Exkursion im Sommersemester 2025 an die Universität Toulouse: „Traumcafé Europa“? Entwurf eines friedlichen Europa vor dem Hintergrund der Erinnerung an die Schrecken des 20. Jahrhunderts mit einem Fokus auf Theodor Balk (1900-1974)

Gruppenfoto Toulouse
© Universität Augsburg
Deutsch-Französisches Jugendwerk (DFJW)

Das Seminar „Traumcafé Europa“? Entwurf eines friedlichen Europa vor dem Hintergrund der Erinnerung an die Schrecken des 20. Jahrhunderts mit einem Fokus auf Theodor Balk (1900-1974) sowie europäischem und antifaschistischem Engagement von Künstler:innen fand im Rahmen einer trilateralen Kooperation der Universitäten Augsburg, Pilsen und Toulouse statt. Es stellte Theodor Balk (1900-1974) in den Fokus.

Vom 19. bis zum 24. Juli 2025 fand die Exkursion nach Toulouse statt. Am Donnerstag reisten die Studierenden aus Augsburg und Pilsen mit ihren jeweiligen Dozentinnen nach Toulouse. Nach der Ankunft bezogen beide Gruppen ihre Unterkünfte und machten sich mit der Stadt vertraut. Am Abend folgte ein Essen unter den deutschen Studierenden.

Am nächsten Tag stand der Spanische Bürgerkrieg (bzw. besser Spanienkrieg) im Zentrum des Seminars. Am Vormittag begann das Seminar mit einer allgemeinen Vorstellungsrunde. Danach präsentierte die deutsche Gruppe wichtige Begriffe, Themen und Ereignisse, die mit der Auseinandersetzung zwischen den Republikanern und den rechtsgesinnten Putschisten unter General Franco zusammenhingen. So wurde auf der einen Seite der Hintergrund des spanischen Faschismus, die Falange, die Republikzeit, der Krieg an sich und auch das Nachkriegsspanien ausführlich vorgestellt. Es schloss sich an diesen ersten Teil ein gemeinsames Mittagessen in der Mensa der Universität an. Am Nachmittag schlossen sich auf der anderen Seite dann literarische, journalistische und filmische Beispiele an. So waren unter anderem die Fotografin Gerda Taro, das Geschwisterpaar Erika und Klaus Mann oder der ‚rasende Reporter‘ Egon Erwin Kisch während der Kriegszeit in Spanien. Diese berichteten auf unterschiedliche Weise über die Ereignisse. Das Medium des Films beschäftigte sich erst im Nachhinein mit diesen geschichtlichen Begebenheiten. Hier wurde der DDR-Film Fünf Patronenhülsen (1960) dem US-Film Wem die Stunde schlägt (1943) gegenübergestellt. Außerdem konnte eine Studentin aus Frankreich ein Projekt, welches sie 2019-2022 in der Schule erarbeitet hat, vorstellen: Die Schüler:innen haben Veteranen, die im Spanischen Bürgerkrieg gekämpft haben, besucht, interviewt und fotografiert. Nach drei Jahren Arbeit lag dann ein gedrucktes Buch über die ‚Retirada‘ vor.

Die Präsentationen und die anschließenden Rückfragen und Diskussionen der Studierenden nahmen deutlich mehr Zeit in Anspruch als ursprünglich geplant. Es wurde entschieden, vom Seminarplan abzuweichen und den Diskussionen den nötigen Raum zu geben. Die erste Lektürerunde wurde dafür auf den abschließenden Tag verlegt; sie wurde im Anschluss an die Diskussion zu Picassos Guernica durchgeführt und diente dazu, die Themen für die folgende Collagenwerkstatt zu erarbeiten.

Nach einer kurzen Pause wurde das Musée de la Résistance in Toulouse besichtigt. Diese Besichtigung leitete Hélène Leclerc. Sie stellte die wichtigsten Exponate und vor allem zentrale Ereignisse dar.

Im Anschluss an die Museumsbesichtigung gab es Gelegenheit bei einem Gemeinsamen Abendessen in einem typisch französischen Restaurant, so dass die Teilnehmenden der ersten Arbeitsphase die Wiederbegegnung feiern und die Neuzugänge sich integrieren konnten; dieser Prozess hat sehr gut und gemeinschaftlich funktioniert. Ein Teil der Gruppe zog danach noch auf eine kleine Erkundungstour ohne die Dozentinnen durch die Stadt.

