Rupert M. Scheule
Theologie der Gegenwart, 43. Jg. (2000), Nr. 1, 37 - 53

 

Nach den beiden arbeitslastigen Jahrhunderten der Moderne ist die Arbeit in der Krise. Es machen teils einfallslose, teils esoterisch-unausgegorene Modelle zum Umbau der Arbeitsgesellschaft die Runde. Ein großer Wurf ist nicht in Sicht. Vor diesem Hintergrund sollten Religion, Kirche und Theologie zumindest eines tun: sich nicht weiter an einer Hypostasierung der Arbeit beteiligen.

 

»Arbeit, Arbeit«, so läßt Thomas Mann im Roman Zauberberg eine Attacke des Jesuiten Naphta gegen seinen Widersacher Settembrini beginnen, »Arbeit, Arbeit, ich bitte, gleich wird er mich einen Feind der Menschheit schelten, einen inimicus humanæ naturæ, wenn ich es wage, an Zeiten zu erinnern, wo er mit dieser Fanfare den gewohnten Effekt durchaus nicht erzielt hätte, nämlich an Zeiten, wo das Gegenteil seines Ideals in unvergleichlich höheren Ehren stand. Bernhard von Clairvaux etwa lehrte eine andere Stufenfolge der Vollkommenheit, als Herr Lodovico sie sich je hat träumen lassen. Wollen Sie wissen welche? Sein unterster Stand befindet sich in der ›Mühle‹, der zweite auf dem ›Acker‹, der dritte und lobenswerteste aber - hören Sie nicht zu, Settembrini - ›auf dem Ruhebett‹. Die Mühle, das ist das Sinnbild des Weltlebens, - nicht schlecht gewählt. Der Acker bedeutet die Seele des Menschen, darauf der Prediger und geistliche Lehrer wirkt. Diese Stufe ist schon würdiger. Auf dem Bette aber - «

 

Da wird es dem liberalen Settimbrini zuviel, er fürchtet um die Moral seiner hanseatischen Schützlinge Castorp und Ziemßen, die dem Gespräch beiwohnen: »Genug! Wir wissen! [...] Meine Herren, jetzt wird er Ihnen Zweck und Gebrauch des Lotterbettes vor Augen führen!«

 

Darauf der Jesuit kühl: »Ich wußte nicht, daß Sie prüde sind, Lodovico. Wenn man Sie so den Mädchen zuzwinkern sieht ... Wo bleibt Ihre heidnische Unbefangenheit? Das Bett also ist der Ort der Beiwohnung des Minnenden mit dem Gemeinten und als Symbolum die beschauliche Abgeschiedenheit von Welt und Kreatur zum Zwecke der Beiwohnung mit Gott«.

 

»Puh! Andante, andante!« , wehrte der Italiener fast weinend ab.

 

Wir wollen an dieser Stelle nicht zu einer Zauberberg-Exegese ausholen und über Naphta und Settimbrini als Zeugen der Unversöhnlichkeit gesellschaftlicher Konzepte in der bürgerlichen Welt vor 1914 räsonieren. Gleichwohl läßt diese Passage einen unvoreingenommen Leser der Jetztzeit aufmerken: Provoziert nicht Naphtas Herabwürdigung der Arbeit auch ein »Puh, andante!« bei uns Heutigen, die wir Debatten über die Zukunft der Arbeit führen, just um die Arbeit zu retten, sei es durch ein neoliberales Facelifting der Erwerbsarbeit, sei es durch die Umdeklarierung von heutiger Freizeittätigkeit zu künftiger Arbeit? Die aktuelle Debatte schreibt insgesamt die klassisch moderne Wertschätzung der Arbeit fort. Nach einer Analyse der populärsten Konzepte für eine Zukunft der Arbeit soll hier gefragt werden, ob nicht im Geiste Naphtas bzw. Bernhards von Clairvaux eine Relativierung des Arbeitsbegriffs anzumahnen wäre.

 

Zukunft der Arbeit. Eine kleine Debattenumschau

Neoklassische und Schumpeterianische Lösungsansätze

Die weithin vernehmliche Modernisierungsrhetorik der zahlreichen Denkschriften, Kommissionsvorschläge, Zeitungsartikel und Talkshows über die Zukunft der Arbeit bedient sich aus einem Pool von Schlagworten wie

 

  • Kultur der Selbständigkeit,
  • Wissensgesellschaft,
  • lebenslanges Lernen,
  • Niedriglohnsektor,
  • Lohnzurückhaltung,
  • Kritik an »sozialer Vollversorgung« und
  • dem Ruf nach Deregulierungen.

Auffällig an diesen Forderungen ist nicht nur ihr Gleichlaut angesichts ganz unterschiedlicher Urheber - Kirche, Arbeitsamt, »Zukunftskommission«, wirtschaftsnahe Presse -, sondern auch ihre weitgehende Angebotsorientierung: Jene, die ihre Arbeitskraft auf dem Markt feilbieten, müssen ihre Attraktivität für die Nachfrager von Arbeit erhöhen. Alles in allem soll das geschehen, indem Arbeit qualifizierter oder aber - in der Breite der Erwerbsbevölkerung - billiger und flexibler wird, so daß Unternehmen nicht mehr gezwungen sind, ihre Gewinne zu »kapitalisieren«, also auf dem Kapitalmarkt anzulegen oder für den Ausbau ihrer Automatisierung einzusetzen. Als leuchtendes Beispiel dieser Strategie wurde Holland gefeiert, wo von 1983 bis 1993 die Arbeitslosenquote von knapp zehn auf unter sechs Prozent sank, während sie in Deutschland von sechs auf acht Prozent stieg. Im berühmten Abkommen von Wassenaar (1983) hatten sich Politik und Tarifparteien der Niederlande auf »Lohnmäßigung im Gegenzug für Arbeitszeitverkürzung und für neue, auch flexiblere Arbeitsplätze« geeinigt. Seitdem wurde dieses »Niederländische Modell« mit Einschnitten ins soziale Netz, Deregulierungen, Beschränkung der Arbeitnehmerrechte (Absenkung der gesetzlichen Mindestlöhne etc.) weiter ausgebaut. - Und der Erfolg schien den Holländern rechtzugeben. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesanstalt für Arbeit lobte jedenfalls das »Beschäftigungswunder« im Nachbarland und empfahl es den Deutschen zur Nachahmung.

