Was machen Bernie Sanders’ Fäustlinge in Edward Hoppers Gemälde?

Als kleine Bild/Text-Bausteine amüsieren Memes weltweit auf Social Media. Aber sie können mehr: Demokratische Teilhabe ermöglichen, Cargo-Züge sexy machen und möglicherweise sogar heilen helfen.

So minimalistisch und rasant Internet-Memes daher kommen, so vielfältig und spannend sind die Forschungsansätze zu dem Online-Phänomen. Vorne dabei in dem jungen Feld ist der Kommunikationswissenschaftler Michael Johann, der sich seit Jahren mit verschiedenen Aspekten von Memes beschäftigt und dabei häufig fächerübergreifend arbeitet: Von politischen Möglichkeiten über sprachwissenschaftliche Perspektiven bis zum Nutzen etwa für Depressionspatientinnen und -patienten.

 

© Twitter

Jeder dritte Deutsche hat schon einmal ein Meme erstellt oder zumindest weiterverbreitet - eine Definition würde den meisten aber wohl schwerfallen, da Memes ein dynamisches Phänomen sind und unterschiedlich aussehen können. Das klassische Meme besteht aus einer Bild/Text-Kombination, bei der ein häufig popkulturelles Motiv entweder durch Bildbearbeitung oder knappe Texte verändert, verfremdet oder in einen anderen Kontext gerückt und dann weiter im Netz geteilt wird – auf populären Kanälen wie Twitter und Instagram, wirklich kreativ und innovativ aber über Plattformen wie Reddit oder 4chan. Etymologisch kommt der Begriff vom griechischen Wort für „Nachahmung“ und wird in der in den Sozialwissenschaften analog zur Evolutionsbiologie verwendet: Wie Gene (Englisch „genes“) werden Memes weitergegeben und können dabei mutieren. Zum Meme gehört also der ganze Kontext von Social Media.

Frosch Pepe unfreiwillig ultrarechts

Wichtig ist für Johann auch, was Memes nicht zwangsläufig sind: Auch wenn sie oft lachen lassen – für den Wissenschaftler ein angenehmer Nebeneffekt seiner Forschung – müssen Memes nicht lustig sein. Manchmal sind sie Ausdruck individueller Meinung und Kritik oder auch subversiv: „Unter dem humoristischen Deckmantel kann in totalitären Staaten Kritik am System geübt werden, oder queere Menschen können in homophoben Gesellschaften an der LGBTQ-Community teilhaben. Die mit Internet und Social Media anfangs verbundene Hoffnung einer neuen globalen Demokratisierung der Gesellschaft ist aber eher eine romantische Wunschvorstellung“, ist sich Johann sicher. „An den äußeren Rändern des Spektrums transportieren Memes eine Botschaft, manchmal auch eine Ideologie. Es gibt die Vereinnahmung des Comic-Froschs Pepe durch die Alt-Right-Bewegung in den USA und Meme-Kampagnen, hinter denen Troll Factorys stecken.“ Parteien lancieren sie zum Wählermobilisierung, Unternehmen für Marketingzwecke.

„Ob solche Strategien funktionieren, ist bei Memes allerdings nicht planbar.“ Selten gewinnen sie Preise, wie beispielsweise der Twitter-Auftritt von DB Cargo. Manchmal geht es aber auch nach hinten los, wie manch verzweifelter Annäherungsversuch der CDU an hippe junge Wähler. „Memes eignen sich auf jeden Fall super, um schnell viel Reichweite zu bekommen. Das ist auch als Top-down-Strategie legitim, aber eigentlich kommt es von unten aus der Community, die diese Art von Vernetzung lebt.“ Für eine aktuelle Publikation beschäftigt sich Johann mit der Frage, „wie Memes zur politischen Partizipation genutzt werden und welche Rolle dabei die individuellen und kollektiven Identitäten der Nutzer*innen in der Netz-Community spielen?“ Einen kollektiven Hype entfachte z.B. das Pressefoto von Bernie Sanders’ „grumpy chick“ mit Fäustlingen bei der Amtseinführung von Joe Biden: Nutzer auf der ganzen Welt platzierten den Politiker in Memes neben Abraham Lincoln, dem Marvel-Antihelden Deadpool oder in Edward Hoppers „Nighthawks“.

Kreative Memes öffnen Forschern Türen

Allerdings müssen Memes nicht viral gehen. „Gerade in geschlossenen Gruppen sind Dazugehörenwollen und Selbstdarstellung große Motivatoren für Memes. Man kann damit in verschiedenen ingroup/outgroup-Konstellationen spielen.“ Für den Wissenschaftler eine Herausforderung: Während es bei den Mainstream-Memes schier unendlich Forschungsmaterial gibt, kommt man für spezielle Forschungsfragen an manche Communities kaum ran. Drei Möglichkeiten haben Johann und seine Kollegen dennoch: „Eigene Memes erstellen – viele Kreative honorieren gute Beiträge und füllen dann auch Fragebögen aus. Oder über Administratoren gehen, bei Selbsthilfegruppen schon aus forschungsethischen Gründen. Drittens Belohnung: monetär oder durch das Teilen von Studienergebnissen.“

Während Johann über politische Aspekte schon einige Forschungsergebnisse zum wissenschaftlichen Diskurs beigesteuert hat, steht das Thema Memes und Coping noch am Anfang: „Dabei geht es um Bewältigungsstrategien von Menschen mit Depressionen oder anderen mentalen Problemen. Über Memes können sie sich austauschen, gemeinsam über das gleiche zu lachen kann helfen.“ ck

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