Am nächsten Morgen verdeutlichte der Einführungsvortrag von Hélène Leclerc mit dem Titel Das deutschsprachige Exil in Frankreich und die südfranzösischen Internierungslager am Vorabend und während des Zweiten Weltkrieges noch einmal die Situation der Spanienkämpfer, welche nach dem verlorenen Spanienkrieg nach Frankreich geflohen waren. Besonders wurde auf den Begriff der „unerwünschten Ausländer“ und die Asylpolitik Frankreich am Ende der 1930er und Anfang der 40er Jahre eingegangen. Viele Deutsche wurden in dieser Zeit in Lagern vor allem im Süden Frankreichs interniert. Leclerc zeigte aber auch auf, dass Paris das kulturelle Exilzentrum Frankreichs war, sowie den Widerstandskampf der Resistance. Ein besonderer Fokus lag auf den „Konzentrationslagern“ Rieucros und Le Vernet. Diese beiden Internierungslager hießen tatsächlich offiziell so.

Diese beiden Lager standen auch im weiteren Vormittag im Zentrum. Durch die französische Gruppe wurde in einem ersten Schritt das Lager Le Vernet vorgestellt; in einem zweiten Schritt dann auch Theodor Balk (Fodor Dragutin) und sein Buch Das verlorene Manuskript (1934/1943/1949/1943/1983), in welchem ein Kapitel über das Lager Le Vernet enthalten ist. Die anschließenden Lektürerunde beschäftigte sich genauer mit Balks Roman und konzentrierte sich hierbei neben dem Motiv des Hungers auch auf die Entstehungsgeschichte.

Das Frauenlager Rieucros war für Lenka Reinerová eine wichtige Station in ihrem Leben. In ihrem Text Grenze geschlossen (1958) ist ein Kapitel über das Lager Rieucros enthalten. Ein tschechischer Student, der sich in seiner Abschlussarbeit mit diesem Werk von Reinerová auseinandergesetzt hat, konnte den Text vorstellen und leitete im Anschluss die Lektürerunde, welche einen Fokus auf Gemeinschaft und Solidarität legte.

Das Mittagessen wurde in der Innenstadt von Toulouse trinational eingenommen, so dass sich die Stadtführung auf Deutsch direkt an das Essen anschließen konnte. Durch eine sehr kundige Stadtführerin wurden die wichtigsten Orte von Toulouse gezeigt, die zentralen historischen Ereignisse, die bis zu den Römern zurückreichen, dargestellt, und die besonders bedeutenden Kirchen präsentiert.

Am Abend gab es in ganz Frankreich die Fête de la Musique und so stellte sich auch Toulouse als ein Ort der Gemeinschaft dar. Ein Teil der Studierenden besuchte das Musikfestival, ein Teil erholte sich von den hohen sommerlichen Temperaturen, in denen die Seminarsitzungen und die Stadtführung durchgeführt worden waren.

Am Sonntag wurde der Ort des ehemaligen Lagers Le Vernet besucht. Bereits im Zug gab es Gelegenheit, dass sich die Studierenden untereinander besser kennenlernen. Vor Ort hat uns Herr Fernando Sanchez durch das Museum geführt. Er war der Sohn eines Spanienkämpfers, welcher selbst dann in Le Vernet interniert war. Der Verein sorgt auch dafür, dass der Friedhof erhalten und gepflegt bleibt. Diesen Friedhof haben wir besucht. Besonders eindrücklich für alle Teilnehmenden waren die Erzählungen von Herrn Sanchez über seine eigene Familiengeschichte und über seine Begegnungen mit den Spanienkämpfern, die jahrelang regelmäßig den Friedhof besucht haben. Am späten Nachmittag sind wir mit dem Zug zurück nach Toulouse gefahren. Diese Besichtigung war auch die Gelegenheit, auf die Begriffe Internierungslager/Konzentrationslager einzugehen und die Argumente dieses Vereins zu hören, der etwas isoliert für die Verwendung der damaligen offiziellen Bezeichnung „Konzentrationslager“ plädiert, während die Historiker und Historikerinnen den Begriff „Internierungslager“ empfehlen, um diese französischen Lager, in denen die Lebensbedingungen durchaus katastrophal waren, von den deutschen KZ zu unterscheiden.