 

Es ließe sich manches gegen diesen neoklassischen Weg aus der Arbeitslosigkeit sagen. Gerd Mutz vermutet, daß solche Strategien »vielfältige gesellschaftliche Verwerfungen« nach sich ziehen, die im Falle Hollands nur durch konsensuelle Absegnung der Grausamkeiten verdeckt werden. Derlei moralische Bedenken sind zwar berechtigt und könnten mit gutem Grund vertieft werden, überraschender ist aber, daß Einwände gegen die neoklassische Strategie auch innerhalb der ökonomischen Systemlogik formuliert werden können. Der in den Niederlanden lehrende Ökonom Alfred Kleinknecht etwa prophezeit, es werde mit dem neoklassischen Beschäftigungsmodell kein gutes Ende nehmen. Wie die Bewunderer Hollands weist auch der Schumpeterianer Kleinknecht darauf hin, daß das Jobwunder im Kern auf »lower growth of labour productivity« zurückzuführen ist, d.h., die Niederländer ließen sich auf ein Tauschgeschäft größeres Beschäftigungswachstum gegen kleineres Produktivitätswachstum ein. Weil die Arbeitskräfte im Vergleich zu neuer produktivitätssteigernder Technologie billiger wurden, verringerte sich der Druck auf die Unternehmen, ihren alten Kapitalstock durch einen neuen zu ersetzen. Längerfristig können aber veraltete Maschinenparks eine verheerende Wirkung auf die niederländische Beschäftigungssituation haben: Geraten multinationale Unternehmen unter Einsparungsdruck, so werden sie jene Werke schließen, deren Kapitalstock veraltet und deren Produktivität vergleichsweise gering ist. Das träfe dann auf den Standort Niederlande zu. Außerdem wird ein Mechanismus gestört, den Joseph Alois Schumpeter (1883 - 1950) etwas martialisch schöpferische Zerstörung nannte: Wenn ein Unternehmen neue, innovative Produkte herstellt, so geht es damit zunächst Entwicklungs- und Absatzrisiken ein. Gelingt ihm aber ein neues Produkt, das zudem seine Käufer findet, dann verschafft sich das innovative Unternehmen einen monopolartigen Marktvorteil zulasten eines nichtinnovativen, das somit aus dem Wettbewerb geworfen wird, während das innovative prosperiert, expandiert und neue Arbeitsplätze schafft.

 

Die Neoklassiker und die von ihnen inspirierten Unternehmerlobbyisten klagen indes unverdrossen eine angebotsorientierte Arbeitsmarktpolitik ein, d.h. sie fordern vom Gesetzgeber den »Umbau des Sozialstaates, Steuersenkung, Arbeitsmarktflexibilisierung« und Deregulierungen, um es u.a. den Firmen zu ermöglichen, niedrigere Mindestlöhne zu zahlen sowie flexiblere Arbeitsverträge abzuschließen. Aus Schumpeterianischer Sicht sind solche Maßnahmen aber nichts weiter als Subventionierungen innovationsträger Betriebe, denn das Unternehmen mit großer Produktinnovation wird für seine Risiken mit einer Marktstellung belohnt, die es ihm ermöglichen würde, höhere Löhne zu zahlen. Das risikoscheue, nichtinnovative Unternehmen kann sich aber neben dem innovativen dank einer neoklassischen Arbeitsmarktpolitik behaupten, weil diese die Lohnstückkosten niedrig hält; ja, der flexiblere Arbeitsmarkt ermuntert die Betriebe geradezu, eher die Löhne ihrer Beschäftigten zu senken, als in Produktinnovation zu investieren. Auch Deregulierungen wie die Einschränkung des Kündigungsschutzes überzeugen aus schumpeterianischer Perspektive nicht. Vom gelockerten Kündigungsschutz profitieren wiederum überwiegend innovationsträge Betriebe. Innovative Unternehmen haben in der Regel höhere Absatzraten und Beschäftigungszahlen, so daß eine geringere Notwendigkeit besteht, Mitarbeiter zu entlassen. Die Schumpeterianische Diagnose ist also eindeutig: Der neoklassische Lösungsansatz, wie er in den Niederlanden praktiziert und hierzulande häufig favorisiert wird, straft innovative Unternehmen und schützt nichtinnovative, was die Arbeitslosenquote mittelfristig zwar unbestreitbar reduziert, langfristig aber wieder erhöhen wird.

 

In unserem Pool der Modernisierungsschlagworte bleibt für den Schumpeterianer nur eines, das ihm Zukunftsfähigkeit verheißt: Wissensgesellschaft. Wissen, so doziert auch die Zukunftskommission, sei der wichtigste Produktionsfaktor der Volkswirtschaft. Logische Konsequenz für Staat und Gesellschaft müsse deshalb eine offensive Bildungspolitik sein, die innovative Leistungseliten fördert. Nur so lasse sich Innovation sichern, die allein wettbewerbsfähige Arbeitsplätze gewährleiste. Daß Innovation als solche, also Entdeckungen und Erfindungen, die zu neuen Produktionsprozessen oder Produkten führen, immer bzw. immer noch unbegrenzt möglich sei, davon gehen Schumpeterianer offenbar aus. Die Innovationsökonomik im Geiste Schumpeters erweist sich mithin als ein Abkömmling des kartesischen Fortschrittsglaubens, jener Weltsicht also, in der, so Hanna Arendt, die Herstellungslogik des Homo Faber dominiert: Weil das kartesische Subjekt seit der Erfindung des Teleskops die ernüchternde Erfahrung machen mußte, daß seine Sinneseindrücke nicht mit der Wirklichkeit übereinstimmten, daß also gegen den Augenschein nicht die Sonne um die Erde kreist, verlegte es den archimedischen Punkt der Erkenntnis in sein eigenes Bewußtsein: »Bewußtsein heißt bei Descartes Cogitatio, und das Cogitare ist ihr lebendiger Ausdruck, es meint: cogito me cogitare. In dem Cogito me cogitare kommt nichts ins Spiel, was das Bewußtsein nicht selbst produziert hat, in der Selbstreflexion kann der Mensch ganz sicher sein, daß er immer nur sich selbst begegnet. Das ist seine Gewißheit«. Unter der Voraussetzung, daß »Menschen zwar nicht imstande sind, eine sich offenbarende und gegebene Wahrheit zu erkennen, aber dafür durchaus fähig sind zu wissen und zu erkennen, was sie selbst gemacht haben«, suchte das kartesische Subjekt nun auch wieder Gewißheit in seiner erschütterten Welterfahrung zu erlangen. So wurde das Experiment zum Mittel einer neuen, naturwissenschaftlichen Welterfahrung, denn »Experimentieren selbst ist bereits eine Art und Weise des Fabrizierens«. Im Experiment verlagert sich die Fragestellung vom Was und Warum aufs Wie, die Gegenstände der Erkenntnis sind nun Entstehungsprozesse analog zum Fertigungsprozeß des Handwerkers. Dieses Interesse am Prozeßhaften, am Voranschreiten blieb aber keine Spezialität der experimentellen Physik, es blieb nicht einmal auf die Wissenschaften beschränkt, sondern sickerte tief ein in die Mentalität des gesamten Zeitalters: Die Neuzeit hat sich selbst das Strukturprinzip des Prozesses suggeriert, des Fortschritts von Wissen, technologischem Können und gesellschaftlicher Wohlfahrt.

