Hier erscheinen in lockerer Reihenfolge Ideen, Reflexionen, Denkanstöße, die die Chancengerechtigkeit von Frauen in der Wissenschaft betreffen. 

      

 

FEBRUAR 2022 -   Hinterm Horizont geht’s weiter

Die Überzeugung, dass Frauen mit ihrer Berufung zu gleichgestellten Peers geworden sind und ihnen daher alle Möglichkeiten offenstehen, ist weit verbreitet. Formal stimmt das auch. Aber der Alltag sieht manchmal doch anders aus. Die Erzählungen von Professorinnen über problematische Kooperationserfahrungen im Rahmen von Gremien, Kommissionen und Forschungsteams sind jedenfalls vielfältig, wie eine aktuelle, vom BMBF geförderte Untersuchung von Wagner et al. zeigt. (https://academicaprojektde.files.wordpress.com/2021/12/handreichung-jenseits-der-glaesernen-decke.pdf)

 

Auch ich als Frauenbeauftragte höre immer wieder davon. Geht es einmal darum, zwar als Quotenfrau in eine Kommission gewählt worden zu sein, dann aber die Erfahrung machen zu müssen, dass die fachlichen Beiträge unterdrückt werden, wird ein anderes Mal eine hohe emotionale und soziale Kompetenz zugeschrieben und damit die Übernahme von vermittelnden, moderierenden oder fürsorgenden Aufgaben erwartet. Es kommt auch vor, dass eine Professorin von gleichgestellten Kollegen als Statusniedere adressiert und ungefragt in väterlicher Weise „beraten“ wird, oder sie muss feststellen, dass die männlichen Kollegen die thematische Ausrichtung eines eigentlich kooperativ geplanten Drittmittelantrags am Abend zuvor bereits vereinbart haben, so dass ihre Expertise entbehrlich ist. Kooperation und Konkurrenz liegen in der Forschung nahe beieinander. Ganz absurd wird es, wenn Frauen gegeneinander ausgespielt werden, indem der einen nachgesagt wird, sie sei frauenfeindlich, weil sie eine andere angeblich (!) nicht unterstützt habe. 

 

Alles an den Haaren herbeigezogen?

Nun, ich habe diese Erfahrungen selbst machen müssen und beileibe nicht nur am Anfang meiner Laufbahn. Ich habe, wie die meisten Frauen auch, nicht damit gerechnet. Das könnte man als Naivität auslegen. Aber eine über Jahrzehnte eingeübte, innere Weigerung, damit von vornherein zu rechnen, gibt es auch.   

 

Was ist zu tun? 

Der häufigste Rat, den ich gehört habe: alles bloß nicht persönlich nehmen. 

Der Zweithäufigste: weibliches Verhalten und Erscheinungsbild kontrollieren, um nicht zu eng mit meinem Geschlecht in Verbindung gebracht zu werden, was immer auch die Abwertung von Kompetenz bedeuten würde, weil Weiblichkeit eben oft noch immer nicht mit Professionalität gleichgesetzt wird. 

Der Dritthäufigste: selbst Netzwerke bilden, zum einen externe, um die eigene wissenschaftliche Sichtbarkeit zu erhöhen, zum andern universitätsinterne Frauennetzwerke.

 

Aus Gleichstellungsperspektive wären jedoch heterogene Netzwerke wünschenswert.

Nur wird ein zentraler Faktor im Netzwerk durch weibliche Personen, die in manchen Wissenschaftsbereichen ja immer noch vereinzelt sind, das Vertrauen nämlich, oft nicht gestärkt, sondern eher in Frage gestellt. Das gilt womöglich auch umgekehrt für den einzelnen Mann in einem Frauennetzwerk. Unter Gleichen kann man sich mehr darauf verlassen, dass jede*r die Spielregeln beherrscht. 

 

Wie in jeder Organisation stellen auch an einer Universität informelle Netzwerkstrukturen ein komplementäres Element zu den formalen Organisationsstrukturen dar. Ihnen kommt eine zentrale Bedeutung zu, denn sie sind in vielfacher Hinsicht mit wissenschaftlicher Produktivität verknüpft. Dies scheint zunächst im Widerspruch zu stehen zu dem, was eine Universität am meisten auszeichnet, also dem hohen Grad an Individualität, Originalität und Autonomie der Professor*innen. Das mag noch für den einzelnen Lehrstuhl gelten, aber schon längst nicht mehr für alle und erst recht nicht, wenn man an die größeren Forschungskooperationen denkt. Informalität ist besonders für Amtsinhaber*innen oder für Professor*innen, die ein Amt anstreben - dies gilt für alle Geschlechter -, eine essenzielle Ressource, um navigieren und Gestaltungsspielräume nutzen zu können. 

 

Doch wie reagieren Frauen typischerweise, wenn sie das gute Funktionieren informeller Netzwerke der männlichen Kollegen erkennen? 

Manchmal nehmen sie Kauf, instrumentalisiert zu werden, weil sie meinen, es sei nur vorübergehend und sie könnten mit ihrer Energie, Kompetenz und Überzeugungskraft diese abhängige Position in einen Vorteil verwandeln. Überwiegend aber reagieren sie mit Befremden, wie die o.g. Studie zeigt. Dies tritt in Form von Ablehnung auf, sich auf informelle Netzwerke einzulassen, meist legitimiert mit dem Engagement für das eigene Fach/die eigene Professur. Aber auch in Form von Erschrecken oder gar Abschätzigkeit über die „Hinterbühnen“. Auch quasi-ethnografische Analysen der Vorgänge fungieren als Distanzierung, die allerdings nicht unbemerkt bleibt und im Zirkelschluss wiederum den Zugang zum Netzwerk verunmöglicht. 

