XXXVIIe Congrès de la Société allemande des Romanistes

Augsburg
Pixabay

Appel à communication pour le XXXVIIème Congrès de la Société allemande des Romanistes à Augsbourg « L’Europe entre régionalisme et mondialisation »
(Romanistentag - 04.-07.10.2021)

 

Chers et chères romanistes,

 

 

J’espère que vous avez pu jusqu’ici tous et toutes traverser dans les meilleurs conditions possibles cette période peu commune que nous vivons. Je garde bon espoir que nous pourrons nous retrouver aussi nombreux que possible à Augsbourg pour le XXXVIIème Congrès des romanistes en octobre (04.10.2021-07.10.2021). Le thème général « L’Europe entre régionalisme et mondialisation » porte à la fois sur des thématiques et des problématiques politiques actuelles mais offre également la possibilité de mener une réflexion plus générale sur les problématiques de la romanistique.

 

De par son objet de recherche, c’est-à-dire les langues, les littératures et les cultures romanes, la romanistique allemande pose depuis toujours la question des relations entre l’Europe du nord et les régions européennes de la Méditerranée. Ernst Robert Curtius s’intéressait déjà aux origines de l’Europe dans son ouvrage La littérature européenne et le Moyen âge latin (Europäische Literatur und lateinisches Mittelalter – 1948). Dans une période où l’Europe semble osciller entre des mouvements nationaux réactionnaires et un élargissement intégratif, le congrès des romanistes doit fournir l’occasion d’examiner les possibles contributions de la discipline à une réflexion sur l’Europe.

 

La thématique générale s’accorde avec l’histoire de la ville hôte du congrès. Augsbourg est une importante ville de la Renaissance ainsi que de l’Antiquité romaine. Elle est un carrefour historique entre le nord et le sud de l’Europe tant pour l’économie que pour la culture (Fugger, commerce autour du livre etc.)

 

De nombreuses propositions de section nous sont parvenues et nous aimerions adresser nos remerciements à toutes les personnes qui ont contribué. Six expert.es anonymes ont selectionné 22 sections parmi toutes les propositions en suivant la procédure du double-blind peer review. Sept sections seront dédiées aux études littéraires, huit à la linguistique, six aux études culturelles et une à la didactique. Nous remercions également chalereusement les six expert.es !

 

Nous nous réjouissons de toutes les propositions de communication (max. 600 mots bibliographie sélective incluse), qui doivent être envoyées jusqu’au 30.01.2021 aux président.es des sections.

 

 

Rotraud von Kulessa (Augsbourg)
Présidente de la Société allemande des Romanistes

Sections - études littéraires

Die Aufklärung lässt sich zweifelsohne als ein Zeitalter der globalen Expansion beschreiben, wenn diese Expansion auch anders als in den beiden ihm vorangehenden Jahrhunderten charakterisiert ist. Signatur des 18. Jahrhunderts ist weniger der Schock des Neuen als die Reflexion des Anderen. Die Eroberungen und Entdeckungen konzentrieren sich nun eher auf den pazifischen Raum, eine Vielzahl von Forschungsreisen führen aber auch in geographisch nähere Räume, vom Maghreb bis in den Kaukasus. Politisch ist man hauptsächlich um die Konsolidierung bestehender kolonialer Dominanzverhältnisse bemüht, wissenschaftlich-literarisch hingegen ist der Diskurs in Europa auf die ganze Welt hin geöffnet. Freilich ist dies eine Öffnung, die eine Selbstreflexion, ja Selbsthinterfragung impliziert und damit konkurrierende Deutungsansprüche spiegelt.

 

Begegnungen zwischen Kolonisatoren und Kolonisierten werden vielfach zum Gegenstand, und zwar sowohl in nach damaligem Stand als wissenschaftlich geltenden Schriften (v.a. aus den Bereichen der sich langsam entwickelnden Ethnologie und Anthropologie) als auch im Bereich der fiktionalen Literatur. Wenn deren Fokus häufig der (hypothetisch angenommene) Naturzustand ist, sind die Vorstellungen von diesem in der Regel als Deutung und Urteil über die eigenen europäischen Zustände zu lesen.
Die überseeischen Gebiete eignen sich auf besondere Art und Weise für solche Reflexionen und Projektionen, weil sie durch ihre große Entfernung zu Europa nicht dessen (vorgeblich negativen) Einflüssen ausgesetzt sind. Frei von zivilisatorischen Zwängen und ohne jede zivilisatorische Depraviertheit lässt sich hier ein ‚natürliches‘ Leben nach den Regeln der Natur und entsprechend der ursprünglichen Natur des Menschen imaginieren. Bekanntlich lassen sich dabei prinzipiell zwei Pole der Wahrnehmung und Beschreibung fremder Völker und Kulturen unterscheiden: die euphorische Positivierung des ‚Wilden‘ zum bon sauvage/homme naturel, der den ursprünglichen Naturzustand des Menschen repräsentiere, und der Behauptung der europäischen Superiorität, die teilweise klimatheoretisch ‚nachzuweisen‘ unternommen wird. Maßgeblich für die jeweilige Darstellung der fremdkulturellen Wirklichkeiten und ihrer argumentativen Funktionalisierung sind dabei die Wirkabsichten und die mentalen Dispositionen der Autoren, wie beispielsweise (um erneut zwei polare Modelle zu benennen) in den Berichten europäischer Missionare oder in den dialogischen Texten Diderots.

 

Die Kolonien sind jedoch nicht nur ein (mentaler) Begegnungsraum der Europäer mit den kolonisierten Völkern, sondern auch Europa wird vielfach zum Ort der interkulturellen Begegnung, sei es faktual im gelehrten, enzyklopädischen Diskurs oder fiktional in literarischen Texten, die die Konfrontation unterschiedlicher kultureller Wertesysteme inszenieren. So ist etwa in der libertinen Literatur die Verortung des Geschehens in einem mannigfaltigen fiktiven ‚Orient‘ keineswegs als bloße Maskerade abzutun. Vor allem in der im 18. Jahrhundert sehr beliebten Gattung des Briefromans begegnen uns immer wieder ‚Wilde‘, die auf unterschiedliche Weise nach Europa gekommen sind und die dortigen, aus ihrer Sicht fremdkulturellen Gegebenheiten beschreiben und bewerten. Immer herrscht eine starke Interferenz von (imaginierter) Fremd- und Eigenwahrnehmung vor.

 

Die Sektion verfolgt also eine auf mehrfache Weise doppelte Ausrichtung. So will sie selbst zu einem Begegnungsraum werden, der neue Perspektiven auf die Literatur des 18. Jahrhunderts eröffnet, indem er häufig ‚polar‘ Getrenntes reflexiv zusammenführt: zum einen den Blick von Europa  auf die fremde Welt mit dem (fiktiven) Blick der Fremden auf Europa, zum anderen fiktionale mit faktualen Gattungen, literarische Texte (u.a. literarische Reiseberichte, Berichte über fiktive Reisen, Reiseutopien etc.) mit enzyklopädisch-wissenschaftlichen (ethnologischen, anthropologischen, politischen etc.) Schriften, und drittens Texte von Autorinnen und Autoren, die in ihrer Muttersprache schreiben, mit solchen, die sich einer anderen Sprache, etwa des Französischen, als Elitensprache bedienen.

 

Bei dieser Thematik liegen französische Texte gewiss nahe, jedoch sind Beiträge aus anderen romanischen Literaturen (auch mit Blick auf Übersetzungen) nicht nur möglich, sondern explizit erwünscht. Eine Perspektive könnten beispielsweise die Rezeptions- und Reaktionsmuster bilden, die sich einerseits in den lang etablierten spanischen und portugiesischen Kolonien, andererseits im kolonialer Expansion fernen Italien im Hinblick auf die französisch inspirierten Diskurse und Debatten feststellen lassen.

 

Auswahlbibliographie

 

Aravamudan, Srinivas (2012), Enlightenment Orientalism: resisting the rise of the novel, Chicago, University of Chicago Press.

 

Baudet, Henri (1965), Paradise on Earth. Some Thoughts on European Images of Non- European Man, New

 

Haven, Greenwood Press.

 

Ellingson, Ter (2001), The Myth of the Noble Savage, Berkeley, University of California Press.

 

Gómez de la Serna, Gaspar (1974), Los viajeros de la Ilustración, Madrid, Alianza Editorial.

 

Greilich, Susanne/Struve, Karen (ed.) (2013), „Das Andere Schreiben“. Diskursivierungen von Alterität in Texten der Romania (16.-19. Jahrhundert), Würzburg, Königshausen & Neumann.

Lüsebrink, Hans-Jürgen (ed.) (2006), Das Europa der Aufklärung und die außereuropäische koloniale Welt, Göttingen, Wallstein.

 

Mondot, Jean (ed.) (1985), Regard de/sur l’étranger au XVIIIe siècle, Bordeaux, Presses universitaires.

 

Moussa, Sarga/Stroev, Alexandre (ed.) (2014), L’invention de la Sibérie par les voyageurs et écrivains français (XVIIIe-XIXe siècles), Paris, Institut d’études slaves, Paris.

 

Paschoud, Adrien (2008), Le monde amérindien au miroir des „Lettres édifiantes et curieuses“, Oxford, Voltaire Foundation.

 

Tietz, Manfred/Briesemeister, Dietrich (ed.) (2001), Los jesuitas españoles expulsos. Su imagen y su contribución al saber sobre el mundo hispánico en la Europa del siglo XVIII, Frankfurt am Main, Veruvert.

 

 

Kontakt: henning.hufnagel@uzh.ch, Beatrice.Nickel@rub.de

Je donne grande autorité à mes désirs et propensions.
Je n’aime point à guérir le mal par le mal.
Je hais les remèdes qui importunent plus que la maladie.
D’être sujet à la colique, et sujet à m’abstenir du plaisir de manger des huîtres, ce sont deux maux pour un.
Le mal nous pince d’un côté, la règle de l’autre.
Puisqu’on est au hasard de se méconter: hasardons-nous plustôt à la suite du plaisir. (Michel de Montaigne, De l’experience, in Essais. III)


Als Grundlage des physischen Überlebens, der Verlockung der Sinne als Ursache von Pathologien (psychischer und somatischer), durchdringt das Essen – wie auch seine Entbehrung, der Hunger –  das Alltagsleben aller Kulturen und kennzeichnet die Literaturen als eine kraftvolle Darstellung der Wirklichkeit oder wird gar zur antonomastischen Metapher (pantagruélique, zum Beispiel in ihren diversen romanischen Deklinationen.) Essen ist ein Instrument der Kulturvermittlung, da die kulturelle Stratigraphie bei Genuss der ersten Elemente auf Epochen zurückgeht, die weit vor der Moderne liegen, als die Beziehung zwischen Körper und Natur noch nicht der Warenlogik der Gesundheit und des individuellen Wohlbefindens unterlag.
Die Kulturvermittlung, mittels derer Lebensmittel hergestellt werden, ist zugleich auch eine Vermischung von Traditionen (man denke insbesondere an die Migrantengemeinschaften und den damit verbundenen Identitätswert des Essens, als auch an den kulturellen Zusammenprall zwischen diesen und der aufnehmenden Gesellschaft – der leider nicht zwangsläufig solidarischer Natur ist).

 

Essen ist darüber hinaus Agens für die Anthropisierung der Landschaft, und Geschmacksveränderungen verursachen Umweltschäden mit globalen Folgen (siehe Greenpeace-Bericht von 2019 “Countdown to Extinction” online:
https://storage.googleapis.com/planet4-international-stateless/2019/06/2beb7b30-
gp_countdown_to_extinction_2019.pdf): besonders aufgrund der Verbreitung des ecocriticims werden derartige Veränderungen in der Literatur in ihren dystopischen und prämonitorischen Implikationen untersucht, die dann auf die bildende Kunst übertragen werden.

 

Angenommen werden Beiträge in deutscher und romanischer Sprache, die das „Kulturthema Essen” in seinen verschiedensten Aspekten im Kontext der romanischen Literaturen behandeln, von den food studies (in seinen wichtigsten politischen und sozioökonomischen Implikationen) bis zu historisch-philologischen Analysen, von der Linguistik (neben dem Pantagruelischen, jede literarische oder metaphorische Verwendung in Zusammenhang mit Lebensmitteln und ihrer Aufnahme, wie z.B. verzehren, verkosten, wissen über etc.) bis hin zur rein gastronomischen Analyse (wahre Kochbücher, die in literarischen Werken enthalten sind, oder die Abläufe eines Mittagsessens/ Banketts und ihre symbolische Implikationen), von der Ideengeschichte (Konvivialität in ihrem Beitrag zur Sozialität), bis hin zum psychoanalytischen Wert des Essens, von der Anthropologie bis zur Analyse des Essens als Identitätselement in den literarischen Darstellungen von Migrantengemeinschaften und Minderheiten.

Auswahlbibliographie

 

Abderhalden, Sandra / Dallapiazza, Michael / Macharis, Lorenzo (a cura di): Schöne Kunst und reiche Tafel: über die Bilder der Speisen in Literatur und Kunst. / Belle arti e buona tavola: sul significato delle pietanze nell’arte e nella letteratura. Beiträge der Tagungen Gießen (11/12 Oktober 2014) und Urbino (14/15 Oktober 2014). / Atti dei convegni di Gießen (11/12 ottobre 2014 e Urbino (14/15 ottobre 2014). Peter Lang: Berlin 2015.

 

Anselmi, Gian Mario/ Ruozzi, Gino (a cura di): Banchetti letterari. Cibi, pietanze e ricette nella letteratura italiana da Dante a Camilleri. Carocci: Roma 2011.

 

Camporesi, Piero: Le officine dei sensi. Garzanti: Milano 1985.

 

Dürrschmidt, Jörg / Kautt, York (a cura di): Globalized eating cultures. Mediation and Mediatization. Palgrave Macmillan: Cham 2019.

 

Escher, Felix / Buddeberg, Claus (a cura di): Essen und Trinken zwischen Ernährung, Kult und Kultur. Dt. vdf Hochschulverlag: Zürich 2003.

 

Fargione, Daniela / Iovino, Serenella: Contaminazioni ecologiche. Cibi, nature e culture. Led: Milano 2015.

 

Forino, Imma: La cucina. Storia culturale di un luogo domestico. Einaudi: Torino 2019.

 

Illich, Ivan: Tools for Conviviality. Harper & Row: New York 1973.

 

Kashiwagi-Wetzel, Kikuko / Meyer, Anne-Rose (a cura di): Theorien des Essens. Suhrkamp: Berlin 2017.

 

Montanari, Massimo: La fame e l’abbondanza. Storia dell’alimentazione in Europa. Laterza: Bari-Roma 1997.

 

Motta, Giovanna: Food and Culture. History Society Communication. Edizioni Nuova Cultura: Roma 2017.

 

Ott, Christine: Identität geht durch den Magen. Mythen der Esskultur. S. Fischer: Frankfurt a. M. 2017.

 

Poulain, Jean-Pierre (a cura di): Dictionnaire des cultures alimentaires. Presses Universitaires de France: Paris 2012.

 

Rudke, Tanja: Kulinarische Lektüre: Vom Essen und Trinken in der Literatur. Transcript: Berlin 2014.

 

Shahani, Gitanjali G.: Food and Literature. Cambridge: Cambridge University Press 2018.

 

Spitzer, Leo: Die Umschreibungen des Begriffes "Hunger" im Italienischen, Halle (Saale): Max Niemeyer, 1920.

 

Wierlacher, Alois/ Neumann, Gerhard / Teuteberg, Hans Jürgen (a cura di): Kulturthema Essen: Ansichten und Problemfelder. Akademie Verlag: Berlin 1993.

 

Wierlacher, Alois/ Bendix, Regina (a cura di): Kulinaristik: Forschung – Lehre – Praxis. Lit.Verl. 2008.

 

 

Kontakt: rebaudengomaurizio@gmail.com, vera_faenger@hotmail.de

Vor dem Hintergrund der aktuellen Krisenerfahrung von COVID19 scheinen bisher allgemeingültige Praxen und Paradigmen wie die der transarealen Mobilität im Kontext von Ansteckungsrisiken, aber auch Diskursen der Nachhaltigkeit neu zu perspektivieren zu sein. Dies ist der Ausgangspunkt für unsere Sektion die Serie, eine üblicherweise mit den Metropolen der Moderne assoziierte Form, mit dem Raum der ‚Provinz‘ zu konfrontieren, d.h. Narrativierungen von Regionalität und Entschleunigung ins Zentrum zu rücken.

 

Das ästhetische Prinzip der Serie stellt eine kulturelle Manifestation primär urbanen Charakters dar: Es bildet sich mit der technisch-industriellen Massenkultur in Form der beschleunigten Bewegung von Mensch und Maschine heraus. Damit verbunden ist die Optimierung von Produktionsabläufen, aber auch die zunehmende Reglementierung und Ökonomisierung des menschlichen Alltags. Durch seine Rekurrenz auf Wiederholungsstrukturen rekurriert das Serielle auch mit der Provinz, die landläufig vielfach als rural-monotoner und ‚langweilig’-immobiler Raum verstanden wird, der von einem differenten, d.h. von modernistischen Attraktionen und Transformationen scheinbar relativ abgekoppelten Alltag und Rhythmus geprägt ist.
Die in den Metropolen produzierten Zeitungen und die in ihnen publizierten Feuilletonromane sind Sinnbild einer radikal beschleunigten Verbreitung von Artefakten, denen nun eine sequenziert-episodisch Form eingeschrieben ist. Doch in diesen Organen wird die Provinz als das ‚entschleunigte‘ Andere der Moderne auch zu einem populären Imaginären. Viele serielle Formate zeigen, angesichts der Industrialisierung und des sozialen Elends, aber auch von Sommerfrische und Massentourismus eine besondere Affinität zum Regionalen als Gegenraum. Als Beispiele hierfür können etwa Balzacs Illusions perdues (1837ff.) dienen, wo das Leben der Restauration anhand zweier rivalisierender Orte der Charente kontrastiv zu Paris verhandelt wird. Die Episoden der Zeitschrift Novela ideal (1925ff.) wählen die Provinz hingegen, um den widrigen Lebensbedingungen der Arbeiterklasse eine Alternativwelt entgegenzusetzen. Zeitgenössischer betreiben die seit einigen Jahrzehnten populären Regionalkrimiserien, etwa Eva García Sáenz und Dolores Redondos baskische Erfolgsromane, eine Aufwertung des Regionalen. Maurice Pialats Miniserie La maison des bois (1970), die ein Porträt eines kleinen entlegenen Ortes der Oise zeichnet, entwickelt mit ihrem Fokus auf lokalen Alltagshandlungen eine unspektakulär-humanistische Poetik des Seriellen. Die populäre Netflix-Thrillerserie Le chalet (2018) wählt die Provinz hingegen als Vehikel für die Mise-en-scène verdrängter unbewusster Ängste.

 

Diese Sektion will unterschiedlichste Manifestationen von Regionalität und Serialität ergründen –ausgehend von den kultur- und technikgeschichtlichen Umbrüchen einer sich zeitlich und räumlich sehr unterschiedlich manifestierenden Glokalisierung. Zum einen will sie dabei ausloten, wie anhand regionaler Zugriffe soziales Zusammenleben mittels serieller Formen zwischen 1850 und 2020 in unterschiedlichen romanischen Regionen ausgehandelt wird. Wie wird in Literatur und Medien über (post-)moderne Lebensbedingungen in der Provinz reflektiert? Wie werden prototypische Themen der metropolitanen Moderne wie technischer Fortschritt und Beschleunigung, Massenkultur und Mode hier anders gefasst? Zum anderen profiliert die Sektion die inszenatorischen Spezifika, welche der Verbindung der beiden Konzepte entspringen. Im Fokus stehen dabei ebenso Repräsentationen regionaler Chronotopoi in seriellen Formaten und Genres wie die dezentrale Produktion, Vermarktung und Rezeption serieller Artefakte.

Mögliche Themenfelder der Sektion sind u.a.: 

  • Theorien serieller Provinz’: Konzeptuelle Auseinandersetzungen mit einer spezifischen Serialität des Regionalen. Wie reflektieren serielle Formen seit dem Feuilletonroman ‚prekäre’ rurale Lebensrealitäten vor dem Hintergrund von Industrie- und Agrarkrisen, aber auch der Privatisierung öffentlicher Strukturen? Wie sind Theorien der mit Blick auf metropolitane Entwicklungen hin perspektivierten Serialität und Moderne regional zu adaptieren?
  • ‚Lob der Provinz‘: Literatur und Medien rund um regionale Themen und (Sprach-)Minderheiten, die mit einer zyklisch-seriellen Repräsentation einer Region verbunden sind, oft in Abgrenzung zur ‚trivialen’ Kulturindustrie der Metropolen: Wie werden hier alternative Alltage in differente Poetiken übersetzt, d.h. andere Räume, Rhythmen und (Im-) Mobilitäten aufgezeigt (von den Félibriges über die Arbeiterliteratur bis zum italienischen Regionalkino)?
  • ‚Kommerzialisierung von Provinz‘: Literarisch-mediale Hypes rund um touristisch relevante Regionen wie Sizilien, Südtirol oder die Bretagne: ihre Inszenierung in Feuilleton- oder Kriminalromanen; Strategien der multimedialen Remediatisierung (Hörbücher, Verfilmungen...) und des (in- )direkten Nutzbarmachens von Literatur für das ‚Labeling‘ von Regionen (von Leonardo Sciascia bis zum Kommissar Dupin der ARD).

 

 

Auswahlbibliographie

 

Rob Allen/Thijs van den Berg ed. 2014, Serialization in Popular Culture. New York, Routledge.

 

Aubry, Danielle 2006, Du roman-feuilleton à la série télévisuelle. Pour une rhétorique du genre et de la sérialité. Bern, Lang.

 

Julie Bartosch 2016, Affirmation oder Dekonstruktion von Provinz. Zwei Grundtypen des Provinzkrimis, in: Germanica 58.

 

Julien Bobineau/Jörg Türschmann ed. 2020, TV-Serien in der Romania. Wiesbaden: Springer VS.

