Materialbasis des Projekts sind archäologische Befunde und Funde in einem antiken Heiligtum nahe der griechischen Stadt Akragas auf Sizilien, das seit 2014 vom Fach Klassische Archäologie der Universität Augsburg im Rahmen von Feldforschungen und Ausgrabungen untersucht wird. Die archäologischen Kontexte des Sakralorts bezeugen eine Kontinuität der rituellen Handlungen über einen Zeitraum von annähernd zweihundert Jahren. Von den Gläubigen wurden über Generationen hinweg vom 6. bis ins 4. Jh. v. Chr.  mit charakteristischen Handlungsmustern unterschiedliche Gaben und Spenden der Gottheit dargebracht. Neben Artefakten wie Gebrauchsgegenständen, Schmuck und Waffen enthalten die rituellen Niederlegungen auch natürliche und organische Materialien wie Steine, Getreide oder Muscheln. Die durch die archäologischen Kontexte bezeugten Rituale sprechen nicht nur für religiöse Transferprozesse sondern auch für eine Umwandlung von materiellen zu immateriellen Werten, z. B. bei Opfern oder Festen.

 

Das Projekt verfolgt zwei Zielsetzungen. Erstens sollen die religiösen Praktiken und die Nutzung des Heiligtums ausgehend vom archäologischen Material rekonstruiert werden. Berücksichtigt werden dabei die Möglichkeiten und Grenzen der 2500 Jahre alten, fragmentierten Primärquellen aus einer Kultur, in der sich eine schriftliche Reflexion von Religion erst allmählich ausbildete. Zum Zweiten sollen die archäologisch greifbaren Situationen in einer kulturwissenschaftlichen Interpretation gebündelt werden. Hierzu zieht das Projekt für die Deutung der archäologischen Materiallage Ansätze und Begrifflichkeiten aus dem Frühwerk des indisch-amerikanischen Anthropologen Aarujan Appadurai heran. In Folge wird das Heiligtum als Raum ritueller Austauschprozesse (transactions) angesehen, die um eine souveräne Gottheit im Zentrum organisiert waren und bei dem ein Prinzip der Anteiligkeit (shares) herrschte. Es wird ferner davon ausgegangen, dass die archäologisch greifbaren Deponierungen im Heiligtum ein materielles Zeugnis solcher rituellen Anteile bewahrt haben.

 

Über das Fallbeispiel des extraurbanen Heiligtums von Akragas hinausgehend deuten die archäologischen Funde aus anderen griechischen Heiligtümern auf Sizilien bereits ebenfalls die Tragfähigkeit des kulturwissenschaftlichen Interpretationsvorschlags an.

 

Schließlich untersucht das Projekt die Hypothese, dass die hier thematisierten Rituale u. a. einer gesellschaftlichen Strukturierung dienten und dadurch im Heiligtum der Zusammenhalt der Gläubigen gestärkt wurde. Diese religiöse Praxis könnte, so wird ferner angenommen, einen Gegenpol zu den im gleichen Zeitraum stattfindenden politischen Veränderungen und Umbrüchen der Stadtgesellschaften gebildet haben.

Professorin
Klassische Archäologie

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