Da es in diesem Jahr keine Tagungsmappen gibt, stellen wir Ihnen die Texte als Download-Dateien, bzw. weiter unten auf dieser Seite als Fließtext, zur Verfügung. Nicht von allen Referentinnen/Referenten liegt ein Handout vor.

 

Bitte beachten Sie: Die Rechte an den Texten liegen bei der jeweiligen Referentin/dem jeweiligen Referenten und sind einzig zur Verwendung bei der Veranstaltung DPM 2022 gedacht. Jegliche Form der anderweitigen Verwendung/Verbreitung bedarf der Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.

 

 

 

 

Handouts als Fließtext:

 

Prof. Dr. Judith Hahn (Bonn): „Schuldig“, „nicht schuldig“, „unschuldig“. Beobachtungen zu Sachurteilen in kirchlichen Missbrauchsverfahren

1. Kirchliche Sachurteile in Strafsachen


a. Prozessrecht der Glaubenskongregation
Kongregation für die Glaubenslehre, Vademecum zu einigen Fragen in den Verfahren zur Behandlung von Fällen sexuellen Missbrauchs Minderjähriger durch Kleriker, erste Fassung vom 16. Juli 2020, überarbeitete Fassung vom 5. Juni 2022, Nr. 84:
„Entscheidungen am Ende eines Strafverfahrens, ob gerichtlich oder außergerichtlich, können zu dreierlei Ergebnissen führen:

  • Verurteilung (‚constat‘), wenn die Schuld des Angeklagten hinsichtlich der Straftat mit moralischer Gewissheit feststeht. […]
  • Freispruch aufgrund erwiesener Unschuld (‚constat de non‘), wenn die Unschuld des Angeklagten mit moralischer Gewissheit feststeht, weil der Tatbestand nicht erfüllt ist, der Angeklagte die Tat nicht begangen hat, die Tat vom Gesetz nicht als Straftat erfasst ist oder von einer nicht zurechnungsfähigen Person begangen wurde.
  • Freispruch mangels hinreichender Gewissheit (‚non constat‘), wenn moralische Gewissheit über die Schuld des Angeklagten nicht zu erlangen war, weil es nämlich keine oder keine hinreichenden Beweise oder aber eine widersprüchliche Beweislage darüber gibt, dass der Tatbestand erfüllt ist, der Angeklagte die Straftat begangen hat oder die Straftat von einer zurechnungsfähigen Person begangen wurde. […]

In der Entscheidung (durch Urteil oder Dekret) ist anzugeben, welche dieser drei Arten vorliegt, so dass Klarheit darüber herrscht, ob gilt: ‚constat‘, ‚constat de non‘ oder ‚non constat‘.“1

 

b. Sachurteile im kodikarischen Recht

1) Schuldspruch auf der Basis moralischer Gewissheit, Freispruch wegen Ausbleibens der Gewissheit:

c. 1608 CIC/1983: „§ 1 Zu jeder Urteilsfällung ist erforderlich, dass der Richter die moralische Gewissheit über die durch Urteil zu entscheidende Sache gewonnen hat. § 2 Die Gewissheit muss der Richter dem entnehmen, was aufgrund der Gerichtsakten bewiesen ist. § 3 Der Richter muss die Beweise aber nach seinem Gewissen würdigen, unbeschadet der gesetzlichen Vorschriften über die Wirksamkeit bestimmter Beweismittel. § 4 Kann der Richter diese Gewissheit nicht gewinnen, so hat er durch Urteil festzustellen, dass das Recht des Klägers nicht feststeht, und den Belangten als freigesprochen aus dem Verfahren zu entlassen […].“

2) Freispruch wegen offenkundiger Nichttäterschaft:

c. 1726 CIC/1983: „Steht offenkundig fest, dass die Straftat vom Beschuldigten nicht begangen worden ist, so muss der Richter in jeder Instanz und bei jedem Stand des Strafprozesses dies durch Urteil erklären und den Beschuldigten freisprechen, selbst wenn feststeht, dass die Strafklage verjährt ist.“

 

2. Historische Vorläufer, staatliche Parallelen


a. Prozessrechtserbe der Glaubenskongregation
Heilige Kongregation des Heiligen Offiziums, Instruktion über die Verfahrensweise in Fällen von Sollizitation, 16. März 1962:

 

"56. Tandem, congruo temporis spatio interposito (Can. 1870), iudex pro consientia ex actis et probatis sibi efformata (Can. 1869), definitivam sive condemnatoriam, si certus de crimine; sive absolutoriam, si certus de innocentia; sive dimmissoriam, si ex defectu probationum invicibiliter dubius, sentiam pronuntiabit."

 

b.  (Missverständlicher) Vergleich mit Zwei-Urteils-Systemen

 

CC BY-NC-ND

 

 

c. Urteile im schottischen Strafprozess
drei Urteile: Schuldspruch („guilty“), Freispruch wegen erwiesener Unschuld („not guilty“), Freispruch wegen Nichtnachweises der Schuld („not proven“)

 

3. Drei Sachurteile – was spricht dafür, was dagegen?


a. Wiederherstellung des guten Rufs
c. 220 CIC/1983: „Niemand darf den guten Ruf, den jemand hat, rechtswidrig schädigen und das persönliche Recht eines jeden auf den Schutz der eigenen Intimsphäre verletzen.“
 

b. Neigung zum Kompromissurteil
Ormston, Rachel/Chalmers, James/Leverick, Fiona/Munro, Vanessa/Murray, Lorraine, Scottish Jury Research. Findings from a Large Scale Mock Jury Study (Crime and Justice, Social Research), Scottish Government 2019, www.gov.scot/publications/scottish-jury-research-fingings-large-mock-jury-study-2 (18.10.2021):

  • Untersuchung des Einflusses div. Faktoren auf Urteile: Größe der Entscheidergruppe (zwölf vs. fünfzehn Personen) | Entscheidungsverfahren (einfache Mehrheit vs. Einstimmigkeit) | Entscheidungsoptionen (zwei vs. drei Urteile)
  • Ein Ergebnis: „The fact that three-verdict jurors were more likely to favour acquittal both before and after deliberating suggests that the availability of the not proven verdict has an effect on jurors’ verdict preferences independent of any impact of deliberation. This finding broadly reflects existing research […], which suggests – albeit not emphatically given the methodological limitations and relative paucity of such studies to date – that the availability of a not proven verdict may be associated with individual jurors being less likely to favour conviction“ (22).

c. Aufgabe und Funktion von Strafverfahren
1) hoheitliche Entscheidung über Feststellbarkeit von Schuld
2) hoheitliche Entscheidung über Feststellbarkeit von Schuld

  • Feststellbarkeit vs. Nichtgelingen der Feststellung
  • Nachweis von Unschuld als Aufgabe von Gerichten?
  • geeignete Terminologie? „constat“/„non constat“ vs. „schuldig“/„nicht schuldig“

 

1 Dt. Übersetzung: www.vatican.va/roman_curia/congregations/cfaith/ddf/rc_ddf_doc_20220605_vademecum-casi-abuso-2.0_ge.html (18.10.2022).

 

Weiterführende Literatur


Bray, Samuel, Comment: Not Proven – Introducing a Third Verdict, The University of Chicago Law Review 72 (2005), 1299–1329.
Bugliosi, Vincent T., Not Guilty and Innocent. The Problem Children of Reasonable Doubt, Mississippi College Law Review 4 (1983), 47–72.
Curley, Lee J. u. a., The Bastard Verdict and Its Influence on Jurors, Medicine, Science and the Law 59 (2019), 26–35.
Daly, Brendan, An Analysis of the Vademecum of the Congregation for the Doctrine of the Faith, The Canonist 11 (2021), 197–217.
Duff, Peter, The Scottish Criminal Jury. A Very Peculiar Institution, Law and Contemporary Problems 62 (1999), 173–201.
Hahn, Judith, Guilt, Innocence, and Remaining Doubts. Some Considerations on the Congregation for the Doctrine of the Faith’s Three-Verdict System of Deciding Cases of Sexual Abuse, Oxford Journal of Law and Religion 10 (2021), 91–115.
Hope, Lorraine u. a., A Third Verdict Option. Exploring the Impact of the Not Proven Verdict on Mock Juror Decision Making, Law and Human Behavior 32 (2008), 241–252.
O’Reilly, James T./Chalmers, Margaret S. P., The Clergy Sex Abuse Crisis and the Legal Re-sponses, Oxford 2014.
Smithson, Michael/Deady, Sara/Gracik, Lavinia, Guilty, Not Guilty, or . . .? Multiple Options in Jury Verdict Choices, Journal of Behavioral Decision Making 20 (2007), 481–498.

 

 

PD Dr. Beatrix Laukemper-Isermann (Münster): Trans- und Intersexualität im Hinblick auf das kirchliche Eherecht

Folientexte zum Vortrag

 

Folie 1:

 

„Der Ehebund, durch den Mann und Frau unter sich die Gemeinschaft des ganzen Lebens begründen, welche durch ihre natürliche Eigenart auf das Wohl der Ehegatten und auf die Zeugung und die Erziehung von Nachkommenschaft hingeordnet ist, wurde zwischen Getauften von Christus dem Herrn zur Würde eines Sakramentes erhoben“ (Can. 1055 CIC/1983).

 

Folie 2:

 

Transsexualität und Intersexualität - Begriffe

Transsexualität: Ich bin als Mann geboren, empfinde mich aber als Frau

Intersexualität: Ich bin weder eindeutig Frau, noch eindeutig Mann

 

Folie 3:

 

Gültige kirchliche Eheschließung?

 

Folie 4:

 

Transsexualität und Nichtigkeit der Ehe - Urteile

 

Folie 5:

 

Ein fingierter Fall zur Intersexualität (s. weiter unten, "Fallbeschreibung")

 

Folie 6:

 

Welche Klagegründe?

 

Folie 7:

 

Oder ein Dokumentenverfahren?

 

Fallbeschreibung:

 

Am 20.09.1996 wurde die Klägerin Maria B. geboren. Die Ärzte erkannten bei ihrer Geburt, dass sie Merkmale beider Geschlechter weiblich/männlich aufwies und nach gemeinsamer Überlegung mit den leiblichen Eltern gaben sie den femininen Geschlechtsmerkmalen den Vorzug und trugen als Geschlechtsmerkmal „weiblich“ in die Geburtsurkunde ein – inzwischen würde in der Geburtsurkunde als Geschlecht „divers“ stehen. Die Eltern nannten ihr Kind „Maria“ und ließen sie im Alter von drei Monaten auf diesen Namen taufen. Sie wussten, dass ihre Tochter nicht eindeutig weiblichen Geschlechts war, doch die männlichen Geschlechtsorgane waren nur minimal ausgebildet und nach außen hin nicht sichtbar, weil nach innen gewachsen. Die weiblichen Anlagen waren hingegen deutlich erkennbar. Zusammen mit den Ärzten entschieden die Eltern deshalb, ihr Kind als Tochter aufwachsen zu lassen und zu einem späteren Zeitpunkt, z. B. vor oder während der Pubertät, eine Operation zur Entfernung der männlichen Anlagen vornehmen zu lassen. Sie hofften darauf, dass sich die weitere Entwicklung ihrer Tochter eindeutig als weiblich zeigen würde und die vorhandenen männlichen Anteile diesen Prozess nicht behindern würden.