 

Éric Bussière 2012, Régionalisme européen et mondialisation, in: Les Cahiers Irice 9 (1).

 

Frank Kelleter ed. 2012, Populäre Serialität. Narration – Evolution – Distinktion. Zum seriellen Erzählen seit dem 19. Jahrhundert. Bielefeld, transcript.

 

Matthieu Letourneux 2017, Fictions à la chaîne. Littératures sérielles et culture médiatique. Paris, Seuil.

 

PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft 23 (90), Der Nationalstaat zwischen globaler Ökonomie, regionaler Blockbildung und regionalistischem Separatismus.

 

Sabine Schrader/Daniel Winkler ed. 2014, TV glokal. Europäische Fernsehserien und transnationale Qualitätsformate. Marburg, Schüren.

 

Frans Schrijver 2006, Regionalism After Regionalisation: Spain, France and the United Kingdom. Amsterdam, University Press.

 

Birgit Wagner ed. 2016, Bruch und Ende im seriellen Erzählen – vom Feuilletonroman zur Fernsehserie. Göttingen, V & R unipress.

 

Daniel Winkler/Ingo Pohn-Lauggas/Martina Stemberger ed. 2018, Serialität und Moderne. Feuilleton, Stummfilm, Avantgarde. Bielefeld, transcript.

 

 

Kontakt: teresa.hiergeist@univie.ac.at, daniel.winkler@univie.ac.at

Die Sektion hat ein doppeltes Erkenntnisinteresse: Sie möchte die rumänischen Literaturen im globalen Kontext ebenso in den Blick nehmen wie die mehrsprachigen Literaturen Rumäniens in ihrer Verschränkung mit der westlichen und südlichen Romania, und dabei das Potenzial der Rumänistik für eine transnationale, komparatistisch ausgerichtete Romanistik herausstellen.

 

Theoretische Grundlage der Sektion ist die Einsicht, dass nur eine relationale Epistemologie («nodal epistemology») erlaubt, die Wechselwirkungen im weltliterarischen System ohne west-eurozentrische Vergleiche und Verschiebungen in den Fokus zu rücken. Die Vielfalt der Literaturen, mit denen sich die Rumänistik beschäftigt, wird als ein Resonanzraum für die romanischen Literaturen des Westens und ihre bislang zu wenig beachteten Verflechtungen mit der südosteuropäische Geschichte verstanden. Solch ein Zugriff erlaubt auch, den Kanon der Romanistik zu hinterfragen, denn die Rumänistik ist in besonderem Maße dem Dialog zwischen den Literaturen der östlichen und westlichen Romania verpflichtet.

 

Umso kritischer ist der Umstand zu diskutieren, dass die rumänische Literatur lange Zeit als monokulturelle, einsprachige Nationalliteratur betrachtet wurde. Die paradoxe Erwartung einer Entwicklung vermeintlich ‚typisch rumänischer‘ literarischer Formen, die zugleich europäisches Format aufweisen sollten, führte zu einer starken Polarisierung. Zum einen richteten Literaturhistoriker*innen ihren Blick nach Westeuropa, insbesondere nach Frankreich, um dort ästhetische und kulturelle Modelle für die rumänische Literatur zu finden. Diese Deutung der Konstitution der modernen rumänischen Nationalliteratur basierte größtenteils auf der Idee eines Kulturtransfers von Westen nach Osten, wobei dieser Transfer als Bedingung und Grundlage lokaler Modernisierungsprozesse fungierte («der Westen im Osten»). Dieses Phänomen bezeichnete die Literaturwissenschaftlerin Monica Spiridon als «Selbstkolonisierung».
Die entgegengesetzte Tendenz setzte mit der Suche nach einem vermeintlichen rumänischen Sonderweg ein («der Osten ohne Westen»).

 

Was solche binären Oppositionen (Ost-/Westeuropa) jedoch ausblenden, ist die stets vielfältige Einbettung der rumänischen Literaturen: sowohl in eine lokale Geschichtsregion, nämlich die der ost- und südosteuropäischen Regionen, als auch in ein « global design » (Walter D. Mignolo), welches weit über die Grenzen des europäischen Kontinents hinausgeht. Im 20. Jahrhundert steht der Beitrag rumänischsprachiger Schriftsteller*innen zu den gesamteuropäischen Avantgardebewegungen exemplarisch für diese mehrfache Einbettung, aber man kann sie weiterhin sowohl in früheren Epochen der Literaturgeschichte als auch in unserer globalisierten Gegenwart gleichermaßen erkennen. Unsere Sektion möchte dieses Phänomen der mehrfachen Bezüge in den Blick nehmen und es beispielhaft an den zahlreichen rumänischen und osteuropäischen Protagonist*innen in den Literaturen der gesamten Romania untersuchen.

 

Schriftsteller*innen wie Anna de Noailles, Marta Bibescu/Marthe Bibesco, Ilarie Voronca, Benjamin Fundoianu/Fondane, Tristan Tzara, Mircea Eliade, Emil Cioran, Eugen Ionescu/Eugène Ionesco sind heute als «französische / frankophone Schriftsteller*innen rumänischer Herkunft» international bekannt. Ihr Werk wird indes zu einseitig im Rahmen entweder der rumänischen oder der französischen Literatur verhandelt. Auch Bezeichnungen wie «rumänisch-französische» Autor*innen sind keine Alternativen, sondern führen oft zu Marginalisierung in beiden Literaturgeschichten. Außerdem hatten diese wie zahlreiche andere Akteure*innen viel komplexere Lebens- und Schaffenswege, bei denen Frankreich letztlich nur eine von mehreren Stationen war. Mircea Eliade wurde zwar in Paris, wo er lange Jahre gelebt und gearbeitet hat, international bekannt, aber sein Oeuvre und sein Leben wurden ebenso entscheidend von seinen Aufenthalten in Indien, Portugal und den USA geprägt. Der rumänisch- jüdische Maler und Schriftsteller Emeric Marcier ließ sich in den 1930er Jahren in Paris nieder, musste aber in den 1940er Jahren nach Brasilien emigrieren. Solche Biographien verweisen zum einen auf die zentrale Rolle, die osteuropäische Protagonist*innen in den westlichen romanischen Literaturen spielen. Zum anderen wird deutlich, dass das Untersuchungsfeld über die westlichen romanischen Literaturen hinaus erweitert werden muss.

 

Aus der von uns vorgeschlagenen Perspektive wird klar, wie sehr die westlichen Literaturen und ihr Kanon durch emigrierte rumänische Schriftsteller*innen modelliert wurde. Eugène Ionesco oder Emil Cioran spielten eine wichtige Rolle im französischen Literaturfeld der Nachkriegszeit — doch welche Aspekte ihres Schaffens werden in der Rezeption außer Acht gelassen? Welche Aspekte rücken dafür in den Mittelpunkt? Wie kann man in der Rezeption gerade der mehrfachen Einbettung dieser Autor*innen gerecht werden? Unter welcher Fragestellung können wir nicht zuletzt die vergessenen osteuropäischen Protagonist*innen in der Romania in den Blick nehmen?
Damit verbunden ist die zweite Frage, die im Fokus unserer Sektion steht: Welchen Beitrag kann die Rumänistik in diesem Zusammenhang leisten? Unser Interesse zielt auf die Entwicklung des Fachs selbst, so wie sie sich im deutschsprachigen Raum der vergangenen Jahrzehnte geschlagen hat.Dieser zweite thematische Schwerpunkt soll im Rahmen eines runden Tisches am Nachmittag des 7.10. abschließend diskutiert werden.

 

 

Auswahlbibliographie

 

Pascale Casanova: La République mondiale des Lettres [1999]. Éd. revue et corrigée. Paris 2008.

 

Manuela Boatcă: Laboratoare ale modernității. Europa de Est și America Latina în (co)relație. Cluj 2020.

 

Ottmar Ette: WeltFraktale: Wege durch die Literaturen der Welt. Stuttgart 2017.

 

Mircea Martin, Christian Moraru, Andrei Terian (eds.): Romanian Literature as World Literature. New York 2017.

 

Walter Mignolo: Local Histories, Global Designs [2000]. New Jersey 2012.

 

Mihaela Ursa: Identitate și excentricitate: Comparatismul românesc între specific local și globalizare. Bukarest 2013.

 

 

Kontakt: romanita.constantinescu@rose.uni-heidelberg.de, dondorici@zedat.fu-berlin.de

Innerhalb der Erzählforschung nimmt die Thematik des unzuverlässigen Erzählens eine zentrale Rolle ein. Doch wann genau wird eigentlich „unzuverlässig“ erzählt? Einem ersten intuitiven Verständnis des Phänomens folgend lässt sich festhalten, dass eine Erzählinstanz dann unzuverlässig ist, wenn es begründeten Anlass gibt, ihre Aussagen über die erzählte Welt oder die Glaubwürdigkeit ihrer Person an sich zu bezweifeln.
Demzufolge hängt unser Verständnis von unzuverlässigem Erzählen jedoch maßgeblich davon ab, was überhaupt als „zuverlässiges“ Erzählen gilt; eine weitere Frage, die alles andere als evident ist.

 

In der Narratologie sind verschiedene Versuche unternommen worden, das Phänomen unzuverlässigen Erzählens zu systematisieren. Während der US-amerikanische Literaturwissenschaftler W. C. Booth „Unzuverlässigkeit“ in der Diskrepanz zwischen den fragwürdigen Aussagen des Erzählers und den Ansichten eines anzunehmenden impliziten Autors verortet (The Rhetoric of Fiction, 1961) und damit die Erzähltheorie nachhaltig geprägt hat, untersucht eine konstruktivistisch geprägte Forschungslinie „Unzuverlässigkeit“ als Lektüreeffekt, der aus der Interaktion zwischen Text und RezipientIn hervorgeht. Inkonsistenzen und Verfremdungseffekte im Text könnten während des Lektüreprozesses, so die theoretische Prämisse, durch die Projektion einer unzuverlässigen Erzählinstanz rationalisiert werden (Yacobi 1987, 2001; Nünning 1998, 1999). Demzufolge ist die Möglichkeit der Wahrnehmung von Unzuverlässigkeit selbst wiederum dem kulturellen und historischen Wandel unterworfen (Nünning 2005).
Aktuellere Forschungsbeiträge wiederum tendieren dazu, den scharfen Gegensatz durch den Entwurf eines dreigliedrigen Analysemodells zu überwinden, in dem von einer Wechselbeziehung zwischen den Instanzen des Kommunikationsmodells (AutorIn-Text- LeserIn) ausgegangen wird und allen drei Bereichen Relevanz bei der Erzeugung von Unzuverlässigkeit zugesprochen wird (Phelan 2005; Phelan und Martin 1999; Olson 2003). Darüber hinaus haben innovative kognitionstheoretische Ansätze auf der Grundlage evolutionärer Einsichten in kommunikative Prozesse ein erneuertes Verständnis von „Unzuverlässigkeit“ als unkooperativem Erzählen entwickelt (Kukkonen 2013).

 

Wenn also davon auszugehen ist, dass erzählerische „Unzuverlässigkeit“ fiktionaler Texte nicht objektiv gegeben ist und daher weder allein als intendierter Kunstgriff realer AutorInnen zu bewerten ist, noch eine radikal subjektive und damit letztlich arbiträre Zuschreibung sein kann, so stellt sich auch die Frage ob und unter welchen Voraussetzungen besondere Textsignale überhaupt der Erzeugung von „Unzuverlässigkeit“ dienen.

 

In dieser Sektion soll dem Phänomen der Unzuverlässigkeit sowie der Frage nach den stillschweigenden Voraussetzungen nachgegangen werden, auf denen ihre Abgrenzung vom zuverlässigen Erzählen beruht, wie beispielsweise das Vertrauen in die Sprache als adäquates Medium der Repräsentation von Wirklichkeit und die Vorstellung des vermeintlich zuverlässigen Erzählers als fiktionales Abbild eines sich selbst transparenten, rationalen Subjekts. Damit verbunden stellen sich die Fragen nach dem Verhältnis zwischen Unzuverlässigkeit und Zuverlässigkeit, Referentialität und Selbstreferentialität. Insbesondere wenn Fiktion nicht die außersprachliche Welt abbildet, sondern in Herausgeberfiktionen, Autorfiktionen, Buch-im-Buch-Fiktionen o.ä. spielerisch das Literatursystem selbst reflektiert und sich ihrer selbst bewusste Erzählinstanzen vom Schreiben und von sich selbst sprechen, begibt sie sich in einen Bereich der Illusionsbrüche und Verfremdungen, der Unschlüssigkeit und Unzuverlässigkeit zuträglich scheint.

 

Zur Diskussion stehen weitere aktuelle theoretische Fragen: Sind unzuverlässige Erzähler moderner und postmoderner Literatur vorbehalten? Welche literaturwissenschaftlichen Probleme bringt die ahistorische Projektion einer unzuverlässigen Erzählinstanz als Naturalisierungsstrategie mit sich? Besteht gleichermaßen die Gefahr, kulturelle Alterität mit Unzuverlässigkeit zu verwechseln? (Jedličková 2008). Welche besonderen narratologischen Erkenntnisse ermöglicht die Kognitionsforschung? Und wie lässt sich unzuverlässiges Erzählen von der fiktionale- Welten-Theorie aus denken?
Ausgehend von der aktuellen Erzählforschung zur Erzeugung von Unzuverlässigkeit in Fiktion wollen wir dazu einladen, über Einzelfallstudien und komparatistische Textanalysen zu einem tieferen Verständnis zu gelangen und auch die historische Perspektive eines sich wandelnden Phänomens auszuloten, das innerhalb literatur- und kulturwissenschaftlicher Überlegungen noch nicht abschließend diskutiert worden ist.

 

Auswahlbibliographie

 

Booth, W. C.: The Rhetoric of Fiction, Chicago, IL: University of Chicago Press, 1961.

Jedličková, A. „An Unreliable Narrator in an Unreliable World. Negotiating between Rhetorical Narratology, Cognitive Studies and Possible Worlds Theory“, in: D’Hoker, E./Martens, G. (Hrsg.): Narrative Unreliability in the Twentieth-Century First- Person Novel, Berlin: De Gruyter, 2008.

Kukkonen, K.: „Flouting figures. Uncooperative narration in the Fiction of Eliza Haywood“, in: Language and Literature 22 (3) 205-218, 2013.

Nünning, A.: „Reconceptualizing Unreliable Narration: Synthesizing Cognitive and Rhetorical Approaches“, in: Phelan, J./Rabinowitz, P. J. (Hrsg.): A Companion to Narrative Theory, Malden, MA, USA Oxford, UK: Blackwell Publishing, 2005.

Nünning, A.: Unreliable Narration: Studien zur Theorie und Praxis unglaubwürdigen Erzählens in der englischsprachigen Erzählliteratur, Trier: Wissenschaftlicher Verlag Trier, 1998.

Nünning, A.: „Unreliable, Compared to What? Towards a Cognitive Theory of Unreliable Narration: Prolegomena and Hypotheses“, in: Grünzweig, W./Solbach, A. (Hrsg.): Grenzüberschreitungen. Narratologie im Kontext/Transcending Boundaries: Narratology in Context, Tübingen: Narr Verlag, 53-73, 1999.

Phelan,J.: Living To Tell About It. A Rhetoric and Ethics of Character Narration, Ithaka, NY and London: Cornell University Press, 2005.

Phelan, J./ Martin, M. P.: „‘The Lessons of Weymouth‘: Homodiegesis, Unreliability, Ethics and The Remains of the Day“, in: Herman, D. (Hrsg.): Narratologies: New Perspectives on Narrative Analysis, Columbus: Ohio State University Press, 88-109, 1999.

Olson, G.: „Reconsidering Unreliability: Fallible and Untrustworthy Narrators“, in: Narrative 11, 93-109, 2003.

Yacobi, T.: „Narrative and Normative Patterns: On Interpreting Fiction“, in: Journal of Literature Studies 3 (2), 18-41, 1987.

Yacobi, T.: „Package Deals in Fictional Narrative: The Case of the Narrator’s (Un)reliability“, in: Narrative 9, 223-9, 2001.

 

Kontakt: sarah.burnautzki@rose.uni-heidelberg.de, jobst.welge@uni-leipzig.de

 

 

Beitragsliste

 

Die Geschichte Europas ist eine Geschichte des Kontakts. Hin- und hergerissen zwischen Frieden und Krieg, Integration und Abgrenzung, Freundschaft und Rivalität geht die europäische Identität aus dem Prozess eines fortwährenden Austarierens von Nähe und Distanz hervor. Dieses – im Vergleich zu anderen Kontinenten – kleine Europa, auf dessen Fläche sich eine verhältnismäßig große Zahl von Staaten, Gesellschaften und Bevölkerungsgruppen tummelt und das zudem immer wieder von außen kommende Impulse in sich aufgenommen bzw. nach Außen weitergegeben hat, scheint in einer ganz besonderen Weise durch Dynamiken des Kontakts geprägt zu sein. Gerade das Jahr 2020 hat uns durch Grenzsperrungen, Ansteckungsängste und das Gebot der sozialen Distanzierung wieder vor Augen geführt, welchen grundlegenden Stellenwert Kontakt für unseren gemeinsamen europäischen Alltag hat.

 

Der Begriff des Kontakts eröffnet eine Metaphorik des Berührens, die immer auch das Moment eines Berührt-Werdens miteinschließt. Diese Reziprozität oder Relationalität des Kontakts ist vielleicht nirgendwo so stark ausgeprägt wie in den Sprach- und Kulturräumen der Romania, die im Laufe ihrer Geschichte – insbesondere aufgrund ihrer gemeinsamen Vorläufersprache und der sich hieraus ergebenden sprachlichen Nähe – von interkulturell wirksamen Vernetzungsdynamiken ergriffen wurden. Dies gilt insbesondere für die Epoche der Frühen Neuzeit, die sich nicht nur durch technisch- mediale Innovationen wie die Erfindung des Buchdrucks und die Entstehung eines internationalen Postwesens, sondern auch durch gemeinsam geteilte, aber auch immer wieder transnational verhandelte religiös-weltanschaulich geprägte Wertvorstellungen auszeichnet. Medial konfigurierte Diskursereignisse, nicht zuletzt die Literatur und ihre sich zunehmend internationalisierende Rezeption, erweisen sich dabei als bevorzugter Berührungsraum, in dem sich in der Frühen Neuzeit kultureller Kontakt ereignen kann.
In seinem literalen Wortsinn verweist der Kontakt auch auf das Taktile und damit auf das sinnliche Evaluieren und Genießen der materiellen Konstituenten präsentischer Welterfahrung. Berührungen können grob, zärtlich, tastend, verletzend sein; sie sind aber vor allem ein Weg, sich in die unmittelbare Nähe eines Anderen zu begeben. Kontakt erweist sich vor diesem Hintergrund als Erfahrung, Hervorbringung und Gestaltung von Alterität. Demgemäß ließe sich die Begegnung – oder auch Berührung – mit dem Fremden als „Dialog mit selbstständigen Subjekt-Positionen“ bzw. als „Kategorie einer konstruktiven Dialektik“ verstehen (Krusche 1990: 13), die dem Prozess der Selbst- und Fremdheitserfahrung zugrunde liegt: „Selbstheit und Eigenheit”, so Waldenfels, „entspringen einer Grenzziehung, die ein Drinnen vom Draußen absondert und somit die Gestalt einer Ein- und Ausgrenzung annimmt” (2006: 30). In diesem Sinne ist es paradoxerweise gerade auch der fehlende bzw. ausbleibende Kontakt, der Selbst- und Fremdzuschreibungen, Projektionen und Abgrenzungsprozesse befördert, die Familiarisierung mit dem als fremd Erfahrenen behindert und Stereotype sowie Angst- und Feindbilder festschreibt. Das Paradigma des Kontakts verspricht vor diesem Hintergrund, die spannungsreichen – und gerade als solche identitätsstiftenden – Dynamiken des europäischen literarischen und kulturellen Austauschs zwischen produktiver Interrelationalität und Prozessen der Differenzierung und Abgrenzung zu beschreiben.

 

Ein solcher Zugang erlaubt es gleichsam, Literatur in ihrer Funktion als distanzüberbrückendes Medium bzw. als Kontaktmedium zu begreifen. Ursprünglich mündlich tradierte Formen der Literatur wie die chanson de geste, das (Volks-)Märchen oder der Ritterroman basieren auf der Synchronität von Produktion und Rezeption und reflektieren ihren eigenen Status im Text selbst. Dramatische Texte und lyrische Formen sind von vornherein auf Performanz und sinnliche Kommunikation angelegt und erhalten ihr volles Bedeutungspotential erst im Moment der Aktualisierung – nicht umsonst richtet sich Petrarca im ersten Sonett des Canzoniere an seine Zuhörer*innen, „voi, ch’ascoltate“, und nicht an ein etwaiges Lesepublikum. Demgegenüber stehen schriftgebundene Gattungen wie die Novelle und das Kunstmärchen, die eine Kultur der Mündlichkeit künstlich zu erzeugen suchen (Aust spricht im Kontext der Novelle von einer „Gesprächsorigo”, 2006: 3), indem sie Präsenz, Körperlichkeit und Nähe nicht nur simulieren, sondern auch konfigurieren. Basierend darauf ließe sich systematisch danach fragen, welche Formen des In-Kontakt-Tretens bzw. der Dialogizität in literarischen Texten zum Tragen kommen. Dies wird umso sinnfälliger in Umbruchzeiten wie der Renaissance und den folgenden Jahrhunderten, in denen sich der technisch-materiell bedingte Übergang von einer Kultur der Mündlichkeit (und damit des Kontakts) zu einer Kultur der Schriftlichkeit (bzw. der Distanz) andeutet.
Das Paradigma des Kontakts in der Literatur der frühen Neuzeit erlaubt Reflexionen unter anderem in Hinblick auf die folgenden Aspekte:

  • Untersuchungen poetologischer bzw. motivgeschichtlicher Natur: Welche Varianten der Metaphorik des Berührens und des Kontakts kommen in der Literatur zum Tragen und welche Bedeutung kommt ihnen zu? Durch welche Verfahren werden Phänomene wie Zärtlichkeit, Freundschaft oder Feindschaft literarisch thematisiert? Welche Vorstellungen von Affekt und Körperlichkeit liegen ihnen zugrunde?
  • Kulturkontakt: Inwiefern bezeugen literarische Texte Phänomene wie Wissenstransfer oder Interkonfessionalität? Inwiefern werden europäische bzw. kulturübergreifende Identitäten generiert? Und im Umkehrschluss: Welche Alteritätsentwürfe werden dabei hergestellt?
  • Medialität und Intertextualität: Inwiefern reflektiert die Literatur ihren eigenen medialen Status als Distanz- bzw. als Kontaktmedium? Durch welche in- und extrinsischen Merkmale zeichnet sich hierbei die Literatur im Unterschied zu anderen Kunst- und Diskursformen aus? Welche nationalen, internationalen bzw. europäischen Netzwerkstrukturen liegen der literarischen Produktion zugrunde? Welche Phänomene literarischer Dialogizität lassen sich dabei beobachten?

