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Ist der Mensch nicht Herr im eigenen Hause, so betrifft dies auch die Flüchtlinge, die uns als Gäste in Not heimsuchen. Die Flüchtlingsfrage ist so alt wie das Gastrecht. Auch Ödipus endet als umherirrender Asylant. Doch mit der Globalisierung vervielfältigt sich der Status des Flüchtlings. Für eine Phänomenologie des Fremden stellen sich Ankunft und Aufnahme der Schutzsuchenden als ein Doppelereignis dar, das immer wieder neue Antworten hervorruft. Die Gastlichkeit versteht sich nicht von selbst. Feindschaft läßt sich verstehen als verdrängte Fremdheit; dann aber stößt die Verdrängung nicht bloß auf eigene Wünsche und Ängste, sondern ebenso auf fremde Ansprüche. Levinas und Derrida betonen die Unbedingtheit der Gastfreundschaft. Doch diese verwirklicht sich  nur als Überanspruch, der die vorgegebenen Bedingungen übersteigt, in einer responsiven Politik, die in das Bestehende eingreift. Dabei stellen sich Fragen wie: Wer nimmt auf? Wo findet die Aufnahme statt, wie lange dauert sie? Welche Zwischeninstanzen kommen ins Spiel? Wo setzen Therapien an? Welche Perspektiven öffnen sich? Was wird den Ankommenden abverlangt? Gibt es nicht auch eine Infantilisierung der Opfer? Es bedarf einer Politik des Fremden, die Eigenes und Fremdes in ein neues Licht rückt. „Wir schaffen das‟ – wer sind wir, wer seid ihr?

Bernhard Waldenfels, geb. 1934 in Essen, studierte Philosophie, Psychologie, klassische Philologie und Geschichte in Bonn, Innsbruck, München und Paris. Er ist Professor Emeritus für Philosophie an der Ruhr-Universität Bochum, Ehrendoktor der Universitäten Rostock und Freiburg, Mitbegründer der Deutschen Gesellschaft für phänomenologische Forschung und lehrte als Gastprofessor in Debrecen, Hongkong, Paris, Louvain-la-Neuve, New York, Prag, Rotterdam, Rom, San José und Wien. Ein Arbeitsschwerpunkt ist die responsive Phänomenologie des Fremden.

Veröffentlichungen in Auswahl: Phänomenologie in Frankreich (1983), Ordnung im Zwielicht (1987), Der Stachel des Fremden (1990), Antwortregister (1994), Das leibliche Selbst (2000), Bruchlinien der Erfahrung (2002), Grundmotive einer Phänomenologie des Fremden (2006), Sinne und Künste im Wechselspiel (2010), Hyperphänomene (2012), Sozialität und Alterität (2015).

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