 

Im Alter von 10 Jahren erklärten die Eltern ihrer Tochter, dass sie die Anlagen beider Geschlechter in sich trage und sie bei ihrer Geburt zusammen mit den Ärzten entschieden hätten, sie als Mädchen zu erziehen. Eine chirurgische Entfernung der männlichen Geschlechtsmerkmale sei möglich, aber Maria lehnte die Operation ab. Sie wollte so bleiben wie sie von Geburt an war und weiterhin ein junges Mädchen auf dem Weg zur Frau sein. Fragen, welche Auswirkungen diese diverse Geschlechtlichkeit insgesamt auf ihre Weiblichkeit und auf ihre Sexualität haben würde, kamen erst später, als sie sich das erste Mal verliebte. Zu diesem Zeitpunkt ähnelte ihr äußeres Erscheinungsbild eher dem eines jungen Mannes, aber sie fühlte sich weiblich, trug jedoch einen Kurzhaarschnitt, hatte leichten Bartwuchs und kleidete sich nicht eindeutig erkennbar als junge Frau. Ihrem ersten Freund erzählte sie nichts von ihrer intersexuellen Veranlagung. Er hinterfragte ihr äußeres Erscheinungsbild auch nicht. Als er intimen Kontakt mit ihr haben wollte, lehnte sie seinen Wunsch aus Unsicherheit wegen ihrer diversen Veranlagung ab. Die Beziehung ging auseinander.

 

Während ihres Studiums (Medizin und Psychologie) lernte sie einen Kommilitonen kennen, in den sie sich heftig verliebte, was er erwiderte. Obwohl sie noch im Studium waren, heirateten sie bald. Erst zu diesem Zeitpunkt wurden sie miteinander intim, was jedoch auf ihrer Seite große Probleme bereitete. Sie ahnte, warum das so war, dass es mit ihrer Intersexualität zu tun haben könnte, wovon sie ihm bislang nichts gesagt hatte. Aber nun musste sie mit ihm reden. Er reagierte empört und verletzt, weil sie vorher nicht mit ihm darüber gesprochen hatte. Er sah seine Vorstellung von Ehe gefährdet, zumal er gerne Kinder haben wollte und nicht wusste, ob diese Möglichkeit mit Maria überhaupt gegeben wäre. Dieser Vertrauensbruch im Zusammenhang mit der Intersexualität führte nach zwei Jahren zur endgültigen Trennung und zur Scheidung. Die Ehe war kinderlos geblieben, zumal sie nur noch wenige intime Kontakte miteinander hatten. Auch während dieser Zeit kam für Maria eine Operation nicht in Frage. Sie hatte schlicht und ergreifend Angst davor.

 

Nach der Scheidung der Ehe fühlte sich Karl immer noch nicht frei genug für eine mögliche neue Beziehung, denn sie hatten ja auch kirchlich geheiratet. Von einem Bekannten wusste er von der Möglichkeit einer kirchlichen „Scheidung“. Über verschiedene Seiten im Internet konnte er Erkundigungen einholen und entschied sich für ein Beratungsgespräch bezüglich eines Ehenichtigkeitsverfahrens. Der Berater zeigte sich davon überzeugt, dass ein solches Verfahren in seiner Situation durchaus angemessen sei und schlug verschiedene Klagegründe vor.

 

·      Fehlen der Voraussetzungen zur Ehe auf Seiten der Frau im Sinne einer Eheschließungsunfähigkeit (can. 1095, 2°) und / oder Eheführungsunfähigkeit (can. 1095, 3°);

·      Arglistige Täuschung des Mannes durch die Frau gem c. 1098;

·      Irrtum des Mannes über eine wesentliche Eigenschaft auf Seiten der Frau (can. 1097 § 2);

·      Mangelnder Ehewille auf Seiten der Frau wegen Ausschlusses des Gattenwohls (can.1101 § 2);

·      Mangelnder Ehewille auf Seiten der Frau wegen Ausschlusses von Nachkommenschaft.

 

Das Verfahren wurde unter Angabe der notwendigen Daten, einer ausführlichen Begründung und der Nennung von Zeugen (u. a. der Eltern der Nichtklägerin) mit vier der fünf genannten Klagegründe angenommen. Beide Parteien und drei Zeugen sowie ein Sachverständiger nahmen am Verfahren teil.

 

 

Dr. Barbara Engel-Ries (Trier): Inkonsummationsverfahren und In-vitro-Fertilisation - eine Problemanzeige

1. Begriffsklärungen

1.1 In-vivo und In-vitro-Fertilisation

Künstliche Befruchtung „in vivo“: Einführung des Samens mittels Spritze oder Katheter in die Gebärmutter, Gebärmutterhals oder Eileiter

Künstliche Befruchtung „In vitro“: Entnahme der Eizellen, Zusammenführung mit Samenzellen in Reagenzglas

ICSI: direkte Injektion der Samenzelle in die Eizelle

 

1.2 Homologe und heterologe Befruchtung

Homologe Befruchtung: Verwendung von Sperma und Eizellen eines Paares

Heterologe Befruchtung: Verwendung von Keimzellen wenigstens einer anderen Person

 

2. Lehramtliche Bewertung der künstlichen Befruchtung

  • Paul VI. Enzyklika, Humanae Vitae 1968
  • Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Donum Vitae 1987
  • Johannes Paul II., Enzyklika Evangelium Vitae 1995
  • Kongregation für die Glaubenslehre, Instruktion Dignitas Personae 2008

nicht auflösbarer Zusammenhang von geschlechtlicher Vereinigung und Fortpflanzung

 

2.1 Bewertung heterologer künstlicher Befruchtung durch das kirchliche Lehramt

Verbot, da Trennung von ehelichem Akt und Befruchtung

Widerspricht ehelicher Einheit, Treue

 

2.2 Bewertung homologer künstlicher Befruchtung durch das kirchliche Lehramt

Verbot, da Trennung von ehelichem Akt und Befruchtung

Befruchtung muss Resultat eines ehelichen Aktes sein, „der aus sich heraus zur Zeugung von Nachkommenschaft geeignet ist, auf den die Ehe ihrer Natur nach hingeordnet ist, und durch den die Ehegatten ein Fleisch werden“ (Donum Vitae 4)

 

3. Nichtvollzug auf dem Hintergrund einer künstlichen Befruchtung

Extrakorporale Befruchtung mit anschließendem Embryonentransfer stellt keine zum Vollzug der Ehe geeignete Handlung dar

 

4. Nichtvollzugsverfahren

Can. 1141 CIC „Die nicht vollzogene Ehe zwischen Getauften oder zwischen einem getauften und einem ungetauften Partner kann aus einem gerechten Grund auf Bitten beider Partner oder eines Partners, selbst wenn der andere dem widerstrebt, vom Papst aufgelöst werden.“

 

Can. 1698 „§ 1 Über die Tatsache des Nichtvollzugs einer Ehe und das Vorliegen eines gerechten Grundes für die Gewährung der Dispens entscheidet einzige der Apostolische Stuhl.

§ 2 Die Dispens wird jedoch ausschließlich vom Papst gewährt.“

 

Can. 1699 „§1 Zuständig zur Entgegennahme der Bittschrift um Dispens ist der Diözesanbischof, in dessen Bereich der Bittsteller seinen Wohnsitz oder Nebenwohnsitz hat; steht fest, dass das Bittgesuch begründet ist, so muss der Bischof die Durchführung des Verfahrens anordnen.

§ 2 Weist der vorgebrachte Fall aber besondere Schwierigkeiten in rechtlicher oder moralischer Hinsicht auf, so soll der Diözesanbischof den Apostolischen Stuhl um Rat angehen.“

 

Litterae circulares (1987)

Art. 2: In Fällen, die besondere Schwierigkeiten bieten (vgl. can. 1699 § 2), z.B. … künstliche Befruchtung und andere Methoden, die nach heutiger wissenschaftlicher Kenntnis vorkommen können, Vorhandensein von Nachwuchs, … Gefahr des Ärgernisses… in Verbindung mit der Gewährung der Gnade …, wende sich der Bischof, … an die Rota Romana (vorher Kongregation für die Sakramente)

Art. 3: Es ist Sache des Bischofs, den Gatten zu raten, dass sie gerichtlich klagen, wenn ein Zweifel an der Gültigkeit der Ehe entsteht, oder ein Inkonsummationsverfahren anzuordnen.

Art. 7: Wenn bei der Beweiserhebung der sehr wahrscheinliche Zweifel auftritt, dass die Ehe nicht vollzogen wurde, soll der Bischof das Nichtigkeitsverfahren per Dekret aussetzen und einen Dispensantrag an die Rota Romana schicken.

Art. 23 c: Von pastoralen Motiven geleitet, bedenke der Diözesanbischof auch die Angemessenheit der Gnade, die Abwesenheit von Ärgernis, die Verwunderung bei den Gläubigen und den Schaden jedweder Art, die aus der Gnade entstehen könnten…

 

5. Fallbeispiel

 

6. Anfragen an das Vorgehen der Rota Romana

  • Es scheint die Sorge zu bestehen, dass Auflösung einer Ehe, aus der Nachwuchs mittels künstlicher Befruchtung hervorgegangen ist, gleichzeitig als positives Urteil des päpstlichen Lehramtes zur Bewertung von IVF gewertet wird.
  • Pauschale Annahme eines Ärgernisses
  • Bewertung der künstlichen Befruchtung steht im Vordergrund, nicht der Nichtvollzug

 

Mons. Alejandro Arellano Cedillo (Rom): Normen zur Anwendung des Motu proprio Mitis Iudex Dominus Iesus (Version auf Deutsch)

 

1. Vorwort

            Sieben Jahre sind seit der Promulgation der Reform des kanonischen Eheprozesses vergangen. Eine tiefgreifende und einschneidende juristische Neuerung bietet uns die Gelegenheit zu einer ernsthaften Reflexion und einer Überprüfung der Kategorien und des modus procedendi der Mitarbeiter an den Gerichten, die jedoch nicht das Fachwissen und die Professionalität abwerten soll. In diesem Bericht wird der Versuch unternommen, den Inhalt des neuen Prozessrechts zu umreißen, um es ad mentem Papae getreu auszulegen und anzuwenden.

