Vortrag von Dr. Małgorzata Stolarska-Fronia (Universität Potsdam) im Rahmen des KuK-Kolloquiums
Künstlerinnen jüdischer Herkunft gehören zur doppelten Peripherie der europäischen Avantgarde. In wissenschaftlichen Studien und Ausstellungskatalogen ist der Platz für die Namen jüdischer Künstler, die innerhalb des Netzwerks der europäischen Avantgarde einen eigenen kulturellen Raum schufen, größtenteils Männern vorbehalten. Obwohl die Moderne, einschließlich der jüdischen Moderne, fortschrittliche Slogans verkündete, die eine Veränderung der sozialen und künstlerischen Normen forderten, wurde die Beteiligung von Frauen meist übersehen. Die Marginalisierung von Frauen im künstlerischen Leben vollzog sich auf vielen Ebenen - es war für Frauen deutlich schwieriger, an öffentlichen Ausstellungen teilzunehmen. Zudem waren sie durch die konservativen Geschmäcker des Publikums eingeschränkt - von weiblichen Künstlerinnen wurde erwartet, dass sie bestimmte Themen und sogar Techniken behandelten. Das Bild der Frau als Dekorateurin, geschickte Stickerin oder Bildhauerin hat sich verfestigt, weshalb Frauen vermutlich häufiger für Buchillustrationen engagiert wurden. Der Vortrag wird Künstlerinnen aus dem Kreis der Gruppe Jung Jidisch aus Łódź gewidmet, die am meisten mit plastischen Formen experimentierten. Völlig einzigartik ist eine Reihe von drei illustrierten Gedichtbänden, die 1921 vom Verlag Archid in Łódź veröffentlicht wurden. Diese wurden von drei Künstlerinnen gestaltet: Ida Brauner (1892-1949), Dina Matus (1899-1944, im Ghetto Łódź) und Paula Lindenfeld (1894-1942, im Ghetto Łódź). Die farbenfrohen Drucke mit mystischen Inhalt greifen die Botschaft der Gedichte auf und balancieren zwischen figurative Expressionismus und Abstraktion. Ihre Illustrationen spiegeln die schöpferische Kraft der weiblichen Natur wider und symbolisieren gleichzeitig das grundlegendste Verständnis des Universums als Durchdringung scheinbar widersprüchlicher Welten: der Welt der Menschen und der Welt der Tiere, der Welt des Göttlichen und der Welt der Erde, der Welt der Lebenden und der Toten, der Vergangenheit und der Gegenwart.
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