 

In der Lesart Hanna Arendts hat der Schumpeterianische Innovationsoptimismus also durchaus etwas von einem Zirkelschluß: Man folgert aus dem Vorgehen des Homo Faber den Menschheitsfortschritt und aus Menschheitsfortschritt das weitere Vorgehen des Homo Faber. Dabei könnte zumindest der - etwas biedere - Verdacht auf sinkenden Grenznutzen gegen den Innovationsoptimismus vorgebracht werden: Jede substituierende Produktinnovation verliert im Vergleich zu den Innovationen, die ihr vorausgingen, an Attraktivität für den Verbraucher. Wollte man beispielsweise vor 1869 die USA durchqueren, so mußte man sich ungefähr sechs Monate Zeit nehmen für die Reise mit Pferd und Planwagen. Als 1869 die transkontinentale Eisenbahnstrecke fertiggestellt war, verkürzte sich die Reise auf sechs Tage. Diese Produktinnovation brachte dem Reisenden eine Zeitersparnis um das Dreißigfache. Die aufwendigen flugtechnologischen Innovationen der letzten vierzig Jahre führten demgegenüber nur noch zu einer ca. dreifachen Zeitersparnis, die sich zudem nicht mehr in Wochen und Monaten, sondern nur noch in wenigen Stunden bemißt.

 

Ob Mobilitätszuwachs, elektrisches Licht, Zentralheizung oder Telekommunikation; das meiste, was unser Leben von dem unserer Urgroßeltern unterscheidet, hat bereits das Leben unserer Großeltern geprägt: »›future shock‹ is now a thing of the past«.

 

Dem Phänomen des sinkenden Grenznutzens auf der Nachfrageseite entspricht das Phänomen der abnehmenden Ertragszuwächse auf der Angebotsseite: »Je höher das Niveau der Technik ist, desto mehr wissenschaftliche Kenntnisse müssen von uns angewandt werden, um die Leistung zu verbessern«. Der wissenschaftliche und damit finanzielle Aufwand, vorhandene Technik zu optimieren, gerät also zunehmend in ein Mißverhältnis zum immer bescheidener werdenden Resultat. Einen echten Effizienzsprung kann nur eine neue Entdeckung bzw. Erfindung bringen, diese aber entzieht sich jedweder Planungssicherheit. Selbst wenn der DaimlerChrysler-Konzern Milliarden in die Grundlagenforschung investieren würde, um irgendwann einmal, sagen wir, den Warp-Antrieb erfinden zu können, den wir vom Raumschiff Enterprise kennen, so ist es keineswegs sicher, daß diese Erfindung jemals gelingt. Eine offensive Bildungspolitik und der Umbau unserer Gesellschaft zur Wissensgesellschaft sind also allenfalls notwendige, niemals aber hinreichende Bedingungen für den weiteren technischen Fortschritt. Die Sicherung oder gar Ausweitung des in einer Gesellschaft verteilbaren Arbeitsvolumens durch Innovationen ist nicht viel mehr als eine Möglichkeit. Allein auf diese Möglichkeit zu setzen, ist zumindest riskant. Und so erscheint es klug, auch eine weitere Verknappung des Erwerbsarbeitsvolumens ins Kalkül zu ziehen und über alternative Szenarien zur Zukunft der Arbeit nachdenken.

 

Natürlich besteht auch die Hoffnung, daß sich das Problem der Arbeitslosigkeit langfristig durch die demographische Entwicklung praktisch von selbst erledigt, wenn die geburtenschwachen Jahrgänge das Gros der Erwerbsbevölkerung stellen werden. Dann wird es das Problem der zunehmenden Altersabhängigkeit - also der steigenden Zahl der Rentner - sein, das es zu lösen gilt. Auch dies wird ohne einen fundamentalen Umbau der Arbeitsgesellschaft kaum zu bewältigen sein.

 

Fassen wir nun aber zunächst zusammen: Die Reformvorschläge, die wir bisher erörterten, können unter der Bezeichnung »Weiter-so-Modernisierung« firmieren. Sie wollen entweder eine weitgehende Flexibilisierung des Arbeitsmarktes oder eine Innovationsoffenisve, oder sie bieten beides in einer Art polity mix. An der modernetypischen Dominanz der Erwerbsarbeit in Wirtschaft und Gesellschaft halten sie fest.

 

Konzepte zum Fundamentalumbau der Arbeitsgesellschaft

Den Konzepten zu einem fundamentalen Umbau der Arbeitsgesellschaft scheinen eine Vermutung und zwei Beobachtungen zugrundezuliegen: Vermutet wird, daß das Volumen der Erwerbsarbeit stagniert oder gar abnimmt. Beobachtet wird zum einen die Tendenz, daß Erwerbsarbeit nicht nur produktiver, sondern dank der fortgeschrittenen Informationstechnologie auch organisatorisch flexibler wird, sich also entstandardisiert, was Arbeitszeit und Arbeitsort angeht: Die ausschließliche »Betriebsförmigkeit« der Arbeit wird ergänzt durch eine Reihe dezentraler Arbeitsformen, die bis zum Telearbeitsplatz im heimischen Wohnzimmer reichen.

 

Zum andern wird beobachtet, daß in unserer hochdifferenzierten Gesellschaft ein Konglomerat von Nichtzuständigkeiten entstanden ist, das zu einer wachsenden Zahl unerledigter wichtiger Aufgaben führte. Dies gilt v.a. für die eher lebensweltlichen Bereiche Erziehung, Fürsorge für gebrechliche Familienmitglieder, Nachbarschaftsengagement, Umweltarbeit und Kultur. Diese Beschäftigungen nennen wir provisorisch Nichterwerbsarbeit.

 

Da es einerseits gesellschaftlich wünschenswert erscheint, daß Nichterwerbsarbeit weiterhin getan wird und da die Effizienz und Flexibilität der Erwerbsarbeit zunehmend Arbeitskräfte freisetzt bzw. die Zeitsouveränität derer, die noch Arbeit haben, erhöht, stellt sich folgende Frage: Können

  • die knappe Erwerbsarbeit,
  • daraus resultierende (Erwerbs-)Arbeitslosigkeit,
  • die größere Zeitsouveränität der (noch) Beschäftigten und
  • die gesellschaftliche Notwendigkeit von Nichterwerbsarbeit

in ein neues, für alle gedeihlicheres Verhältnis gebracht werden? Wie diese Frage beantwortet wird, daran bemißt sich der Wert aller Umbaupläne für die Arbeitsgesellschaft, ob sie nun mit Bürgerarbeit, Dritter Sektor, New Work oder Erster Schicht überschrieben sind.

 

Bürgerarbeit

Überraschenderweise war es wiederum just die Zukunftskommission, die den Begriff der Bürgerarbeit, von Kommissionsmitglied Ulrich Beck auch andernorts vorgestellt, popularisierte, indem sie ihn mit neoklassischen Remedien und innovationsökonomischen Ideen zu einem bunten Strauß von Reformansätzen zusammenband.