Bei der Berufung auf die Grundsätze und die vom Gesetzgeber vorgegebene Richtung darf nicht übersehen werden, dass in der Rechtswissenschaft im Allgemeinen und in der Rechtsverfahrenswissenschaft im Besonderen die Form bzw. das Verfahren Ausdruck und Gewähr für Umsicht und Nützlichkeit ist. Der Rechtsprozess ist der Bereich, in dem die größte verfahrenstechnische Sorgfalt und technische Strenge zu finden ist. In diesem Sinne vernachlässigt oder verharmlost ein wirklich apodiktisches Verfahrensrecht die Regeln oder Bestimmungen nicht, sondern führt sie zum Sinn und der ratio des Systems zurück.

Das hermeneutische Prinzip der "Erneuerung in Kontinuität", das Papst Benedikt XVI. bei der Auslegung des Zweiten Vatikanischen Konzils hervorgehoben hat[1] und das auf jedes authentische kirchliche Ereignis ausgedehnt werden kann, spiegelt sich in der mit dem Motu proprio Mitis Iudex verifizierten Verfahrensrevision wider.

Die Rezeption der Reform würde deswegen die lebenswichtige Formung der Akteure implizieren, die Anwendung hingegen zielt auf die getreue Auslegung und Umsetzung des normativen Diktats. Die jüngste Geschichte hat uns nämlich gelehrt, wie heimtückisch und trügerisch der Ruf nach einem Bruch oder einer Diskontinuität mit der Tradition auf dem Weg des Gottesvolkes ist, ohne dass man sich deswegen in Unbeweglichkeit oder Starrheit verschließt.

Der hermeneutische Lauf ist noch nicht abgeschlossen: Viele Knoten sind bereits endgültig gelöst, während andere Fragen korrekt rezipiert werden müssen[2].

Die wirksame Umsetzung der Prozessrechtsreform und die Verwirklichung ihrer Ziele von pastoraler Tragweite, nämlich der Zugänglichkeit, der Schnelligkeit, der Unentgeltlichkeit usw. erfordern eine Konversion der rechtlichen Strukturen sowie eine Haltung der selbstkritischen Überprüfung. Sie erfordert eine Umstellung der juristischen Strukturen und zwangsläufig eine selbstkritische Haltung aller Mitglieder und Mitarbeiter der Gerichte, die aufgerufen sind, diese missionarische Dynamik vorbehaltlos anzunehmen und daran teilzunehmen, im Bewusstsein der tiefen pastoralen Bedeutung ihrer eigenen Mission; sie erfordert auch eine gründliche Überprüfung der derzeitigen Rechtspraxis, um die neuen Verfahrensregeln korrekt anzuwenden und die Beibehaltung unbegründeter Praktiken zu vermeiden, welche die Entscheidung der Rechtsfälle verzögern; sie erfordert auch eine größere Investition in die Mittel und Personen, die im Bereich der Rechtspflege tätig sind. Schließlich muss sie das Antlitz der gerechten und barmherzigen Mutter Kirche zeigen, die alle ihre Kinder aufnimmt, besonders diejenigen, die Leid und Versagen erfahren haben und deren Wunden heilen müssen.

Zu den wichtigsten Grundsätzen, die mit der Reform des kanonischen Eheprozesses verfolgt werden, gehören[3]:

1. Schnelligkeit ist das erste und wichtigste operative Ziel der Prozessrechtsreform. Die Leidenssituation und die existenziellen Interessen, die den Ehenichtigkeitsverfahren zugrunde liegen, verdienen eine rasche und sorgfältige Prüfung. Diese Schnelligkeit ist nicht als bloßes Eiltempo zu verstehen, sondern als Dienstbarkeit und Einsatzbereitschaft.

2. Einfachheit. Der Verweis in der ratio legis auf iusta simplicitas zeigt, dass die Förderung der Einfachheit nicht zu einer Beeinträchtigung der wesentlichen Garantien und des Rechts auf Verteidigung führen darf.

3. Nähe. Dieser Aspekt betrifft die Verfügbarkeit und Zugänglichkeit des Richters. Die Nähe soll die physische oder moralische Distanz überbrücken oder überwinden, die nicht selten in so vielen Teilen der katholischen Welt Menschen von der kirchlichen Justiz fern hält[4]. Dieses Prinzip dient geradezu als Dreh- und Angelpunkt für die Konversion der kirchlichen Strukturen[5]. Der Grundsatz der Nähe hat auch zu einer Veränderung der kirchlichen Gerichtsorganisation geführt, indem er die diözesane Dimension und die Unmittelbarkeit der kirchlichen Gerechtigkeit begünstigt hat[6].

4. Erschwinglichkeit. Papst Franziskus hat den Wunsch nach Unentgeltlichkeit der gesamten sakramentalen Disziplin hervorgehoben. Dies ist eine ausdrückliche Formulierung im VI. Grundkriterium, die von den Bischöfen durch die Bischofskonferenzen in die Praxis umgesetzt werden muss.

            5. Die Fürsorge der Kirche. Dieser Grundsatz drückt vor allem die Aufmerksamkeit, das Engagement und die Sorge um die Situation von Zweifel und Leid der Betroffenen aus. Nach der mens legislatoris garantiert und fördert der Diözesanbischof als natürlicher und naher Richter die besonders sorgfältige und wirksame Ermittlung des Anliegens seiner bewährtesten Gläubigen.

 

2. Die Reform auf dem synodalen Weg der Kirche

Die Prozessrechtsreform mit dem Motu proprio Mitis Iudex Dominus Iesus entspricht nicht nur der besonderen Sorge des Papstes um die Gläubigen, die weit weg oder in Schwierigkeiten sind, sondern vor allem den Sehnsüchten und Erwartungen des Episkopats. Diese Rechtsvorschriften können nicht als eine „von oben“ auferlegte Maßnahme betrachtet werden, sondern als eine „von unten“ gewünschte und geforderte Bestimmung. Der Ursprung der Reform liegt – wie bereits erwähnt – in dem Wunsch der Bischöfe nach einer schnelleren und einfacheren Bearbeitung der kanonischen Urteile über die Nichtigkeit von Ehen und dem großen Interesse des Papstes an der Haltung der Kirche zur Familienpastoral[7].

Als Mitarbeiter und Förderer des Rechts sind wir dazu aufgerufen, cum Petro et sub Petro in einem Geist der Gemeinschaft und des loyalen Miteinanderteilens für die Sache der Ehegerechtigkeit zu arbeiten und cum Ecclesia die Erfordernisse der Unterscheidung und der Begleitung ihrer Kinder in Wahrheit und Aufrichtigkeit in Bezug auf ihren Ehestand nachzuvollziehen. Der Prozess ist kein transzendentes Gut oder Selbstzweck, er ist nur ein menschliches Mittel, um die soziale Ordnung zu gewährleisten.

In der Relatio Synodi[8] der Außerordentlichen Versammlung betonten die Väter die Notwendigkeit, die Verfahren für die Nichtigkeit von Ehen zugänglicher, flexibler und vor allem unentgeltlich zu gestalten. Sie empfahlen ferner folgende Punkte: a) die Abschaffung des doppelten übereinstimmenden Urteils; b) die Möglichkeit, einen Verwaltungsweg unter der Verantwortung des Diözesanbischofs einzuführen; c) ein Schnellverfahren, das in Fällen notorischer Nichtigkeit eingeleitet werden soll.

In diesem Sinne können wir zweifellos feststellen, dass das Motu proprio Mitis Iudex die Frucht des synodalen Weges und ein Ausdruck der bischöflichen Kollegialität ist. In der Tat besteht auf der Auslegungsebene ein enger Zusammenhang zwischen der Reform des kanonischen Eheverfahrens und den Überlegungen, die während der Arbeiten der Außerordentlichen Versammlung der Bischofssynode gereift sind.

Darüber hinaus wird das Prinzip der Synodalität im pastoralen Dienst der Gerechtigkeit unterstrichen. Der gemeinsame Weg mit dem Papst und den Mitgliedern des Bischofskollegiums ist ein konkreter Ausdruck der pastoralen Fürsorge, einer Fürsorge, die sich auch im pastoralen Dienst der Rechtspflege verwirklicht. So sind alle Bischöfe aufgerufen, die hierarchische Gemeinschaft und die Synodalität im pastoralen Dienst der Gerechtigkeit zum Ausdruck zu bringen. In der Tat müssen die Bischöfe untereinander geeint sein und sich um alle Kirchen kümmern, da jeder von ihnen zusammen mit den anderen Bischöfen ein Garant der Kirche ist[9]. In diesem Geist der Synodalität stärkt und erneuert das Motu proprio die jahrhundertealte Institution der Berufung an den Sitz des Metropoliten als Oberhaupt der Kirchenprovinz und unterstreicht damit ein charakteristisches Zeichen der Synodalität in der Kirche[10].

 

3. Die mens des Papstes vom 8. November 2015 über die Reform der Eheprozesse

            Beim Akademischen Festakt zur Eröffnung des Studio Rotale wurde – im Namen des Papstes – eine Erklärung verlesen, die nicht nur einige Klarstellungen enthält, sondern auch weitere Neuerungen in das durch das Motu proprio eingeführte rechtliche Verfahrenssystem einbringt. Es handelt sich um einen Rechtsakt legislativer Natur stricto sensu, der als Rescriptum ex audientia Sanctissimi[11] betrachtet werden könnte.

            Mit dieser Erklärung ändert der Papst can. 1423 und dezentralisiert die Gesetzgebungsgewalt, indem er den Diözesanbischöfen derselben Kirchenprovinz erlaubt, frei ein interdiözesanes Gericht erster Instanz zu errichten, mit einer einfachen "Mitteilung" - pro notitia - an die Apostolische Signatura, ohne dass deren Approbation erforderlich ist, die dagegen in can. 1423 § 1 vorgeschrieben wäre. Das Reskript vom 7. Dezember 2015, Nr. I, impliziert in der Tat den Vorrang von Mitis Iudex und der mens des Papstes gegenüber dem CIC und der Lp SAp 2008.

Für interdiözesane Gerichtshöfe erster Instanz hingegen bleibt die Approbation der Apostolischen Signatur in dem Fall erforderlich, in dem die Bischöfe verschiedenen Kirchenprovinzen angehören, da dies in can. 1423 § 1 so festgelegt ist, ohne dass die zitierte mens von 2015, Nr. 2 etwas Anderes bestimmt. Diese neue Norm ändert jedoch den can. 1439 über interdiözesane Gerichte zweiter Instanz. Deren Konstituierung obliegt den betroffenen Bischöfen der verschiedenen Metropolien, mit Zustimmung des Heiligen Stuhls (durch die Apostolische Signatur).

