Vier Eckpfeiler für eine gesunde Zukunft

Ein neuer Fachbeitrag in der medizinischen Fachzeitschrift The Lancet steht für eine bislang beispiellose Übereinstimmung zwischen ganzheitlichen wissenschaftlichen Rahmenkonzepten, die untersuchen, wie Veränderungen im Erdsystem – von globalem Artenverlust und Umweltverschmutzung bis hin zu Klimastörungen – die Grundlagen menschlicher Gesundheit und des Wohlbefindens untergraben. Professorin Claudia Traidl-Hoffmann, Professorin für Umweltmedizin an der Universität Augsburg/Direktorin des Instituts für Umweltmedizin und Integrative Gesundheit am Universitätsklinikum Augsburg/Direktorin des Instituts für Umweltmedizin bei Helmholtz Munich, beschreibt als Ko-Autorin zusammen mit 15 weiteren international führenden Expertinnen und Experten wie eng die Krise der Erdsysteme mit der Gesundheit und dem Wohlbefinden der Menschen verzahnt ist und zeigt dringende Handlungsfelder auf. Der Kommentar markiert einen Fortschritt in der Forschungskoopertion, da führende Wissenschaftler*innen aus den Bereichen Planetary Health und Planetare Belastungsgrenzen an einer integrierten Herangehensweise arbeiten.

“Der Klimawandel prägt bereits jetzt unsere gesundheitliche Realität – von Allergien bis hin zu Infektionskrankheiten. Wir verfügen über das Wissen und die Werkzeuge, um Resilienz aufzubauen und Leben zu schützen,” so Traidl-Hoffmann.

 

Jenseits des Klimawandels: eine ganzheitliche Perspektive auf Gesundheit

Menschliches Handeln beeinflusst den Planeten in weitreichender Weise – und geht dabei weit über den Klimawandel hinaus. Bereits 2009 entwickelten Erdsystemwissenschaftler*innen das Konzept der „Planetaren Belastungsgrenzen“, welches neun kritische globale Prozesse definiert – einer davon ist der Klimawandel. Für diese Prozesse gibt es Grenzwerte, die eingehalten werden müssen, um innerhalb eines „sicheren Handlungsspielraums“ zu bleiben. Eine Bewertung aus dem Jahr 2023 zeigt, dass sechs von neun planetaren Belastungsgrenzen derzeit überschritten sind – was ein zunehmendes Risiko bedeutet, die lebenserhaltenden Systeme der Erde aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Zudem gibt es mittlerweile zahlreiche Belege, dass Veränderungen im Erdsystem eine akute Bedrohung für die menschliche Gesundheit darstellen – sei es durch Auswirkungen auf Luftqualität, Wasserversorgung, Nahrungsmittelproduktion, das Auftreten von Infektionskrankheiten oder die Bewohnbarkeit ganzer Regionen. Diese Sorgen führten zur Entstehung des Konzepts der Planetaren Gesundheit. Dieses Forschungsfeld befasst sich damit, wie menschliche Eingriffe in die natürlichen Systeme der Erde die Gesundheit beeinflussen – und wie Lösungen entwickelt werden können, die sowohl die Stabilisierung des Erdsystems ermöglichen als auch Gesundheit, Gerechtigkeit und soziale Teilhabe für alle sicherstellen.

„Vor zehn Jahren schloss sich die Planetary-Health-Gemeinschaft um die Erkenntnis zusammen, dass wir keine gesunden Menschen auf einem kranken Planeten haben können“, sagt Mitautor Dr. Sam Myers.
„Heute steht diese Zusammenarbeit mit den Forschenden im Bereich der Planetaren Belastungsgrenzen für eine weitere Reifung unseres Fachgebiets – ein Zusammenkommen der Erdsystemwissenschaften und der öffentlichen Gesundheitsforschung mit der Erkenntnis, dass die planetare Krise zu einer globalen Gesundheitskrise geworden ist.
Um eine lebenswerte Zukunft für die Menschheit zu sichern, müssen wir das Erdsystem stabilisieren. Wir verfügen nun über den wissenschaftlichen Rahmen, um die Stabilität des Erdsystems systematisch mit der menschlichen Gesundheit zu verknüpfen.“

„Die menschliche Gesundheit hängt von einem stabilen Erdsystem ab. Wenn wir jetzt handeln, können wir diesen Notfall der planetaren Gesundheit in eine Chance für Prävention, Gerechtigkeit und Wohlbefinden für alle verwandeln,“ erklärt Traidl-Hoffmann.

Vier Eckpunkte für Maßnahmen

Der Kommentar hebt die Bedeutung integrierter Überwachung, gerechtigkeitsorientierter Politik und von Kommunikationsstrategien hervor, die über die wissenschaftliche Gemeinschaft hinauswirken. Er benennt vier zentrale Handlungsfelder, die von Forschenden und Praktiker*innen gleichermaßen als essenziell angesehen werden:

  • Überwachung von Erdsystem und menschlicher Gesundheit: Systematische Untersuchung der Gesundheitsauswirkungen von Veränderungen im Erdsystem, mit kontinuierlich aktualisierten Daten, um Bedrohungen zu bewerten und fundierte Entscheidungen zu ermöglichen.
  • Gerechtigkeitsorientierte Politik: Sicherstellung des universellen Zugangs zu lebenswichtigen Ressourcen für alle – bei gleichzeitiger Berücksichtigung der unverhältnismäßigen Auswirkungen von Veränderungen im Erdsystem auf künftige Generationen, indigene Bevölkerungen und marginalisierte Gemeinschaften, die am wenigsten zur Destabilisierung des Erdsystems beigetragen haben.
  • Tatsächliche Kosten-Nutzen-Rechnung: Offenlegung der versteckten Gesundheitskosten durch Umweltzerstörung und der realen Vorteile des Schutzes der Natur für den Menschen, um effiziente Veränderungen zu identifizieren – etwa würde die Transformation des globalen Ernährungssystems deutlich weniger kosten als die derzeit entstehenden verdeckten Schäden.
  • Integrierte Kommunikation: Förderung des Verständnisses, dass Umweltprobleme die Gesundheit, Sicherheit und das Wohlergehen aller bedrohen – und gleichzeitig Wege für gemeinsames Handeln aufzeigen.

„Als Ärztin sehe ich die Symptome – Hitzestress, Atemwegserkrankungen, die Allergie-Epidemie – aber die Wissenschaft liefert uns das Rezept: systemischer Wandel für einen gesünderen Planeten und gesündere Menschen“, erklärt Claudia Traidl-Hoffmann.

Kommentare in Fachzeitschriften sind kurze, meinungs- oder positionsbasierte Beiträge. Sie beleuchten in der Regel aktuelle Themen, Forschungsergebnisse oder ethische Fragen. Nicht immer peer-reviewed, unterliegen sie dennoch strengen Redaktionskriterien und werden nur auf Einladung verfasst oder sorgfältig aus Einreichungen für die Publikation ausgewählt. Experten und Expertinnen, zumeist mit sehr hoher Reputation, können Diskussionen anstoßen, ein Bewusstsein für Fragestellungen schaffen oder eine Einordnung vornehmen. Ihr Einfluss gilt als hoch.

Auch der Zeitpunkt der Veröffentlichung ist bedeutsam: In diesem Monat jährt sich zum zehnten Mal der Bericht der Rockefeller Foundation–Lancet-Kommission aus dem Jahr 2015, der das Fachgebiet und die gesellschaftliche Bewegung der Planetaren Gesundheit begründet hat.

Der Kommentar erscheint online in der Ausgabe vom 16. Juli von The Lancet.

 

Liste der Co-Autoren:

 

Samuel S. Myers (joint first author) 

  • Johns Hopkins Institute for Planetary Health, Johns Hopkins University, Baltimore, MD, USA 
  • Planetary Health Alliance, Washington, DC, USA 
     

Oskar Masztalerz (joint first author) 

  • Potsdam Institute for Climate Impact Research, Member of the Leibniz Association, Potsdam, Germany 
     

Samantha Ahdoot 

  • University of Virginia School of Medicine, University of Virginia, Charlottesville, VA, USA 
     

Sabine Gabrysch 

  • Potsdam Institute for Climate Impact Research, Member of the Leibniz Association, Potsdam, Germany 
  • Institute of Public Health, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Germany 
  • Heidelberg Institute of Global Health, Faculty of Medicine and University Hospital, Heidelberg University, Heidelberg, Germany 


Joyeeta Gupta 

  • Department of Geography, Planning and International Development Studies, Amsterdam Institute for Social Science Research, University of Amsterdam, Amsterdam, Netherlands 
  • IHE-Delft Institute for Water Education, Delft, Netherlands 

 

Andy Haines 

  • Centre on Climate Change and Planetary Health, London School of Hygiene and Tropical Medicine, London, UK 


Henrika Kleineberg-Massuthe 

  • Institute of Public Health, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Germany 


Nathalie J Lambrecht 

  • Center for Innovation in Global Health, Stanford University, Stanford, CA, USA 


Philip J Landrigan 

  • Global Observatory on Planetary Health, Boston College, Chestnut Hill, MA, USA 


Jemilah Mahmood 

  • Sunway Centre for Planetary Health, Sunway University, Kuala Lumpur, Malaysia 

 

Lisa M Pörtner 

  • Potsdam Institute for Climate Impact Research, Member of the Leibniz Association, Potsdam, Germany 
  • Institute of Public Health, Charité – Universitätsmedizin Berlin, corporate member of Freie Universität Berlin and Humboldt-Universität zu Berlin, Berlin, Germany 

Jason Rohr 

  • Department of Biological Sciences, Eck Institute of Global Health, Environmental Change Initiative, University of Notre Dame, Notre Dame, IN, USA
     

Claudia Traidl-Hoffmann 

  • Institute of Environmental Medicine and Integrative Health, Faculty of Medicine, University of Augsburg, Augsburg, Germany 
  • Institute of Environmental Medicine, Helmholtz Munich, Augsburg, Germany 

 

Amanda S Wendt 

  • Potsdam Institute for Climate Impact Research, Member of the Leibniz Association, Potsdam, Germany 

 

Britt Wray 

  • Department of Psychiatry and Behavioral Sciences, School of Medicine, Stanford University, Stanford, CA, USA 

 

Johan Rockström 

  • Potsdam Institute for Climate Impact Research, Member of the Leibniz Association, Potsdam, Germany 
  • Institute of Environmental Science and Geography, University of Potsdam, Potsdam, Germany 
  • Stockholm Resilience Centre, Stockholm University, Stockholm, Sweden 

 

 

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