Projektzeitraum

01.05.2016 - 31.03.2020

Projektträger

Finanzielle Unterstützung durch das Programm zur Förderung des wissenschaftlichen Nachwuchses der Universität Augsburg

Projektverantwortliche

Prof. Dr. Matthias Schmidt
Niklas Völkening, M.Sc.

Vermarktung von Ché-Bildern gemeinsam mit anderen Souvenirs in Havanna © Völkening 2017

Die Kommodifizierung von materiellem und immateriellem Erbe der Kubanischen Revolution im Tourismus hat erhebliche Auswirkungen auf rezente Identitätskonstruktionen von Kubaner*innen. Die Revolution, die insbesondere in der Vergangenheit für viele Kubaner*innen einen stark identitätsstiftenden Charakter hatte, wird heute zunehmend für den Tourismus inszeniert und (re-)produziert. Damit dient die Revolution nun häufig nicht mehr als Stützpfeiler stabiler Identitäten, sondern vielmehr als marktgängiges Produkt, das zum Erwerb von dringend benötigten Devisen vermarktet wird – mit teils weitreichenden Auswirkungen auf das Selbstbild und das Selbstverständnis der kubanischen Bevölkerung. Anhand der Kommodifizierung des revolutionären Erbes wird die Transformation der sozioökonomischen und politischen Verhältnisse in Kuba beschrieben und untersucht.

 

Die Kubanische Revolution stellt seit dem Jahr 1959 einen Fixpunkt für die Identifikation vieler Kubaner*innen dar. Die Revolution ermöglichte es, persönliche Biografien in einen größeren historischen Kontext einzubetten, und stellte vielfach sinnstiftende Narrative und Erklärungen für die herrschenden Verhältnisse zur Verfügung. Gleichzeitig lieferte sie ‚Helden‘ und Identifikationsfiguren (u.a. Fidel Castro, Ché Guevara) als Verkörperung und Projektionsfiguren von nationaler wie auch individueller Identität. Zugleich stellt die Kubanische Revolution als Habitus einen soziokulturellen, politischen und wirtschaftlichen Handlungsrahmen für die kubanische Bevölkerung dar.

Dieser Rahmen wurde im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte jedoch stetig brüchiger. Der Zerfall der Sowjetunion und die Auflösung des Rats für Gegenseitige Wirtschaftshilfe (RGW) hinterließen Kuba weitestgehend ohne politische und ökonomische, aber auch ideologische Verbündete. Um die damit einhergehende Krise zu bewältigen und das sozialistische System bewahren zu können, beschloss die Staatsführung eine Reihe von Wirtschaftsreformen. Hierunter fiel unter anderem die Förderung des internationalen Tourismus in Kuba – ein Vorhaben, das sich wirtschaftlich als grundsätzlich sehr erfolgreich erweisen sollte. Neben tropischen Stränden, verfallender Kolonialarchitektur und Imaginationen von Zigarren, Rum und Musik, stellt der ‚Flair‘ der Revolution für viele Tourist*innen einen nicht unwesentlichen Grund für den Besuch Kubas dar. Lokale Akteure der Tourismuswirtschaft erkennen diese Nachfrage und reagieren mit der Vermarktung (und damit Kommodifizierung) revolutionärer Inhalte auf vielfältige Art und Weise, womit gleichzeitig die Entfremdung von diesem (ehemals) sinn- und identitätsstiftenden Konstrukt einhergeht.

 

Ziel des Dissertationsprojektes ist es, die Auswirkungen der Kommodifizierung von revolutionärem Erbe im Tourismus auf Kubaner*innen und ihre persönlichen Identitätskontruktionen zu untersuchen sowie deren Folgen zu beschreiben. Gleichzeitig wurden die beschriebenen Kommodifizierungsprozesse erst durch die Transformation gesellschaftlicher und individueller Wertevorstellungen sowie das Herauslösen der Revolution aus dem Kern kubanischer Identitäten ermöglicht. Inwiefern die Vermarktung (und damit meist Sinn-Entleerung) revolutionärer Narrative und Erklärungsmuster zu Identitätskrisen führt, oder ob (und wie) Kubaner*innen diese Prozesse als neue Freiheit zur selbstbestimmten Konstruktion alternativer Selbstbilder nutzen, wird in dem Projekt durch ein qualitatives Forschungsdesign untersucht. Dabei werden leitfadengestützte Interviews durchgeführt, sowohl mit im Tourismus tätigen Kubaner*innen als auch mit Personen, die nicht am Tourismus partizipieren können.

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