            Was die Ausübung der richterlichen Gewalt des Bischofs als iudex natus betrifft, so bekräftigt die oben genannte Erklärung seine potestas, die er dem stellvertretenden oder delegierten Diözesangericht übertragen kann. Dort heißt es nämlich: „Der Diözesanbischof hat kraft dieses päpstlichen Gesetzes das angeborene und freie Recht, die Funktion des Richters persönlich auszuüben und sein Diözesangericht zu errichten“[12]. Der Text bekräftigt nämlich eine Gewalt, welche die Diözesanbischöfe aufgrund des im Codex enthaltenen Systems und der Anerkennung durch das Zweite Vatikanische Konzil, wonach die persönliche richterliche Gewalt ein wesentlicher Bestandteil des munus episcopale ist, bereits besaßen (außer in bestimmten Rechtsmaterien, die der Papst sich selbst oder anderen Gerichten vorbehalten hat). Die Absicht des Gesetzgebers, die bischöfliche Rechtsprechungsfunktion faktisch und als unmittelbare Ausübung zu rekonstruieren, wurde offensichtlich manifestiert[13].

Im Prooemium zum Motu proprio hatte Papst Franziskus bereits die Befugnis der Hirten der Teilkirchen feierlich bekräftigt, kraft derer sie das heilige Recht und die heilige Pflicht haben, über die ihnen unterstellten Gläubigen Recht zu sprechen[14]. Neben diesem ekklesiologischen Grund verweist der Papst auch auf einen theologischen und pastoralen Horizont: die Sorge um das Heil der Seelen[15]. Dieses Thema wird im III. Grundprinzip, das den Rechtsvorschriften vorangestellt ist, wieder aufgegriffen. Dort heißt es, dass der Bischof in seiner Kirche Hirte und Haupt und gerade deshalb Richter zwischen denen ihm anvertrauten Gläubigen ist[16]. Und im IV. Prinzip wird in Ergänzung hierzu der Wille bekräftigt, dass der Bischof als Richter eingesetzt wird, der kraft seines Hirtenamtes mit Petrus der größte Garant der katholischen Einheit im Glauben und in der Disziplin ist[17].

            In diese Richtung weist auch can. 1673, der die Zuständigkeit des Bischofs in Ehesachen festlegt. Darüber hinaus bestimmt can. 1419 § 1, dass der Bischof in der Diözese der geborene Richter ist und diese Befugnis nicht nur persönlich, sondern auch durch andere ausüben kann. Schließlich heißt es in Art. 8 § 2 der Ratio procedendi, dass der Bischof von dem gemäß can. 1423 errichteten interdiözesanen Gericht zurücktreten kann, eine Möglichkeit, die im Reskript des Papstes vom 7. Dezember 2015 bekräftigt und noch deutlicher gemacht wurde[18].

 

4. Rescriptum ex audientia Sanctissimi, 7. Dezember 2015

Das Reskript verdeutlicht die Abfolge von Wahrheit, Gerechtigkeit und Barmherzigkeit, die der neuen Gesetzgebung zugrunde liegt, und hebt insbesondere die beiden Eckpfeiler oder Grundsätze der Nähe und der Unentgeltlichkeit hervor. Ad mentem Pontificis müssen daher die Nähe und die Unentgeltlichkeit die kirchliche Pastoral für verwundete oder in Krisen geratene Familien leiten.

Das Reskript unterstreicht zunächst, dass das Tribunal der Römischen Rota auch eine wichtige Hilfsfunktion bei der ständigen Weiterbildung der pastoralen Mitarbeiter an den Gerichten der Ortskirchen übernommen hat, indem es die Fachleute in der Umsetzung der Reform angeleitet und damit immer mehr zur Implementierung des legislativ Verfügten beigetragen hat.

Die Neugestaltung der Gerichtsstruktur ist einer der kühnsten und einschneidendsten Aspekte der Reform. Der regulatorische Eingriff betrifft nämlich nicht nur den verfahrensrechtlichen, sondern auch den organisatorischen Aspekt des kirchlichen Gerichtssystems. Die mens des Papstes bei der Umsetzung der Reform ist von einem gesunden Pragmatismus geprägt, der die Effizienz und die Kontinuität des gerichtlichen Dienstes gewährleistet. Die zentrale Stellung des Bischofs, der Eckpfeiler der Reform, drängt auf autonome Entscheidungsfindung und organisatorische Verantwortung. Die Befugnis zur Einrichtung interdiözesaner Gerichtshöfe und auf Vorrechte der direkten Vereinigung zwischen Bischöfen ist offensichtlich. Diese Fakultät ist jedoch als Ausnahme zu verstehen, und deshalb muss jeder Bischof, der noch kein Diözesangericht hat, ein solches errichten[19].

Dieses Reskript stärkt die Befugnisse des Bischofs bei der Einrichtung seines Gerichts durch Neuerungen wie etwa die Möglichkeit, zwei Laienrichter für das aus drei Richtern bestehende Kollegialgericht zu ernennen, oder, falls die Einrichtung eines Kollegialgerichts nicht möglich ist, die Fälle einem Einzelrichter, der Priester ist, anzuvertrauen, ohne die Zustimmung der Bischofskonferenz einzuholen, und, falls der Bischof kein eigenes Gericht hat, die Fälle einem benachbarten Gericht anzuvertrauen, ohne die Apostolische Signatur konsultieren zu müssen.

In Bezug auf Nr. I heißt es in dem betreffenden Reskript, dass das Motu Proprio Mitis Iudex Dominus Iesus jedes Gesetz oder jede Norm ganz oder teilweise aufhebt, die im Widerspruch zu ihm stehen und bisher in Kraft waren (insbesondere das Motu Proprio Qua cura).

Daher wird das Motu Proprio Qua cura von Pius XI. insofern aufgehoben, als es diözesane Gerichte für Ehenichtigkeitssachen verbot und ein Gericht für die gesamte kirchliche Region für die genannten Fälle vorschrieb, wobei z.B. interdiözesane Gerichte nur für bestimmte Diözesen ausgeschlossen wurden.

Einige Überlegungen zur Auslegung des Rescriptum:

1. Im Rescriptum heißt es, dass die Eheprozessreformgesetze „jedes gegenteilige Gesetz ganz oder teilweise aufheben (abrogano o derogano ogni legge contraria)“: Voraussetzung für die Wirkung ist, dass das Gesetz gegenteilig (tatsächlich unvereinbar) ist, und das Verb „teilweise aufheben (derogano)“ bedeutet, dass die Wirkung teilweise sein kann, wenn nur ein oder einige Punkte eines Gesetzes den Reformgesetzen widersprechen. Im Fall von Qua cura war der Punkt, der den Reformgesetzen widersprach (vgl. Art. 8, § 2 der Ratio procedendi), die Unmöglichkeit für einen Diözesanbischof, sich aus dem regionalen Kirchengericht zurückzuziehen, um ein eigenes Diözesantribunal oder ein interdiözesanes Tribunal mit anderen Diözesanbischöfen zu errichten. Die Reformgesetze weichen - so versichert das Reskript - von Qua cura ab.

2. Die Auslegungsunsicherheiten der letzten Zeit, die sich in den unterschiedlichen Antworten der verschiedenen Dikasterien des Heiligen Stuhls und der Autoren inoffiziell niedergeschlagen haben, betrafen gerade die Bedingungen für den Rückzug der Diözesanbischöfe von den Regionalgerichten in Italien, und deswegen wollte das Reskript auf diese Unsicherheiten antworten.

3. Die Gesetze zur Reform der Ehesachen sehen jedoch an mehreren Stellen das Bestehen und die Tätigkeit von interdiözesanen Gerichten vor (vgl. z.B. can. 1673, § 2 und art. 19 Ratio procedendi). Das bedeutet, dass es keine Widersprüche oder Unvereinbarkeiten zwischen der Tätigkeit der interdiözesanen Gerichte und der Anwendung der Reform geben darf.

Im Übrigen müssen die Regionalgerichte in Italien die neuen Gesetze zur Reform des Ehenichtigkeitsverfahrens anwenden.

Infolgedessen erkennt das Reskript an, dass die einzelnen Diözesanbischöfe die Befugnis haben, ihre Diözesen aus dem Regionalgericht herauszulösen, indem sie ein Diözesangericht einrichten oder sich in einer anderen Form zusammenschließen.

In Punkt II, Nr. 1 führt das Reskript die Weite der Streitpunktformel für das Apostolische Gericht der Römischen Rota „An constet de matrimonii nullitate, in casu“ aus, welche sicherlich einen gewissen Einfluss auf die Entwicklung de iure condendo in der Eherechtsprechung ausüben kann. Diese Formel hatte trotz ihrer allgemeinen Formulierung immer einen spezifischen Inhalt, der in dem prozessrechtlichen Moment der causa, in dem diese Formel erlassen wurde, zu identifizieren war. Sie bezieht sich nicht nur auf das petitum, sondern auch auf die causa petendi.

            Andererseits legt der Papst mit diesem Reskript in Punkt II, Nr. 3 fest, dass eine Berufung auf eine nova causae propositio nicht zulässig ist, nachdem eine der Parteien eine neue kanonische Ehe geschlossen hat, es sei denn, es ist offensichtlich, dass die vollstreckbar gewordene Entscheidung, die zu der neuen Ehe geführt hat, ungerecht war[20].

            Die Klausel „es sei denn, es steht offenkundig die Ungerechtigkeit der Entscheidung fest (a meno che consti manifestamente dell’ingiustizia della decisione)“ schützt das nicht schuldhafte Vertrauen in die Gerechtigkeit des vollstreckten Urteils. In der Praxis schützt die Vorschrift die Funktionsfähigkeit des Systems und die Gutgläubigkeit der Brautleute; durch eine entsprechende Einfügung wird jedoch vermieden, dass Hypothesen wie falsche Beweise, die Entdeckung neuer, die Entscheidung beeinträchtigender Tatsachen oder Arglist in unzulässiger Weise legitimiert werden.

            Die Vorschrift soll grob ungerechte Situationen für Ehegatten verhindern, die in gutem Glauben eine vollstreckbare Entscheidung pro nullitate matrimonii erwirkt und dabei aufrichtig für die Erkenntnis der Wahrheit mitgewirkt haben.