 

Bürgerarbeit im Sinn der Zukunftskommission ist nicht-marktgängige, aber gemeinwohlorientierte Arbeit. Sie soll auf Gemeindeebene in Form von thematisch und zeitlich begrenzten Projekten organisiert sein, ist strikt freiwillig und steht allen Erwerbsfähigen offen. Sie wird nicht entlohnt, aber durch Ehrungen und die Erlangung von Qualifikationen immateriell belohnt. Zudem werden jene, die Anspruch auf Sozial- oder Arbeitslosenhilfe hätten und sich in der Bürgerarbeit engagieren, mit einem Bürgergeld alimentiert. Als arbeitslos gelten sie nicht.

 

Die Zukunftskommission sieht die Bürgerarbeit also zunächst einmal in der Nachfolge des klassischen Ehrenamtes und will den individualisierten Strukturen heutigen gesellschaftlichen Lebens auch im Bereich des Ehrenamtes gerechtwerden, denn »punktuelles, themenbezogenes Tätigsein nimmt zu«, während politisch oder religiös motiviertes »klassisches« Langzeitehrenamt abnimmt. Das Surplus über ein bloßes Facelifting des Ehrenamtes hinaus ist die - fakultative - Kombination von Bürgerarbeit und Bürgergeld. Verfocht Ulrich Beck ursprünglich die Idee eines »rechtlich abgesicherten Mindesteinkommens für alle«, so schwächte er diese Idee - die in vielen Entwürfen zum Umbau der Arbeitsgesellschaft auftaucht - hier wieder ab zu einem Sonderfall von Sozialeinkommen.

 

Überhaupt ist Bürgerarbeit, eingepaßt in den Gesamtkontext des Berichts der Zukunftskommission, kein Konzept zum Umbau der Arbeitsgesellschaft. Die Zukunftskommission propagiert letztlich nur den »Wandel von der arbeitnehmerzentrierten, industriegeprägten Erwerbsarbeits- zur unternehmerischen Wissensgesellschaft«. Und um einen »möglichst störungsfreien Übergang« zu gewährleisten, kann die Bürgerarbeit als flankierende Maßnahme nützlich sein, weil sie einige Produktivkräfte alloziert, um die Krise des Sozialstaates einzudämmen. Zentral für die Zukunft der Arbeitsgesellschaft ist sie nicht. Die Zukunftskommission setzt letztlich auf eine »Weiter-so-Modernisierung«, und eigentlich ist es nicht ganz klar, weshalb sie dann überhaupt die Bürgerarbeit thematisiert. Sie paßt streng genommen gar nicht in den neoklassischen Gesamtzusammenhang des Berichts. - Ließ sich die Kommission vielleicht vom ehernen Prinzip aller großen Unterhaltungskunst »Wer vieles bringt, wird manchem etwas bringen« leiten? Möglicherweise war es diese Theaterweisheit, die die Zukunftskommission in den vergangenen Jahren zu einem echten Star des Modernisierungs-Infotainment machte.

 

Dritter Sektor

Jeremy Rifkin, US-Wirtschaftsjournalist und Umweltaktivist, der sich seit Ende der siebziger Jahre als Kritiker der Biotechnologie einen Namen machte, wandte sich 1995 mit der Monographie The End of Work dem Thema Arbeit zu.

 

Nach den üblichen Diagnosen zu den technologischen Veränderungen im Arbeitsleben lautet die schlichte Grundthese: »Wenn die noch arbeitende Bevölkerung mehr freie Zeit zur Verfügung hat als früher und die Arbeitslosen gezwungenermaßen dem Müßiggang frönen, dann könnte man diese brachliegende Arbeitskraft ja genauso in sinnvoller Weise für gemein-nützige Aufgaben einsetzen«. Rifkin attestiert den beiden großen Ordnungssystemen unseres Lebens, dem Markt und dem Staat, eine schwindende Bedeutung. Viele soziale und ökologische Aufgaben müßten daher in anderen gesellschaftlichen Kontexten bewältigt werden. Und Rifkin empfiehlt, sie weitgehend an einen sog. Dritten Sektor zu delegieren, der als klassischer Ort aller Freiwilligenarbeit zwischen Öffentlichkeit und Privatsphäre liege. Hier »herrschen nicht treuhänderische Strukturen, sondern gemeinschaftliche Bindungen vor. Man widmet seinen Mitmenschen Zeit, statt künstliche Marktbeziehungen mit ihnen einzugehen und sich und seine Dienste zu verkaufen«. Für eine Übergangszeit müsse der Staat durch Steuererleichterungen noch Anreize schaffen für das Engagement im Dritten Sektor. Finanzierbar sei das durchaus, denn bestimmte »Aufgaben würden ihm von den gemeinnützigen Organisationen abgenommen«. Doch eigentlich vertraut Rifkin auf den gemeinschaftsstiftenden amerikanischen Pioniergeist, der schon von jeher immer eine Quelle freiwilligen Engagements gewesen sei: »Seit über 200 Jahren hat das Wirken des Dritten Sektors das Leben der US-Amerikaner geprägt und ihre Pionierkultur in eine hochentwickelte moderne Gesellschaft verwandelt [...]. Heute stehen die Freiwilligenorganisationen Millionen von US-Amerikanern in jeder Nachbarschaft und jeder Gemeinde mit Rat und Tat zur Seite.«. Unter Berufung auf so unterschiedliche Gewährsleute wie Robert Theobald und Milton Friedman schlägt Rifkin auch vor, ein staatlich garantiertes Mindesteinkommen für alle einzuführen, das dann freilich strikt an ein Engagement im Dritten Sektor gebunden wäre. Was die Gegenfinanzierung angeht, so scheint sich Rifkin an Friedman zu orientieren: Das soziale Wohlfahrtssystem müsse abgebaut werden, um den Bedürftigen stattdessen ein Mindesteinkommen zu gewähren, mit dem sie ohne weitere staatliche Bevormundung wirtschaften sollten. Doch Wohlfahrt ist für den Autor ohnehin besser im Dritten Sektor des freiwilligen Engagements aufgehoben. Rifkin endet schließlich mit der Vision von einem globalisierten Dritten Sektor.

