Mitwitz - Tagung | Was das Leben braucht

Gruppenfoto Mitwitz
© Universität Augsburg

Wasser Tagung in Mitwitz: Was das Leben braucht - Philosophische Blicke auf das Wasser

Ohne Wasser kein Leben. Der menschliche Körper besteht zu fast 80% daraus. Wasser ist für den Stoffwechsel in der Natur unverzichtbar, und kaum ein Mensch kann drei Tage ohne Flüssigkeit überstehen – so weit, so basal. Doch dass Wasser nicht nur für die Biologie zentral ist, sondern auch Gegenstand tiefgreifender philosophischer Reflexionen sein kann, zeigte sich an einem Frühlingswochenende im März 2025 im oberfränkischen Mitwitz. Gemeinsam mit Prof. Dr. Christian Illies (Universität Bamberg) lud Prof. Dr. Uwe Voigt zur Tagung „Was das Leben braucht – Philosophische Blicke auf das Wasser“ nach Oberfranken ein. Dabei hatten nicht nur Fachkollegen, sondern auch Studierende der beiden Universitäten die Möglichkeit, der Tagung beizuwohnen und mitzudiskutieren.

Direkt nach der Anreise am Freitagmittag wurde die Gruppe von etwa zwanzig Studierenden und acht Referenten von der stellvertretenden Bürgermeisterin empfangen und erhielt eine exklusive Führung durch das fast 800 Jahre alte Wasserschloss Mitwitz, das seit 2020 im Besitz des Landkreises Kronach ist.

Um 16:00 Uhr eröffnete Prof. Dr. Sean McGrath (Memorial University, Neufundland) die Tagung  im nahegelegenen alten Schulgebäude von Mitwitz mit einem Vortrag über die psychoanalytische Bedeutung des Wassers in der Theorie von Sigmund Freud und Carl G. Jung. Dabei beleuchtete er, wie Wasser in den Symbolen beider Psychoanalytiker mit der Mutter, dem ozeanischen Gefühl und der Einheit und Trennung des Ichs verbunden ist.

Im Anschluss erläuterte Prof. Dr. Jens Soentgen (Universität Augsburg) die Symbolik des Wassers in der frühneuzeitlichen Alchemie. Besonders ging Soentgen dabei auf die symbolische und ikonographische Bedeutung des Hermaphroditen ein, eines mythischen Wesens, das insbesondere gegensätzliche Eigenschaften in sich vereinen konnte und daher oft zweigeschlechtlich dargestellt wurde. Diese coincidentia oppositorum des Hermaphroditen galt den Alchemisten der frühen Neuzeit als zentrales Motiv bei der Herstellung des Steins der Weisen. So wurde Wasser, insbesondere frischer Tau, mit dem Symbol des androgynen Hermaphroditen in Verbindung gebracht, was sogar zu speziellen Anleitungen zur richtigen Sammlung des Taus führte.

 

Wasserschloss view
© Universität Augsburg

 

Am nächsten Morgen nahm Prof. Dr. Christian Martin (Universität Stuttgart) die Teilnehmer mit auf eine Reise durch die Dichtkunst Hölderlins, am Beispiel des Textes Das Belebende. Er veranschaulichte, dass Hölderlin nicht nur Dichter, sondern auch Philosoph war, der seine Reflexionen eng mit der Dichtung verband. Martin ging auf die Bedeutung des Wassers als „belebende“ Kraft ein, die über den körperlichen Nutzen hinaus das geistige und kulturelle Leben intensiviert. Hölderlin betrachtete das Wasser nicht nur als lebensnotwendig, sondern auch als Quelle kultureller Entwicklung, die eine unerschöpfliche und belebende Wirkung auf die Gesellschaft hat.

Prof. Dr. Christian Illies (Universität Bamberg) erörterte die Bedeutung des Wassers für die menschliche Identität. Das menschliche Selbstverständnis sei – ähnlich wie bei einem Zentaur – nicht nur durch eine biologische, sondern auch durch eine geistige Sphäre, nämlich durch Geschichten und Erzählungen über uns (vgl. M. Schechtmans narrative approach), geprägt. Innerhalb dieses narrativen Selbstverständnisses deutet Illies das Wasser als Symbol eines urzeitlichen Archetyps (vgl. C. G. Jung). Exemplarisch erläutert er die Wassersymbolik in der Schöpfungsgeschichte und anderen Mythen (vgl. N. Bischof) als frühe Ausdrücke dieses Archetyps, als Symbol für die Urerfahrungen und als fundamentale Quelle des Lebens, der Differenzierung, der Ich-Werdung und der Identität selbst.