Das neue Verfahrenssystem behält die Besonderheit bei, dass es die unverzichtbare Suche nach der Wahrheit und den Schutz der Unauflöslichkeit mit den legitimen Erwartungen der erneut verheirateten Gläubigen (und ihrer Kinder) in Einklang bringt, die das Recht haben, in ihrem legitimen ehelichen Zusammenleben nicht gestört zu werden, nachdem sie in gutem Glauben ein vollstreckbares Urteil pro nullitate matrimonii erwirkt haben[21]. Diese Harmonisierung ist ein charakteristisches Merkmal des kanonischen Prozesses, das in dem Recht zum Ausdruck kommt, in dritter Instanz "Berufung" gegen ein Urteil einzulegen, das in zweiter Instanz nicht mit dem der ersten Instanz übereinstimmt, es sei denn, es handelt sich um ein unanfechtbares erstinstanzliches Urteil, ex can. 1629, wie es can. 1641 implizit vorsieht.

            Mit der auferlegten Bedingung (neue kanonische Ehe) wird daher versucht, die Suche nach Wahrheit mit der Sicherheit und Stabilität der rechtlichen Situationen vernünftig zu verbinden.

In II, Nr. 6 schließlich entspricht die Unentgeltlichkeit an der Römischen Rota dem durch die Reform geförderten Ideal eines erschwinglichen Zugangs zur kirchlichen Justiz. Dies erfordert eine angemessene Regelung der wirtschaftlichen Behandlung der Rechtsbeistände und generell der Kostenübernahme, die sich auch in den örtlichen Gerichten widerspiegeln muss[22].

 

5. Rescriptum ex audientia Sanctissimi, 22. Januar 2016.

            Es handelt sich hierbei um ein Dokument über den Ausbildungsdienst der Römischen Rota für Mitarbeiter in der Rechtspflege, das ein „kleines Diplom" der juristisch-pastoralen Ausbildung für Personen ohne akademischen Abschluss[23] neben dem traditionellen "Diplom des Rotal-Advokaten" auf den Weg bringt und bei der Römischen Rota den Fonds für unentgeltliche Rechtshilfe einrichtet, der von den Ausgaben des Heiligen Stuhls unabhängig ist[24].

 

6. Das Subsidium für die Anwendung des Motu proprio Mitis Iudex Dominus Iesus

            Das Subsidium ist ein echtes Handbuch und eine Formelsammlung für den hermeneutischen und didaktischen Gebrauch. Das Dokument enthält nämlich operative und interpretative Kriterien für den Vollzug der Prozessreform. Es betont auch, dass das Motu proprio die physische und moralische Nähe der kirchlichen Strukturen zu den Gläubigen, die im Leben von der Wunde einer zerbrochenen Liebe gezeichnet sind, thematisiert[25].

Dieses Dokument des Gerichtshofes der Rota Romana greift den Wunsch des Papstes auf, wohl wissend, dass bei der Anwendung eines Gesetzes, das den gesamten Eheprozess reformiert, Schwierigkeiten auftreten könnten, um die Praxis und die Entscheidungen der Bischöfe in Bezug auf die Führung von Eheprozessen zu beeinflussen. Damit sollte den Schwierigkeiten in Bezug auf die Zeiten, die Arten, die Personen und die Gestalten der für die beiden Prozessarten – kürzeres und ordentliches Verfahren, sowie zusätzlich: Urkundenprozesse – zuständigen Gerichte begegnet werden.

Es fasst seinerseits die Eckpunkte der Reform in vier Punkten zusammen: 1) die zentrale Stellung des Bischofs im Dienst der Gerechtigkeit, indem es erklärt, dass der Bischof in seiner Kirche als Vater und Richter eine Ikone Christi – des Sakramentes – ist. Daraus folgt, dass der Bischof die Pflicht bzw. das Recht hat, ein eigenes Gericht zu errichten; 2) Die Synodalität im pastoralen Dienst der Gerechtigkeit; 3) einfachere und zügigere Verfahren; 4) die Unentgeltlichkeit der Verfahren. Die Annahme einer Reform „zur Senkung“ der Qualität der Justiz und der Rechtsgarantien ist falsch und irreführend, wenn sie die Instanzen, die Beratungsmaßnahmen und Voruntersuchungen nicht angemessen bewertet. Der „neue Wein“ erfordert daher eine Sensibilität und forma mentis, die dem Geist der vorgenommenen tiefgreifenden Umgestaltung entspricht.

Darüber hinaus enthält das Subsidium auch für den Fall, dass die Rechtssache nach dem kürzeren Verfahren eingeleitet wird, besondere Bestimmungen. Der Antrag muss immer an den zuständigen Diözesanbischof gemäß den im Motu proprio festgelegten Kriterien gerichtet werden (also nicht an das interdiözesane Gericht, das für die Behandlung von Fällen nach dem ordentlichen Verfahren zuständig ist). Wenn es in der Diözese einen Gerichtsvikar gibt, kann dieser den Antrag und die Klageschrift (immer an den Bischof gerichtet) prüfen und getreu den Kriterien des Diözesanbischofs den Fall in den processus brevior einbringen oder – bei Fehlen der Voraussetzungen gemäß can. 1683 – die Klageschrift an den für den ordentlichen Prozess gewählten Gerichtsvikar schicken.

Die Hinweise des Subsidium bringen eine weitere Stärkung der Vorrechte des Bischofs mit sich: Er ist aufgerufen, nicht nur in die Entscheidungsphase des Falles, sondern manchmal auch in die Vorentscheidung über die Wahl zwischen dem kürzeren Verfahren und dem ordentlichen Verfahren einzugreifen. Es handelt sich um eine Entscheidung, die er persönlich treffen muss, wenngleich er die Hilfe einer qualifizierten Person, die ihm beistehen kann, oder eines fachlich geschulten Priesters aus einer anderen Diözese, in Anspruch nehmen kann.

 

7. CEI-Arbeitstisch

Der Papst intervenierte erneut persönlich, indem er die italienische Bischofskonferenz einlud, einen „Arbeitstisch“ (Tavolo di lavoro) unter Beteiligung der höchsten Autoritäten im Bereich der Rechtspflege und der Gesetzgebung einzurichten, um eine Annäherung der wichtigsten Auslegungs- und Anwendungsfragen zu finden, die von den italienischen Bischöfen in der ersten Phase der Umsetzung der Reform aufgeworfen wurden. Dieses Gremium wurde eingerichtet, um einige auf die italienische Situation beschränkte Anwendungsprobleme zu lösen, die auf andere nationale Gegebenheiten übertragen werden könnten (wo es mehrere Schwierigkeiten und Unsicherheiten bei der Umsetzung der Eherechtsreform gab).

Die Diskussion konzentrierte sich auf die Fragen, die das Generalsekretariat von den Diözesen erhalten hatte und die schematisch in fünf Bereiche eingeteilt wurden: die Verfahrensmodalitäten für die Einrichtung von diözesanen Gerichten; die Rolle der Italienischen Bischofskonferenz bei der Errichtung von Berufungsgerichten; der rechtliche Status der Gerichte; einige Aspekte der Organisation und der administrativen Verwaltung der Gerichte; schließlich die Probleme im Zusammenhang mit der Einführung eines kürzeren Verfahrens in Fällen, in denen die Nichtigkeit offensichtlich ist und der Diözesanbischof personaliter entscheidet[26].

            Die Ergebnisse stellen einen einvernehmlichen und maßgeblichen hermeneutischen Anhaltspunkt dar, zumal die wichtigsten Auslegungs- und Anwendungsfragen von gemeinsamem Interesse bestimmt wurden, die von den italienischen Bischöfen vorgebracht wurden[27].

Es wird festgelegt, dass der Bischof, der sich aus dem regionalen oder interdiözesanen Gericht, dem er angehört, zurückziehen will, dies den anderen betroffenen Bischöfen und dem Tribunal der Apostolischen Signatur mitteilt; dass die Einrichtung diözesaner Gerichte innerhalb derselben Metropolie frei ist, wobei die Apostolische Signatur zu informieren ist; dass im Falle des Ausscheidens einer oder mehrerer Diözesen aus dem Regionalgericht die Bischöfe, die dasselbe Gericht weiterführen wollen, ein Dekret über die Errichtung der neuen Einrichtung erlassen, dessen Geschäftsordnung approbieren und  dessen Namen ändern (von Regional- zu Interdiözesangericht).

In Bezug auf den kürzeren Prozess unterstützt das CEI-Dokument die im Subsidium der Rota Romana enthaltenen Angaben, die vorsehen, dass der Antrag auf ein kürzeres Verfahren direkt an den als zuständig erachteten Diözesanbischof weitergeleitet und vom Gerichtsvikar der Diözese geprüft wird, der ihn „nach den Kriterien des Bischofs“ beurteilt, was keine überflüssige normative Formel lato sensu ist, sondern ein Verweis auf die organisatorische und regulatorische Autonomie des Hauptamtes[28].

Was schließlich die Berufung gegen den kürzeren Prozess betrifft, so wird sie an den Metropoliten als monokratischen Richter verwiesen, wobei präzisiert wird, dass der episcopus suffraganeus antiquior, an den die Berufung gegen die Urteile des Metropoliten zu richten ist, der Bischof des ältesten Sitzes der Metropolie ist.

            Zu den behandelten Themen gehören: 1) in Bezug auf den processus brevior legte der approbierte Text die Auslegung des „suffraganeus antiquior“ fest; 2) der Status des Metropoliten als monokratischer Richter und die Zuständigkeit für die Verhandlung des Falls.

            Nr. 5 des Textes des Arbeitstisches betont implizit die Verpflichtung des Diözesanbischofs, den Fall einzuleiten, wenn er ein „Ersuchen“ um ein kürzeres Verfahren erhält, so dass er die Prüfung der betreffenden Klageschrift einem der Gerichtsvikare anvertraut, zu denen der Bischof in einem Stellvertretungs- oder Delegationsverhältnis steht: dem Vikar des eigenen Diözesangerichts, demjenigen des interdiözesanen Gerichts, dem die Diözese angehört oder jenem des nähergelegenen unterstützenden Diözesan- oder Interdiözesangerichts der Diözese ohne eigenes Diözesan- oder Interdiözesangericht. Der Diözesanbischof kann sich nicht von der Verpflichtung befreien, über einen Fall von Gläubigen, deren Seelsorger er ist, persönlich zu urteilen, wenn die Voraussetzungen des can. 1683 erfüllt sind.

 

8. Ansprache von Papst Franziskus beim Kurs des Tribunals der Römischen Rota am 25. November 2017

Die Rede stellt eine Art authentische Auslegung des Gesetzgebungsinstruments dar, hat also nicht den einfachen Charakter einer begrifflichen Erläuterung und einer richtungsweisenden Erklärung in Bezug auf den Gegenstand der Sitzung, sondern hat einen präskriptiven und in gewissem Sinne normativen Inhalt in Bezug auf die Struktur der Motu proprio und des processus brevior im Besonderen. Im Prolog liefert der Papst einige explizite hermeneutische Vorschriften, einige drängende und richtungsweisende Hinweise und verdeutlicht Bestrebungen oder Grundsatzfragen im Zusammenhang mit der Reform.