 

Auswahlbibliographie

 

Abbattista, Guido (Hrsg.): Encountering Otherness. Diversities and Transcultural Experiences in Early Modern European Culture, Triest: Edizioni Università di Trieste 2011.

 

Aust, Hugo: Novelle, Stuttgart/Weimar: Metzler 2006.

 

Beaurepaire, Jean-Yves (Hrsg.): La Communication en Europe de l’Age Classique au Siècle des Lumières, Paris: Belin 2014.

 

Bernier, Marc-André/Donato, Clorinda/Lüsebrink, Hans-Jürgen (Hrsg.): Jesuit Accounts of the Colonial Americas. Intercultural Transfers, Intellectual Disputes, and Textualities, Toronto: Toronto University Press 2014.

 

Bihrer, Andreas/Limbeck, Sven/Schmidt, Paul Gerhard (Hrsg.): Exil, Fremdheit und Ausgrenzung in Mittelalter und früher Neuzeit, Würzburg: Ergon 2000.

 

Bisang, Walter (Hrsg.): Kultur, Sprache, Kontakt, Würzburg: Ergon 2004.

 

Borsò, Vittoria: Das Andere denken, schreiben, sehen. Schriften zur romanistischen Kulturwissenschaft, hrsg. von Heike Brohm/Vera Elisabeth Gerling/Björn Goldammer/Beatrice Schuchardt, Bielefeld: transcript 2008.

 

Budach; Gabriele; Fialais, Valérie et. al. (Hrsg.): Grenzgänge en zones de contact. Zum 65. Geburtstag von Jürgen Erfurt, Paris: L’Harmattan 2019.

 

Buschinger, Danielle: Kulturtransfer zwischen Romania und Germania im Hoch- und Spätmittelalter. Geburt der Übersetzung, Berlin/Boston: de Gruyter 2019.

 

Gernig, Kerstin (Hrsg.): Fremde Körper. Zur Konstruktion des Anderen in europäischen Diskursen, Berlin: dahlem university press 2001.

 

Greilich, Susanne/Struve, Katrin: „Das Andere schreiben”. Diskursivierungen von Alterität in Texten der Romania (16.-19. Jahrhundert), Würzburg: Königshausen & Neumann 2013.

 

Greverus, Ina-Maria (Hrsg.): Kulturkontakt, Kulturkonflikt: zur Erfahrung des Fremden, 2 Bde., Frankfurt am Main 1988.

 

Heimann, Heinz-Dieter/Hlaváček, Ivan (Hrsg.): Kommunikationspraxis und Korrespondenzwesen im Mittelalter und der Renaissance, Paderborn: Schöningh 1998.

 

Höfele, Andreas: Renaissance Go-Betweens: Cultural Exchange in Early Modern Europe, Berlin: de Gruyter 2005.

 

Jauß, Hans Robert: Alterität und Modernität der mittelalterlichen Literatur. Gesammelte Aufsätze 1956-1976, München: Fink 1977.

 

Krusche, Dietrich (Hrsg.): Hermeneutik der Fremde, München: Iudicium 1990.

 

Ders.: Fremdheit und Literatur: zur Hermeneutik kulturräumlicher Distanz, München: Iudicium 1985.

 

Kulessa, Rotraud von/Lombez, Christine (Hrsg.): De la traduction et des transferts culturels, Paris: L’Harmattan 2007.

 

Lescovec, Andrea: Fremdheit und Literatur. Alternativer hermeneutischer Ansatz für eine interkulturell ausgerichtete Literaturwissenschaft, Berlin: LIT 2009.

 

Lüsebrink, Hans-Jürgen: Interkulturelle Kommunikation. Interaktion – Kulturtransfer – Fremdwahrnehmung, Stuttgart/Weimar: Metzler-Verlag 2005.

 

Ders.: „Les transferts culturels: théorie, méthodes d’approche, questionnements”, in: Transfert. Exploration d’un champ conceptuel, hrsg. v. Pascal Gin/Nicolas Goyer/Walter Moser, Ottawa: Les Presses de l’Université d’Ottawa 2014, S. 25-48.

 

Ders.: „Europa als multikultureller Kommunikationsraum: Kulturtransfer, Übersetzungsprozesse und Kommunikationsstile in interkultureller Perspektive”, in: Europa jenseits des Konvergenzparadigmas. Divergenz – Dynamik – Diskurs, hrsg. v. Christian Scholz/Peter Dörrenbächer/Anne Rennig, Baden-Baden: Nomos 2019, S. 257-280.

 

Nancy, Jean-Luc: „Rühren, Berühren, Aufruhr”. In: SubStance 40, 3 (2011), S. 10-17.

 

Stedmann, Gesa/Zimmermann (Hrsg.), Margarete: Höfe – Salons – Akademien. Kulturtransfer und Gender im Europa der frühen Neuzeit. Hildesheim/Zürich/New York: Georg Olms 2007.

 

Szlezák, Edith; Szlezák Klara S. (Hrsg.): Sprach- und Kulturkontaktphänomene in der Romania. Festschrift für Ingrid Neumann-Holzschuh zum 65. Geburtstag, Berlin: Erich Schmidt 2019.

 

Waldenfels, Berhard: Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden. Frankfurt am Main: Suhrkamp 2006.

 

 

Kontakt: :christoph.gross@rub.de, schoenwaelder@em.uni-frankfurt.de

Die Frage nach dem Verhältnis von Autor*in und Werk hat in jüngster Zeit verstärkt mediale Beachtung gefunden: Nachdem die aus (post-)strukturalistischer Perspektive vorgebrachte Verabschiedung der Autorkategorie (Barthes, Foucault, Genette) zu einem Gemeinplatz geworden war, kehrte das Thema im Umkreis der Affären um Woody Allen, Gabriel Matzneff und Roman Polanski mit ungeahnter politischer Sprengkraft zurück. Der Forderung, „œuvre“ und „artiste“ voneinander zu trennen, standen dabei diejenigen gegenüber, die in der Unterscheidung eine Akzeptanz, gar eine Apologie von Machtverhältnissen vermuteten. Der Künstler, so ihr Argument, sei ein Mensch wie alle anderen: eine Rechtsperson, die dem Gesetz unterliegt. Virginie Despentes etwa plädierte in ihrem Kommentar zum „Polanski-Skandal“ (Libération, 1. März 2020) deutlich für eine neue Moral der Autorschaft: Nicht alle Übertretungen dürften im Namen der Kunst gerechtfertigt werden. Das Publikum trägt zu diesem neuen, „verantwortlichen Autor“ bei, indem es bei der alten Vorstellung nicht mehr mitspielt: „Maintenant on se lève et on se casse.“ Geht es in diesen Polemiken also darum, einer über der anonymen Masse stehenden Autorfigur einen neuen Platz zuzuweisen? Wenngleich der Literaturbetrieb den Autor nie vergessen hatte, so kann in der Literaturtheorie seit rund 20 Jahren von einer Rückkehr der Autorkategorie gesprochen werden. Dabei geht es nicht um die reale Autorperson, sondern um medial vermittelte Konstruktionen von Autoridentität (Meizoz), um historische Modelle „auktorialer Szenographie“ (Diaz), um textimmanente Selbstbilder (Amossy) oder um werkpolitische Strategien (Martus), mit denen Autoren die Rezeption ihrer Werke steuern. Besonders in Theorien, die in der Tradition von Foucault bzw. Bourdieu stehen, betrachtet man den Autor als „figure imaginaire“: als „image discursive qui s’élabore aussi bien dans le texte dit littéraire que dans ses alentours“ (Amossy). Selbst- und Fremdkonstruktion, medialer Diskurs und rhetorisches Ethos, intra- und extratextuelle Strategien geraten so zu einem mobilen Feld, dessen Untersuchung vielfältige neue Erkenntnisse verspricht. Die Sektion nimmt diese methodischen Impulse zum Anlass, die Konstruktion von Autorfiguren in der Gegenwartsliteratur zu untersuchen, und zwar anhand von möglichst breit gestreuten Beispielen aus der gesamten Romania. Vier mutmaßliche Entwicklungen liegen dem zugrunde: a) Die Veränderung des medialen Umfelds im Zeichen der Digitalisierung b) die Herausbildung neuer Grenzen des moralisch Sagbaren c) eine Neuordnung des literarischen Feldes mitsamt sich wandelnder Leserschaft und d) eine Verschiebung der (realen und symbolischen) Topologien von Zentrum und Peripherie. Konstruktionen von Autorschaft reagieren sensibel auf solche Veränderungen: Diaz etwa bestimmt „auktoriale Szenographien“ als historisch variable Modelle, denen sich Autoren angleichen können, um als „Schriftsteller“ zu erscheinen. Welche neuen Szenographien finden sich in der Gegenwart? Wie hängen sie mit der „starification des auteurs“ (Ducas) zusammen, nicht zuletzt mit ihrer paradoxen Spielweise (z.B. bei Enrique Vila-Matas, Elena Ferrante oder Wu Ming)? Was geschieht mit der alten Opposition von hauptstädtischen und regionalen Autoren in Ländern, die ihre blinden Flecken (Nicolas Mathieu), ihre literarischen Nebenschauplätze entdecken (Andrea Camilleri)? Auch die derzeitigen Bedingungen von Medialisierung, Werbung und Digitalem tragen zu einem neuen Begriff des Schriftstellers bei (Éric Chevillard, Nanni Balestrini…). Im Zeitalter von #MeToo erweisen sich bestimmte „postures“ (Meizoz) als nicht länger haltbar, während sich neue durchsetzen: Autor*innen wie Virginie Despentes oder Leïla Slimani stürzen das Bild des (meist männlichen) Ästheten, der die Grenzen der bürgerlichen Sexualmoral einreißt, zugunsten der Haltung einer engagierten und sexuell emanzipierten Schriftstellerin. Welche neuen Funktionen und Pflichten gibt es, was soll oder darf ein Autor, eine Autorin heute – und was nicht?

Mögliche Themen:

  • Neue Ethiken von Autorschaft
  • Ende der traditionellen Szenographie des transgressiven Schriftstellers
  • Skandale und Medien
  • Sexualität und Identitätspolitik
  • „Feminisierungen“ des literarischen Felds

 

  • Literarische Topologie: Auktoriale Orte
  • Literatur ohne Zentrum?
  • Quarantäne-Tagebücher und ihre Epigonen
  • Autoren im Spannungsfeld zwischen Nationalliteratur und Europa
  • „La France des ronds-points“, Neapel, Vigata, O Bairro (G. M. Tavares)

 

  • Neue Produktionsweisen und Diffusionskanäle
  • „wilde Literatur“ abseits traditioneller Verlage und Distributionswege
  • Autor*innen online: Selbstaushandlungen im digitalen Raum
  • Soziale Netzwerke, Followers und neue Medien als Motiv und Formprinzip in der Fiktion
  • Blogs, Facebook, Instagram: autofiktive Netzwerke?

 

  • Leser gegen Autor?
  • neue Spielräume der Theorie: Ermächtigung des Lesers?
  • Inszenierungen literarischer Anerkennung: Publikumspreis, Booktubers, Lesegesellschaften im Internet
  • „Remettre le lecteur à sa place“: auktoriale Szenographien gegen den Leser

 

Auswahlbibliographie


Amossy, Ruth/Bokobza Kahan, Michèle (Hrsg.): Éthos discursif et image d'auteur, in: Argumentation et analyse du discours, 3, 2009.

 

Borgognoni, Debora: Lo scrittore emergente in Italia. Analisi di una subcultura nella comunicazione mediale. Padova 2017.

 

Diaz, José-Luis: L’écrivain imaginaire. Scénographie auctoriale à l’époque romantique. Paris 2017.

 

Ducas, Sylvie: La littérature à quel(s) prix? Histoire des prix littéraires. Paris 2013.

 

Dies.: „L‘écrivain contemporain en réseau web 2.0: retour du refoulé auctorial?“, RHLF, CXXVI, 3, 2016, S. 641-652.

 

Martus, Steffen: Werkpolitik. Zur Literaturgeschichte kritischer Kommunikation vom 17. bis ins 20. Jahrhundert. Berlin/New York 2007.

 

Meizoz, Jérôme: La littérature „en personne“. Scène médiatique et formes d’incarnation. Genf 2016.

 

 

Kontakt: vplatini@uni-kassel.de, jknobloch@uni-kassel.de

 

 

Sections - linguistique

Die Geschichte der romanischen Nationalsprachen in der Frühen Neuzeit ist wesentlich durch Prozesse der Rationalisierung und der zunehmenden Verbreitung von Schreib- und Lesefähigkeiten gekennzeichnet. Die Entstehung neuer Expertengruppen im Zusammenhang mit diesen gesellschaftlichen Prozessen ist bisher jedoch kaum bei der Analyse der Standardisierungsprozesse berücksichtigt worden. Unsere Sektion hat sich das Ziel gesetzt, den Einfluss von neuen Berufsgruppen beispielweise aus dem Bereich der staatlichen Administration, des Heers oder der Marine oder aus dem Bereich des Handels auf die sprachliche Entwicklung nachzuvollziehen und die Rolle der funktionalen Schriftlichkeit im Standardisierungsprozess genauer zu bestimmen.

 

Folgende Fragestellungen sind hierbei von Interesse:

  • Wie entwickeln sich Fachsprachen in den neuen Domänen der staatlichen Administration (z.B. Marine, Heer etc.), des sich langsam globalisierenden Handels, des Bankwesens oder der neuen technischen bzw. naturforschenden Funktionsbereiche und in welche Kommunikationsnetze sind sie eingebunden?
  • Welche semantisch-lexikalischen Neuerungen, welche syntaktischen und textuellen Innovationen bzw. Weiterführungen traditioneller Muster lassen sich in den fachsprachlichen Texten beobachten?
  • Welchen Beitrag leisten die fachsprachlichen Kommunikationsdomänen zu überregionalen sprachlichen Vereinheitlichungen, zu Normierungsbestrebungen und zur Verbreitung der Standardsprache?
  • Welche Rolle spielt die zunehmende Professionalisierung der Ausbildung bestimmter Berufsgruppen und deren Übernahme durch staatliche Institutionen in diesen Prozessen?
  • In welchem Verhältnis stehen die Entwicklungen im Bereich der funktionalen Schriftlichkeit zur literarisch-höfischen Kultur?
  • Inwiefern sind die Differenzen und Spannungen zwischen Schriftlichkeit und Mündlichkeit relevant für die Entwicklung und in welchem Verhältnis stehen die Entwicklungen der funktionalen Schriftlichkeit zu dem Phänomen der semicolti bzw. der peu lettrés.
  • Welche Rolle spielt die „internationale Fachsprachlichkeit“ und die Übersetzungen von Fachtexten und Enzyklopädien?
  • Wie entwickeln sich traditionelle Fachsprachen (z.B. Jagd, Ackerbau, Fischerei) unter den Bedingungen der frühneuzeitlichen Kommunikations- und Ausbildungsstrukturen weiter?

 

Die skizzierten Fragen können nur auf der Basis einer umfassenden empirischen Dokumentation sinnvoll diskutiert werden. Auch der Kultur- und Sprachvergleich ist essenziell für eine angemessene Auseinandersetzung mit den Fragestellungen. Deshalb laden wir dazu ein, Fallbeispiele aus der Romania der Zeit zwischen 1550 bis 1850 zu kontrastieren und die Ergebnisse für einen differenzierten Blick auf die frühneuzeitlichen bzw. vormodernen Standardisierungsprozesse zu nutzen. Auf diese Weise kann die Rolle des neuen Umgangs mit Wissen, der Stellenwert der Expertenkommunikation und der anwachsenden Schriftlichkeit in den kolonialen Imperien Spaniens und Frankreichs und der See- und Handelsmächte Italiens überprüft werden und mit den Entwicklungen in weiteren kleineren, in die Moderne hineinwachsenden Regionen der Romania kontrastiert werden.

Beiträge aus folgenden Disziplinen und Forschungsschwerpunkten sind willkommen: Fachsprachenforschung, historische Varietätenlinguistik, Translationswissenschaft, Ausbaukomparatistik, Standardisierungsforschung, Forschungen zur Sprachnormierung, Schriftlichkeit-Mündlichkeitsforschung, Medienlinguistik, historische Pragmatik und diskurstraditionelle Ansätze.
Die Sektion ist offen für Beiträge zu allen romanischen Sprachen.

 

Auswahlbibliographie

 

Albrecht, Jörn/Baum, Richard (Hg.) (1992): Fachsprache und Terminologie in Geschichte und Gegenwart. Tübingen: Narr.

 

Brendecke, Arndt (2016): The Empirical Empire: Spanish Colonial Rule and the Politics of Knowledge. Oldenbourg: de Gruyter.

 

Brendecke, Arndt/Friedrich, Markus/Friedrich, Susanne (Hg.) (2008): Information in der Frühen Neuzeit. Status, Bestände, Strategien. Berlin: LIT-Verlag.

 

Cavagnoli, Stefania (1999): Die italienische Fachsprachenforschung im 20. Jahrhundert. In: Lothar Hoffmann et al. (Hg.): Fachsprachen. Ein internationales Handbuch zur Fachsprachenforschung und Terminologiewissenschaft. Berlin: de Gruyter, S. 1503–1513.

 

Cortelazzo, Michele A. (1988): Italienisch: Fachsprachen. Lingue speciali. In: Günter Holtus et al. (Hg.): Lexikon der Romanistischen Linguistik 4. Tübingen: Niemeyer, S. 246–255.

 

Dörr, Jan-Eric (2014): Grundlagen des Fachsprachenbegriffs. In: Klaus-Dieter Baumann et al. (Hg.): Fachstile. Systematische Ortung einer interdisziplinären Kategorie. Berlin: Frank & Timme, S. 27–45.

 

Flinzner, Katja (2006): Geschichte der technischen und naturwissenschaftlichen Fachsprachen in der Romania: Französisch/Histoire des langages techniques et scientifiques dans la Romania: français. In: Gerhard Ernst et al. (Hg.): Romanische Sprachgeschichte. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen. Berlin u.a.: de Gruyter, S. 2211–2226.

 

Giovanardi, Claudio (2006): Storia dei linguaggi tecnici e scientifici nella Romania: italiano - Geschichte der technischen und naturwissenschaftlichen Fachsprachen in der Romania: Italienisch. In: Gerhard Ernst et al. (Hg.): Romanische Sprachgeschichte. Ein internationales Handbuch zur Geschichte der romanischen Sprachen. Berlin u.a.: de Gruyter, S. 2197–2211.

 

Kalverkämper, Hartwig (1988): Fachsprachen in der Romania. Tübingen: Narr.

 

Kalverkämper, Hartwig/Baumann, Klaus-Dieter (1996): Fachliche Textsorten: Komponenten, Relationen, Strategien. Tübingen: Narr.

 

Lebsanft, Franz/Schrott, Angela (2015): Diskurse, Texte, Traditionen: Modelle und Fachkulturen in der Diskussion. Modelle und Fachkulturen in der Diskussion, Göttingen: V&R Unipress, Bonn: University Press.

 

Lengersdorf, Diana/Wieser, Matthias (2014): Schlüsselwerke der Science & Technology Studies. Wiesbaden: Springer.

 

Martin Kronberger u.a. (Hg.) (2019): Thinking Infrastructures. Bingley: Emerald.

 

Mensching, Guido/Röntgen, Karl-Heinz (Hg.) (1995): Studien zu romanischen Fachtexten aus Mittelalter und früher Neuzeit. Hildesheim: Olms.

 

Pöckl, Wolfgang (1990): Französisch: Fachsprachen. Langues de spécialité. In: Günter Holtus et al. (Hg.): Lexikon der romanistischen Linguistik. Tübingen: Niemeyer (5,1), S. 267–282.

 

Raible, Wolfgang (1998): Medienwechsel: Erträge aus zwölf Jahren Forschung zum Thema "Mündlichkeit und Schriftlichkeit"; mit einem Namen- und einem umfangreichen Sachregister. Tübingen: Narr.

 

Sergo, Laura/Wienen, Ursula/Atayan, Vahram (Hg.) (2013): Fachsprache(n) in der Romania. Entwicklung, Verwendung, Übersetzung. Berlin: Frank & Timme.

 

 

Kontakt: maria.selig@ur.de, laura.linzmeier@sprachlit.uni-regensburg.de

BEWEGUNG und RAUM zählen zu den grundlegenden sensomotorischen Erfahrungen und stellen zentrale Komponenten der menschlichen Kognition dar. Der Ausdruck von realer und fiktiver Bewegung ist Teil unseres alltäglichen sprachlichen Handelns.
Bewegungsverben übernehmen dabei eine zentrale Rolle, was sich unter anderem bereits im Spracherwerb widerspiegelt.

 

Vor diesem Hintergrund überrascht es nur wenig, dass Bewegungsverben häufig an Sprachwandel- und Grammatikalisierungsprozessen beteiligt sind. In den romanischen Sprachen wurde seit Anfang des 20. Jahrhunderts vor allem die Entwicklung von periphrastischen Konstruktionen zum Ausdruck von Tempus, Modus und Aspekt (z.B. frz. aller + Infinitiv/span. ir a + Infinitiv ‚etw. tun werden‘) intensiv erforscht. Jüngere Arbeiten haben differenzierte diachrone und semantische Analysen entwickelt und gezeigt, dass es neben parallelen Entwicklungen auch spezifische Unterschiede gibt (vgl. katalanisch anar + Infinitiv ‚etw. getan haben‘) (u.a. Projekt GRADIA).