 

Die Grundfigur dieses Lösungsansatzes ist von dem der Zukunftskommission kaum unterscheidbar, - davon abgesehen, daß die Zukunftskommission der Bürgerarbeit keine große Bedeutung beimißt. Auch Rifkin setzt beim bereits existierenden Ehrenamt an und will es mit einem garantierten Mindesteinkommen kombinieren. Allerdings fehlt Rifkins Skizze die Feinzeichnung. Ob Frauenbewegung, Chorsingen oder Kindertagesstätte, alles ist für Rifkin gleichermaßen Dritter Sektor, eine nähere Systematisierung bzw. Hierarchisierung dieser Tätigkeiten im Hinblick auf ihre Gemeinwohlrelevanz unterbleibt. Überhaupt macht sich Rifkin kaum Gedanken über die künftige Organisation des Dritten Sektors und seine Abstimmung mit dem Erwerbsleben. Lediglich daß die Gewinne aus der Dritten Industriellen Revolution für den Dritten Sektor nutzbar gemacht werden müßten, lesen wir. Und inwieweit der Dritte Sektor wirklich noch auf Freiwilligkeit beruht, wenn ein Mindesteinkommen nur im Gegenzug für soziales Engagement gewährt wird, ist ebenfalls fraglich. Derlei Nachlässigkeiten könnten bei gutem Willen mit dem populärwissenschaftlichen Genre, in dem sich Rifkin bewegt, erklärt werden. Schwerer wiegt demgegenüber ein gerechtigkeitstheoretischer Einwand: Solidarität kann zweierlei sein, geschuldete Rechtspflicht und freiwillig-karitative Hilfsbereitschaft. Solidarität in der ersten Variante ist jedem Menschen wegen seiner Menschenwürde gerechterweise zu gewähren. Wird beispielsweise ein nicht krankenversicherter Syrer durch einen Unfall in Deutschland verletzt, so muß er auch ohne die vertraglichen Garantien der Krankenversicherung versorgt werden; und zwar nicht deshalb, weil sein Unglück eine Krankenschwester rührt, sondern weil er aus seiner Menschenwürde eine Rechtspflicht zur Krankenversorgung ableiten kann. Die Solidarität der gerührten Krankenschwester wäre demgegenüber ein Akt freiwillig-karitativer Hilfsbereitschaft.

 

Rifkin scheint diese Unterscheidung nicht zu kennen. Er redet einer staatsabstinenten Verfreiwilligung der Solidarität das Wort. Solidarität als Rechtspflicht kann aber nur eine staatliche oder staatsanaloge Organisation durchsetzen, auf das »freie Spiel« der freiwilligen Kräfte im Dritten Sektor zu vertrauen, die schon irgendwie jede Bedürftigkeit aufspüren und kurieren werden, ist ähnlich naiv wie der Glaube an umfassende Gerechtigkeit im freien Markt.

 

New Work

NewWork ist keine elaborierte Theorie, sondern eine Art Handlungsanleitung für alternatives Arbeiten, das schon in der bestehenden Erwerbsgesellschaft seinen Platz haben soll - und hier offenbar tatsächlich lebensfähig ist. Der Deutschamerikaner Frithjof Bergmann, Philosophie-Professor in Ann Arbor, machte Anfang der achtziger Jahre erste Experimente mit neuen Formen der Arbeit. General Motors führte seinerzeit im Werk Flint/Michigan Computer Aided Manifacturing ein, das einen erheblichen Teil der Belegschaft überflüssig machte. Im »Wolfsburg von Michigan« drohte deshalb eine Spaltung der Erwerbsbevölkerung in Arbeitslose und Überbeschäftigte. Der öffentliche Druck war so groß, daß sich Unternehmen und Gewerkschaft einigten auf ein »six months-on/six months-off«- Modell einigten, das zunächst allen Beschäftigten ihren - halbierten - Arbeitsplatz sicherte. Für das erwerbsarbeitfreie halbe Jahr spielt nun Bergmanns Center for New Work eine wichtige Rolle. Hier sollten die GM-Arbeitnehmer erst herausfinden und dann tun, »[what] they passionately want to do«. Nach zwanzig Jahren Fließbandarbeit hatte sich bei vielen eine Art »Armut der Begierde« eingestellt, die erst krisenhaft überwunden werden mußte, ehe sie wieder wußten, was sie wirklich, wirklich arbeiten wollten. Doch den meisten Arbeitern gelang dies.

 

Im Nichterwerbssegment von New Work lassen sich zwei Aspekte systematisch unterscheiden: zum einen die Arbeit, die ich »wirklich, wirklich tun will«, also die Arbeit aus purer Neigung; zum andern die Eigenarbeit, die vielleicht weniger meiner Neigung als meinen materiellen Bedürfnissen entspricht. New Work in seiner ausdifferenzierten Gestalt setzt sich demnach aus den drei Komponenten Erwerbsarbeit, gegenfinanzierter Neigungsarbeit und Eigenarbeit bzw. Selbstversorgung zusammen. Sukzessive soll die ausschließliche Erwerbsarbeit auf ein Drittel der Arbeitszeit zurückgehen, um irgendwann einmal gleichberechtigt neben den anderen Arbeitsformen zu stehen: zwei Tage Erwerbsarbeit pro Woche, zwei Tage Selbstversorgung, zwei Tage Neigungsarbeit.

 

Scheule

Der Aspekt der Selbstversorgung ist der vielleicht spektakulärste innerhalb des New Work-Konzepts. Hier ist nicht an eine Rückkehr zur Subsistenzwirtschaft gedacht, Bergmann will vielmehr die Hochtechnologie unserer Tage in den Dienst einer möglichst weitgehenden Selbstversorgung des einzelnen stellen, um ihm ein komfortables Leben mit möglichst wenig Geld zu ermöglichen. Diesem Zweck dienen z.B. sog. BioBlocks, platzsparende, stapelbare Container mit hochfertilen Substraten, die - auf Dächern oder an Hauswänden angebracht - die Selbstversorgung mit Gemüse auch in beengten Wohnverhältnissen gewährleisten. Doch die BioBlocks sind nicht viel mehr als ein Symbol für Bergmanns high-tech-selfproviding. Faktisch ist die kompetente Selbstversorgung mit Dienstleistungen (Finanzplanung, Konsumenteninitiativen zur Eruierung des preisgünstigsten Angebots für ein Konsumgut via Internet, kooperative Kinderbetreuung usf.) natürlich weit wichtiger.

 

Überraschenderweise hat dieses so esoterisch anmutende Konzept Erfolg: Ob ein Hausbauprojekt von Sozialhilfeempfängern in Detroit, ein Living Wall Garden-Projekt in Vancouver oder Initiativen im thüringischen Mühlhausen, in Kassel und in München, - New Work hat viele Jünger.

 

Will man Bergmanns Lehre bewerten, so ist zunächst - zugegebenermaßen etwas besserwisserisch - anzumerken, daß New Work überhaupt nicht neu ist. Der amerikanische Transzendentalist Henry David Thoreau nahm in den fünfziger Jahren des vorigen Jahrhunderts das meiste vorweg, was uns New Work als Errungenschaft des letzten Jahrzehnts verkaufen will: Thoreau selbst führte einige Jahre ein ausgeklügeltes Einsiedlerleben zwischen Selbstversorgung, Mußestunden und dem Verkauf eigener Produkte, um die durch die Arbeitsteilung verlorengegangene Ganzheitlichkeit menschlichen Arbeitens wiederzuerlangen. Er kam freilich nie über das Stadium des zeitlich limitierten Versuchs hinaus, was wiederum kein gutes Omen für Thoreaus späte Nachfahren ist, die sich offenbar ihres Erbes gar nicht bewußt sind.