Die päpstliche Ansprache lässt sich idealerweise in zwei Teile gliedern: 1) den Rahmen und die Motivation der Reform; 2) die autoritative Klärung bestimmter Aspekte des processus brevior. Das Hauptinteresse dieses Beitrags gilt ausdrücklichen Klärungen über den processus brevior.

Nachdem der Papst auf dem synodalen Geist und dem pastoralen Trost bestanden hat, der die beiden Maßnahmen zur Reform des Eheprozesses kennzeichnet, legt er eine Reihe von Bestimmungen fest, die dem Grundsatz, welcher der päpstlichen Reform zugrunde liegt, einen präzisen Inhalt und eine größere operative Kraft verleihen, wonach der Diözesanbischof kraft seines Hirtenamtes der persönliche und alleinige Richter im processus brevior ist, und daher ist die Figur des Diözesanbischofs als Richter der Tragbalken, das konstitutive Prinzip und das unterscheidende Element des gesamten processus brevior, das durch die beiden Motu proprio festgelegt wurde.       

Die direkten hermeneutischen Hinweise, die an die Ekklesiologie des Zweiten Vatikanischen Konzils erinnern, betreffen:

- Die persönliche und ausschließliche Ausübung der Entscheidungsbefugnis im kürzeren Prozess. Sie  kann in keiner Weise an eine andere Autorität delegiert werden, auch nicht an einen Weihbischof oder einen Koadjutor-Bischof;

- Die Identifizierung und Rechtfertigung des bischöflichen Richters. Das sakramentale und das potestative Erfordernis müssen zur Vervollständigung des Sachverhaltes notwendigerweise übereinstimmen. Der Vorbehalt des processus brevior für den bischöflichen Charakter impliziert die innere Verbindung des Rechtsinstituts mit der apostolischen Sukzession und dem Kern der kirchlichen Gemeinschaft. Die Klärung hat auch eine ekklesiologische und lehrmäßige Rechtfertigung mit sich gebracht;

- Die Verantwortung des bischöflichen Richters im processus brevior. Es handelt sich um eine deutliche Erinnerung an die Verantwortung des Bischofs; es wird ferner die Absicht verfolgt, den bischöflichen Stand für die Notwendigkeit der Umsetzung der Reform und insbesondere des processus brevior zu sensibilisieren, und zwar in einer demonstrativen und beispielhaften (aber nicht instrumentalisierenden oder populistischen) Weise der Fürsorge für die Gläubigen in Schwierigkeiten.

- Die Befugnis des Dekans der römischen Rota bezüglich der Berufung ex can. 1687 § 3. Der Papst stellt klar, dass es sich um eine „neue und daher konstitutive“ Zuweisung handelt, die sich aus der Festlegung des can. 1687 § 4 ergibt.

 

Die beschriebenen Anweisungen betreffen:

- Die Implementierung des abgekürzten Verfahrensmodus. Die Durchführung des processus brevior ist nicht fakultativ oder optional, sondern pflichtgemäß und obligatorisch. Das Wohl der Gläubigen darf in der Praxis durch die Entscheidungen des Hirten nicht weiter beeinträchtigt werden. Die Barmherzigkeit und die pastorale Sensibilität drängen daher zum Engagement in diesem Verfahrensweg;

- Das umfassende Sorge des Bischofs. Der Papst hat daher die persönliche Beteiligung des Diözesanbischofs hervorgehoben: „Er ist ausschließlich für die drei Phasen des kürzeren Prozesses zuständig“ (Einleitung, Beweisaufnahme, Entscheidung). In der Praxis ruft der Papst den urteilenden Bischof zur Ganzheit und Vollständigkeit seiner richterlichen Sendung auf, ohne Abschirmungen oder Verzichtsleitungen. Im Einklang mit der Struktur der Reform scheint der Heilige Vater die vollständige und substanzielle Anwendung ihrer Bestimmungen zu fördern, und zwar mit der Offenheit und Flexibilität, die sie erlaubt. Darüber hinaus zeigt die „Abwicklung (gestione)“ des processus brevior (sowohl in seiner Organisation als auch in seiner konkreten Durchführung) die Besorgnis und Fürsorge für die Antragsteller. Der Papst hat immer wieder die Ernsthaftigkeit und die Verantwortung des bischöflichen Urteils in seiner gesamten Entwicklungsphase hervorgehoben. Der ausschließliche Vorbehalt der Entscheidungsbefugnis schließt also nicht aus, dass der Bischof auch in allen drei Phasen des verkürzten Verfahrens eingreift: in der Einführungsphase, in der Phase der Beweisaufnahme und in der Entscheidungsphase;

- Das zuständige Gericht und die Gerichtsorganisation. Die ureigene Dimension der bischöflichen Ehegerichtsbarkeit ist eindeutig die diözesane. Wenn man den gesamten kürzeren Prozess dem interdiözesanen Gericht anvertraut (sei es dem benachbarten oder dem mehrerer Diözesen), wird die Gestalt des Bischofs als Vater, Oberhaupt und Richter seiner Gläubigen auf einen bloßen Unterzeichner des Urteils entstellt und reduziert. Dieser Punkt bezieht sich auch auf die Berufung auf die Nähe, die ein dauerhaftes Grundprinzip der Verfahrensreform ist.

Was die Bestimmung des zuständigen Gerichts angeht, so orientiert sich die päpstliche Erklärung, dem Geist der Reform entsprechend, an der diözesanen Dimension der Rechtspflege[29].

            Darüber hinaus legt diese Ansprache fest, dass die Rota Romana die Fälle nach dem Prinzip der evangelischen Unentgeltlichkeit beurteilt, d.h. mit einem Patronat ex officio, mit Ausnahme der moralischen Verpflichtung der wohlhabenden Gläubigen, ein Opfer der Gerechtigkeit zugunsten der Anliegen der Armen zu zahlen. Das Dokument schränkt in keiner Weise die Freiheit der Parteien ein, einen Vertrauensanwalt zu wählen.

            Darüber hinaus macht das Motu proprio im Prooemium deutlich, dass das Ideal der Unentgeltlichkeit mit dem fairen Unterhalt der an den Rechtsfällen Mitwirkenden abgestimmt sein muss[30]. Dort überträgt es den Bischofskonferenzen weitere kreative Entscheidungen über die Nutzung von mehr materiellen Mitteln; Ziel ist es, den gerichtlichen Dienst zu einem zugänglichen Dienst zu machen[31]

 

9. Verlautbarung der Kongregation über die Instruktion „Die Studien des Kirchenrechts im Lichte der Reform des Eheprozesses“ vom 29. April 2018.

            In der Instruktion der damaligen Kongregation für das katholische Bildungswesen über die berufliche Qualifikation möglicher Akteure sind die Figuren der Berater, der Vernehmungsrichter, der Beisitzer und der Notare enthalten, die eine wichtige Rolle bei der Durchführung des kürzeren Prozesses spielen. In der Anweisung werden drei Ebenen von Seelsorgern genannt: a) Pfarrberatung; b) Berater einer diözesanen oder interdiözesanen Struktur; c) Rechtsexperten. Außerdem wird versucht, spezielle Anforderungen festzulegen. Damit soll eine seriöse und solide Vorbereitung auch für diejenigen gewährleistet werden, die keine akademische Ausbildung haben, und die kirchlichen Institute und Fakultäten sollen direkt in die Ausbildung einbezogen werden.

            Wenn die Menschen, die Gläubigen, an die Türen der kirchlichen Gerichte, der festen Strukturen und der Pfarrhäuser klopfen, müssen sie offene Türen finden, mit Menschen, die für einen professionellen Dienst geeignet sind, damit sie den Seelen helfen können[32].

Papst Franziskus war es ein Anliegen, einen Aspekt bezüglich der richterlichen Befähigung des Bischofs zu präzisieren. Der ursprüngliche Wortlaut der Instruktion beruhte auf einer wörtlichen Rekonstruktion des Gesetzestextes und ging von der Notwendigkeit aus, auf die Figur des Vernehmungsrichters und Beisitzers Bezug zu nehmen. Die Kenntnis der heiligen Wissenschaften (auch ohne akademische Grade), zusammen mit der sakramentalen Gnade der Bischofsweihe, reicht aus, um jeden Bischof von Natur aus vollauf zu befähigen, den Eheprozess zu leiten, auch den kürzeren. Dies ändert nichts an der Tatsache, dass der Bischof auf Mitarbeiter zurückgreifen kann, die Experten im kanonischen Recht sind; dies liegt jedoch immer in seinem vollen Ermessen und hängt von den Umständen des Einzelfalls ab[33].

Die Intervention verbindet die Förderung der zentralen bischöflichen Rechtsprechung mit der wissenschaftlichen Qualifikation und dem pastoralen Einfluss, die in der Weihe verwurzelt sind. Die Modifizierung von Seiten des Papstes ist eingegliedert in die „umfassende Verantwortung des Hauptamtes[34] und die volle und ausreichende Kapazität des ureigenen Inhabers der Vollmacht, den gesamten Prozess durchzuführen“. Das Kriterium ist nicht der obligatorische Charakter der Arbeit der Helfer, sondern der Ermessensspielraum, den sie bei ihrem Einsatz haben.

Die Aufgabe, die Ausbildung der Mitarbeiter der kirchlichen Gerichte zu gewährleisten, obliegt in erster Linie denjenigen, die für die Verleihung der gesetzlich vorgeschriebenen akademischen Grade für die verschiedenen Ämter (Gerichtsvikar, stellvertretender Gerichtsvikar, beigeordneter Richter, Bandverteidiger und Kirchenanwalt) zuständig sind. Das Heil der Seelen erfordert eine gründliche Ausbildung, was die grundlegende Aufgabe der akademischen Einrichtungen ist.

Letztlich können die theologischen Fakultäten spezielle Abteilungen für Kirchenrecht einrichten, um die Aufgabe zu erfüllen, auch die anderen Mitarbeiter der kirchlichen Gerichte auszubilden, für die das Kirchenrecht nicht den akademischen Grad der Lizenz im kanonischen Recht als Voraussetzung vorsieht (Bischof, Vernehmungsrichter, Beisitzer, Moderator der Gerichtskanzlei, Notar, Sachverständiger).

 

10. Pontificio Consiglio per i Testi Legislativi

Per la comprensione del dettato legislativo, il Pontificio Consiglio per i Testi Legislativi ha dato delle Risposte particolari, che non hanno nulla a che vedere con le interpretazioni autentiche, ma semplicemente costituiscono elementi di orientamento autorevoli anche per altri casi, i quali sono circoscritte a situazione specifiche e non sono generali e vincolanti.