 

Insgesamt weniger Aufmerksamkeit haben die romanischen Bewegungsverben in anderen Sprachwandelprozessen erfahren, wie etwa bei der Herausbildung von Verb- Partikel-Konstruktionen (z.B. span. echar para atrás ‚einen Rückzieher machen‘), von Kopulaverben (z.B. rumän. a ajunge ‚ankommen‘ > ‚werden‘), Passivauxiliaren (z.B. ital. venire ‚kommen‘ > ‚sein‘; rumän. a veni ‚kommen‘ > ‚sein‘) oder Diskurs- und Fokusmarkern (z.B. pen.span. venga, mex.span. ándale, Frz. in Kamerun j’arrive im Kontext der Verabschiedung) (u.a. Iacobini 2015; Devos/van der Wal 2014). Nicht zuletzt stellen Bewegungsverben in den romanischen Sprachen auch eine wichtige Komponente von phraseologischen Konstruktionen und Kollokationen dar (vgl. Seradilla Castaño 2012; Siepmann/Bürgel 2019), wie u.a. die zahlreichen phraseologischen Wendungen auf der Grundlage des Verbs andar z.B. im mexikanischen Spanisch belegen: andar bruja ‚estar sin dinero‘, ya le anda ‚ya le urge‘.

 

Weniger untersucht ist bis heute auch die Bedeutung von Konstruktionen mit Bewegungsverben in den vielfältigen Sprachkontaktsituationen der europäischen und außereuropäischen Romania. Eine Ausnahme stellen die TMA-Periphrasen und Verb- Partikel-Konstruktionen im kanadischen Französisch dar. Daneben finden sich einige Arbeiten zum Galizisch- und Katalanisch-Spanischen Sprachkontakt (u.a. Hernández García 1998) sowie zur kontaktinduzierten Grammatikalisierung im andinen Spanisch (u.a. Olbertz 2003). Nahezu unberücksichtigt geblieben sind die Entwicklungen in den romanischen Sprachen in Afrika, die dort mit einer Vielzahl von afrikanischen Sprachen aus verschiedenen Sprachfamilien in Kontakt stehen (vgl. Pfadenhauer i. Dr.). Bewegungsverben spielen unter anderem eine zentrale Rolle in seriellen Verbkonstruktionen bestimmter afrikanischer Sprachen und werden im Kontext der Kreolgenese auch für romanisch basierte Kreolsprachen diskutiert. Aufbauend auf diesen Forschungsergebnissen verfolgt die Sektion die folgenden Ziele: Um das grammatische, semantische und diskursive Potential von Bewegungsverben vollständiger zu erfassen, sollen zum einen die Erkenntnisse zu bereits bekannten Sprachwandel- und Grammatikalisierungsprozessen um Fragestellungen erweitert werden, die bisher weniger beachtete Entwicklungen in den romanischen Sprachen fokussieren. Hierbei soll eine weite Perspektive auf Sprachwandel eingenommen werden, die nicht nur Grammatikalisierungsprozesse, sondern auch diskursive, lexikalische und phraseologische Phänomene und damit den Zwischenbereich von Lexikon und Grammatik in den Blick nimmt. Zum anderen soll das besondere Augenmerk der Sektionsarbeit den bislang weniger untersuchten romanischen Sprachen und Varietäten und den Entwicklungen von Bewegungsverben in inner- und außereuropäischen Sprachkontaktsituationen gelten.


Mögliche Beiträge sollten sich schwerpunktmäßig auf folgende Fragen konzentrieren:

  • Welche bisher weniger bekannten Sprachwandel- und Grammatikalisierungspfade von Bewegungsverben finden sich in den romanischen Sprachen?
  • Zeichnen sich im aktuellen Sprachgebrauch neue Entwicklungen bzw. Funktionen bei den bereits existierenden Konstruktionen mit Bewegungsverben ab?
  • Welche Erkenntnisse liefern Studien zu bisher weniger beachteten romanischen Sprachen und Varietäten?
  • Welche Rolle spielen Bewegungsverben in Sprachkontaktsituationen in Europa und in der außereuropäischen Romania?
  • Wie lassen sich Erkenntnisse aus der Typologie und der Forschung zu amerindischen und afrikanischen Sprachen besser mit der klassisch- romanistischen Forschung verknüpfen und für die Romanistik nutzbar machen?
  • Inwiefern können sich Arbeiten aus der Grammatikalisierungsforschung, der historischen Semantik und der Phraseologie komplementieren oder gegenseitig befruchten?

 

Literaturhinweis


Devos, Maud/ van der Wal, Jenneke [Hgg.] (2014): ‘COME’ and ‘GO’ off the beaten grammaticalization path. Berlin, Boston: De Gruyter.

 

Hernández García, Carmen (1998): Algunas cuestiones más sobre el contacto de lenguas: Estudio de la interferencia lingüística del catalán en el español de Cataluña. Barcelona: Universitat de Barcelona (unveröffentlichte Dissertation).

 

Iacobini, Claudio (2015): “Particle verbs in Romance”, in: Müller, Peter O./ Ohnheiser, Ingeborg/ Olsen, Susan/ Rainer, Franz [Hgg.]: Word-Formation. An International Handbook of the Languages of Europe. Berlin, New York: De Gruyter, 626-658.

 

Olbertz, Hella (2003): “<Venir + gerundio> en el español andino ecuatoriano – un producto de contacto lingüístico”, in: Claus D. Pusch/ Andreas Wesch [Hgg.]: Verbalperiphrasen in den (ibero)romanischen Sprachen. Hamburg: Buske, 89-103.

 

Pfadenhauer, Katrin (i. Dr.): „Zur Semantik von aller + Infinitiv im Kontext des Französischen in Afrika“, Romanistik in Geschichte und Gegenwart 26,1.

 

Serradilla Castaño, Ana (2012): “Cuando con andar no se anda: el verbo andar en la fraseología del español clásico. Una aportación a la lexicografía histórica”, Revista de Lexicografía 18, 205-220.

 

Siepmann, Dirk/ Bürgel, Christoph (2019) : “Les unités phraséologiques fondamentales du français contemporain », in : Kauffer, Maurice/ Keromnes, Yves [Hgg.] : Theorie und Empirie in der Phraseologie – Approches théoriques et empiriques en phraseologie. Stauffenburg: Tübingen, 189-212.

 

 

Kontakt: katrin.pfadenhauer@uni-bayreuth.de, evelyn.wiesinger@ur.de

Die R-Laute (rhotics) bilden eine ganz besondere Gruppe von Lauten. Phonologisch sind sie relativ isoliert vom Rest des Phonemsystems. Diese im Spracherwerb besonders spät erworbenen Laute (Jakobson 1962) befinden sich schließlich laut Trubetzkoy (1939: 131) „außerhalb der Lokalisierungsreihen“. Vermutlich deshalb variieren sie in den Sprachen der Welt phonetisch so viel: in Artikulationsart (Trills, Taps, Frikative, Approximanten etc.), Artikulationsort (alveolar, uvular etc.) und Stimmbeteiligung (meist stimmhaft, aber auch stimmlos); dazu kommen Vokalisierung und Elision (vgl. Van de Velde/van Hout 2001, Wiese 2011). Damit können sie hervorragend als Ressource zum Ausdruck sozialer Identität eingesetzt werden (vgl. Celata/Meluzzi/Ricci 2016). Entsprechend häufig wandeln sich die R-Laute auch im Laufe der Sprachgeschichte. Bis heute gibt der ganz Europa erfassenden Wandel vom alveolaren Vibranten [r] (insbesondere im Lateinischen) zum uvularen Frikativ [ʁ] im 17. Jahrhundert (u.a. im Französischen, aber auch im Deutschen) Rätsel auf (vgl. Göschel 1971); daneben findet sich die Variante [ʁ] aber auch in Brasilien und Puerto Rico (vgl. Graml 2009). Schließlich stellt sich die Frage, warum R-Laute in manchen Sprachen und Varietäten in bestimmten phonotaktischen Positionen – insbesondere in der Silbencoda – verschwinden (vgl. Pustka 2012), sich in anderen dagegen erhalten (vgl. Sánchez-Miret 2012).

 

Theoretisch stellt sich das Problem der Identität des bzw. der R-Laute: Was hält diese artikulatorisch so unterschiedlichen Realisierungen zu einer einzigen kognitiven Repräsentation zusammen? Diese erstaunliche Einheit spiegelt die Graphie wider, indem sie die Laute einheitlich etwa im lateinischen Alphabet mit dem Graphem <r> darstellt bzw. mit Rho <ρ> im Griechischen – daher auch der Name rhotics nach (vgl. Wiese 2011). Psycholinguistische Studien zeigen sogar, dass die Repräsentation häufig elidierter /r/ sich erst mit dem Erlernen der Graphie entwickelt (Chevrot/Beaud/Varga 2000). Lindau (1985) hat für dieses „Chamäleon“ (Wiese 2003: 41) ein kognitives Prototypen-Modell vorgeschlagen, in dem die unterschiedlichen phonischen Varianten durch ein Netz geteilter Merkmale miteinander verbunden sind. Dies ließe sich sehr gut zum Vergleich von Sprachen und Varietäten (z.B. Abgrenzung zu /l/, /w/ und /χ/) sowie zur Identifikation diachroner Pfade (Stärkungs- und Schwächungsprozesse in verschiedenen Silbenpositionen) nutzen. Ergänzt werden müsste die Möglichkeit, dass Sprachen wie Spanisch und Katalanisch zwei R-Laute in Opposition zueinander setzen /ɾ/ : /r/.

 

Die romanischen Sprachen mit ihren europäischen und außereuropäischen Varietäten bieten ein vielversprechendes Feld, um dieses Modell zu testen und weiterzuentwickeln und damit aus der Romanistik heraus einen Beitrag für die allgemeine Sprachwissenschaft zu liefern.
Die Sektion soll aktuelle Forschungen zu den R-Lauten in den romanischen Sprachen bündeln und damit die Perspektiven von Phonetik, Phonologie, Psycholinguistik, Soziolinguistik, Dialektologie und Sprachgeschichte zusammenführen. Dabei soll es insbesondere um die folgenden Themen gehen:

  • Phonetische und phonologische Methoden zur Abgrenzung der R-Laute
  • Empirische Dokumentation der R-Laute in verschiedenen Sprachgemeinschaften in der Romania inklusive der romanisch basierten Kreolsprachen
  • Kontrastive Studien zwischen den romanischen und mit anderen Sprachen (insbesondere mit dem Deutschen und Englischen), Untersuchungen zum L1- Erwerb und Fremdsprachenlernen sowie klinische und didaktische Aspekte
  • Variation der R-Laute innerhalb der sprachlichen Systeme einzelner Sprecher*innen abhängig von phonotaktischen, lexikalischen und soziolinguistischen Faktoren
  • Wandel der R-Laute in den romanischen Sprachen und ihre Diffusion im Raum, auch über Sprachgrenzen hinweg
  • Theoretische Modellierung der Lautklasse(n) der R-Laute

Auswahlbibliographie

 

Celata, Chiara / Meluzzi, Chiara / Ricci, Irene (2016). „The sociophonetics of rhotic variation in Sicilian dialects and Sicilian Italian: corpus, methodology and first results”. Loquens 3/1. (doi: http://dx.doi.org/10.3989/loquens.2016.025)

 

Chevrot, Jean-Pierre / Beaud, Laurence / Varga, Renata (2000). „L’apprentissage des unités phonologiques variables: l’exemple du /R/ post-consonantique final en français”. Linx 42: 89-100.

 

Göschel, Joachim (1971). „Artikulation und Distribution der sogenannten Liquida r in den europäischen Sprachen”. Indogermanische Forschungen 76: 84-126.

 

Graml, Carolin (2009). Puerto, RICO en Variación: Variation socio-phonétique et son auto- et hétérosurveillance par les locuteurs – le cas de la vélarisation du /r/ en espagnol portoricain. Dissertation. München, LMU München.

 

Jakobson, Roman (1962). Kindersprache, Aphasie und die allgemeinen Lautgesetze. Frankfurt am Main, Suhrkamp.

 

Lindau, Mona (1985). „The story of /r/”. In: Victoria A. Fromkin, ed., Phonetic Linguistics. London, Academic Press: 157-168.

 

Pustka, Elissa (2012). „Le caméléon dans la jungle sonore: variations du r en Guadeloupe”. In: André Thibault, ed., Le français dans les Antilles: études linguistiques. Paris, L’Harmattan, 271-311.

 

Sánchez-Miret, Fernando (2012). „La història de /-r/ en català: perspectiva romànica”. In: Joan Veny / José Enrique Gargallo Gil, edd., La lingüística romànica al segle XXI. Barcelona, Institut d'Estudis Catalans: 27-60.

 

Trubetzkoy, Nikolaus (1989) [1939]. Grundzüge der Phonologie. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht.

 

Van de Velde, Hans / van Hout, Roeland, edd. (2001). 'r-atics'. Sociolinguistic, phonetic and phonological characteristics of /r/. Bruxelles, ILVP/ULB.

 

Wiese, Richard (2003). „The Unity and variation of (German) /r/”. Zeitschrift für Dialektologie und Linguistik 70: 25-42.

 

Wiese, Richard (2011). „The Representation of Rhotics”. In: Marc van Oostendorp et al., edd., The Blackwell Companion to Phonology. Malden/Oxford, Blackwell: vol. 1, 711-729.

 

Kontakt: elissa.pustka@univie.ac.at, eva-maria.remberger@univie.ac.at

Die Wirtschaftskrise im Jahr 2008, der Umgang mit Geflüchteten seit dem Jahr 2015, der fortschreitende Klimawandel sowie die sich aktuell ausbreitende Corona-Pandemie und deren soziale, politische wie wirtschaftliche Konsequenzen fordern die Gemeinschaft innerhalb der Europäischen Union immer wieder aufs Neue heraus. Dabei wird deutlich, dass durch Europa eine unsichtbare Grenze verläuft, die die Mittelmeerregion von ihren nördlicheren Nachbarn trennt: So wurden Europas Mittelmeerstaaten nicht nur besonders hart von der Wirtschaftskrise getroffen, sie sind bis heute – in Ermangelung einer gesamteuropäischen Lösung – der Hauptschauplatz der dort ankommenden Flüchtenden geblieben. Darüber hinaus ist die Region besonders stark vom Klimawandel betroffen, da die Temperaturen dort im Vergleich zum nördlicheren Teil Europas schneller ansteigen. Auch die Corona-Pandemie wütet insbesondere im romanischsprachigen Teil des Mittelmeerraums. Daneben tritt in der europäischen Krisenbewältigung immer wieder das Spannungsfeld zwischen regionalen, nationalen und gesamteuropäischen Lösungsansätzen zu Tage.

 

Im Zentrum der Sektion steht die Frage, wie in der Romania Europa und seine aktuellen Krisen sprachlich verhandelt werden. Gerade im Licht der beschriebenen ‘unsichtbaren Grenze’ kommt der Romanistik, die traditionell eine vergleichende Außenperspektive einnimmt, eine wichtige Aufgabe zu. Umso erstaunlicher ist es, dass die Anzahl romanistischer Forschungsprojekte zum Themenkomplex eher überschaubar ist: So finden sich neben Publikationen zur politischen Sprache in Frankreich (Visser 2005; Issel-Dombert/Wieders-Lohéac 2018;  Ströbel 2018), zur Bildung von Stereotypen (Sánchez Prieto 2019; 2020) und zur Sprache des Populismus (Issel-Dombert/Wieders- Lohéac 2019; Ströbel, in Vorb.) vereinzelt auch Veröffentlichungen zur sog. ‘Flüchtlingskrise’ (Gruber 2018) und zur Corona-Pandemie (Hesselbach, in Vorb.).
Obwohl die Ökolinguistik seit den 1970er Jahren als Disziplin etabliert ist, lassen sich aktuelle Arbeiten zum Thema v.a. in der Germanistik finden (Caviola/Kläy/Weiss 2018; Grassinger 2018). Darüber hinaus sind Untersuchungen zur politischen Sprache und ihren Konzeptualisierungen besonders aus dem angloamerikanischen Raum bekannt (vgl. Lakoff 2014; Lakoff/Wehling 2012; Wehling 2016).

 

Die Sektion soll dazu dienen, das Potential romanistisch und interdisziplinär ausgerichteter Forschungen im Bereich der Korpus-, Medien- und Diskurslinguistik auszuleuchten und damit einen Beitrag zur politisch-gesellschaftlichen Debatte über die Idee eines vereinten Europas zu liefern. In diesem Zusammenhang können sich Vortragsvorschläge konkret beziehen auf:

  • sprachliche Muster, Argumentationsstrukturen und semantisches bzw. politisches Framing (Wehling 2018) im politischen Diskurs in und über Europa 
  • medienspezifische Diskursformen in den sozialen Netzwerken, Talkshows, Print- und Online-Medien (z.B. Phänomene des Hate Speech) etc. 
  • Bedeutung der romanischen Minderheiten und Regionen im politischen Diskurs (im Vergleich zu politischen Staaten) 
  • Bedeutung der politischen Sprache im Spannungsfeld von Nationalismus und europäischer Einigkeit 
  • Verantwortung der Linguistik im gesellschaftlich-politischen Diskurs (vgl. George Lakoff, der als Wissenschaftler zur politischen Sprache forscht, im Gegensatz zum politisch aktiven Wissenschaftler Noam Chomsky) 
  • Wir begrüßen Beiträge zu allen genannten Aspekten und freuen uns auf eine international wie interdisziplinär ausgerichtete Sektion.

 

 

Auswahlbibliographie

 

Caviola, Hugo/Kläy, Andreas/Weiss, Hans (2018). Sprachkompass Landschaft und Umwelt – Wie Sprache unseren Umgang mit der Natur prägt. Bern: Haupt Verlag.

 

Grassinger, Ulrike (2018). Metaphern im Diskurs um den Klimawandel: Wie Sprache den Zugriff auf Kontrolle verspricht. Flensburg: Zentrale Hochschulbibliothek Flensburg.

 

Gruber, Theresa (2018). „Metaphorische Konzeptualisierungen der ‚Flüchtlingskrise‘ in der spanischen, italienischen und deutschen Medienberichterstattung“. In: Kohlrausch, Laura/Schoeß, Marie/ Zejnelovic, Marko (eds.). KRISE. Mediale, sprachliche und literarische Horizonte eines viel zitierten Begriffs. Würzburg: Königshausen & Neumann (= Language Talks 5), 59–85.

 

Hesselbach, Robert (in Vorb.): „‹Nous sommes en guerre sanitaire contre le COVID-19› – a corpus-based approach of official French, Italian and Spanish social media discourse in the light of the coronavirus crisis“.

 

Issel-Dombert, Sandra/Wieders-Lohéac, Aline (eds.) (2018). Wahlkampf ist Wortkampf – Präsidentschafts-wahlkampagnen aus sprachwissenschaftlicher Sicht. Frankfurt a.M.: Peter Lang.

 

Issel-Dombert, Sandra/Wieders-Lohéac, Aline (eds.) (2019). Die Krise als Krieg: Weltanschauungs- und Wortkampf populistischer Bewegungen in Krisenzeiten.
München: AVM.

 

Lakoff, George (2014). The All New Don't Think of an Elephant!: Know Your Values and Frame the Debate. White River Junction/London: Chelsea Green Publishing.

 

Lakoff, George/Wehling, Elisabeth (2012). The Little Blue Book – The Essential Guide to Thinking and Talking Democratic. New York: Free Press.

 

Sánchez Prieto, Raúl (2019). „Percepción sobre España en prensa y redes sociales alemanas. Un estudio piloto“. In: Romanische Forschungen 131/4, 443–468.

 

Sánchez Prieto, Raúl (2020). „The Image of Spain in the Eyes of Austrian, Flemish, French, Italian, Polish and Bulgarian Facebook Users. Text-linguistic Opinion- Mining for detecting and analysing National Stereotypes“. In: Barkhoff, Jürgen/Leerssen, Joep (eds.). National stereotyping, identity politics, identity Crisis. Amsterdam: Brill, 155–172.

 

Ströbel, Liane (2018). „Can Macromania be explained linguistically? Beneath the morphological boundary: A sketch of subconscious manipulation strategies in Emmanuel Macron’s political discourses“. In: Yearbook of the German Cognitive Linguistics Association 5/1, 65–84.

 

Ströbel, Liane (in Vorb.). „Matteo Salvini“. In: Deringer, Ludwig/Ströbel, Liane (eds.). Populism.

 

Visser, Judith (2005). Markierte sprachliche Zeichen. Wortbildung als Mittel der Persuasion in Texten der französischen extrême droite. Frankfurt a.M.: Peter Lang.

 

Wehling, Elisabeth (2016). Politisches Framing: Wie eine Nation sich ihr Denken einredet – und daraus Politik macht. Köln: Herbert von Halem Verlag.

 

Kontakt: patricia.decrignis@romanistik.uni-muenchen.de, robert.hesselbach@fau.de

Die europäische Romania ist durch das Spannungsfeld zwischen Globalisierung und Regionalisierung geprägt. Einerseits gehen mit fortschreitender Globalisierung neue Migrationsbewegungen einher, die Sprach- und Kulturtransfers nach sich ziehen und dadurch neue Kontaktvarietäten entstehen lassen. Andererseits erstarken in der Romania Regionalisierungstendenzen, die u.a. in der Lombardei, auf Korsika, in Flandern und in Katalonien Sprachkonflikte fördern.
Eine relativ rezente Möglichkeit, sprachliche Diversität, Sprachkontakte und -konflikte zu visualisieren und empirisch offenzulegen, liefert die Linguistic Landscape-Forschung (LL). Sie beschäftigt sich mit der Analyse von (fotographischen) Dokumentationen multimodaler Zeichen im öffentlichen Raum (Backhaus 2007; Landry/Bourhis 1997).
Aktuelle Arbeiten gehen über anfänglich quantitative Analysen der Zeichen hinaus und nehmen methodisch qualitative Erweiterungen vor, indem sie z.B. ProduzentInnen oder RezipientInnen in die Analyse miteinbeziehen. Dies ermöglicht ein besseres Verständnis der hinter den Zeichen liegenden Motive, Ideologien und Einstellungen (Cenoz/Gorter 2019; Gorter et al. 2019).