Am letzten Tag wurde zuerst das Gemälde Guernica (1937) von Pablo Picasso durch die tschechische Gruppe vorgestellt. Dieses Bild entstand aufgrund eines Luftangriffs durch die deutsche Legion Condor auf die spanische Stadt Guernica im April 1937. Die Diskussion über das Gemälde hat gezeigt, dass es zwar eine unmissverständliche pazifistische Botschaft enthält, seine besondere Bedeutung als Kunstwerk jedoch darin besteht, dass es nicht eindeutig zu lesen ist. Der Austausch über die unterschiedlichen Deutungsmöglichkeiten einzelner Gestaltungsaspekte profitierte sehr von der Vielfalt der trilateral zusammengesetzten Gruppe.

Im Anschluss hieran wurde die ursprünglich für den ersten Seminartag geplante Lektürerunde mit Fokus auf den Spanienkrieg durchgeführt, sie wurde von den Augsburger Studierenden geleitet. Die Texte Wen die Kugel vor Madrid nicht traf (1995) von Theodor Balk und Der Beweis (1962) von Lenka Reinerová wurden an dieser Stelle besprochen. Die Diskussion zeigte, dass Balk und Reinerová unterschiedlich mit der Thematik umgehen. Balk hat einen Tagebuchroman geschrieben, welchen er kommentiert, Reinerová entwickelt eine fiktive Geschichte, in deren Zentrum ein junger Spanienkämpfer steht, der für den Kampf in den Internationalen Brigaden all seine Furcht überwindet und sich schließlich freiwillig für die letzte, aussichtslose Schlacht um Barcelona meldet und den Tod findet.

In der Pause wurde das Mittagessen wieder gemeinsam in der Mensa der Universität eingenommen.

Zuerst schloss sich an diese Pause ein Vortrag von Dr. Catherine Mazellier-Lajarrige an. Sie stellte Leben und Werk des Schriftstellers Rudolf Leonhard vor, der vor 1933 unter anderem für Die Weltbühne gearbeitet hat. Der Fokus lag auf seiner Internierung im Lager Le Vernet, das von den Studierenden am Tag zuvor besucht worden war. Mazellier-Lajarrige schilderte eindrücklich, dass für Leonhard das Schreiben von Texten zentral für sein Überleben in so einer schwierigen Zeit war. Besonders wurden das Traumbuch des Exils und auch die Tragödie Geiseln vorgestellt, welche beide im Lager entstanden und später erst durch komplizierte Umwege wieder den Weg zu ihrem Autor zurückfanden. Seinen Ausbruch und die Flucht aus dem Lager im Jahr 1943 hält Leonhard in seinem Bericht Mein literarisches Meisterstück fest. Ein besonderer Zufall und eine Ehre war es, dass ein naher Verwandter von Leonhard, Herr Raymond Guggenheim, eigens für den Vortrag angereist war und sich unter den Zuhörern befand. Im Anschluss stand er den Studierenden für Fragen zur Verfügung. Es war ihm ein Anliegen, zu betonen, dass er seine Aufgabe nicht darin sieht, den Autor Rudolf Leonhard bekannt zu machen, sondern dass er dessen Botschaft – als ein Mensch zu leben – weiterverbreiten möchte.

Der restliche Nachmittag stand im Zeichen der Collagenwerkstatt. Es wurden sieben trinationale Gruppen gebildet, die zu sieben unterschiedlichen Themen des Seminars Collagen sowie erläuternde Text erstellten. Dabei kristallisierten sich die folgenden Themen heraus: Gemeinschaft, Solidarität, Frieden, Trauma, Flucht, Erinnerung (mit Fokus auf Balk) und Erinnerung (mit Fokus auf Reinerová). So setzten sich einige Gruppen schwerpunktmäßig mit dem Spanienkrieg auseinander, andere fokussierten sich auf die Konzentrations- und Internierungslager. Einige Gruppen konzentrierten sich auf Theodor Balk, andere stellten Lenka Reinerová ins Zentrum ihrer Arbeiten. Im Anschluss an die Gruppenarbeiten wurde jede Collage von der jeweiligen Gruppe gezeigt, präsentiert und auch kommentiert. In den Gruppenarbeiten sowie bei den Präsentationen wurden immer wieder Bezüge zur gegenwärtigen politischen Situation hergestellt und diskutiert.

Der Abschluss der Exkursion bildete ein Gespräch, in dem die thematischen Perspektiven für die dritte Projektphase skizziert wurden, und ein gemeinsames Abendessen, an dem alle Studierenden und die Dozentinnen teilnahmen.

Der Dienstag stand im Zeichen der Abreise der deutschen und tschechischen Gruppe.

 

Der Bericht wurde erstellt von Moritz Vinke.

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