1. Can. 1676 § 1 clearly requires the judicial vicar to arder that a copy of the libellus, once admitted, be communicated to the defender of the band. The latter should then give his observations within fifteen days. Can. 1676 § 2 holds that the judicial vicar can only fix the formula of the doubt once he has received the observations by the defender of the bond or once the term of fifteen days mentioned in § 1 has expired.

Can. 1685 CIC/MIDI states that "the judicial vicar, by the same decree which determines the formula of the doubt, having named an instructor and an assessor, cites ali who must tale part to a session (omnes ... qui in ea interessedebent), which in turn must be held within thirty days according to can. 1686." This undoubtedly includes the defender of the bond. If it turns out to be impossible to conclude the instruction of the case in one session, the defender of the bond must also be cited for all successive sessions.

Finally, can. 1687 §1 CIC/MIDI specifies that, regarding the briefer process, the diocesan bishop has to consider the observations of the defender of the bond (perpensis animadversionibus defensoris vinculI) before rendering his sentence. Of course, the diocesan bishop is not bound to follow the reasoning proposed by the defender of the band but his reasoning could nevertheless indicate to the Bishop whether the case has to be further investigated by the ordinary process ( cf. can. 1687 §1).

All these provisions are motivated by the desire to protect the contentious nature of the judicial procedure, as well as the right of defense. It is outside the competence of our Pontificai Council to determine whether the partial non-respect of these canons in a particular case amounts to an irremediable nullity in the sense of can. 1620, 7° CIC.

Your final question concerns the application of can. 1678 §4 CIC/MIDI. It results from that canon, as well as from an earlier Circular Letter by the Congregation far the Sacraments dated 20 December 1986 (Art. 7), that there is no dogmatic or any normative obstacle to a transiti on from a judicial nullity procedure to an administrative procedure super rato, if there is a very probable doubt (dubium valde probabile) as to whether the marriage was ever consummated. Whereas the said Circular Letter stili requires the consent of both parties (accedente consensu utriusque), can. 1678 §4 CIC/MIDI only requires that the parties be heard (auditis partibus), even though it might stili be prudent to evaluate the parties' opinion. It clearly follows, however, from the use of the term 'potest', that the college of judges or the single judge is not obliged to suspend the judicial process. It is left to the discretion of the judge(s) to decide upon the expediency of such a transition to the administrative process super rato. Finally, it should be noted that prior to the granting of the dispensation super rato, the judicial process is only suspended, not terminated.

2. Per quanto riguarda il Tribunal Interdiocesana al que se refiere el can. 1673, § 2. Los tribunales interdiocesanos son erigidos segun la norma del can. 1423 CIC que establece: «En sustitucion de los tribunales diocesanos, mencionados en los cc. 1419-1421, varios Obispos diocesanos, con la aprobacion de la Sede Apostolica, pueden constituir de comun acuerdo un tribunal unico de primera instancia para sus diocesis; en este caso, el grupo de Obispos o el Obispo designado por ellos tienen todas" las potestades que corresponden al Obispo diocesano sobre su tribunal. / § 2. Los tribunales de que se trata en el § 1 pueden constituirse para todas las causas o solo para una clase determinada de ellas».

En consecuencia, para la ereccion del tribunal es necesario, ante todo, el comun acuerdo de los Obispos interesados, que a continuacion habran de pedir a la Santa Sede - en este caso especifico, a la Signatura Apostolica - la autorización para la ereccion de dicho tribunal. Parece que la Signatura se esta inclinando por examinar este tipo de peticiones, en vista de conceder la autorizaci6n, cuando los Obispos solicitantes no tienen el mismo Metropolitano, mientras que si, en cambio, pertenecen a la misma Provincia eclesiastica es suficiente que la Signatura Apostolica sea informada de la decisi6n de los Obispos por la que erigen el tribunal interdiocesano.

3. Concerning your first question, this Dicastery holds that the expression of can. 1680 § 2 in the m.p. “MIDI” «si appellatio mere dilatoria evidenter appareat, tribunal collegiale, suo decreto, sententiam prioris instantiae confirmet», taken in the context of the entire can. 1680, must be understood in the sense that the collegiate tribunal of second instance, having reached moral certainty after the examination of the acts and the judgment of first instance as well as the appeals and the observations of the Defender of the Bond, and having verified that the appeal has manifestly dilatory purposes evidenter appareat, must confirm by decree the judgment of the first instance.

Regarding your second question about the possibility of appeal to the Metropolitan Tribunal by dioceses that are part of the Interdiocesan Tribunal whose suppression was sought, we maintain that, so long as the Interdiocesan Tribunal of Appeal is not suppressed and the link with which it was formally established is not legitimately changed, the aforementioned dioceses cannot appeal to the Metropolitan Tribunal.

With respect to your third question, we consider that the acta of the Processus brevior are included in the same restrictive regime that the law provides for judicial acts of matrimonial processes.

3. Si deve comunicare con la citazione alla parte convenuta un "mémoire" insieme al libello. Il can. 1676 § 1 non prevede la notifica alla parte convenuta del "mémoire" insieme al libello.

Inoltre, secondo il § 2 dello stesso canone spetta al Vicario giudiziale di stabilire con proprio decreto se la causa sarà trattata con il processo ordinario o quello più breve, senza la necessità di chiedere alla parte convenuta niente al riguardo.

Nel caso in cui il Vicario giudiziale stabilisca che la causa sarà trattata con il processo più breve, egli stesso dovrà procedere a norma del can. 1685, saltando i cann. 1683 e 1684. Il can. 1685 stabilisce l'obbligo del Vicario giudiziale di nominare l'istruttore e l'assessore e di citare tutti coloro che devono partecipare alla sessione, nello stesso decreto con cui determina la formula del dubbio.

Vista la disposizione dei canoni summenzionati, sembra chiaro che il m.p. MI non prevede la notifica alla parte convenuta della "mémoire" insieme al libello.

Perciò, notificare il "mémoire" è una prassi che va oltre a ciò che è richiesto dalla norma codiciale.

4. Riguardo alla questione sulle Regole procedurali, esse sono unite allo stesso motu proprio perché ritenute "necessarie per la corretta e accurata applicazione della legge rinnovata, da osservarsi diligentemente a tutela del bene dei fedeli" e nello stesso testo delle Regole procedurali nella parte introduttiva, dove si legge che "unitamente con le norme dettagliate per l'applicazione del processo matrimoniale, è sembrato opportuno ... offrire alcuni strumenti affinché l'operato dei tribunali possa rispondere alle esigenze dei fedeli, che richiedono l'accertamento della verità sull'esistenza o no del vincolo del loro matrimonio fallito".

Riguardo alla seconda questione sul mémoire introductif d'instance, il nuovo can. 1676 § 1, non prevede la notifica alla parte convenuta della mémoire introductif d'instance insieme al libello.

5. Riguardante sul modo di procedere per erigere il tribunale diocesano, il motu proprio Mitis rudex Dominus Iesus stabilisce nell'art. 8 § 2, il diritto del vescovo diocesano di recedere liberamente dal tribunale interdiocesano costituito a norma del can. 1423 e nel can. 1673 § 2 il diritto/dovere del vescovo diocesano di costituire, se è possibile, il proprio tribunale diocesano per le cause di· nullità del matrimonio, senza la necessità di alcuna approvazione dalla Segnatura Apostolica.

Concernente la seconda questione sulla nomina del Vicario giudiziale, il can. 1420 § 1 ammette la possibilità per il vescovo diocesano di nominare lo stesso Vicario generale come Vicario giudiziale nei casi in cui: "l'esiguità della diocesi o lo scarso numero di cause non suggerisca altrimenti".

Relativamente al personale del tribunale diocesano, il diritto stabilisce che devono essere nominati: il Vicario giudiziale, che sia sacerdote di almeno 30 anni, di integra fama, dottore o almeno licenziato in diritto canonico (cf. can. 1420 §§ 1 e 4); i giudici, che siano chierici o laici, di integra fama e dottori in diritto canonico o almeno licenziati (cf. can. 1421); il promotore di giustizia, che sia chierico o laico, di integra fama, dottore o licenziato in diritto canonico, di provata prudenza e sollecitudine per la giustizia (cf. cann. 1430 e 1435); il difensore del vincolo, che sia chierico o laico, di integra fama, dottore o licenziato in diritto canonico, di provata prudenza e sollecitudine per la giustizia (cf. cann. 1432 e 1435); il notaio, che sia una persona di integra reputazione e al di sopra d’ogni sospetto (cf. cann. 483 e 1437); patroni stabili, che esercitano l'incarico di avvocati o procuratori, che siano maggiorenni e di buona fama (cf. cann. 1483 e 1490), l'avvocato deve inoltre essere cattolico e dottore in diritto canonico o veramente esperto.

Nel caso in cui qualcuno degli addetti del tribunale non possieda i titoli accademici richiesti dal diritto, è possibile domandare la dispensa dai titoli alla Segnatura Apostolica (cf. Cost. ap. Pastor Bonus, art. 124, 2° e Lex propria della Segnatura Apostolica, art. 35, 2°).

6. Il paragrafo 2 del can. 1372 CCEO, finora in vigore, stabilisce che è sufficiente l'istruttoria prematrimoniale di cui al can. 748 per dimostrare lo stato libero della persona che doveva osservare la forma di celebrazione del matrimonio prescritta dal diritto, ma che ha attentato il matrimonio davanti a ufficiale civile o a ministro acattolico.

Il nuovo can. 1374 del motu proprio Mitis et misericors Iesus, invece, non fa alcun cenno al contenuto del suddetto § 2 del can. 1372 e menziona la citata fattispecie tra le cause che presentano un difetto della forma legittima, esigendo per tutte una dichiarazione di nullità del matrimonio mediante sentenza nel processo documentale.

Di conseguenza, con l'entrata in vigore del motu proprio Mitis et misericors Iesus non sarà più sufficiente l'istruttoria prematrimoniale per dimostrare lo stato libero di chi ha attentato il matrimonio nelle indicate circostanze, ma si dovrà dichiarare la nullità del matrimonio precedente osservando le prescrizioni del nuovo can. 1374 sul processo documentale.

Il confronto tra il can. 1087 § 2 CCEO e il nuovo can. 1359 § 3. Il can. 1087 § 2 è norma concernente i giudizi in generale, mentre il nuovo can. 1359 § 3 del motu proprio Mitis et misericors Iesus è inserito nella parte sui processi speciali, e riguarda solamente i processi matrimoniali.

Anche se il testo del paragrafo 3 del nuovo can. 1359 non risulta esplicito nel indicare se, per la designazione come giudici alii christifideles, occorre il permesso di cui al can. 1087 § 2 CCEO, dalla logica complessiva delle disposizioni del motu proprio sull'ampia potestà che s'intende riconoscere al Vescovo eparchiale, pare dover dedursi che nei processi di nullità del matrimonio il Vescovo eparchiale può nominare giudici che siano altri fedeli cristiani senza il previo permesso dell'autorità indicata dal can. 1087 § 2 CCEO.