 

In der romanischen Sprachwissenschaft haben sich zahlreiche Studien der LL bedient (z.B. Blackwood/Tufi 2015; Castillo Lluch/Kailuweit/Pusch 2019; Moser 2020), um die Sichtbarkeit von Regional- und Minderheitensprachen, diatopischen Varietäten und Migrantensprachen sowie die damit verbundene Sprachpolitik der Staaten und Regionen, Sprachkonflikte oder Prozesse der Identitätsaushandlung zu analysieren. Die romanistische LL-Forschung liefert damit einen wichtigen Beitrag zu diskurs-, ethno-, sozio-, kontakt- und migrationslinguistischen Fragestellungen sowie zur Mehrsprachigkeitsforschung.

 

Dennoch sind gerade in der Erforschung von LL der Romania noch entscheidende Fragen unbeantwortet, die auch die Themen Regionalisierung und Globalisierung in Europa tangieren. Während Regionalsprachen des Öfteren im öffentlichen Raum der Romania untersucht worden sind, werden in romanistischen Arbeiten dialektale Diversitäten selten analysiert (Pons 2012). Dabei stellen sich Fragen hinsichtlich der Indexikalität von Zeichen bis hin zu Aspekten des Enregisterments (Agha 2005). Nur sporadisch wird in romanistischen Arbeiten das Potential der Digital Humanities ausgeschöpft (Krefeld 2018). Dies schlägt sich v.a. in methodisch-technischen Neuerungen nieder, die zumeist außerhalb der romanischen Arbeiten entwickelt und genutzt werden, z.B. interaktives Mapping durch digitale Technologien (languagelandscape.org, LinguaSnapp, Lingscape), die auch für Analysen der Beschilderung des öffentlichen Raums in der Romania ein hilfreiches Werkzeug darstellen. Ein weiteres Desiderat – nicht nur in der Romanistik –  ist die Frage nach Methoden- und Datenkombination z.B. mit ethnologisch erhobenen Feldforschungsdaten. Partizipativer Einbezug von AkteurInnen und perzeptive Analysen finden in romanistischen Arbeiten bis dato noch selten statt (Harjus 2019); ebenso werden in der Romanistik noch zu selten konstruktivistische Ansätze der urban linguistics (Warnke/Busse 2014), also (urbane) raumkonstruierende Aspekte durch Beschilderungen erforscht (Peter 2020). Die Sektion setzt sich deshalb zum Ziel, das Forschungsfeld der LL auf breiter theoretischer, methodischer und empirischer Basis unter Einbezug aller romanischen Sprachen weiter auszubauen. Erwünscht sind diachrone und synchrone Beiträge, ebenso wie komparative Perspektiven, die die multimodale Sicht auf Mehrsprachigkeit insbesondere in Europa, aber auch in der Romania nova von „innen“ und „außen“ konturieren und u.a. folgende Themen fokussieren können:

 

  • Sprachkonflikte im öffentlichen Raum
  • (Migrationsbedingter) Sprachkontakt und Mehrsprachigkeit im öffentlichen Raum
  • Multimodale Strategien bei der Aushandlung von Identität(en)
  • Spracheinstellungen und -ideologien
  • Indexikalität von ausgestellten Zeichen, Enregisterment durch determinierte sprachliche Merkmale und damit konstruktivistische Ansätze der urban linguistics
  • Methodische Erweiterung der LL-Forschung durch Einbezug von AkteuerInnen
  • Methodische Erweiterung der LL-Forschung durch interaktiv-digitale Darstellung der Analyseergebnisse im WorldWideWeb
  • Aus interdisziplinärer Perspektive: (Digitale) Integration von LL in die Fremdsprachdidaktik romanischer Sprachen

Auswahlbibliographie

 

Agha, Asif (2005): „Voice, Footing, Enregisterment“, in: Journal of Linguistic Anthropology 15, 38–59.

 

Backhaus, Peter (2007): Linguistic Landscapes. A Comparative Study of Urban Multilingualism in Tokyo. Clevedon [u.a.]: Multilingual Matters.

 

Blackwood, Robert / Tufi, Stefania (eds.) (2015): The Linguistic Landscape of the Mediterranean French and Italian Coastal Cities. Houndmills: Palgrave.

 

Castillo Lluch, Mónica / Kailuweit, Rolf / Pusch, Claus (eds.) (2019): Linguistic Landscape Studies. The French Connection. Freiburg i.Br. [u.a.]: Rombach.

 

Cenoz, Jasone / Gorter, Durk (2019): „Multilingualism, Translanguaging, and Minority Languages in SLA“, in: The Modern Language Journal 103, 130-135.

 

Gorter, Durk/Marten, Heiko/Van Mensel, Luk (2019): „Linguistic Landscape and Minority Languages”, in: Hogan-Brun, Gabrielle / O’Rourke, Bernadette (eds.): The Palgrave Handbook of Minority Languages and Communities. London: Palgrave MacMillan, 481-506.

 

Harjus, Jannis (2019): „Graphische Approximationen an phonetisch-phonologische Elemente des in Andalusien gesprochenen Spanisch in den linguistic landscapes der Provinz Cádiz”, in: Calderón-Tichy, Marietta / Konzett-Firth, Carmen (eds.), Dynamische Approximationen: Festschrift für Eva Lavric. Berlin/New York u.a.: Peter Lang, 391-411.

 

Krefeld, Thomas (2018): „VerbaAlpina – oder: der Transfer der Geolinguistik in die digital humanities”, in: VerbaAlpina-de 18/1.

 

Landry, Rodrigue / Richard Y. Bourhis (1997): „Linguistic landscape and ethnolinguistic vitality: An empirical study“, in: Journal of Language and Social Psychology 16/1, 23–49.

 

Moser, Philippe (2020): „Linguistic Landscape“ als Spiegelbild von Sprachpolitik und Sprachdemografie?: Untersuchungen zu Freiburg, Murten, Biel, Aosta, Luxemburg und Aarau. Tübingen: Narr.

 

Peter, Benjamin (2020): L'andalú - Sprache, Dialekt oder lokale Mundart? Zur diskursiven Konstruktion des Andalusischen. Berlin: De Gruyter.

 

Pons Rodríguez, Lola (2012): El paisaje lingüístico de Sevilla. Lenguas y variedades en el escenario urbano hispalense. Sevilla: Diputación.

 

Warnke, Ingo / Busse, Beatrix (eds.) (2014): Place-Making in urbanen Diskursen. Boston/Berlin: De Gruyter.

 

languagelandscape.org

linguasnapp.manchester.ac.uk

lingscape.uni.lu


Kontakt: lukas.eibensteiner@uni-jena.de, Jannis.Harjus@uibk.ac.at

Kontakte zwischen Sprachen und Varietäten sind im vielsprachigen Europa allgegenwärtig. Die modernen Gesellschaften des 21. Jahrhunderts lassen sich als vielschichtige, mobile und digital vernetzte Sprachgemeinschaften charakterisieren, deren Sprecher*innen ein großes kommunikatives Repertoire von lokaler bis globaler Reichweite zur Verfügung steht. Für die romanischen Sprachen schließt dies Kontakte zu regionalen Sprachen und Varietäten, Kontakte innerhalb der Familie der romanischen Sprachen sowie globale Kontaktphänomene wie den Einfluss des Englischen ein.
Unterschiedliche Szenarien des Sprachkontakts haben ebenso für die gesamte romanische Sprachgeschichte eine bedeutende Rolle gespielt (vgl. Gabriel, Pešková & Selig 2020). Hierbei werden für vielfältige Wandelprozesse auf den verschiedenen Ebenen der Sprachen Kontakteinflüsse angenommen. Diese umfassen z.B. auch den Rückgriff auf Einheiten griechischen und lateinischen Ursprungs als wichtige Quelle des Ausbaus von internationalen Fachterminologien. Im globalen Austausch entstehen so neue Annäherungen, die differenziert zu erfassen sind. Bei der Untersuchung von Sprecherverhalten in konkreten Kontaktsituationen erscheint es ferner interessant, nach übereinzelsprachlich gültigen Prinzipien und Prozessen, Kategorien sowie Beschränkungen (z.B. hinsichtlich der Sprachenwahl, Code-Switching/-Mixing und der Verwendung entlehnter Einheiten) zu fragen und die sprachstrukturelle, kognitive oder pragmatisch-interaktionale Natur der entsprechenden Phänomene auszuloten.
Die Sprachkontaktforschung blickt auf eine lange Tradition zurück (für neuere Überblicksdarstellungen vgl. u.a. Thomason 2001, Matras 2009, Hickey 2010, Darquennes, Salmons & Vandenbussche 2019). Klassische Fragen betreffen unter anderem das Verhältnis von „internen“ und „externen“ Faktoren des kontaktinduzierten Sprachwandels sowie das Verhältnis von kontaktinduziertem und innersprachlichem Wandel insgesamt (vgl. Palacios 2017). Gleichzeitig wird mit unterschiedlichen Forschungsansätzen auf die Inter- bzw. Multidisziplinarität der Kontaktlinguistik verwiesen (vgl. Zenner, Backus & Winter-Froemel 2018, Winford 2020). Dies schließt Modellierungen der Kognitiven Semantik, Generativen Linguistik und Optimalitätstheorie wie auch soziolinguistische und psycholinguistische, kontrastiv- sprachstrukturelle und typologische Ansätze ein (z.B. Haspelmath & Tadmor 2009).
Ebenso werden weitere theoretische Dimensionen von Sprachkontaktphänomenen erschlossen und pragmatische (vgl. Onysko & Winter-Froemel 2011, Andersen 2014), soziolinguistische und interaktionale Aspekte (vgl. Zenner & Kristiansen 2014) berücksichtigt. Im Blickfeld der neueren Forschung steht auch die graphische Repräsentation von Sprachkontakten in Linguistic Landscapes, und Sprachkontaktszenarien in der Geschichte der romanischen Sprachen werden ausgehend von aktuellen Ansätzen neu beleuchtet. Gleichzeitig werden vermehrt neue methodische Zugänge fruchtbar gemacht, etwa korpuslinguistische, psycholinguistische und computerlinguistische Verfahren (vgl. z.B. Cartier et al. 2018).
Ziel der Sektion ist es, im Rahmen einer Zusammenführung verschiedener Ansätze und Methoden neue theoretische Perspektiven der Sprachkontaktforschung zu erschließen.
Dabei sind synchron und diachron orientierte Beiträge zu Sprachkontaktphänomenen auf unterschiedlichen Beschreibungsebenen der Linguistik willkommen. Mögliche Untersuchungsfragen betreffen beispielsweise:

  • die Auswirkungen kognitiver Prinzipien und Prozesse in Sprachkontaktsituationen,
  • die Auswirkungen der kontextuellen und kommunikativen Rahmenbedingungen auf sprachliches Handeln in Kontaktsituationen bzw. allgemein die pragmatische Dimension von Sprachkontaktphänomenen,
  • die Auswirkungen des Grads an Ähnlichkeit bestimmter sprachstruktureller Merkmale für kontaktinduziertes Sprachverhalten und kontaktinduzierten Wandel bzw. dessen Ausbleiben,
  • übergreifende Prinzipien des Sprachkontakts und die historische Bedingtheit von Sprachkontaktphänomenen,
  • das Zusammenwirken struktureller und semantisch-pragmatischer Faktoren im Sprachkontakt.

Analysen romanischer (und ggf. anderer) Sprachdaten im Licht dieser Perspektiven sollen kritisch reflektiert und die Tragfähigkeit der verschiedenen Ansätze für die Modellierung von Sprachkontaktphänomenen in der Romania überprüft werden. Die Vortragsvorschläge sollten daher klar angeben, welche Kontaktsituationen und - phänomene untersucht werden und welchen theoretischen Ausrichtungen ihre Analyse folgt. Durch den Austausch sollen neue Einsichten in unterschiedliche Arten und Asymmetrien von Sprachkontaktphänomenen sowie zum Zusammenspiel von Sprachkontakt und Sprachwandel gewonnen werden.

 

Auswahlbibliographie

 

Andersen, Gisle. 2014. Pragmatic Borrowing. Journal of Pragmatics 67. 17–33.

 

Cartier, Emmanuel et al. 2018. Détection automatique, description linguistique et suivi des néologismes en corpus : point d'étape sur les tendances du français contemporain. SHS Web Conf. 46. 6e Congrès Mondial de Linguistique Française. https://doi.org/10.1051/shsconf/20184608002.

 

Darquennes, Jeroen & Salmons, Joseph C. & Vandenbussche, Wim (eds.). 2019. Language contact: an international handbook (HSK 45).  Berlin: Mouton De Gruyter.

 

Haspelmath, Martin & Tadmor, Uri (eds.). 2009. World Loanword Database. Leipzig: Max Planck Institute for Evolutionary Anthropology. http://wold.clld.org, accessed on 2020-05-21.

 

Hickey, Raymond. 2010. The Handbook of Language Contact. Chichester: Wiley- Blackwell.

 

Gabriel, Christoph & Pešková, Andrea & Selig, Maria (eds.). 2020. Contact, variation and change in Romance and beyond. Studies in honor of Trudel Meisenburg. Berlin: Erich Schmidt Verlag.

 

Matras, Yaron. 2009. Language Contact. Cambridge: Cambridge University Press.

 

Onysko, Alexander & Winter-Froemel, Esme. 2011. Necessary loans – luxury loans?Exploring the pragmatic dimension of borrowing. Journal of Pragmatics 43(6). 1550–1567.

 

Palacios, Azucena (coord.). 2017. Variación y cambio lingüístico en situaciones de contacto. Madrid: Iberoamericana.

 

Thomason, Sarah Grey. 2001. Language Contact. Edinburgh: Edinburgh University Press.

 

Winford, Donald. 2020. Theories of Language Contact. In Grant, Anthony (ed.), The Oxford Handbook of Language Contact, Ch. 2. New York: Oxford University Press.

 

Zenner, Eline & Backus, Ad & Winter-Froemel, Esme (eds.). 2018. Cognitive Contact Linguistics. Berlin: Mouton De Gruyter.

 

Zenner, Eline & Kristiansen, Gitte (eds.). 2014. New perspectives on lexical borrowing (Language Contact and Bilingualism 7). Berlin: Mouton de Gruyter.

 

Kontakt: sandra.ellena@uni-wuerzburg.de, esme.winter-froemel@uni-wuerzburg.de

Hinsichtlich der (interlingualen) Textproduktion rückt spätestens mit der Skopos- Theorie und anderen handlungstheoretischen Ansätzen die Zielrezipientenschaft in den Fokus der Sprach- und Translationsforschung. Die Vielfalt übersetzerischer Herangehensweisen an denselben Ausgangstext und, daraus hervorgehend, die Vielfalt der entstehenden Übersetzungen lassen sich in dieser Hinsicht aus der Pluralität möglicher Rezipientengruppen ableiten.  Eine – wenn auch sehr heterogene – Zielgruppe stellen Laien dar, für die anspruchsvolle Inhalte intralingual, interlingual und interse- miotisch neu aufbereitet werden. Anhand dieser von Jakobson (1959) geprägten Trias ließe sich jeder Wissenstransfer als ‚Übersetzung‘ charakterisieren, da er aus der Verwendung neuer sprachlicher bzw. anderer kommunikativer Mittel resultiert. Man könnte ihn auch, einer prinzipiellen Unterscheidung von Schreiber (1993) folgend, je nach Varianzgrad in das Kontinuum zwischen Übersetzung und Bearbeitung verorten.
Solche Texttransferprozesse, die die Verständlichkeit bei einer breiten Laienrezipientenschaft bezwecken und nicht auf einer fundierten Expertise (Bromme/Jucks 2014) aufbauen, weisen spezifische Merkmale auf (Van Vaerenbergh 2010) und umfassen verschiedene Operationen, die in der Fachkommunikations- und Translationsforschung als Optimierung, Vereinfachung, polysemiotische/multimodale Gestaltung etc. bekannt sind. Diese Prozesse laufen sowohl innerhalb einer Sprachgemeinschaft als auch über Sprachgrenzen hinweg ab.

 

In der gegenwärtigen vernetzten Welt ergreifen aber immer wieder auch die Laien selbst in eigenverantwortlicher und selbstbewusster Weise das Wort. Nicht zuletzt deswegen gilt das World Wide Web u.a. als Infrastruktur für die demokratischsten Kommunikationsformen. Wenn Wissens- und Sprachtransfer auch jenseits von akademisch angeeigneter Expertise betrieben werden, birgt dies zum einen Gefahren der Trivialisierung bzw. der Wiedergabe sowie Zirkulation von fehlerhaftem Wissen, fördert aber auch kreative und unkonventionelle, sich abseits von wissenschaftlichen Mainstream-Theorien befindende Lösungen zutage. Dies gilt sowohl für Vermittlung von Wissen über Sprache und Sprachtransfer wie auch über jeden anderen Gegenstand im Medium der (Fremd-)Sprache.

 

Das Ziel der Sektionsarbeit besteht u. a. darin, in bewusster Anlehnung an die und Fortführung der Theoreme der Laienlinguistik den Stellenwert von Laienurteilen in der translatorischen und translatologischen Praxis zu erforschen. Dieser Zielsetzung liegt die Erfahrung zugrunde, dass sich das „Laieninteresse an Sprache und Kommunika- tion“ (Antos 1996: 5) nicht nur monolingual manifestiert, sondern auch bei zwei- und mehrsprachigen Personen eine Fortsetzung im bi- sowie multilingualen Bereich erfährt und damit einer Reflexion auf der Ebene von Sprachkontrastierung und Sprachtransfer Tür und Tor öffnet. Die Laienlinguistik ist damit nicht nur eine für und oft auch von Laien betriebene „Sprach- und Kommunikationslehre zur Lösung muttersprachlicher Probleme“ (Antos 1996: 13), sondern auch solcher Zweifelsfälle, die sich beim Fremd- sprachenerwerb und Sprachtransfer einstellen. So vermag es die Translationswissenschaft nicht nur, existierende Untersuchungen zur „Laienkommunikation“ (Busch 1994) fortzuführen, sondern auch um neue Perspektiven zu ergänzen. Dies tut sie, indem sie genuin sprachkontrastive und sprachübergreifende Korpora erschließt, welche die metasprachliche Reflexion auf eine neue Stufe heben.

Mögliche Anwendungsfelder und Fragestellungen sind: 

  • Linguistische/semiotische Theorie: In welchem Maße können Formen des Wissenstransfers für Laien als Translation angesehen werden? Welche Operationen führen zu laiengerechter Kommunikation? Wie sehen konkret Optimierungs- und Vereinfachungsprozesse aus? Inwiefern kann die Übersetzung in ‚Einfache‘ bzw. ‚Leichte Sprache‘ als eine Form der Translation von/für Laien betrachtet werden? Sichert der Einsatz anderer als sprachlicher Mittel bzw. eine Kombination aus Verbalia und Nonverbalia Verständlichkeit? Wie kann ein common ground im Sinne Clarks (1996) bei Kommunikations- partnern mit großen Wissensdivergenzen aussehen? 
  • Translationstheorie: Die seit Ende der 1950er Jahre betriebene Translationstheorie ist eine relativ junge akademische Disziplin. Übersetzungs- theorien gibt es aber seit der Antike. Sind diese allesamt als Laientheorien zu bezeichnen? Wann gilt eine zwei- oder mehrsprachige Person als Sprachtransfer-Experte? Wie sind also translatorische Expertise und translatorisches Laientum zu definieren? 
  • Translationspraxis: In welchen Fällen finden die oben genannten Vereinfachungs- und Optimierungsprozesse über Sprachgrenzen hinweg statt? Mit welchen Zielen übersetzen oder dolmetschen Laien? Welche Gefahren oder Potenziale bestehen bei der Laientranslation? Welche Bedingungen herrschen etwa beim Community Interpreting oder den verschiedenen Formen der Laienübersetzung im Film (Fansubs und Fandubs) vor? Inwiefern sind Laien- translationen von metareflexiven Paratexten und Einschüben begleitet, die zu- mindest in rudimentärer Weise die Leitlinien der eigenen translatorischen Arbeit festhalten? 
  • Gesellschaftliche Relevanz: Inwiefern leistet der auf Laien zugeschnittene Wissenstransfer einen Beitrag zu Inklusion, Partizipation, Empowerment und Demokratisierung der Wissensvermittlung?

Diesen und weiteren Fragen auf den Grund zu gehen ist Ziel der Sektionsarbeit. Interessierte sind herzlich dazu eingeladen, einen Beitragsvorschlag in deutscher oder einer romanischen Sprache einzureichen.


Auswahlbibliographie


Antos, Gerd (1996): Laien-Linguistik. Studien zu Sprach und Kommunikationsproblemen im Alltag. Am Beispiel von Sprachratgebern und Kommunikationstrainings. Tübingen: Niemeyer.

 

Bredel, Ursula / Maass, Christiane (2016): Leichte Sprache: Theoretische Grundlagen. Orientierung für die Praxis (Deutsch). Berlin: Duden.

 

Bromme, Rainer / Jucks, Regina (2014): „Fragen Sie ihren Arzt oder Apotheker: Die Psychologie der Experten-Laien- Kommunikation“. In Blanz, Mathias / Florack, Arnd / Piontkowski, Ursula [Hrsg.]: Kommunikation. Eine interdisziplinäre Einführung. Stuttgart: Kohlhammer. S. 237–246.

 

Busch, Albert (1994): Laienkommunikation. Vertikalitätsuntersuchungen zu medizinischen Experten-Laien-Kommunikationen. Frankfurt a. M.: Peter Lang.

 

Clark, Herbert H. (1996): Using language. Cambridge: Cambridge University Press.

