Werkstattgespräch: Klimaprotest und Strafrecht

25.01.2023 | Im ersten Werkstattgespräch in der Reihe „Die Klimakrise und das Recht“ setzte sich Prof. Dr. Dr. h. c. Michael Kubiciel mit der strafrechtlichen Dimension der aktuellen Klimaproteste und im Besonderen mit der dogmatischen Konstruktion des „Klimanotstands“ durch das Amtsgericht Flensburg in dessen Urteil vom 7. November 2022 auseinander.

Nachdem zunächst die besondere Beziehung zwischen zivilem Ungehorsam und strafrechtlicher Sanktionierung dargestellt wurde, ging Kubiciel auf das Urteil des Amtsgerichts Flensburg ein, in dem mithilfe der dogmatischen Konstruktion eines „Klimanotstands“ ein tatbestandlicher Hausfriedensbruch gerechtfertigt worden war. Der Referent betonte, dass die Argumentation des Gerichts ein schwerwiegendes Problem nach sich ziehe. Denn wenn ein überindividuelles Rechtsgut wie das vom Amtsgericht Flensburg bemühte „humane Klima“ grundsätzlich als notstandsfähig angesehen werde, setzte sich dieses gegenüber konkurrierenden Rechtsgütern auf der Ebene der Interessenabwägung nahezu ausnahmslos durch. Ein gewichtigeres Rechtsgut als die Existenzbedingung zukünftiger Generationen sei nämlich kaum vorstellbar. Der damit drohenden Ausuferung des Notstandsrechts habe das Amtsgericht auch bei der Prüfung der weiteren Voraussetzungen des § 34 StGB nicht konsequent entgegengewirkt. Im Gegenteil. So hielt es das Amtsgericht Flensburg für die Erforderlichkeit der Notstandshandlung für ausreichend, wenn die Tathandlung nur in Kumulation mit tatsächlich oder potenziellen Verhaltensweise Dritter einen erforderlichen Beitrag leisten kann. Dies führe – so Kubiciel – die Erforderlichkeitsprüfung ad absurdum.

Kubiciel argumentierte auf, dass das vom Amtsgericht Flensburg postulierte Notstandsverständnis missbrauchsanfällig sei, könne es doch durch weniger legitime politische Bewegungen, als es die Klimabewegung sei, übernommen und für ihre jeweiligen politischen Zwecke genutzt werden. Er warnte vor einer Erosion der (Straf-)Rechtspflege für den Fall, dass sich ihre Vertreter:innen dezidiert politischen Programmatiken verschreiben, seien diese auch noch so ehrenwert.

In der anschließenden lebhaften Diskussion mit den über 80 Teilnehmer:innen im Hörsaal und zugeschaltet via Zoom bestehend aus Lehrenden, Studierenden und Mitgliedern der Juristischen Gesellschaft wurde dem Referenten überwiegend dahingehend beigepflichtet, dass die persönliche Einstellung oder Sympathie zu den Protesten der Klimaaktivist:innen keinen Einfluss auf die rechtliche Bewertung nehmen dürfe. Auf die Nachfrage, ob unsere Regierungsform überhaupt den Anforderungen der Klimakrise gewachsen sei, schloss Kubiciel mit dezidiert optimistischen Ausführungen: Die Geschichte zeige, dass die Demokratie deutlicher resilienter sei als bisweilen angenommen. Und auch wenn Entscheidungen bisweilen Zeit bräuchten, so würden sie – einmal getroffen – deutlich nachhaltig ausfallen und von der Gesellschaft besser akzeptiert werden, als dies etwa in autoritären oder totalitären Regimen der Fall sei.

 

 

Buch zu Zivilem Ungehorsam liegt auf dem Tisch, daneben ist eine Tastatur abgebildet.
© Universität Augsburg
Prof. Kubiciel hält einen Vortrag zu Klimaprotest und Strafrecht (Einzelansicht)
© Universität Augsburg
Prof. Kubiciel hält vor einer Gruppe einen Vortrag zu Klimaprotest und Strafrecht
© Universität Augsburg

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