 

Der häufigste Fehler, den Frauen begehen, besteht darin, ein informelles Netzwerk aufdecken zu wollen. Ein Tabubruch, der mit dauerhafter Exklusion belegt wird, manchmal weit über das betreffende Netzwerk hinaus. Auch die Frauenbeauftragte, von der „man“ weiß oder zumindest ahnt, dass sie „weiß“, ist betroffen. Es wirkt so, als sei sie qua Amt aus den wirklich wichtigen informellen Kreisen von vornherein ausgeschlossen, ob nun auf Fakultäts- oder Universitätsebene. Man muss die letzten Sätze nur einmal mit einem männlichen Amtsinhaber denken und spürt sofort, warum dies so exotisch erscheint. Der Kollege würde ein echtes Risiko eingehen und bräuchte dazu viel Mut.

 

Informelle Netzwerke sind nicht per se schlecht.

Wenn wir es neutral betrachten, und nur so geht es, befinden wir uns in einem Transformationsprozess. Innerhalb dessen obliegt es allen Professor*innen, den eigenen Weg, das eigene Verhalten, die eigenen Einstellungen zu reflektieren. Selbstkritik mag hie und da unbequem sein, und niemand wird eine machtvolle Position in einem informellen Netzwerk aufgeben wollen. Schließlich ist sie nicht einfach so zugeflogen. Aber wollen wir an unserer Universität wirklich überwiegend getrennte Männer- und Frauennetzwerke? Erst wenn man Netzwerk- und Genderbewusstsein kombiniert, eröffnen sich doch die neuen Perspektiven, die größeren Handlungsspielräume. Es geht hinterm Horizont nämlich wirklich weiter!

 

Prof. Dr. Susanne Metzner, Frauenbeauftragte der Universität Augsburg

 

MÄRZ 2021 -   thinking visible

Im Zusammenhang mit Diskussionen um Chancengleichheit für Frauen in der Wissenschaft wird zuweilen die Forderung laut, dass es mehr Präsenz von erfolgreichen Wissenschaftlerinnen in den Medien brauche, um Geschlechter-Stereotypien aufzuweichen. Doch mehr Sichtbarkeit wie z.B. auf dieser Webseite birgt auch das Risiko, normative Identitätsvorgaben, die für Wissenschaftlerinnen gelten, zu reproduzieren. 

 

Was meine ich damit? 

Nun, indem wir die wissenschaftlichen Erfolge von Frauen oder ihre akademischen Spitzenpositionen besonders hervorheben, so stolz wir auch sind, etwa über die erste Präsidentin einer bayerischen Universität, werden indirekt auch die gegenteiligen Erwartungshaltungen kommuniziert. Oder die markant modernisierten Bilder von Wissenschaftlerinnen: Sicher, die Anlässe für die Präsentation beziehen sich ebenso wie bei männlichen Kollegen auf bedeutende wissenschaftliche Entdeckungen, die Verleihung von Preisen o.ä.. Aber die Wissenschaftlerinnen werden vielseitiger, origineller, schicker vielleicht auch jünger dargestellt, während sich die medialen Diskurse über Wissenschaftler in den letzten Jahren nur wenig gewandelt haben. Hier reicht es, wenn sich vermittelt, dass der wissenschaftliche Erfolg vor allem auf Intelligenz, harter Arbeit und Leidenschaft beruht. Dies wird den Frauen beileibe nicht abgesprochen, aber es muss/darf zusätzlich ein bisschen bunter zugehen. Und was wohl kaum je vorkommt, ist in einem Atemzug mit berühmten Vorgängern wie Newton oder Einstein genannt zu werden. (By the way: Wer kann schon aus dem Stehgreif mehr als vier, fünf berühmte Wissenschaftlerinnen der Vergangenheit nennen?) 

 

Worauf steuert die Entwicklung wohl zu? 

Die Gleichstellung von Frauen und Männern ist rechtlich gesehen Fakt. Die Bemühungen der Universitäten um eine zahlenmäßige Ausgewogenheit von Professorinnen und Professoren  sind beachtlich. Aber wird ein zukünftiger Leibniz-Preisträger der UniA dereinst ganz selbstverständlich in einem Atemzug mit seiner berühmten Vorgängerin von der Informatik genannt? Wird ein Wissenschaftler, angeregt durch diese Webseiten, seine eigene mediale Performance flexibilisieren und wenn ja, wie? Und werden wir bei seinem Curriculum Vitae die Information erwarten, dass dieser Spitzenforscher seinen wissenschaftlichen Erfolg trotz mehrjähriger Elternzeit errungen hat? Wird die mediale Darstellung insgesamt diverser, und spiegelt dies dann die Realität? Wir dürfen gespannt sein. 

 

Mir scheint nur eines verhältnismäßig sicher: In 10 Jahren wird es keine Webseiten mehr geben, die sich schwerpunktmäßig der Visibilität von Wissenschaftlerinnen widmen. Und genau deshalb wird diese Webseite nicht umsonst gewesen sein. 

 

Prof. Dr. Susanne Metzner, Frauenbeauftragte der Universität Ausburg

 

 


Kommentare an frauenbeauftragte@uni-a.de

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