 

Furnham, A. F. (1988): Lay Theories. Everyday understanding of problems in the social sciences. Oxford: Pergamon Press.

 

Jakobson, Roman (1959): „On Linguistic Aspects of Translation“. In: ders. (1971): Word and Language. The Hague: Mouton. S. 260–266.

 

Schreiber, Michael (1993): Übersetzung und Bearbeitung. Zur Differenzierung und Abgrenzung des Übersetzungsbegriffs. Tübingen: Narr.

 

Vaerenbergh, Leona van (2010): „Writing and Translation in Expert–Non-expert Com- munication. Methods, Guidelines and Quality Assessment”. In: Synaps 24, S. 13–24.

 

Kontakt: agnetta@uni-hildesheim.de

Das theoretische Paradigma der Konstruktionsgrammatik erfreut sich in den letzten Jahren bekanntlich auch in der romanischen Sprachwissenschaft wachsender Beliebtheit (vgl. z.B. die Sammelbände in Vorbereitung: Döhla/Hennemann, Gévaudan/Hennemann, Hennecke/Wiesinger). Dies überrascht kaum, denn der genuin funktionalistische Ansatz, den sämtliche konstruktionsgrammatischen Modelle verfolgen, ist mit der europäischen Theoriebildung sowohl des an der Sprachgeschichte interessierten 19. als auch mit dem Strukturalismus des 20. Jahrhunderts in hohem Maße kompatibel (vgl. Tacke 2020; im Druck). Durch die Erweiterung des Saussure’schen Zeichenbegriffs bietet die Konstruktionsgrammatik ein theoretisch überzeugendes Instrument und einen kognitiv plausiblen Ansatz zur Beschreibung sprachlicher Einheiten, die von der morphologischen über die Wort- bis zur syntaktischen Ebene und darüber hinaus reichen können. Während der Fokus dabei zunächst auf Randphänomenen wie Phraseologismen (z.B. let alone bei Fillmore/Kay/O’Connor 1988), sodann vor allem auf der Grammatik im engeren Sinn lag, lässt sich zuletzt ein wachsendes Interesse an der Beschreibung und theoretischen Erfassung sprachlicher Muster beobachten, die potentiell weit über die Satzebene hinausgreifen. So integriert Croft (2001: Kap. 9) die Analyse ‚komplexer Figur-Grund-Satzschemata‘ im Sinne konventionalisierter Konstruktionsmuster mit definierbaren Form- und Funktionseigenschaften, während Östman (2005) – im Anschluss an Fillmores auf die Interpretation von Texten angewendeten Framebegriff (1982) – dafür plädiert, den (konstruktionsgrammatischen) Begriff der Grammatik auf „discourse patterns“ bzw. „discourse-level constructions“ zu erweitern. Östman (2005: 121, 130) zufolge handele es sich dabei um „conventionalizations of specific linguistic properties, which places them on an equal footing with the conventionalized patterns known as ‚grammar‘“. Auch Langackers einflussreiche Cognitive Grammar reiht sich hier ein, insofern in deren Synthese im Kapitel „Frontiers“ ein Ausblick auf die Analyse der „numerous kinds of genres of discourse, both spoken and written“ (2008: 477) geboten wird, die als konventionalisierte Muster ebenso verfestigt sein können (entrenchment), wie Ausdrücke niedrigerer levels of organization. Weitere Arbeiten, die in diese Richtung gehen, sind in den letzten Jahren noch hinzugekommen (vgl. u.a. Bucker/Gunthner/Imo Hg. 2015, Hoffmann/Bergs 2018).

 

Ziel der Sektion soll es sein, sich aus romanistischer Perspektive mit dieser noch jungen Theorieentwicklung auseinanderzusetzen und diese mit konkurrierenden Paradigmen zu kontrastieren. Leitfragen betreffen die Leistungen und Grenzen konstruktionsgrammatischer Analysen sprachlicher Einheiten, welche die Grenzen des traditionellen Begriffs von Grammatik transzendieren. Hierunter fallen neben komplexen Sätzen und informationsstrukturell markierten Satzmustern insbesondere auch Textsorten und Gattungen, deren Betrachtung unter dem Begriff der Text- bzw. Diskurstraditionen in der Romanistik und darüber hinaus im Rahmen der Textlinguistik gut etabliert ist (vgl. Winter-Froemel et al. Hg. 2015). Anknüpfungspunkte bieten sich zudem hinsichtlich der Rolle der Kognition bei der Produktion und Rezeption textueller Muster (vgl. Meier 2020). Des Weiteren bietet sich auch die Betrachtung jedweder Form ‚wiederholter Rede‘ an, insofern diese, z.B. als Formeln, zu den Bausteinen komplexerer Diskurskonfigurationen gezählt werden können. So kann die Gattung ‚Märchen‘ als Diskurstradition und zugleich als teilschematisierte Konstruktion aufgefasst werden (vgl. Coseriu 31994: 188f.; Fillmore 1982: 117; Wilhelm 2001: 469; Östman 2005: 131; Langacker 2008: 117). Schließlich wäre auch die Kontrastierung der kognitiven Theoriebildung mit diskurslinguistischen Ansätzen denkbar (vgl. Lebsanft/Schrott Hg. 2015). In diesem Sinne versteht sich die Sektion als Diskussionsforum und lädt dazu ein, sich vor dem Hintergrund bewährter (romanistischer) Ansätze mit der konstruktionsgrammatischen Theoriebildung und der Frage nach Leistungen und Grenzen, gerade auch mit Blick auf die empirische Operationalisierung der Modelle, auseinanderzusetzen.

 

Auswahlbibliographie

 

Bucker, Jorg/Gunthner, Susanne/Imo, Wolfgang (Hg.): Konstruktionsgrammatik V. Konstruktionen im Spannungsfeld von sequenziellen Mustern, kommunikativen Gattungen und Textsorten, Tübingen.

 

Coseriu, Eugenio ([1980] 31994): Textlinguistik. Eine Einführung, Tübingen.

 

Croft, William (2001): Radical Construction Grammar: Syntactic Theory in Typological Perspective, Oxford.

 

Döhla, Hans-Jörg/Hennemann, Anja (Hg.) (in Vorb.): Konstruktionsgrammatische Zugänge zu romanischen Sprachen, Berlin.

 

Fillmore, Charles J. 1982. „Frame Semantics“. In: The Linguistic Society of Korea (Ed.), Linguistics in the Morning Calm. Seoul, 111-137.

 

Fillmore, Charles J./Kay, Paul/O’Connor, Mary Catherine (1988): „Regularity and Idiomaticity in Grammatical Constructions: The Case of Let Alone“, Language 64, 501-538.

 

Gévaudan, Paul/Hennemann, Anja (Hg.) (in Vorb.): Chancen und Grenzen der Konstruktionsgrammatik, Tübingen.

 

Hennecke, Inga/Wiesinger, Evelyn (Hg.) (in Vorb.): Constructions in Spanish, Amsterdam/Philadelphia.

 

Hoffmann, Thomas/Bergs, Alexander (2018): „A Construction Grammar Approach to Genre“, CogniTextes 18, 1-27.

 

Langacker, Ronald W. (2008): Cognitive Grammar. A Basic Introduction, Oxford.

 

Meier, Kerstin (2020): Semantische und diskurstraditionelle Komplexität. Linguistische Interpretationen zur französischen Kurzprosa, Berlin/Boston.

 

Östman, Jan-Ola (2005): „Construction discourse: a prolegomenon“, in: Östman, Jan-Ola/Fried, Mirjam (Hg.): Construction Grammars. Cognitive Grounding and Theoretical Extensions, Amsterdam, 121–144.

 

Tacke, Felix (2020): „Linguistic Norm in Cognitive Linguistics“, in: Lebsanft, Franz/Tacke, Felix (Hg.): Manual of Standardization in the Romance Languages, Berlin/Boston, 183-208.

 

Tacke, Felix (im Druck): „Notizen zu einer historisch-vergleichenden kognitiven Grammatik“, in: Becker, Lidia et al. (Hg.): Fachbewusstsein der Romanistik. Romanistisches Kolloquium XXXII, Tübingen.

 

Wilhelm, Raymund (2001): „Diskurstraditionen“, in: HSK 20.1, 467-477.

 

Winter-Froemel, Esme/López Serena, Araceli/Octavio de Toledo y Huerta, Álvaro/Frank-Job, Barbara (Hg.) (2015): Diskurstraditionelles und Einzelsprachliches im Sprachwandel/Tradicionalidad discursiva e idiomaticidad en los procesos de cambio lingüístico, Tübingen.

 

Kontakt: henneman@uni-potsdam.de, felix.tacke@uni-bonn.de

 

 

 

 

Sections - études culturelles

Gemeinsame Werte und Überzeugungen, aber auch eine gemeinsame Memorialkultur sind als Bindeglied der Europäischen Idee bisher eingehend beschrieben worden (vgl. den Boer u.a. 2012 in Anschluss an die Thesen von Pierre Nora / Nora 1998). Europa bzw. die Identifikation mit Europa leidet aber gerade unter der ausbleibenden Auseinandersetzung hinsichtlich einer gemeinsamen Populärkultur. Bereits auffällig wurde dies durch das Ende des Ost-West-Konflikts und der Integration Osteuropas in die Europäische Union, insofern als auch die US-Kultur an Bindungskraft deutlich verloren hat (Linke/Tanner 2006) und sich Gemeinsamkeiten oftmals stärker auf binationaler Ebene finden (zu Deutschland-Frankreich siehe Hüser/Pfeil 2015 bzw. Umlauf u.a. 2013, zu Italien-Polen siehe Henzelmann/Mayer/Olcese 2020, zu Frankreich-Bulgarien Mayer/ Henzelmann 2018). Hinzu kommt, dass die Wahrnehmung einer gemeinsamen europäischen Populärkultur sich zwar offensichtlich einer weiten Spanne bedient, es bei genauer Betrachtung aber augenscheinlich wird, dass zunehmend nur die Pole dieses Kontinuums bedient werden. Diese reichen von einem Europa, dass sich als globale Gemeinschaft inszeniert (wie es die Ausrichtung des 1961 entstanden „Gastarbeiterprogramms“ des WDR hin zum „Funkhaus Europa“ und seit 2016 nun als globaler Sender „COSMO“ zeigt), bis hin zu den konträr stehenden Isolierungsbewegun- gen, die gegen den Trend einer gemeinsamen Populärkultur arbeiten und Populärmusik aus ihrem globalen und europäischen Kontext entrücken, um sie zur Identifikationsfigur nationalistischer und patriotischer Programmatik zu erheben (wie z.B. der Rapper Chris Ares, der die Diskurstradition des in den späten 1980er Jahren in Frankreich entstehenden Message- bzw. Propheten-Rap –  vgl. Lapassade 1990 – in verzerrte Beziehungszusammenhänge setzt).

 

Die Sektion möchte zum einen auf populärmusikalische Bindefaktoren blicken, die von der Idee der Eurovision (vgl. Vuletic 2018), zu Förderprogrammen wie Music Moves Europe, Jugendbewegungen wie der Existentialismus, bis hin zur einer europäischen Akademiekultur in der Auseinandersetzung mit Populärmusik (z.B. das neu entstandene European Hiphop Studies Network) reichen. Zum anderen gilt es eine Bestandsaufnahme der Gegenwart vorzunehmen und in die Zukunft zu blicken, d.h. politische Ideen (Vertrag von Aachen, Macrons Initiativen) auf eine populärkulturelle Verankerung hin zu befragen. Dabei fällt der Blick auf spezifische Rezeptions- und Produktionsphänomene in Europa, d.h. auf Spektakel wie der Eurovision Song Contest, genauso aber auch auf Identifikationsangebote der Romania (das französische Chanson, die italienische Canzone und das spanische Partylied), die Populärmusik zur geteilten Identität des Internationalen Studierendenaustauschs erheben. Verschiedene lokalspezifische Realitäten haben sich in der Romania als europäische Metropolen der Populärmusik etabliert und stehen einerseits im Zeichen der gegenwärtigen Superdiversity, gelten andererseits aber auch als Dreh- und Angelpunkt lokaler und regionaler Authentizitätsfragen: Ibiza als Hochburg der House-Musik (und der geprägten Stilrichtung Balearic Beat), Marseille als europäisches Rap-Mekka, das zeitgleich gesprochene Varietäten des Provenzalischen wiederbelebt (Spanu 2015) sowie die in der Provinz Lecce repopularisierte Kultur des Tarantismo und der Pizzica durch die La Notte della Taranta.

 

Der Romania ist in der Bestimmung einer europäischen Populärkultur eine prägende Rolle zuzuweisen, die aus transdisziplinärer Sicht erörtert werden soll. Konzepte wie Diskurs (z.B. Inklusions- und Exklusionsfaktoren der sprachlichen Positionierung nach Englebretson 2007), Performance (im Spannungsfeld zwischen Petras 2011 und Gruber 2017), Ästhetik und Transgression (Kimminich 2007) sind dabei in der Vernetzung kulturwissenschaftlicher, linguistischer, ethnographischer, aber auch philosophischer und anthropologischer sowie Sichtweisen aus den Kommunikations- und Kognitionswissenschaften zu diskutieren, um die romanischen Ingredienzien einer gemeinsamen europäischen Populärkultur herauszuarbeiten.

 

Auswahlbibliographie

 

Den Boer, Pim / Duchhardt, Heinz / Kreis, Georg / Schmale, Wolfgang: Europäische Erinnerungsorte 1-3, München 2012.

 

Englebretson, Robert (Hg.): Stancetaking in Discourse. Subjectivity, Evaluation, Interaction, Amsterdam 2007.

 

Gruber, Johannes: Performative Lyrik und lyrische Performance. Profilbildung im deutschen Rap, Bielefeld 2017.

 

Henzelmann, Martin / Mayer, Christoph Oliver / Olcese, Gianluca (Hg.): Italien-Polen. Kulturtransfer im europäischen Kontext, erscheint Berlin 2020.

 

Hüser, Dieter / Pfeil, Ulrich (Hg.): Populärkultur und deutsch-französische Mittler. Akteure, Medien, Ausdrucksformen, Bielefeld 2015.

 

Kimminich, Eva/Rappe, Michael/Geuen, Heinz/Pfänder, Stefan (Hg.): Express yourself!.Europas kulturelle Kreativität zwischen Markt und Underground, Bielefeld 2007.

 

Lapassade, Georges/Rousselot, Philippe: Le rap ou la fureur de dire. Essai, Paris 1990.

 

Linke, Angelika/Tanner, Jakob (Hg.): Attraktion und Abwehr. Die Amerikanisierung der Alltagskultur in Europa, Köln 2006.

 

Lipsitz, George: Dangerous Crossroads. Popular Music, Postmodernism and the Poetics of Place. London 1997.

 

Mayer, Christoph Oliver / Henzelmann, Martin (Hg.): Frankreich-Bulgarien. Innereuropäischer Kulturtransfer, Hamburg 2018.

 

Nora, Pierre: Zwischen Geschichte und Gedächtnis, Frankfurt a.M. 1998.

 

Petras, Ole: Wie Popmusik bedeutet. Eine synchrone Beschreibung popmusikalischer Zeichenverwendung, Bielefeld 2011.

 

Spanu, Michael: „Alternative Globalization in Southern France: Minority Language as a Creative Tool in Occitan Popular Music“. In: Helms, Dietrich / Phleps, Thomas (Hg.): Speaking in Tongues. Pop lokal global, Bielefeld 2015, 45-61.

 

Umlauf, Joachim / Colin, Nicole / Defrance, Corinne / Pfeil, Ulrich (Hg.): Lexikon der deutsch-französischen Kulturbeziehungen nach 1945, Tübingen 2013.

 

Vuletic, Dean: Postwar Europe and the Eurovision Song Contest, London/New York 2018.

 

Kontakt: christoph.mayer@tu-dresden.de, paula.schreiber@unitn.it

 

 

Geschichten der Migration sind Geschichten in und über Bewegung. Sie durchmessen kulturhistorische Räume, die von sozialen Auf- und Abstiegen, soziokulturellen Ein- und Ausgrenzungen und Prozessen der Trans- und Hyperkulturation erzählen. Sie übersetzen diese Phänomene in multimediale Bildwelten und beschreiben und beschreiten so Achsen, welche nicht nur kultursemantische Pole verbinden, sondern sich überlagern, raum-zeitlich beeinflussen und generieren. Die Sektion perspektiviert die bestehende Forschung über die Wechselwirkungen derartiger migratorischer Prozesse noch einmal anders, indem sie zwei Dimensionen der Migration in Zusammenhang stellt, die die Verdichtung solcher ‚Narrative‘ als Geflecht relationaler Denkfiguren und - strategien sichtbar machen: Achsen und Spektren.

 

Achsen ermöglichen es, Narrationen der Migration in ihren Aus-Richtungen oder vektoriellen Dynamiken (Ette) zu beschreiben. Durch das Wandeln (im doppelten Sinne) der Menschen bringen Achsen erstens Orte in einen Zusammenhang und gehen zweitens über reine Binde-Funktionen zwischen Orten oder Subjektpositionen hinaus, indem sie selbstreflexiv das durch migratorische Bewegungen verursachte Entstehen von Räumen markieren. Drittens verschiebt Migration Achsen ebenso wie sie immer auch Grenzen überschreitet und deplatziert; sie dehnt spatiale wie temporale Kategorien, verengt oder bricht sie zuweilen sogar derart auf, dass sich ihre Geschichten von außertextlichen Referenzen zu lösen scheinen. Achsen können Bewegungen aus kultursemantischer wie -semiotischer Sicht (Lotman) bestimmen. Sie eröffnen Räume für Narrationen zwischen Generationen, in denen Migrationserfahrungen tradiert und durchaus auch sublimiert gespeichert werden. In den Erzählungen überlagern sich horizontale Achsen zu einem komplexen Muster, so dass in einer vertikalen Perspektive historische Abdrücke im Raum, spatiale Konnotationen von Zeiterleben und damit auch spezifische Chronotopoi (Bachtin, Foucault) entstehen. Zudem überlappen sich Raumachsen mit Farbsemantiken, Affektsemantiken mit Migrationsbewegungen, Blickachsen mit Erinnerungserzählungen.
Formal-ästhetisch bringt diese achsen-bezogene Komplexität etwa Multimodalität und - perspektivik hervor, eine intermittierende Fokalisierung oder hybride Formen von (Hyper-)Texten und Genres, die in klassischen wie ‚neuen Medien‘ anders lesbar werden.

 

Spektren wiederum legen durch ihre Doppeldeutigkeit als Skalen und bildhafte Gespenster einen Schwerpunkt auf vertikale Verschränkungen von Geschichte(n), Genealogien und Affekten. Spektren (spectres) akzentuieren Phantasmen, die das Subjekt nicht loslassen, die in und mit ihm getragen werden (Mbembe, Fanon). Sie sind Geister der Hoffnung, Verzweiflung, Nostalgie, Rache oder Angst, die als sublimierte und/oder kulturell kodierte Kulturtechniken von Geschichtserzählungen auftauchen.
Damit legen sie eine raumerzeugende, quer zu National- und Familiengeschichten stehende und nicht zuletzt narrative Wirkmacht offen (vgl. Hall/du Gay). Diese Geister sind revenants, Wiederkehrende, die (koloniale) Vergangenheit und (postkoloniale) Gegenwart koppeln. Die spektralen Verknüpfungen sind dabei in der Innenperspektive von und Außenperspektive auf Migrant_innen einerseits postkolonial-migratorische Figuren des Verdrängten, Un-heimlichen, Traumatischen, wie Bauman dies in Angst vor den anderen (2016) zeigt. Andererseits weisen sie neben der kollektiven Vergangenheit zugleich in die Zukunft (Mbembe). Die Sektion exploriert die Potenziale und Grenzen der Perspektivierung von Achsen und (im doppelten Sinne) Spektren für eine Analyse der komplexen Migrationsnarrationen in franko-, hispano- und italophonen Literaturen und Medien gerade des 21. Jahrhunderts.

 

Das Phänomen der Achsen und Spektren in Migrationsnarrationen zeigt sich in neueren (literarischen) Texten ‚postkolonialer Literaturen‘ franko-, italo- und hispanophoner Provenienz. Beispielhaft hierfür sind Le livre d’Emma (2001) von Marie-Célie Agnant und die über zerreibendes Suchen motivierten Romane Boualem Sansals (Harraga, 2005 oder Le village de l’Allemand, 2008), das Delirieren in Gegenwart und Vergangenheit des Verre-cassé (Alain Mabanckou 2005) wie auch das von Spektren der Vergangenheit durchdrungene Hôtel du Bon Plaisir Raphaël Confiants (2009). Ausgerechnet an einem Ort der Immobilität, nämlich einer Gefängniszelle, tauchen die Geister der Ahnen in Wilfried N’Sondés Le cœur des enfants léopards (2007) auf und suchen die Geister der Familienmigration den Protagonisten von Jean-Paul Dubois‘ Tous les hommes n‘habitent pas le monde de la même façon (2019) heim. Diese intergenerationellen spectres stehen auch hinter dem undurchsichtigen, unberechenbaren Protagonisten in Tristan Garcias Faber (2013). In Francesca Melandris Bestseller Sangue giusto (2017) erscheint der postkoloniale Migrant wie ein Geist auf der Türschwelle Italiens oder im Zentrum Roms in Igiaba Scegos Adua (2015); oder aber er ist der stumme Schelm in Andrea Camilleris Il Nipote del Negus (2010). Des Weiteren verhandelt eine Reihe neuerer spanischer Filme im Zuge der Auseinandersetzung mit Migrationsphänomenen zwischen Europa, subsaharischen Regionen und dem Maghreb spektrale Dimensionen im Aufeinanderprallen von Figuren, Kulturen, (traumatischen) Geschichten oder kartographischen Verzerrungen, wodurch Filme wie Retorno a Hansala (Gutiérrez 2008) oder 14 kilómetros (Olivares 2007) Verschiebungen in Raumkonstellationen erzeugen; im Falle von 14 Kilómetros geschieht dies über farbsemantische Neukodierungen, die geopolitisch-hegemoniale Muster zum Vorschein und ins Wanken bringen.