 

New Work unterscheidet sich erheblich vom Becks Bürgerarbeit oder Rifkins Drittem Sektor, die beide Weiterentwicklungen des heutigen Ehrenamts darstellen. Sei es die passionierte, selbstverwirklichende Neigungsarbeit, die man »wirklich, wirklich tun will«, sei es die flankierende Selbstversorgung: nicht das Engagement für den anderen bzw. das Gemeinwohl, sondern das Eigeninteresse des einzelnen bildet die Basis dieses Konzepts. Das schließt nicht aus, daß sich in bester utilitaristischer Tradition verschiedene individuelle Nutzenkalküle zu so etwas wie Gemeinwohl kombinieren lassen, - wie etwa im Falle der kooperativen Kinderbetreuung. Die Orientierung am individuellen Eigennutzen scheint faktisch eine Stärke von New Work zu sein, sie macht das Konzept anschlußfähig an unsere »Kultur der Selbstbezogenheit«, mit der die vom Ehrenamt inspirierten Entwürfe ihre Schwierigkeiten haben, tragen diese doch ein offenbar unzeitgemäßes Moment altruistischer Caritas in sich. Wird also der Notwendigkeit von gemeinwohlorientierter Nichterwerbsarbeit nur indirekt Rechnung getragen, so geht New Work das Problem der Arbeitslosigkeit direkter als die anderen beiden Strategien an. Ja, im Gegensatz zu den Konzepten von Bürgerarbeit und Drittem Sektor ist New Work im Kampf gegen die Arbeitslosigkeit praktisch erprobt. Flint war hier kein Einzelfall. Freilich hat auch New Work noch nirgendwo den Status eines punktuellen, weitgehend fremdfinanzierten Projekts überwunden, was umso empfindlicher stört, da New Work konzeptionell auf finanzielle Unabhängigkeit ausgelegt ist und auch kein garantiertes Mindesteinkommen o.ä. vorsieht. Im übrigen wäre nach den gesamtwirtschaftlichen Folgen zu fragen, wenn wieder eine weitgehende Selbstversorgung der Haushalte die Regel wäre.

 

Das Mehrschichtenmodell der Arbeit

Das Mehrschichtenmodell der Arbeit entstammt dem jüngsten Bericht an den Club of Rome, der 1998 unter dem Titel »Wie wir arbeiten werden« auf deutsch erschien. Seinen Verfassern Giarini und Liedtke gelang es, drei Aspekte, die in den anderen Entwürfen eher unsystematisch zusammenspielen, zunächst einmal systematisch zu trennen und dann aufeinader zu beziehen:

  • Erwerbsarbeit (monetarisiert und monetisiert)
  • gemeinnützige Tätigkeiten (monetarisiert und nichtmonetisiert)
  • Eigenarbeit (nichtmonetarisiert)

Monetarisiert heißen Tätigkeiten, die einen Tauschwert besitzen, ob dieser nun eingelöst wird oder nicht. Nichtmonetarisiert sind demgegenüber solche Tätigkeiten, die keinen Tauschwert haben. Dies trifft v.a. auf die Eigenarbeit zu. Monetisiert sind hingegen die monetarisierten Tätigkeiten, deren Tauschwert in einem Preis explizit wird.

 

Das gesamte Arbeitsleben soll in drei Schichten gegliedert werden. Die erste Schicht garantiert eine neue Vollbeschäftigung. In ihr werden Arbeitsplätze angeboten, die im Umfang heutigen 20-Wochenstunden-Teilzeitstellen entsprechen. Jeder Mensch im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 und 78 hat Anspruch auf einen solchen allerdings nicht frei zu wählenden Arbeitsplatz, durch den er sich ein garantiertes Mindesteinkommen verdient, um über der Armutsgrenze zu leben. Die Arbeit in der ersten Schicht ist also monetisiert. Die Stellen werden, wo nötig, staatlich subventioniert. Die hierfür nötigen Gelder kommen aus »Finanzquellen, die gegenwärtig für zusätzliche Arbeitslosengelder, Einkommensunterstützung und Sozialhilfe vorgesehen sind«. Die öffentliche Hand wird Erste-Schicht-Stellen auch ganz einrichten, wo es das Gemeinwohl verlangt, etwa in der Alten- und Krankenpflege, falls Zivil- und Wehrdienst zugunsten einer Berufsarmee abgeschafft werden. So können Jugendliche, erziehende Mütter und Väter und gesunde alte Menschen am Arbeitsleben beteiligt werden und größere gesellschaftliche Partizipation als bislang erfahren.

 

Die Arbeit in der zweiten Schicht bildet das Rückgrat des wirtschaftlichen Lebens, sie ist selbstverständlich ebenfalls monetisiert. Die zweite Schicht gehorcht vollständig den Marktmechanismen, sie ist dereguliert und frei von staatlichen Fördermaßnahmen und Einflüssen. Die Übergänge von der ersten zur zweiten Schicht sind flexibel, weil die Entlohnung in der ersten Schicht vergleichsweise karg ist und die geringe Wochenarbeitszeit Raum läßt für zusätzliches Engagement in der zweiten Schicht. Es ist freilich auch möglich, die Arbeit der ersten Schicht ganz durch jene der zweiten zu ersetzen. Weil es vermehrt aus erster und zweiter Schicht kombinierte Erwerbsarbeit geben wird, muß auch die Arbeit in der zweiten Schicht flexibilisiert werden.

 

Die dritte Schicht bleibt der nichtmonetisierten Arbeit vorbehalten. Das sind zum einen Tätigkeiten, die zwar einen impliziten, aber nicht realisierten Tauschwert haben, wie im Falle des Großvaters, der sich an der Erziehungsarbeit seiner erwachsenen, erwerbstätigen Tochter beteiligt. Seine Arbeit, ansonsten von Erziehern bei entsprechender Bezahlung zu verrichten, besitzt einen Tauschwert - den Lohn des Erziehers -, der aber nicht geltend gemacht wird. Nichtmonetisiert sind auch ehrenamtliche karitative Tätigkeiten, die, wo sie unterbleiben, durch bezahlte Arbeit ersetzt werden müßten. Zum andern sind in dieser Schicht nichtmonetariserte Tätigkeiten angesiedelt, die weder einen in Preisen ausgedrückten expliziten oder einen impliziten Tauschwert haben. Dies ist v.a. Eigenarbeit, Selbstversorgung und Selbstheilung im Krankheitsfall.

