Pressemitteilung 60/20 - 09.10.2020

Der Krankheit hilflos ausgeliefert?

Digitales Seminar erforscht mittelalterliche Medizingeschichte Augsburgs

Augsburg/MR   In einem digitalen Proseminar untersuchten Studierende anhand einer Handschrift des Bürgermeisters Ulrich Schwarz (1422-1478) ein Stück Medizingeschichte der Stadt Augsburg. Die Forschungsergebnisse ermöglichen einen Blick in die medizinische Versorgung dieser Zeit und damalige Heilansätze. Im kommenden Jahr werden die Erkenntnisse als Tagungsbeitrag veröffentlicht.   

Porträt des Ulrich Schwarz und seiner Familie (Hans Holbein d. Ä., um 1503, Staatsgalerie Augsburg, L 1057) Quelle: http://www.zeno.org - Contumax GmbH & Co.KG

Studierende erforschten in einem digitalen Proseminar ein Stück Medizingeschichte des spätmittelalterlichen Augsburgs. Grundlage der Untersuchung war eine bisher kaum beachtete Handschrift des Augsburger Bürgermeisters Ulrich Schwarz (1422-1478), die viele medizinische Rezepturen enthält.

Dass auch historische Lehre und Forschung – zumindest in Ausnahmesituationen wie der derzeitigen Pandemie – im Rahmen eines komplett digitalen Proseminars erfolgreich bewältigt werden kann, berichtet Privatdozent Dr. Mathias Kluge (Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte). Im Sommersemester erkundeten seine Studierenden eine Handschrift, die bis dato kaum beachtet wurde. Ulrich Schwarz, von 1469 bis 1478 mehrfach Bürgermeister der Stadt Augsburg, hinterließ mit dieser Handschrift auch Spuren seiner Bestrebungen für eine bessere medizinische Versorgung der Augsburger Stadtbewohner und Tipps zum Umgang mit Krankheiten.

Mathias Kluge fasst zusammen: „Zu Lebzeiten des Ulrich Schwarz erlebte die medizinische Versorgung in Augsburg offensichtlich eine erhebliche Spezialisierung und Ausdifferenzierung. Als Bürgermeister besoldete er selbst Apotheker und Fachärzte, die in den Diensten der Stadt standen.“ Auch dass bereits auf „Medikamente“ zurückgegriffen wurde, um Krankheiten zu heilen, bestätigte die Handschrift.

Bei einigen der 98 überlieferten Medikamente konnten die Studierenden feststellen, dass sie bereits seit der Antike etabliert waren. Sobald es die Situation erlaubt, wollen sie die Wirkung in Kooperation mit Naturwissenschaftlern durch Experimente überprüfen. Manche Grundbedürfnisse der Gesundheits- und Körperpflege im Mittelalter erschienen den Teilnehmern des Seminars erstaunlich modern: „Der Augsburger Bürgermeister des Mittelalters nutzte etwa Ingwer zur Stärkung des Immunsystems und eine Mischung als Essig und pulverisiertem Weinstein, um seine Zähne zu bleichen.“ Andererseits sollten Magie und Gebete zur Heilung von Krankheiten führen, was auf die enge Verknüpfung zwischen Physis und Psyche und die kulturelle Konstruktion von Krankheit, Gesundheit und Heilmittel aufmerksam machte.

Dank der intensiven Kooperation mit verschiedenen Bibliotheken und Archiven, die digitalisierte Fachliteratur und Dokumente zur Verfügung stellten, und der Einrichtung einer digitalen Forschungsumgebung, konnte trotz eingeschränkter Möglichkeiten auf vielseitiges Arbeitsmaterial zurückgegriffen werden. Schließlich gelang es dem Seminar, neue Forschungsergebnisse zu gewinnen, die nach weiterführenden Arbeiten auf einer medizinhistorischen Tagung vorgestellt werden sollen:

Augsburg - Europäische Stadt der Medizin.
Urbanisierung und Medikalisierung vom Mittelalter bis zur Gegenwart
Augsburg, 22.-25.9.2021; IHK Schwaben, Stettenstraße 1 + 3, 86150 Augsburg

Die 326 seitige Handschrift des früheren Augsburger Bürgermeisters Ulrich Schwarz ist in der Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel verwahrt und stand den Studierenden digital zur Verfügung. Ebenfalls digital erhielten die Teilnehmer regelmäßige seminarbegleitende Übungen unter der Anleitung ihres Tutors Serafin Baur, die den Studierenden halfen, die schwer lesbare Handschrift zu entziffern und sprachliche Herausforderungen beim Übersetzen zu meistern. Über das Internet konnten Fragen und Erkenntnisse diskutiert werden.

Die Seminarteilnehmer freuen sich darauf, die Chancen neuer digitaler Lehr- und Forschungsmethoden – nach der Pandemie – produktiv mit den Möglichkeiten persönlicher Zusammenarbeit zu kombinieren.

Dr. Mathias Kluge fasst zusammen: "Unser Seminar hat erneut gezeigt, dass wir auf Lehre und Forschung in Präsenz ebenso wenig verzichten können, wie auf die Entwicklung digitaler Formate. Im Moment versuchen wir Defizite auszugleichen, die durch die Pandemie versacht werden. Wir müssen aber bald dazu übergehen, das volle Spektrum unserer Möglichkeiten auszuschöpfen, um Lehre und Forschung weiter zu optimieren. Nur so werden wir die besten Ergebnisse erzielen".

Ansprechpartner

Akademischer Oberrat auf Zeit
Mittelalterliche Geschichte
  • Telefon: +49 821 598 5768
  • E-Mail:
  • Raum 5003 (Gebäude D)

Suche