Nach einem gemeinsamen Mittagessen in der Jugendherberge und einem Gruppenfoto vor dem Wasserschloss Mitwitz beleuchtete Dr. Tomoki Sakata (Universität Bamberg) in seinem Vortrag „Flüssiges und Flüchtiges“ die Bedeutung des Wassers in der Philosophie des buddhistischen Mönchs Kamo no Chōmei aus dem 12. Jahrhundert. Unfähig, das Priestererbe seines Vaters anzunehmen, zog er sich in ein kleines Haus – das Hojo – zurück und verfasste seine Hōjōki, ein tagebuchartig verfasstes Werk, das sich mit der Vergänglichkeit menschlicher Lebenssituationen befasst. Dabei stellte sich Chōmeis innerer Konflikt zwischen einem zurückgezogenen Leben und einem Leben in der Stadt als zentrales Motiv dar. Die lebensweltlichen und politischen Situationen werden von Chōmei mit den flüchtigen Eigenschaften des Wassers verglichen. Chōmei sieht sich vor die Aufgabe gestellt, gemäß dem buddhistischen Ideal das Leben fließen zu lassen und seine Vergangenheit loszulassen. Die Lebenswelt tritt diesem Fluss des Wassers entgegen, verlangsamt ihn (Yodomi) und hindert den Menschen am Eintauchen in den Fluss des Lebens.

Den ganzen Vortrag von Herrn Dr. Sakata finden Sie auch online:

Danach analysierte Sebastian Fendrich (Bocholt) Motive des Wassers in ausgewählten Gedichten der deutschen Literatur. Nach einigen Ausführungen zur Methode der Gedichtsanalyse verglich er Andreas Gryphius’ Sonett „Andenken eines auf See ausgestandenen gefährlichen Sturms“, das eine dramatische Seenot schildert, die als Metapher für die Unsicherheit des irdischen Lebens interpretiert werden kann und mit der Rettung durch Gott endet, mit Gottfried Benns „Wellen der Nacht“, das die zyklische Bewegung des Meeres beschreibt. Diese spült verschiedene Figuren aus der Natur, Mythologie und Geschichte an das Land, nur um sie wieder ins Meer zurückzuziehen, was sich auch in der Form des Gedichts widerspiegelt. Das Leben ist in beiden Gedichten einem ständigen Werden und Vergehen unterworfen, doch in der Kunst (bei Benn) oder in der religiösen Errettung (bei Gryphius) scheint der Mensch Trost zu finden.

Den ganzen Vortrag von Herrn Fendrich finden Sie auch online:

Der Tag wurde mit einem Vortrag von Prof. Dr. Uwe Voigt (Universität Augsburg) abgerundet. Voigt verband eine Rehabilitierung des Elementenbegriffs in der Philosophie mit der analytisch geprägten, panpsychistischen Theorie des Geistes. Sein Gedanke, dass das „Geistige“ nicht nur auf menschliche Subjekte beschränkt ist, sondern auch in anderen Naturelementen wie dem Wasser oder der Erde verankert sein könnte, eröffnet eine prinzipielle Neuinterpretation des Wassers: Wasser kann durch seine verbindende Rolle im Erdsystem als eigenständiges Subjekt verstanden werden, sodass es nicht bloß physikalische, sondern auch mentale Eigenschaften besitzt. Der menschliche Umgang mit Wasser und der Natur ist nicht auf eine rein physikalische Beziehung zu reduzieren, sondern hat immer auch eine geistige Dimension, die nicht auf Zerstörung abzielen sollte, sondern ein Leben im Einklang mit der Natur – in einem Tanz mit dem Wasser – voraussetzt.

Den ganzen Vortrag von Prof. Dr. Voigt finden Sie auch online: 

Am nächsten Morgen rundete Matthias Bergmann (Lichtenfels) die Tagung mit einem Vortrag über die symbolische und lebensweltliche Bedeutung des Wassers für indigene Ethnien in Kolumbien ab, die seit Jahrhunderten kulturell eng mit dem Wasser verbunden sind und aktuell enorm unter den Folgen des Wetterphänomens El Niño leiden. Die Muisca, die in präkolumbianischer Zeit die Hochebene von Bogotá bewohnten, sahen im Wasser eine heilige und geschätzte Ressource. Das Wasser spielte auch in kultischen Riten eine wichtige Rolle. So wurden zum Amtsantritt eines neuen Herrschers Gold und Schmuck in einem Bergsee versenkt, um sie dem Sonnengott zu opfern, woraus sich der Mythos um die Stadt aus Gold (El Dorado) entwickelte.

Am Nachmittag führte Matthias Bergmann die Gruppe auf einer kleinen Wanderung durch die Steinachklamm in Mittelfranken, wobei er an einer Engstelle in der Klamm eine geographische Parallele zu besagtem Bergsee in Kolumbien veranschaulichte. Am späten Nachmittag wurde schließlich die Tagung beendet.

 

Ein Bericht von Etienne Dame

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