 

Entscheidend ist nun, daß auch diese Schicht nicht isoliert von den anderen gesehen wird. Arbeitsformen, die zwischen der monetisierten und der nichtmonetisierten Schicht liegen, wie etwa privat organisierte Kinderbetreuungen, sollen gefördert werden. Wichtiger aber ist den beiden Autoren, daß sowohl monetisiertes als auch nichtmonetisiertes Arbeiten zur Berechnung der Wohlfahrt einer Volkswirtschaft herangezogen werden, was voraussetzt, daß Wohlfahrt nicht mit dem Bruttosozialprodukt (BSP), also dem Geldwert aller an den Märkten umgesetzter Güter und Dienstleistungen, verwechselt wird. Würde man Wohlfahrt und BSP gleichsetzen, bliebe jede nichtmonetisierte Wertschöpfung unberücksichtigt. So mahnen die Autoren bei den Wirtschaftswissenschaften eine umfassendere Berechnung der Wohlfahrt bzw. des Gesamtwirtschaftlichen Nettonutzens an, die das gesamte Spektrum der gesellschaftlichen Wertschöpfung erfaßt. Erst wenn die Wohlfahrt eines Landes auf diese Weise berechnet wird, scheinen ehrenamtliches Engagement und Familienarbeit in ihrer vollen volkswirtschaftlichen Relevanz auf. Die entsprechende Würdigung wird auch einen Motivationsschub bei den nichtmonetisierten Tätigkeiten auslösen.

 

Unbestrittenermaßen hat das Mehrschichtenmodell eine Systematik, die gegenüber den anderen Entwürfen von Vorteil sein mag. Anders als bei Beck und Rifkin wird hier strikt getrennt zwischen ehrenamtlichem Engagement (dritte Schicht) und Initiativen gegen die Arbeitslosigkeit (erste Schicht). Was wir weiter oben gesellschaftlich notwendige Nichterwerbsarbeit nannten, wird hier ebenfalls differenziert: zum einen in nichtmonetisierte Tätigkeiten der dritten Schicht (Familienarbeit, Ehrenamt), zum andern in jene Tätigkeiten, die - staatlich finanziert und organisiert - dort ansetzen, wo Nichterwerbsarbeit zwar nötig wäre, aus irgendwelchen Gründen aber nicht mehr stattfindet. Die Forderung, den gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozeß insgesamt zu bewerten und nicht mehr allein nach dem BSP, führt aber die vorher ausdifferenzierten monetisierten und nichtmonetisierten Tätigkeiten wieder zusammen.

 

 

Scheule

 

Vieles bleibt natürlich auch in diesem Bericht unklar. Wie sollen die Übergänge von der ersten und zweiten Schicht flexibel gehalten werden, um eine Spaltung der Erwerbsgesellschaft in schlecht bezahlte Erste-Schicht-Arbeiter und gut bezahlte Zweite-Schicht-Arbeiter zu verhindern? Wie sollen die Tätigkeiten der ersten Schicht organisiert werden? Lokal? Regional? Durch die Wirtschaft, durch Körperschaften und Vereine oder »den Staat«? Ulrich Becks Skizze der Bürgerarbeit ist in dieser Hinsicht genauer.

 

Andere Aspekte des Club-of-Rome-Modells sind indes noch problematischer. Das, was Giarini und Liedtke mit zweiter Schicht meinen, ist nichts anderes als ein neoklassisches Dorado, bzw. - aus Sicht der Arbeitnehmer - ein neoklassisches Haifischbecken: ein deregulierter, vollkommen flexibler Arbeitsmarkt. Zur Humanisierung der Arbeitswelt wird diese zweite Schicht nicht beitragen. Und wie wenig von einem flexiblen Arbeitsmarkt unter schumpeterianischen Gesichtspunkten zu halten ist, haben wir weiter oben erörtert.

 

Außerdem ist der Dienstverpflichtungscharakter der ersten Schicht bedenklich. Die freie Wahl des Arbeitsplatzes, nach Art. 12 GG immerhin ein Grundrecht, wird hier aufgehoben. Ferner ist das garantierte Mindesteinkommen wie bei Rifkin in eine ökonomische Austauschbeziehung eingebunden: Geld gegen Arbeit. Wer arbeiten kann, die ihm zugewiesene Arbeit aber nicht tun will, bekommt kein Mindestgehalt. Wir wollen nicht der Faulheit und dem Sozialschmarotzertum das Wort reden, aber die Rechtspflicht des Staates, seine Bürger wegen deren Menschenwürde nicht ins soziale Elend abrutschen zu lassen, wird durch ein arbeitsabhängiges Mindesteinkommen verdunkelt bzw. von ökonomistischer Logik überschattet.

 

Das Vordringen ökonomistischer Logik in lebensweltliche Bereiche ist denn auch die Kehrseite der Forderung, nichtmonetisierte Tätigkeiten in die Wertschöpfungsberechnung einzubeziehen. Natürlich hat karitatives Engagement einen impliziten ökonomischen Tauschwert. Aber macht dieser seinen eigentlichen Wert aus? Diese Frage zu bejahen, hieße, eine ökonomische Letztbegründung generell für gesellschaftliches Tun zu akzeptieren und die Tendenz zu einer Monokultur des ökonomischen Rationalitätstypus' in unserer Gesellschaft zu verstärken. Aus christlicher Sicht gilt es, zumindest die »Multikulturalität« verschiedener Rationalitätstypen, unter denen der normativ-altruistische einer ist, zu verteidigen.

 

Fazit: Ratlosigkeit

Das Fazit aus dem hier vorgestellten Diskurs über die Zukunft der Arbeit fällt ernüchternd aus:

 

Die Strategien der »Weiter-so-Modernisierung« wecken erhebliche Zweifel an ihrer künftigen Funktionstüchtigkeit. Neoklassische Konzepte gegen die Krise der Arbeit erweisen sich aus Schumpeterianischer Sicht als langfristig innovationshemmende Jobkiller, Schumpeterianische Lösungen ihrerseits erscheinen hilflos, sobald das bestehende Fortschritts- und Wachstumsparadigma angezweifelt wird. Daß nämlich die Innovationsmöglichkeit bei Produkten und Produktionsprozessen und Bedürfnisoffenheit beim Konsumenten möglicherweise endlich sind, widerspricht ihrer Axiomatik, weshalb für eine solche Möglichkeit auch keine Beschäftigungsszenarien entworfen werden können. Dieser Einwand gegen Schumpeterianische Strategien setzt seinerseits aber nicht schon wieder neoklassische ins Recht, sondern trifft diese - nicht weniger fortschrittsgläubigen - implizit mit. Die konventionelle Ökonomie findet offenbar keine Wege, die Möglichkeit abflachenden Fortschritts kreativ zu integrieren, sie beschwört vielmehr den neuzeitlichen Fortschrittsglauben mit seiner Verheißung, das Übel knapper Erwerbsarbeit sei heilbar.