 

In der Sektion werden diskursive Verfahren und Techniken von Migrationserzählungen untersucht, die unter dem Aspekt der von ihnen entworfenen Achsen und spektralen Ambiguitäten Störpotentiale offenlegen, die eine Grammatik des Ungleichgewichts schaffen (Deleuze) und so neue Arten von Erzählung(en) kreieren.
Die Sektionssprachen sind Deutsch, Französisch, Italienisch und Spanisch.

 

Auswahlbibliographie

 

Agnant, Marie-Célie (2001). Le livre d’Emma. La Roque D’Anthéron: Vents d’ailleurs.

 

Bachtin, Michail M. (2008). Chronotopos. Berlin: Suhrkamp.

 

Bauman, Zygmunt (2016). Die Angst vor den anderen. Ein Essay über Migration und Panikmache. Frankfurt a.M.: Suhrkamp.

 

Camilleri, Andrea (2010). Il nipote del Negus. Palermo: Sellerio.

 

Confiant, Raphaël (2009). L’Hôtel du Bon Plaisir. Paris: Mercure de France.

 

Deleuze, Gilles (1993). Critique et clinique. Paris: Minuit.

 

Derrida, Jacques (1993). Spectres de Marx. Paris: Galilée.

 

Dubois, Jean-Paul (2019). Tous les hommes n’habitent pas le monde de la même façon. Paris: Éditions de l’Olivier.

 

Dzubian, Zusanna (ed.) (2019). The „Spectral Turn“: Jewish Ghosts in the Post-Holocaust Imaginaire. Bielefeld: transcript.

 

Ette, Ottmar (2004). ÜberLebensWissen. Die Aufgabe der Philologie. Berlin: Kadmos.

 

Fanon, Frantz (1952). Peau noire, masques blancs. Paris: Seuil.

 

Foucault, Michel (2008). Le gouvernement de soi et des autres: cours au Collège de France. Paris: Gallimard.

 

Foucault, Michel (2009). Le courage de la vérité. Paris: Gallimard.

 

Garcia, Tristan (2013). Faber: le destructeur. Paris: Gallimard.

 

Gutiérrez, Chus (2008). Retorno a Hansala. Film. Muac Films, Maestranza Films.

 

Hall, Stuart/Du Gay, Paul (ed.) (1996). Questions of Cultural Identity. London: Sage.

 

Lotman, Jurij M. (2017). Die Innenwelt des Denkens. Eine semiotische Theorie der Kultur. Berlin: Suhrkamp.

 

Mabanckou, Alain (2005). Verre-cassé. Paris: Seuil.

 

Mbembe, Achille (1999). De la postcolonie. Essai sur l’imagination politique dans l’Afrique contemporaine. Paris: Karthala.

 

Mbembe, Achille (1989). „Le spectre et l’état: des dimensions politiques de l’imaginaire historique dans le Cameroun postcolonial“, in: Revue de la Bibliothèque Nationale, 44: 2-13.

 

N’Sondé, Wilfried (2007). Le cœur des enfants léopards. Arles: Actes Sud.

 

Melandri, Francesca (2017). Sangue giusto. Mailand: Rizzoli.

 

Olivares, Gerardo (2007). 14 kilómetros. Film. Explora Films.

 

Rinelli, Lorenzo (2016). African Migrants and Europe: Managing the Ultimate Frontier. London/New York: Routledge.

 

Sansal, Boualem (2005). Harraga. Paris: Gallimard.

 

Sansal, Boualem (2008). Le village de l’Allemand ou Le journal des frères Schiller. Paris: Gallimard.

 

Scego, Igiaba (2015). Adua. Florenz: Giunti.

 

Kontakt: schuchardt@uni-muenster.de, kstruve@romsem.uni-kiel.de

 

 

Als Gründungsmythos Europas setzte sich die Französische Revolution für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit sowie die Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte ein, in einem aufklärerischen Sinne weltlich ausgerichtet, gegen die Religion (cf. Gehrke, Geschichtsbilder und Gründungsmythen, 2001; Ißler/Lohse/Scherer, Europäische Gründungsmythen im Dialog der Literaturen, 2019). Bereits in der Romantik nahm das Christentum in personalisierten Formen und durch die wiederentdeckte Schönheit seiner Künste erneut eine Schlüsselstellung ein (cf. Ernst/Geyer (Hg.), Die Romantik: ein Gründungsmythos der Europäischen Moderne, 2010). In der Gegenwart stellen für die meisten Europäer*innen Menschenrechte, Frieden, Respekt vor menschlichem Leben und Demokratie, unabhängig von religiöser Zugehörigkeit, die wichtigsten Werte dar.
Und doch lässt sich im säkularisierten Europa ein intensives und auch konfliktträchtiges Interesse an der Religion feststellen: insbesondere seit der Konfrontation des „christlichen Abendlandes“ mit Migrationsbewegungen aus dem Globalen Süden, mit islamistischem Terror und der damit verbundenen Angst vor Radikalisierung.
Die Religionszugehörigkeit ist heutzutage in den romanischen Ländern unterschiedlich gewichtet: Während Frankreich als laizistische Wiege Europas par excellence weniger Christen als die Hälfte seiner Bevölkerung verzeichnet, so ist das Christentum in Italien, Spanien und Portugal deutlich vorrangig vertreten. Gerade diese südlichen Ränder Europas dienen meist als erste Anlaufstelle in den neueren Fluchtbewegungen über das Mittelmeer. Außerhalb Europas ist das Christentum hauptsächlich in ehemaligen Kolonien europäischer Mächte vorzufinden und ist somit auch Teil der gewaltbeladenen „Europa-Ideologie“, die die Europäer als „Herrenrasse“ auftreten und „andere Menschen und Kulturen herab[…]setzen“ ließ (Assmann, Der europäische Traum, 2018, 8). Das Christentum selbst ist nach wie vor von inneren Spaltungen gezeichnet, die mit der Reformation einsetzten und 1555 mit dem Augsburger Religionsfrieden einen vorläufigen, auf Toleranz zielenden Abschluss fanden; innerchristliche Konflikte spielten jedoch immer wieder tragende Rollen, so bspw. im Dreißigjährigen Krieg, der als europäischer Krieg gilt.

 

Vor diesem Hintergrund stellt sich im Hinblick auf in der Gegenwart dringend geforderte europäische Identitätskonstruktionen die Frage, welches erkenntnisstiftende Potential der Auseinandersetzung mit Religion/en den Literaturen und kulturellen Ausdrucksformen der Romania zuzuschreiben ist: Welche Möglichkeiten der Verwurzelung und Vernetzung bringen religiöse Themen, Motive, Narrative und Archetypen für die pluralen Gesellschaften des heutigen Europas vor und welche Problematiken eben dieser Gesellschaften zeigen sie auf, vor allem auch im Hinblick auf den Umgang mit anderen Religionen und Glaubensformen? Aufgrund der postkolonialen Neustrukturierung der Romania ist für diese Auseinandersetzung sowohl der Blick von innen als auch derjenige von außen auf Europa gegeben und verspricht diversifizierte Perspektivierungen.

 

Entgegen politischen Verhärtungen und Diskriminierungen, die unter Berufung auf den vermeintlichen Schutz des „christlichen Abendlandes“ im Dienste nationalistischer Interessen stehen, bezieht die romanische kulturelle Produktion auch in diachroner Perspektive, nämlich seit ihren Anfängen im Spätmittelalter, das sich an den südlichen Rändern der Romania bereits im produktiven Austausch mit der arabischen Welt befand, dezentrierte, differenzierte Diskurse ein. So wurden im Namen des Christentums nicht nur Kreuzzüge unternommen und muslimische Reiche bekämpft, sondern die christlich geprägte Literatur brachte im Rückgriff auf den aus Nordafrika stammenden Heiligen Augustinus auch die Herausbildung des modernen Individuums hervor (Lee, Petrarch and St. Augustine: Classical Scholarship, Christian Theology and the Origins of the Renaissance in Italy, 2012). Den Kampf gegen die Sarazenen unter dem „Glaubenskrieger“ Karl dem Großen nutzten die romanischen Literaturen in ihrer ganzen Breite, um auf subtile Weise transkulturelle Formationen zu propagieren (cf.
Rieger, Charlemagne und Jeanne la Pucelle. Zwei mittelalterliche Gründungsmythen im europäischen Kontext, 2011; Reichardt/Moll (Hg.), Italia transculturale. Il sincretismo italofono come modello eterotopico, 2019). Auch in der Gegenwart stellen sich vor dem Hintergrund der Migrationsbewegungen und Krisen insbesondere die Kulturschaffenden des südlichen Europas der Herausforderung, das kreative Potential neuer religiös- kultureller Hybridisierungen zu präsentieren, wobei christliche Themen und Motive durch andere Religionen wie z.B. den Islam ergänzt und kontrastiert werden oder durch auf die Antike zurückgehende heidnische Elemente sowie Kultformen ethnischer Minderheiten eine neue Authentizität erfahren. In der postkolonialen und in Migrationszusammenhängen entstehenden transkulturellen Literatur wird die in den Medien häufig mit Religionszugehörigkeiten assoziierte binäre Zuordnung von eigen und fremd, weiß und schwarz, europäisch und nicht-europäisch problematisiert und ironisch dekonstruiert. Thematisiert wird in diesem Zusammenhang auch der Traum von Europa als „gelobtem Land“, das sich in der Realität oft als Albtraum erweist. Im Ausblick auf eine friedliche und wertorientierte Zukunft stellen sich u.a. die Fragen, was Europa heilig ist, auf welche Weise ein laizistisches Europa mit Religion/en umgehen sollte und was die Auseinandersetzung mit Religion/en in den Literaturen und Künsten der Romania in diachroner Perspektive an identitätsstiftendem Potential bereithält. Dabei muss vor allem auch eine Aufarbeitung der Gewalt unternommen werden, die Europas Geschichte in Bezug auf ein ausgrenzendes, kompetitives Religionsverständnis kennzeichnet, denn letztlich erscheint eine erinnerungskulturell fundierte Verwirklichung des europäischen Traumes (Assmann) nur auf dieser Basis möglich.

 

Erwünscht sind, um dem transversalen und interdisziplinären Charakter der Sektion Rechnung zu tragen, Beiträge zur Auseinandersetzung mit Religion/en in den Literaturen und kulturellen Ausdrucksformen der Romania von ihren Anfängen bis in die Gegenwart. Ebenso können die mediale Berichterstattung, der politische Diskurs oder die Auseinandersetzung mit religiös konnotierten Erinnerungsorten in den Blick genommen werden.


Kontakt: marina.hertrampf@ur.de, emeineke@mail.uni-mannheim.de

 

 

Globalisierung gilt als eines der zentralen Schlagwörter der letzten Jahrzehnte. Der Begriff bezeichnet die zunehmende überregionale Vernetzung verschiedener Akteure in unterschiedlichen Bereichen, die in den vergangenen Jahren zu einer nie dagewesenen Mobilität von Individuen, Objekten, aber auch Gedankengut geführt hat.
Besonders der zuletzt genannte Aspekt hat wesentlichen Einfluss auf die Schaffung sowie Vermittlung von Wissen und tangiert damit den Kern wissenschaftlicher Forschung. Dass wissenschaftliche Kommunikation seit jeher global orientiert funktioniert, ist vor allem für interdisziplinäre und international ausgerichtete Fächer wie die Romanistik kein neues Phänomen. In den letzten Jahren ist zu der Globalisierung allerdings ein weiterer Prozess hinzugetreten, der nicht nur der wissenschaftlichen Kommunikation, sondern auch im methodologischen Kern der Wissenschaft, eine neue Dynamik verliehen hat: die Digitalisierung.

 

Die damit einhergehenden Entwicklungen haben in den Geisteswissenschaften insbesondere die Digital Humanities hervorgebracht (Jannidis/Kohle/Rehbein 2017), betreffen aber letztlich alle Bereiche der Forschung: So ermöglichen digitale Daten neue Herangehensweisen, etwa mit digitalen Werkzeugen. Dementsprechend existiert mittlerweile ein breites Spektrum an digitalen Untersuchungsansätzen, das den traditionellen Methodenkanon der verschiedenen Fächer ergänzt (Schöch 2017; Vacano 2020).

 

Digitale Werkzeuge bringen zudem oft Forschungsresultate in digitaler Form hervor, die als „Forschungsdaten“ betrachtet werden können. Dies wirft einerseits die Frage auf, was unter (geistes)wissenschaftlichen Daten im Einzelnen zu verstehen ist (Schöch 2013). Andererseits stellt sich die Frage nach Anforderungen und Nachnutzungsszenarien von Forschungsdaten (AG Digitale Romanistik 2017; Erben/Grüter/Rohden 2018).

 

Schließlich wird auch die Kommunikation von Forschungsprozessen und -erzeugnissen zunehmend digitaler. Dies beginnt bei kollaborativen Verfahren zur Gestaltung von Forschungsabläufen und mündet in neuartigen Publikationsformaten (DHd- Arbeitsgruppe Digitales Publizieren 2016) Digitale Ansätze restrukturieren den Wissenschaftsbetrieb und stärken seinen globalen Charakter. Sie können ferner neue Synergien bilden, sowohl zwischen unterschiedlichen Fächern (transdisziplinär), als auch innerhalb der Teildisziplinen eines Faches (intradisziplinär). Für die Romanistik konnten Auswirkungen und Potential der Digitalisierung bereits für unterschiedliche Teildisziplinen aufgezeigt werden. In welcher Weise die Digitalisierung darüber hinaus ein Bindeglied für disziplinübergreifende Forschung romanistischer Prägung bilden kann, hat Thomas Krefeld anhand der Lexikographie herausgearbeitet und dabei zwei wesentliche Leitlinien skizziert: Zum einen gilt es, digitale Daten in strukturierter Form frei und dauerhaft zugänglich zu machen. Zum anderen bedarf es dafür geeigneter technischer Schnittstellen, um den nachhaltigen Datenzugriff und -austausch sicherzustellen (Krefeld 2019).

 

Zur Umsetzung dieser Leitlinien eignen sich die sogenannten „FAIR“-Prinzipien, die vier Anforderungen an digitale wissenschaftliche Daten definieren: Auffindbarkeit (Findable), Zugänglichkeit (Accessible), Interoperabilität (Interoperable) und Wiederverwendbarkeit (Reusable) (Kraft 2017). Dadurch bieten die FAIR-Prinzipien sowohl für die Romanistik als auch darüber hinaus eine fundierte Basis für digitale Forschung und Wissenschaftskommunikation (Krefeld/Lücke 2020).

Zur weiteren Etablierung einer transdisziplinären wissenschaftlichen Forschung romanistischer Prägung im digitalen Raum sind ausgehend von den FAIR-Prinzipien allerdings noch weitere Fragen zu erörtern:

  • Welche Anforderungen an digitale Daten und Werkzeuge stellt ein disziplinübergreifendes digitales Arbeiten in der Romanistik?
  • Welche methodischen Ansätze und Werkzeuge können die Potentiale eines transdisziplinären digitalen Arbeitens entfalten?
  • Welche epistemologischen Folgen haben digitale Daten und Werkzeuge, beispielsweise im Hinblick auf das Konzept der Empirie oder die Verortung quantitativer Ansätze?
  • Welche Auswirkungen hat disziplinübergreifendes digitales Arbeiten auf das (Selbst)Verständnis der Romanistik als Fach?

 

Die geplante Sektion zielt darauf ab, anknüpfend an die vier aufgeführten Fragen einen ersten Beitrag zur Etablierung einer digitalen transdisziplinären Romanistik zu leisten.
Hierfür wird um die Einreichung von Beiträgen mit unter anderem, aber nicht ausschließlich, folgenden Schwerpunkt(en) gebeten:

  • Theoretische Betrachtungen zu digitalen transdisziplinären romanistischen Forschungsansätzen;
  • Beiträge rund um das Thema Forschungsdaten mit Bezug zur Romanistik (etwa Korpora, digitale Editionen, Kataloge, linguistische Annotation, Textsammlungen, Wörterbücher); 
  • Beiträge zur Anwendung digitaler Ansätze aus romanistischer Perspektive;
  • Beiträge über frei nachnutzbare Formen digitaler wissenschaftlicher Kommunikation;
  • Beiträge, die digitale Ressourcen mit Blick auf transdisziplinäre Fragestellungen untersuchen;
  • Beiträge aus der digitalen Forschungspraxis, beispielsweise: Computational Literary Studies, digitale Bild-Text-Annotation, digitale Sprachlernforschung, Intertextualität, korpuslinguistische Untersuchungen, Stilometrie;

 

Abstracts in einer der Vortragssprachen (Französisch, Italienisch, Portugiesisch, Spanisch, Deutsch, Englisch) werden bis spätestens 31.12.2020 an die Sektionsleiter*innen erbeten.


Auswahlbibliographie

 

AG Digitale Romanistik (2017): Open Access und Forschungsdaten. Ein Positionspapier der AG Digitale Romanistik. https://zenodo.org/record/3834227.

 

DHd-Arbeitsgruppe Digitales Publizieren (2016): Working Paper "Digitales Publizieren". http://diglib.hab.de/ejournals/ed000008/startx.htm.

 

Erben, Maria/Grüter, Doris/Rohden, Jan (2018): Forschungsdatenmanagement in der Romanistik: Aktuelle Situation und zukünftige Perspektiven. Bonn: Fachinformationsdienst Romanistik. http://hdl.handle.net/20.500.11811/1178.

 

Jannidis, Fotis/Kohle, Hubertus/Rehbein, Malte (Hg.) (2017): Digital Humanities: eine Einführung. Stuttgart: Metzler.

 

Kraft, Angelina (2017): Die FAIR Data Prinzipien für Forschungsdaten. In: TIB Blog. https://blogs.tib.eu/wp/tib/2017/09/12/die-fair-data-prinzipien-fuer- forschungsdaten/.

 

Krefeld, Thomas: Eine neue (digitale) Einheit für ein altes (philologisches) Fach – DromH, Version 10 (04.01.2019, 10:19). In: Korpus im Text, Serie A (8564). http://www.kit.gwi.uni-muenchen.de/?p=8564&v=10

 

Krefeld, Thomas/Lücke, Stephan (2020): FAIRness: ein contrat social für die Wissenschaftskommunikation im Internet. In: Romanistik-Blog. Das Blog des Fachinformationsdienstes. https://blog.fid-romanistik.de/2020/05/16/fairness- ein-contrat-social-fuer-die-wissenschaftskommunikation-im-internet/.

 

Schöch, Christof (2013): Big? Smart? Clean? Messy? Data in the Humanities. In: Journal of the Digital Humanities 3, S. 2–13.

 

Schöch, Christof (2017): Quantitative Analyse. In: Jannidis, Fotis/Kohle, Hubertus/Rehbein, Malte (Hg.): Digital Humanities: eine Einführung. Stuttgart: Metzler. S. 279–298.

 

Vacano, Johannes von (2020): Tools. In: https://www.fid-romanistik.de/startseite/. https://www.fid-romanistik.de/forschungsdaten/suche-nach-forschungsdaten/fid- internetressourcen/tools/.

 

Kontakt: rohden@maxweberstiftung.de, rissler-pipka@sub.uni-goettingen.de

 

 

Migrations- und Fluchtbewegungen werden u.a. durch akute Bedrohungsszenarien wie Kriege oder Verfolgung, wirtschaftlichen Notstand oder auch durch erzwungene Exilierung eingeleitet, wobei dem Körper zweifellos eine wichtige Funktion als Erfahrungsraum und Kommunikationsmedium zukommt. Die Sektion möchte sich daher Grenzdiskursen und -räumen sowie dem Dispositiv des migrierenden Körpers aus einer literatur-, kultur- und medienwissenschaftlichen sowie intersektionalen Perspektive zuwenden, wobei die Frage nach den Modalitäten von Körperlichkeit im Zentrum unserer Auseinandersetzung stehen soll.


Die Misshandlung und Ausbeutung von Körpern prägt die Geschichte der Seefahrer- und Handelsnationen der Romania, wobei die Aufarbeitung der im Zuge von Sklaverei und Kolonialismus begangenen Menschheitsverbrechen noch immer andauert und neue Formen der Aushandlung findet (s. Marcelo D’Saletes Graphic Novels Cumbe, 2014, und Angola Janga, 2017, sowie den Roman Le terroriste noir von Tierno Monénembo, 2012). Gegenwärtige Migrationsbewegungen und -routen in der Romania sind derweil noch immer in hohem Maße durch die Kolonialgeschichte beeinflusst und vorgeprägt. Häufig sind Migrant*innen während des Wanderungsprozesses physischer Gewalt ausgesetzt. Insbesondere Frauenkörper sind von sexuellen Übergriffen bedroht oder werden als „mulas“ für Drogentransporte missbraucht und hochgradig gefährdet (z.B. in Joshua Marstons Film Maria Full of Grace, 2004). Auf beschwerlichen und zum Teil lebensgefährlichen Migrationsrouten sind Menschen Naturgewalten schutzlos ausgeliefert (s. z.B. Javier de Isusis Graphic Novel Asylum, 2017).
Ebenso lassen sich auf psychischer Ebene Formen und Folgen der Versehrtheit des migrierenden und migrierten Körpers ausmachen: Verlusterfahrungen, Adaptionsprozesse, Identitätskonflikte, Erfahrungen von Diskriminierung und Rassismus führen bei Migrant*innen häufig zu Belastungen, die sich in psychosomatischen Symptomen artikulieren. (vgl. Machleidt/Ermann 2013: 54) Dabei hat die klinische Forschung in der Ausprägung und subjektiven Wahrnehmung kulturspezifische Unterschiede festgestellt. So sind „idioms of distress“ als kulturell markierte Äußerungsformen für psychische Belastungen zu verstehen (vgl. ebd.: 71), die – oftmals auf metaphorischer Ebene – auf innere Befindlichkeiten Bezug nehmen. In literarischer Hinsicht wird dies z.B. thematisiert in Fawzia Zouaris Ce pays dont je meurs (1999).


