zunehmend kognitiven, reflexen und bewußten Verarbeitung desselben. Als ob Menschen bereits auf der Ebene der sogenannten Unterhaltung einen inneren Antrieb zu fortschreitender Ausweitung ihrer Kompetenzen und immer komplexerer Gegenstandsbewältigung hätten. Verwundern muß dies freilich nur auf der Basis der oben genannten überholten Anthropologie; einer zeitgemäßeren haben inzwischen längst A. Gehlen und J. Piaget vermittelt, daß diese Ausweitung in der Tat ein Grundantrieb des Menschen ist. Mehr sehen, mehr wahrnehmen und mehr wissen nämlich ist lustbesetzt - warum sollte das Streben danach ausgerechnet bei der Filmrezeption aussetzen? Weniger Angst also vor der Selbstbestimmung des Publikums scheint angebracht. Hier drohen weniger Katastrophen, als gemeinhin angenommen.

 

Damit sei noch eine Bemerkung zum Abschluß erlaubt. Vordringlicher Tummelplatz des Horrorfilms sind die Gelände des Unliebsamen und Verdrängten - individuell wie gesellschaftlich. Die Beispiele dürften dies deutlich gemacht haben. In einer Gesellschaft, die Alte, Kranke und Behinderte auslagert, Sterblichkeit, Leid und Endlichkeit wegschiebt und gleichzeitig alle Transzendenz in die Welt, in Leistungs- und Erlebnissteigerung hineinzusaugen sucht, kann die Verdrängung des Horrorfilms auch als Symptom ihrer eigenen Verdrängung gelesen werden. Die Katastrophe liegt vielleicht stärker in diesen alltäglichen Verdrängungsleistungen als im Horrorfilm, der sie kritisch thematisiert. Gerade den kulturkritischen unter seinen Verächtern stünde deshalb unter Umständen eher eine Beschäftigung mit diesem Genre und ein Protest gegen seine Verketzerung gut zu Gesicht.

 

(c) 2000 Thomas Hausmanninger und medien praktisch


 

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