 

Die Pläne zum Fundamentalumbau der Arbeitsgesellschaft tragen der Aussicht auf stagnierendes Wirtschaftswachstum und Gesamtarbeitsvolumen Rechnung, sie beanspruchen, die Arbeit in einen umfassenderen - anthropologischen, sozialen - Kontext als jenen der rein ökonomischen Systemrationalität zu stellen und müssen deshalb auch nach grundsätzlicheren Kriterien bewertert werden: So ist es, abgesehen von erheblichen gerechtigkeitstheoretischen Schwierigkeiten, die da und dort auftreten (Rifkin), gerade dieser ganzheitliche Anspruch, der auch grundsätzliche Bedenken gegen Bürgerarbeit, New Work und das Mehrschichtenmodell wachruft. Sie alle reiben sich nicht an der Emphase, mit der die Moderne das Wort Arbeit buchstabierte, sondern dehnen just diesen Arbeitsbegriff aus auf Tätigkeiten, deren Appeal in der Moderne gerade darin lag, daß sie nicht als Arbeit galten. Konnotativ befrachtet mit der semantischen Altlast der Erwerbsarbeit soll der erweiterte, pluralisierte Arbeitsbegriff nun für nahezu alle Tätigkeiten des Menschen stehen. Von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Hypostasierung der Arbeit, wie sie auch weiland der Marxismus nicht anders betrieb und wie er sich in den neuen Konzepten der Arbeit vielfach aufscheint. Nun ist aber die Verknappung der Erwerbsarbeit ebenso wahrscheinlich, wie die Vereinnahmung von Familien- und Freiwilligenengagement durch ökonomische Deutungsmuster, die in der erkennbaren Nachfolge des Erwerbsarbeitsbegriffs stehen, gesellschaftlich nicht erwünscht sein kann. Je fester in dieser Situation die Arbeit mit dem Wesen des Menschen vertäut wird, desto mehr weitet sich die Krise der Arbeit zu einer Sinnkrise des Menschen mit all ihren sozialen Folgen. Es reichte schon, daß die Krise der Arbeit - die Arbeit betrifft. Wenn sie darüber hinaus auch noch das Selbstverständnis des Menschen zerstört, so tragen Konzepte zur Zukunft der Arbeit, die auf Aussagen gründen, wie »Wir sind, was wir produzieren«, ihre Mitschuld daran. Sie verschärfen die Krise, die sie beheben wollten.

 

Theologische Randbemerkungen

Vor diesem Hintergrund stellt sich für Kirche, Theologie und Christliche Sozialethik künftig eine dreifache Aufgabe:

 

Die Christliche Sozialethik sollte ihre eigene Tendenz, die Arbeit zu hypostasieren, überdenken. In der Rezeption der Enzyklika Laborem exercens (1982) Johannes Pauls II. entstanden Aussagen wie jene Gregory Baums, »daß die Menschen durch die Arbeit zu dem werden, was sie sind«. Nach Wilhelm Korff ermöglicht es die spezifisch neuzeitliche wissenschaftliche Weltaneignung - »die Wendung der Vernunft nach außen« - dem Menschen, »seine Arbeit als Vollzugsform seiner Menschwerdung [zu] begreifen«. Arno Anzenbacher schließlich behauptet, Erwerbsarbeitslosigkeit verhindere eine zentrale Möglichkeit des Menschen, seine Gottebenbildlichkeit zum Ausdruck zu bringen«. Für derartige Hypostasierungen der Arbeit gilt, was weiter oben schon gesagt wurde. Sie drohen, die Krise der Arbeit zur Krise menschlicher Identität zu verschärfen.

 

Die Kirche muß für eine gerechte Verteilung des knappen Gutes Erwerbsarbeit eintreten. Sie tut das nicht, weil der Arbeit materialiter ein ethischer Wert zukäme, sondern aus formalen Gerechtigkeitserwägungen, - wie sie sich auch für eine gerechte Verteilung von Füllfederhaltern einsetzen müßte, wenn diese in einem Volk von Schreibwütigen rar wären. Was das Verfahren zur gerechten Verteilung des gesamtgesellschaftlich verfügbaren Arbeitsvolmens angeht, verdient der Vorschlag von Hengsbach, Emunds und Möhring-Hesse Beachtung, über eine Kontingentierung der Arbeit nachzudenken: Die Autoren skizzieren - noch vage - eine Arbeitswelt, in der jeder Erwerbsfähige mit der Lohnsteuernummer auch Arbeitszeitscheine von - beispielsweise - 38 Wochenstunden zugeteilt bekommt. Diese können nun genutzt werden, um selbst zu arbeiten, oder - falls der Betreffende aus familiären, wirtschaftlichen oder sonstigen Gründen nicht arbeiten kann - um sie an jene zu verkaufen, die mehr arbeiten wollen und können. So wird sich etwa eine Multimedia-Designerin mit vollen Auftragsbüchern Arbeitszeit hinzukaufen von einem arbeitslosen Lehrer, - zu einem Preis, den der Markt für Arbeitszeitkontingente aktuell nach Angebot und Nachfrage regelt. Damit wäre der Profit, den Boom-Industrien erwirtschaften, gerechter auf die Gesamtgesellschaft verteilt. Voraussetzung solcher Modelle ist natürlich die gesellschaftliche Akzeptanz dafür, daß jeder und jede seinen gerechten Anteil bekommen soll an der Arbeit, die es in einer Gesellschaft zu verteilen gibt, und über diesen Anteil verfügen kann. Für diesen Gerechtigkeitssinn müssen Kirche und Theologie werben.

 

Die Theologie muß zudem und vor allem ein Menschenbild anmahnen, in welchem die »personale Entwurfsfreiheit« zentral und Strukturorganisationen - Familie, Arbeitsleben, Wirtschaft und Staat - prinzipiell nachgeordnet sind. Nur wo diese Rangfolge durcheinandergerät und strukturorganisatorische Komponenten wie die Arbeit umstandslos dem menschlichen Personsein implantiert werden, sind Sätze möglich wie: »Wir sind, was wir produzieren”. Die Person kann sich zwar - unter anderem - auf die Arbeit hin entwerfen, niemals kann die Arbeit aber umgekehrt eine Bedingung der Möglichkeit von Personalität sein. Gerade weil die struktural ausdifferenzierten modernen Gesellschaften nicht nur funktional auf die Integrationsleistung der einzelnen Person angewiesen, sondern überhaupt erst von dieser her ethisch ansprechbar sind (vgl. MM 219), hat die Sozialethik einem »kolonisierenden« Ausgreifen des Strukturfaktors Arbeit auf die Person gegenzusteuern; und zwar auch dann, wenn sich der Kolonisierungsversuch anthropologisch travestiert.

 

Die Krise der Arbeit muß als das bekämpft werden, was sie ist, ein gesellschaftliches Problem. Dieses Problem verlangt von der Ethik materialiter einen gänzlich unontologischem Pragmatismus, um formaliter Gerechtigkeit einfordern zu können. Pragmatisch betrachtet schadet eine Hypostasierung der Arbeit den Schwachen und nutzt den Stärkeren; sie suggeriert den Arbeitslosen seinsmäßige Defizienz und fördert die egozentrische Distanzlosigkeit der Arbeitsplatzbesitzer gegenüber der Arbeit, indem sie gegen den Verteilungsanspruch einer distributiven Gerechtigkeit die Arbeit als ontologisch legitimierten unteilbaren Selbstvollzug in Stellung bringt. Für die Zukunft der Arbeit ist ein solcher Arbeitsbegriff m.E. desavouiert. Es gilt, einen unprätentiösen, pragmatisch relativierten Begriff der Arbeit wiederzuentdecken.

 

 

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