Überplanung von Infrastruktur

Am Beispiel energiewirtschaftlicher Streckenplanungen unter besonderer Berücksichtigung der Leitungsbündelung

 

Aus Verantwortung vor der Zukunft muss Deutschlands Stromerzeugung dringend auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Grundlage dieser Energiewende sind neben wenigen neuen Großvorhaben vor allem Millionen Kilometer bestehende Energieleitungen. Netzbetreiber und Behörden werden viele Leitungen modernisieren müssen, die ihr Lebensalter oder ihre Kapazität bald überschreiten.  Statt der dafür nötigen Überplanung prägt noch immer das Leitbild des Neubaus das Recht des Energieleitungsbaus. Lange Zeit wurde vor allem über große Neubautrassen diskutiert und sich erst als Notlösung auf die Fortentwicklung von Bestandstrassen konzentriert. Vor allem aber fordern Natur- und Umweltschutz eine Überplanung: Neubauten auf bislang verschonten Flächen dürfen nur ultima ratio sein. Dies unterstützt die rechtliche Anerkennung von Vorbelastungen, auf Grund derer bereits vorhandene Leitungen und -trassen weniger schutzwürdig sind und dadurch einfacher und schneller optimiert und verstärkt werden können.

 

Die Dissertation von Dr. Tom Pleiner wurde im November 2018 vom Ministerium für Energiewende, Landwirtschaft, Umwelt, Natur und Digitalisierung des Landes Schleswig-Holstein im Rahmen der Anhörung der Bundesländer zur NABEG-Novelle mit weiteren Ausführungen zur Überplanung dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie zur Umsetzung vorgeschlagen. Zahlreiche Vorschläge, insbesondere zur rechtlichen Regulierung der Ersatzneubauten wurden in der Folge in der Novelle des NABEG (Gesetz zur Beschleunigung des Energieleitungsausbaus vom 13. Mai 2019, BGBl. I, S. 706 ff.) aufgegriffen.

Die Dissertation stellt dar, dass dem energierechtlichen Planungsrecht mit Blick auf die Situationsgebundenheit (fort-)bestehender Trassen Ausprägungen eines NOVA-Prinzips attestiert werden können. Ein ganzer Bereich des Planungsrechts enthält Vorgaben, um Maßnahmen im Bestandsnetz zu forcieren, wie etwa:

 

(1) Das umweltrechtliche Prinzip der Vorbelastung setzt Flächen, die bereits mit Leitungsanlagen belastet sind, in ihrer weiteren Schutzwürdigkeit im Vergleich zu Freiflächen herab. Gleichzeitig erleichtern zahlreiche Vorschriften die Verfahren der Überplanung. Muss in einem Gebiet künftig mehr Strom transportiert werden, sind eine Optimierung und Verstärkung einer bestehenden Leitung so attraktiver im Gegensatz zu einem Leitungsneubau.

 

(2) Da bei technischen Maßnahmen im Bestandsnetz die bestehende Trasse den Standort weitgehend vorgibt, ergeben sich zahlreiche Besonderheiten bei Überplanungen. So gilt etwa der planerische Immissionsschutz gemäß § 50 BImSchG nur eingeschränkt. Im Hinblick auf den Lärmschutz, den Schutz vor elektromagnetischer Strahlung und den Natur- und Landschaftsschutz vermitteln hinzunehmende Vorbelastungen ein abgeschwächtes Schutzniveau. Vorhaben in bestehenden Trassen unterfallen bestimmten Anforderungen nicht, wie etwa hinsichtlich eines Überspannungsverbots für Wohnhäuser.

 

(3) Eine wesentliche Innovation des jüngsten Planungsrechts ist es, gesetzlich festzuschreiben, dass bestimmte Verstärkungen und Erweiterungen bestehender Leitungen energiewirtschaftlich erforderlich sind und von den Netzbetreibern umgesetzt werden müssen. Neben der Zielkontrolle bietet eine formalisierte Bedarfsplanung für den Staat die Chance, die tatsächliche Entwicklung des Netzes vorhabenscharf zu steuern.

 

(4) Ein weiterer Schwerpunkt der Anerkennung bestehender Trassen liegt in der Alternativenprüfung in dem Schritt eines Planungsverfahrens, in dem die verschiedenen Möglichkeiten der Realisierung beleuchtet werden müssen. Hier ist es durch die Rechtsprechung seit Langem anerkannt, dass es sich regelmäßig als Variante zur Verwirklichung aufdrängt, die bisherige Linienführung unverändert beizubehalten. Die Variation der beleuchteten Alternativen kann schon im frühen Stadium der Vorauswahl beschränkt werden.

 

(5) Auch hat der Gesetzgeber mit dem bislang unbekannten Tatbestandsmerkmal der „neuen Trassen“ in zahlreichen Vorschriften deutlich gemacht, dass Leitungen in bestehenden Trassen erhalten werden sollen. Zahlreiche Regelungen privilegieren und erleichtern Maßnahmen im Bestand. So dürfen Netzbetreiber als Bauherren eines Leitungsvorhabens Zahlungen an Gemeinden zur Kompensation von Nachteilen nur leisten, wenn es sich um neue Leitungstrassen handelt. Darin wird deutlich, dass die Nutzung bestehender Trassen nur geringes Konfliktpotenzial zeigt. Bestehende Trassen sollen auch dadurch begünstigt werden, indem sie von neuen, weitreichenden Bestimmungen des Umweltschutzes ausgenommen sind.

 

(6) Eng mit der Frage eines Vorrangs der Maßnahmen im Bestandsnetz verknüpft ist das Gebot der Bündelung. Denn auch hier wird bestehender Infrastruktur ein neuer Teil hinzugefügt oder wenigstens räumlich so angenähert, dass sich insgesamt eine geringere Belastung ergibt. Dies kann zum Beispiel geschehen, indem sich die Schutzstreifen von Freileitungen überlappen. Bestenfalls vereinzelt und ohne generelle Geltung finden sich auch auf der Zulassungsebene Vorschriften, die zur Nutzung bestehender Trassenräume anhalten und damit eine Bündelung oder sogar Leitungsmitnahme forcieren. In den zur Überplanung anhaltenden Vorschriften kann jeweils eine rechtliche Ausprägung des NOVA-Prinzips gesehen werden. Neben bundesrechtlichen Vorschriften, wie § 1 Abs. 5 S. 3 BNatSchG, können auch landesrechtliche Trassierungsgrundsätze, wie § 2 Abs. 1 Nr. 12 LG NRW, dazu anhalten, linienförmige Vorhaben zusammenzufassen.

 

Die Arbeit ist beim Verlag Mohr Siebeck erschienen und wurde mit dem Deutschen Studienpreis, dotiert mit 25.000 €, ausgezeichnet.

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