Der Aspekt des „Fremden“, z.B. in dem von den Nationalsozialisten bemühten Bild des „Fremdkörpers“, das in der Gegenwart von rechtspolitischen Bewegungen auf unterschiedliche Weise wieder aufgegriffen wird, um Migrant*innen oder Menschen mit migratorischer Familiengeschichte zu stigmatisieren und auszugrenzen, enthält derweil auch ein produktives Irritationspotenzial: Als Abweichung von der Norm, als etwas „Anders-Artiges“ oder „Merk-Würdiges“ wird der „fremde Körper“ in Literatur und Kunst auch zur Entgegnung xenophober und rassistischer, aber auch sexistischer und homo/transphober Diskurse eingesetzt, so z.B. in der Chicana/o-Literatur (Gloria Anzaldúa) und der Performance-Kunst (Guillermo Gómez-Peña).

 

In lateinamerikanischen literarisch-künstlerischen und theoretischen Traditionen schließlich spielen die Begriffe der Transmigration und der Metamorphose eine wichtige Rolle, indem sie Bezug nehmen auf die Betonung des Körpers sowie auf das Schwanken der Grenzen zwischen Menschsein und Animalität. Hybride Werke, neben La chute du ciel (Kopenawa/Albert, 2010) oder Anzaldúas Borderlands (1987) z.B. auch solche der Fotografin Claudia Andujar und der Choreografin Lia Rodrigues, können die Verbindung von Transmigration und Metamorphose mit Ansätzen der Anthropozentrismus-Kritik, neuen anthropologischen Akzenten innerhalb der Literaturwissenschaft sowie den Animal Studies ermöglichen.

Um eine umfassende Behandlung des Zusammenhangs von Körperlichkeit, Migration und Grenzerfahrung zu gewährleisten, ist eine transtemporale Perspektive und eine breite mediale Betrachtung vorgesehen, die literarische Texte, Theater/Performance, Filme, Fotografie, graphische Narrative, Musik, bildende Kunst und/oder die sozialen Medien der gesamten Romania einschließt.
Sprachen der Sektion sind Deutsch, Spanisch, Französisch und Portugiesisch.

 

Mögliche zu bearbeitende Themen:

  • Körper, Grenze und Gender: Auflösung von Binaritäten, Abweichung von (heteronormativen) Normen, LGBTIQ*-Migration; Mechanismen des Othering
  • Chicana/o literature und Performance-Kunst, border feminism; narcoliteratura; Latinx-Theater
  • Migration und körperliche Gewalt; besondere Gefährdung von Frauenkörpern; Migration und Schwangerschaft
  • Migration und disability
  • Migration und Erinnerung/mémoire du corps; Migration als Kindheitstrauma
  • Krankheit und Kultur, kulturspezifische Krankheitssymptome und -konzepte
  • Körpersprachen, psychosomatische Erkrankungen im Migrationszusammenhang; psychosoziale Folgen von Integration
  • Räume des migrantischen Körpers: Auffanglager, urbane Peripherien, Segregation
  • Theoretische Körperkonzepte in der Romania; Transmigration und Metamorphose

 

Auswahlbibliographie

 

Andermann, Jens. 2011. „Tesis sobre la metamorfosis“. Aletria, N°3, Vol. 21, 155-164.

 

Anzaldúa, Gloria. 1987. Borderlands/La Frontera. The New Mestiza. San Francisco: Aunt Lute Books.

 

Bauer, Matthias et al. 2019. Grenz-Übergänge: Zur ästhetischen Darstellung von Flucht und Exil in Literatur und Film. Bielefeld: transcript.

 

Butler, Judith. 1993. Bodies that matter: on the discursive limits of „sex“. New York [u.a.]: Routledge.

 

Gutberlet, Marie-Hélène/Helff, Sissy (Hg.). 2011. Die Kunst der Migration. Aktuelle Positionen zum europäisch-afrikanischen Diskurs. Material-Gestaltung-Kritik. Bielefeld: transcript.

 

Klinkert, Thomas (Hg.). 2014. Migration et identité. Freiburg im Breisgau: Rombach.

 

Köhler, Sigrid G. 2006. Körper mit Gesicht. Rhetorische Performanz und postkoloniale Repräsentation in der Literatur am Ende des 20. Jahrhunderts. Köln: Böhlau.

 

Machleidt, Wielant/Ermann, Michael. 2013. Migration, Kultur und psychische Gesundheit: dem Fremden begegnen. Stuttgart: Kohlhammer.

 

Mertz-Baumgartner, Birgit. 2004. Ethik und Ästhetik der Migration. Algerische Autorinnen in Frankreich (1988-2003). Würzburg: Königshausen & Neumann.

 

Moraga, Cherrie/Anzaldúa, Gloria (Hg.). 1981. This Bridge called my Back: Writings by Radical Women of Color. Watertown, Mass: Persephone Press.

 

Oltmer, Jochen. 2012. Globale Migration. Geschichte und Gegenwart. München: Beck.

 

 

Kontakt: berit.callsen@uni-osnabrueck.de, m.simoni@fu-berlin.de

 

 

In seinen wegweisenden Arbeiten zur Respublica literaria begreift Marc Fumaroli die aus dem Wissensaustausch der intellektuellen Eliten im 16. Jahrhundert entstandene paneuropäische Gelehrtengemeinschaft als ein vorpolitisches, modernes Europa. In der Tat geht die diesem intellektuellen Europa avant la lettre zugrundeliegende Geistesbewegung des Humanismus laut Nadeije Laneyrie-Dagen (1997) und Vigarello (2005) mit der Entdeckung des leiblichen Körpers einher, der den allegorischen Stilisierungen des Mittelalters den Rang abläuft. Die Zirkulation von Wissen über den menschlichen Körper und seine idealtypische ästhetische Beschaffenheit sind dabei wiederkehrende topoi in Kunst und Literatur der Renaissance. Angesichts der zunehmend an Bedeutung gewinnenden Body Studies verfolgt die Sektion das Ziel, ‚globale’ und ‚regionale’ Körperbilder dieses geistigen Europas anhand möglichst breit gestreuter Beispiele in den romanischen Künsten und Literaturen von Mittelalter bis Barock zu untersuchen.


Mit Baldassare Castigliones Il Cortegiano (1528) und Giovanni Della Casas Il Galateo (1558) verbreitet sich im 16. Jahrhundert ein aus Italien importiertes ethisches und ästhetisches Ideal, das Künstler und Autoren der im Entstehen begriffenen Staaten trotz ihrer politischen und religiösen Konflikte zu vereinen scheint. In der Literatur etabliert sich der Petrarkismus und die neoplatonische Doktrin weit über die französische Dichtergruppe der Pléiade hinaus als europäische lingua franca. Wie John Shermann in seiner Monographie Mannerism. Style and Civilisation (1967) eindrucksvoll gezeigt hat, entwickelt sich in Folge des Sacco di Roma in der bildenden Kunst der Manierismus als ein in seiner Reichweite von Italien bis Prag mit der Gotik des Mittelalters vergleichbarer gesamteuropäischer Stil.


Parallel zu dieser Herausbildung italienischer und sukzessive europäischer Schönheitsideale bringt die Renaissance jedoch sowohl auf ‚nationaler’ als auf ‚regionaler’ Ebene auch subversive Kanones hervor, welche gemeingültige Vorstellungen von Ästhetik durch die Hervorkehrung des Hässlichen diametral unterlaufen: was die
italienische und französische Literatur der Renaissance anbelangt, denke man beispielsweise an die Körpergroteske der karnevalesken Lachkultur, an die paradoxalen Apologien des Hässlichen sowie an die possenhafte poesia bernesca, welche fest etablierte petrarkistische Vorstellungen des Schönen satirisch untergraben. Dieses Phänomen besteht bis in die Komödie des 17. Jahrhunderts fort, in der petrarkistische und neoplatonische Topoi zur Quelle der Komik degradiert werden (z.B. Molière, Lope de Vega).


Gewünscht sind Beiträge, die ausgehend von der Renaissance, ‚globale’ und ‚regionale’ Erscheinungsformen des menschlichen Körpers untersuchen. Auch Brüche und Kontinuitäten mit dem Mittelalter sowie Weiterentwicklungen ästhetischer Normen bis ins 17. Jahrhundert sollen in unsere Überlegungen miteinbezogen werden.
Dabei können sich die Vorträge sowohl auf Werke beziehen, deren Autor*innen geographisch weitreichende Dynamiken des Austauschs verkörpern, welche beispielsweise in der internationalen Zirkulation von Buchmalereien und Texten, in der schriftlichen Korrespondenz, dem Reisebericht und dem ästhetischen Traktat (sowie deren Übersetzungen) sinnfällig werden. Gleichzeitig soll auch den lokalen Gegenentwürfen zu diesen europäischen Dynamiken Rechnung getragen werden.
In einzelsprachlicher oder transromanisch vergleichender Perspektive mit der Option einer intermedialen Öffnung auf die Kunstgeschichte sind folgende Leitfragen denkbar:

 

  • Künstlerische und literarische Herausbildung körperlicher Schönheitsideale der Renaissance als Epoche ästhetischer Normbildung und Kodifizierung;
  • Geschlechtsspezifische Vorstellungen und nationale Stereotype von Schönheit / Hässlichkeit;
  • Phänomene, die der Kanonbildung der Renaissance vorausgehen (Mittelalter) oder diese weiterführen (bis ins 17. Jahrhundert) sowie Hervorhebung von Brüchen und Kontinuitäten sub specie pulchritudinis zwischen Mittelalter, Renaissance, Barock und Klassik;
  • Modalitäten der Verbreitung dieser Kanones (Traktate etc.);
  • Medienspezifische Ausprägungen und Voraussetzungen in der Entstehung von Schönheitsidealen sowie medienbedingte Abweichungen zwischen Bild und Text bzw. zwischen Theorie und künstlerischer Praxis;
  • Stellenwert des griechisch-römischen Erbes in der Festlegung ästhetischer Normen auf europäischer Ebene;
  • Nationale, regionale und lokale Gegenentwürfe;
  • Stellenwert der Sprachwahl in der Anfechtung offiziell anerkannter ästhetischer Normen (Latein, Griechisch, die jeweiligen romanischen Sprachen);
  • Blick auf den Anderen (den Andersgläubigen, den Fremden, die Frau aus männlicher Perspektive…), rassistisches, fremdenfeindliches und misogynes Potential derartiger Stereotype;
  • Pluralisierung von Schönheitsidealen und paradoxe Aufwertung des Hässlichen (la belle laideur und die Entstehung einer Ästhetik des Hässlichen in der Frühen Neuzeit);
  • Einfluss anderer Disziplinen auf das ästhetische Verständnis des Körpers (Medizin, Theologie, Recht);
  • Das Verhältnis okzidentaler Kanones zu Kulturräumen, die an den geographischen Rändern des romanischen Europas liegen (z.B. Rumänien) und die dadurch unter dem Einfluss des orientalischen Christentums stehen;

 

Auswahlbibliographie


Antunes, Gabriela/Reich, Björn/ Stange, Carmen (Hrsg.), (De)formierte Körper. Die Wahrnehmung und das Andere im Mittelalter, Göttingen, Universitätsverlag Göttingen, 2012.

Assunto, Rosario, The Theorie des Schönen im Mittelalter, Köln, DuMont, 1982.

Baker, Naomie, Plain Ugly : The Unattractive Body in Early Modern Culture, Manchester, Manchester University Press, 2012.

Bettella, Patrizia, The Ugly Woman. Transgressive Aesthetic Models in Italian Poetry from the Middle Ages to the Baroque, Toronto, University of Toronto Press, 2005.

Brancher, Dominique, Équivoques de la pudeur. Fabrique d’une passion à la Renaissance, Genf, Droz, 2015.

Chiquet, Olivier, Penser la laideur dans l’art italien de la Renaissance. De la dysharmonie à la belle laideur, Rennes, Presses Universitaires de Rennes (erscheint 2021).

Corbin, Alain/ Courtines, Jean-Jacques/ Vigarello, George (Hrsg.), Histoire du corps. De la Renaissance aux Lumières, vol. 1, Paris, Le Seuil, 2005.

Gernert, Folke, Lecturas del cuerpo. Fisiognomía y literatura en la España áurea, Salamanca, Ediciones de la Universidad de Salamanca, 2018.

Gómez Sánchez-Ferrer, Guillermo/ Jacobi, Claudia, ‘Que todo lo feo es malo y bueno todo lo hermoso’ – Aproximaciones a la estética de lo feo en Lope de Vega, Berlin/ London, LIT, 2020 (im Druck).

Henningfeld, Ursula, Der ruinierte Körper: petrarkistische Sonnette in transkultureller Perspektive, Würzburg, Königshausen & Neumann, 2008.

Hillman, D., et Mazzio, C., The Body in Parts : Fantasies of Corporeality in Early Modern Europe, New York, Routledge, 2010.

Laneyrie-Dagen, Nadeije, L’Invention du corps. La représentation de l’homme du Moyen- Âge à la fin du XIXe siècle, Paris, Flammarion, 1997.

Leinkauf, Thomas, « Der Begriff des Schönen im 15. und 16. Jahrhundert : Seine philosophische Bedeutung und Hinweise auf sein Verhältnis zur Theorie von Poesie und Kunst », in Renaissance-Poetik. Renaissance Poetics, Heinrich F. Plett (Hrsg.), de Gruyter, Berlin/New York, 1994.

Legrand, Marie-Dominique et Picciola, Liliane, Propos sur les muses et la laideur. Figurations et défigurations de la beauté (d’Homère aux écrivains des Lumières), Littérales, no 28, Centre des Sciences de la Littérature, Université Paris X-Nanterre, 2001.

Le laid et le beau au Moyen Age, Sénéfiance No 43, Aix-en-Provence, CUER MA Université de Provence (Centre d’Aix), 2000.

Lobsien, Verena Olejniczak / Claudia Olk (Hrsg.), Neuplatonismus und Ästhetik. Zur Transformations geschichte des Schönen, Berlin, De Gruyter, 2007.

Michel, Paul, « Formosa deformitas ». Bewältigungsformen des Hässlichen in mittelalterlicher Literatur, Bonn, Bouvier Verlag, 1976.

Monteil, Pierre, Beau et laid en latin. Étude de vocabulaire, Paris, Klincksieck, p. 1964.

Ott, Christine, „Fette Körper in der Vormoderne. Überlegungen zu einer literarischen Geschichte des Dickseins“, in: Archiv für das Studium der neueren Sprachen und Literaturen 256.2 (2019), S. 1-21.

Vigarello, Georges, Les canons de la beauté, Paris, Seuil, 2004.

 


Kontakt: sofina.dembruk@phil.uni-goettingen.at, cjacobi@uni-bonn.de

 

 

Sektionsbeiträge

 

 

 

 

Section - didactique

Die gesellschaftlichen und bildungspolitischen Entwicklungen in Deutschland werden seit Jahrzehnten verstärkt durch die europäischen Institutionen (Europäische Union, Europarat) mitgeprägt. Die Sprach- und Kulturpluralität, für die Europa steht, beschränkt sich heute nicht mehr darauf, dass Europa in seiner Gesamtheit durch seine Nationalstaaten mit einer oder mehreren spezifischen Nationalsprachen mehrsprachig ist, sondern sie ist durch zunehmende innereuropäische Mobilität auch länderübergreifend in den einzelnen Staaten zu einer Realität geworden. Auch in Deutschland ist die Gesellschaft immer stärker von Mehrsprachigkeit und Kulturpluralität geprägt. Die plurilingualen und -kulturellen Gesellschaften bieten für alle Europäerinnen und Europäer Chancen, mit ihnen sind jedoch auch multiple Herausforderungen verbunden. So fällt es bestimmten Gruppen der Gesellschaften schwer, die Sprach- und Kulturpluralität zu akzeptieren. Das Erstarken extrem nationalistischer und undemokratischer Kräfte in den Parteiensystemen und in den medialen Diskursen ist eine Folge davon. Die Sehnsucht nach einer vermeintlichen kulturellen Homogenität und das Bedienen von Sündenbock-Theorien führen vor allem in Krisenzeiten zu starken und für den inneren und äußeren Frieden gefährlichen gesellschaftlichen Polarisierungen. Die Thematisierung und Vermittlung von Toleranz, Offenheit und Akzeptanz sind wesentliche Grundwerte und stellen daher eine essentielle Aufgabe des Bildungs- und Schulsystems dar, die u. a. im Unterricht, gerade im Sprachunterricht und somit auch im Französisch-, Italienisch- und Spanischunterricht, Beachtung finden müssen. In diesem Kontext müssen für die Ausgestaltung des Fremdsprachenunterrichts sowohl länderübergreifende als auch länderspezifische Maßnahmen in Europa und in Deutschland getroffen werden. Für den Unterricht der romanischen Sprachen in Deutschland liegt eine Vielzahl bildungspolitischer Vorgaben auf Bundes- und Länderebene vor, genannt seien hier die Bildungsstandards für die erste und zweite Fremdsprache, die Fachanforderungen und Kerncurricula sowie die Rahmenpläne der einzelnen Bundesländer. Die wahrscheinlich einflussreichste länderübergreifende Schrift für den Fremdsprachenunterricht ist der Gemeinsame Europäische Referenzrahmen für Sprachen (GeR), der 2021 seinen 20. Geburtstag feiert. Ein Fremdsprachenunterricht ohne die Niveaustufen und Kompetenzbereiche des GeR ist in Deutschland heute nicht mehr denkbar. Die 2001 vom Europarat herausgegebene Schrift und die Ergänzungen hierzu haben sich grenzübergreifend verbreitet und eine Struktur geliefert, die den Fremdsprachenunterricht jenseits von Sprachen, Kulturen, Zielgruppen und Hintergrün- den vergleichbarer macht. Sowohl der GeR und dessen Ergänzungen als auch die curricularen Vorgaben auf bundesdeutscher Ebene lassen jedoch Fragen offen und scheinen den Herausforderungen einer plurilingualen und -kulturellen Gesellschaft nur z. T. gewachsen zu sein. Welche Entwicklungen lassen sich in den letzten 20 Jahren aus der Perspektive eines fremdsprachenaffinen Europa auf europäischer und nationaler Ebene festmachen? Wie müssen der GeR oder auch andere Richtlinien sowie Standards aus fachdidaktischer Sicht weiterentwickelt werden? Die Beurteilung von Fortschritten in einer Fremdsprache und die Vergleichbarkeit der verschiedenen europäischen Sprachzertifikate sind von großem Nutzen, aber ist dies wirklich noch der heutigen Zeit entsprechend? Wie können die Chancen, aber auch die Herausforderungen, die mit der gesellschaftlichen Mehrsprachigkeit und -kulturalität in Europa verbunden sind, stärker in den Fokus genommen werden? Welche Rolle spielen überhaupt heute Europa und seine gesellschaftliche(n) Realität(en) im Schulsystem, in den einzelnen Fächern und für den romanischen Fremdsprachenunterricht?

 

In der Sektion sollen ausgehend von den Belangen des Fremdsprachenunterrichts (Französisch, Italienisch, Spanisch) sowohl aus der außerschulischen Perspektive als auch aus der binnenperspektivischen Unterrichtsbetrachtung folgende Leitfragen diskutiert werden: Aus der Außenperspektive: Was beeinflusst sprachenpolitisch und institutionell von europäischer Seite den Fremdsprachenunterricht und speziell den romanischen Fremdsprachenunterricht (GeR, Erasmus+ etc.)? Aus der Binnenperspektive: Wie werden welche soziokulturellen, historischen und literar- ästhetischen Inhalte von und über Europa im Fremdsprachenunterricht Französisch (FLE), Italienisch (ILS) und Spanisch (ELE) vermittelt? Welche Rolle spielen Bewertungssysteme bzw. Richtlinien zur Evaluierung von Fremdsprachenkenntnissen, wenn in einem kompetenzorientierten Fremdsprachenunterricht Toleranz, Offenheit und Akzeptanz wesentliche Grundwerte darstellen sollen? Folgende konkrete Forschungsfragen sollen daher in der Sektion diskutiert werden:

  • Inwiefern ist eine Internationalisierung des romanischen Fremdsprachen- unterrichts möglich und auch notwendig?
  • Welche politischen Funktionen werden mit dem (romanischen) Fremd- sprachenunterricht verbunden?
  • Wie wirkt sich die Globalisierung auf den Fremdsprachenunterricht aus?
  • Welche Rolle nimmt die Idee eines polyglotten und transkulturellen Europas im Fremdsprachenunterricht ein? Inwiefern wird die Mehrsprachigkeit beim Erwerb von Französisch, Spanisch und Italienisch genutzt?
  • Wie können die einschlägigen curricularen Vorgaben und der GeR ergänzt werden, um den Herausforderungen eines plurilingualen und -kulturellen Europas gerechter zu werden?
  • Welche Bedeutung haben Kultur, Literatur und ästhetische Bildung hinsichtlich des Themas „Europa“ im Fremdsprachenunterricht?
  • Wie und wo ist die Idee von Europa im Fremdsprachenunterricht Französisch, Spanisch und Italienisch vorzufinden? Welche fächerübergreifenden und projektorientierten Ansätze werden verfolgt?
  • Wie können technische Entwicklungen und Digitalisierung die Gestaltung eines europäischen Fremdsprachenunterrichts und das länderübergreifende Fremdsprachenlernen unterstützen?

 

Auswahlbibliographie

 

Christ, Ingeborg (2005): Die Bedeutung des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für das Fremdsprachenlernen. In: Französisch heute, 36, 292- 304.

 

Europäische Kommission / Eurydice (2001): Der Fremdsprachenunterricht an den Schulen in Europa. Bruxelles.

 

Europarat (2001): Gemeinsamer europäischer Referenzrahmen für Sprachen: lernen, lehren, beurteilen. Berlin: Langenscheidt.

 

Heyder, Karoline/Schädlich, Birgit (2014): „Mehrsprachigkeit und Mehrkulturalität – eine Umfrage unter Fremdsprachenlehrkräften in Niedersachsen“, in: Zeitschrift für interkulturellen Fremdsprachenunterricht, Jahrgang 19, 1, 183-201.

 

 

Kontakt: karoline.heyder@uni-flensburg.de, claudia.schlaak@uni-kassel.de

Suche