7. La disciplina del nuovo can. 1688 del m. p. Mitis Iudex Dominus Iesus non riporta rilevante modifiche a quanto stabilito nel ex can. 1686 CIC, perciò, non pare necessario realizzare alcuna interpretazione in merito.

Di conseguenza, non sembrano modificati gli elementi in base ai quali è stata formulata l'Interpretazione autentica del can. 1686 del Pontificio Consiglio per i Testi Legislativi e la successiva Risposta della Segnatura Apostolica che aveva la suddetta interpretazione per fonte.

8. In una causa di dichiarazione di nullità del matrimonio, l'attore dopo una decisione affermativa in prima istanza ed una decisione negativa in seconda istanza, possa appellare al tribunale di terza istanza, cioè alla Rota Romana? Il motu proprio Mitis Iudex sulla riforma del processo per le cause di dichiarazione di nullità del matrimonio, ha confermato la disciplina precedente (cf. can. 1683 § 3) secondo la quale la Rota Romana rimane Tribunale di terza istanza per tutta la Chiesa ( cf. anche can. 1444 § 1, 2). Se lo ritiene opportuno resta, tuttavia, al vescovo la possibilità di chiedere alla Segnatura Apostolica la cosiddetta Commissione Pontificia, cioè l'affidamento della causa in terza istanza ad un tribunale diverso dalla Rota Romana per una giusta e ragionevole causa (cf. art 124 c.a; Pastor bonus e art. 115 Lex propria della Segnatura Apostolica).

Questa possibilità è adesso avvalorata dai criteri che ispirano la suddetta riforma del processo matrimoniale in favore della vicinanza dei tribunali e del maggiore coinvolgimento del Vescovo nell'attività giudiziaria.

 

11. Apostolische Signatur

            Die Reform hat erhebliche Auswirkungen auf die Aufgaben der Signatur (sie beseitigt z. B. die Verlängerung der Zuständigkeit zugunsten benachbarter Gerichte und die Approbation des Interdiözesangerichts innerhalb derselben Provinz), ändert jedoch nichts an der Verwaltungspraxis der Signatur.

            Auch die feste Ernennung des Berufungsbischofs im processus brevior unterliegt nicht der Zustimmung der Signatur[35].

Der neue Eheprozess betrifft den Gerichtshof der Apostolischen Signatur sowohl in den Fällen, in denen es seine Zuständigkeit bestätigt, als auch in den Fällen, in denen es sie ändert.

            In Anwendung der Art. 119-121 der Lp SAp 2008 hat das Tribunal der Apostolischen Signatur die Bedingungen präzisiert, die erfüllt sein müssen, damit Entscheidungen, die aufgrund des durch Mitis Iudex modifizierten can. 1679 kanonisch vollstreckbar sind, auch das entsprechende Vollstreckbarkeitsdekret erhalten können, um zivilrechtliche Wirkungen in den Ländern zu erzielen, in denen das Eingreifen der Signatur für das Anerkennungsverfahren oder das staatliche „Exequatur“ erforderlich ist[36].

Mit dem Inkrafttreten des Motu Proprio Mitis Iudex Dominus Iesus haben einige Gerichte das erste vollstreckbar gewordene Urteil für den Antrag auf Vollstreckbarkeit im Hinblick auf das Anerkennungsverfahren im Zivilbereich übermittelt.

Die Apostolische Signatur, die also für die Erteilung der Vollstreckbarkeitsdekrete von Gerichtsurteilen zuständig ist, die in der staatlichen Rechtsordnung anerkannt werden sollen (vgl. Art. 8.2 des Abkommens zwischen dem Heiligen Stuhl und der Italienischen Republik, welcher Änderungen des Laterankonkordats mit sich bringt), muss in Bezug auf die oben genannten neuen Erfordernisse das vorherige Rundschreiben vom 20. März 1991 (prot. Nr. 21402/89 VAR) zur Durchführung der Artikel 60-62 des Allgemeinen Dekrets über die kirchliche Trauung aktualisieren, unbeschadet der Bestimmungen des Rundschreibens vom 14. November 2002 (Prot. Nr. 33840/02 VT).

Diese Aktualisierung ist notwendig, weil mit der jüngsten Reform des Ehenichtigkeitsprozesses das erste affirmative Urteil „elapsis terminis a cann. 1630-1633 ordinatis“ (can. 1679; vgl. auch can. 1680, § 2) vollstreckbar wird. In einem solchen Fall ist zu bescheinigen, dass die Fristen für die Einlegung von Rechtsmitteln, die entsprechend ihrem Ausgangspunkt festgelegt wurden, ungenutzt verstrichen sind, d. h. ohne dass eine der Parteien, auch nicht der Bandverteidiger, bei dem Gericht, das das Urteil erlassen hat, Rechtsmittel eingelegt hat, und, falls dies der Fall ist, ohne dass das Rechtsmittel bei einem höheren Gericht verfolgt wurde.

Der Gerichtshof der Apostolischen Signatur verlangt daher zur Erteilung der Vollstreckbarkeitserklärung für die erstinstanzlichen affirmativen Urteile neben den in den oben genannten Rundschreiben genannten Unterlagen folgende Dokumente:

l. Nachweis der Verkündigung des Urteils an die Parteien, einschließlich des Bandverteidigers;

2. Eine Kopie des Vollstreckungsbescheids des Gerichts, welches das Urteil verkündet hat, aus dem hervorgeht, dass die Fristen für die Einlegung der Berufung ungenutzt abgelaufen sind.

Schließlich hat die Signatur ihre Jahresberichtsformulare aktualisiert und einige Klarstellungen und Hinweise gegeben[37].

 

12. Apostolisches Schreiben Amoris laetitia

            Dieses Dokument greift die Verantwortung und direkte Beteiligung des Episkopats an der Umsetzung der Bittgesuche, welche der Prozessrechtsreform zugrunde liegen, an der Vorbereitung der Beteiligten und an der Bereitstellung eines wirksamen Beratungsdienstes auf. Wenn aus pastoraler Sicht der Hauptnotstand in der Unterscheidung und Begleitung in Krisensituationen zu bestehen scheint, so stellt aus verfahrenstechnischer Sicht wahrscheinlich die Ausstattung und Vorbereitung des Gerichtspersonals die am deutlichsten empfundene Dringlichkeit dar. Der Papst hat die kirchlichen Handlungsträger aufgefordert, auch ein Katechumenat und eine nacheheliche Ausbildung anzubieten. Der Prozess selbst ist ein Ort der Unterweisung und der Unterscheidungskultur für alle Beteiligten, vor allem für die Parteien[38]. In dieser Hinsicht sind das Gewissen und die Ausbildung des Richters die beste Garantie für die Fruchtbarkeit der prozessualen ratio.

            Die Absichten des Papstes wurden bei zwei Gelegenheiten deutlich, als er vor der italienischen Bischofskonferenz sprach, wo er an die beiden Eckpfeiler der Reform erinnerte: nämlich an die Abschaffung des doppelten übereinstimmenden Urteils und an den kürzeren Prozess. Der Papst betonte die Bedeutung der Nähe, Schnelligkeit und Unentgeltlichkeit der Verfahren. Damit wollte der Papst die Verfügbarkeit und Einsatzbereitschaft der Bischöfe erhöhen. Die Kritikpunkte des Papstes beziehen sich hauptsächlich auf die Struktur der Gerichte und die diözesane Dimension der Rechtspflege, die durch die Reform des Eheprozesses gefördert wurde[39], aber auch auf die Weitergabe und die Praxis des processus brevior.

            Für den Papst ist die bischöfliche Rechtsprechung ein Ausdruck der Fülle und Unmittelbarkeit der mit dem bischöflichen Hauptamt verbundenen Zuweisungen[40].

            Die Umsetzung des Motu proprio Mitis Iudex und des Apostolischen Schreibens Amoris laetitiae[41] stellt eine große Verantwortung für die Diözesanordinarii dar, die dazu berufen sind, bestimmte Fälle selbst zu beurteilen und auf jeden Fall den Gläubigen den Zugang zum Gerichtswesen zu erleichtern. Dies setzt voraus, dass eine ausreichende Zahl von Klerikern und Laien ausgebildet wird, die sich vorrangig diesem kirchlichen Dienst widmen. Daher muss ein Informations-, Beratungs-, Vermittlungs- und juristisch-pastoraler Begleitdienst, der mit der Familienseelsorge verbunden ist, für getrennt lebende Personen oder Paare in Krisensituationen zur Verfügung gestellt werden, um sie im Hinblick auf die Voruntersuchung vor dem Eheprozess aufzunehmen[42].

 

13. Die systematische Auslegung der Rechtsvorschriften

            In Bezug auf die Hermeneutik des Rechtskorpus muss die Notwendigkeit einer einheitlichen und systematischen Auslegung der geltenden Rechtsvorschriften betont werden. Die Reform des Eherechts kann nicht aus dem Kontext der kanonischen Prozesswissenschaft und -kultur herausgelöst oder abgekoppelt werden. Die Merkmale Nüchternheit und Offenheit führen dazu, den Wert der Tradition zu erkennen und die Verbindung zur Praxis und zur juristischen Sensibilität zu stärken. 

            Die systematische Auslegung von Mitis Iudex setzt voraus, dass der Inhalt und die Einheit des gesamten kanonischen Systems, seine Anwendung in der ständigen Tradition der Kirche und die notwendige Übereinstimmung mit der Wahrheit der Ehe[43], ausgehend von der Verteidigung der Unauflöslichkeit, beachtet werden.

            Die grundlegenden Kriterien für die Rekonstruktion der Disziplin des processus brevior werden durch die systematische Konzeption, nämlich die Einfügung der prozessualen Form in die kanonische Logik und Tradition, und die Erweiterung der prozessualen Rationalität in Gestalt einer Offenheit für Neuerungen und der Verfeinerung der verfahrenstechnischen Kategorien, dargestellt. Diese Koordinaten scheinen mir die wesentlichen Schlüssel für das richtige Verständnis und die Anwendung der Reform und insbesondere des abgekürzten Rechtsinstituts zu sein. Engstirnigkeit oder Starrheit sind auf dem Weg zur Umsetzung und Ausgestaltung des Verfahrensinstruments nicht sehr hilfreich.

            Die geringere statistische Häufigkeit scheint uns auf Phänomene zurückzuführen zu sein, die nichts mit Logik oder Verfahrenswahl zu tun haben: Die geringe Bereitschaft zu heiraten und der bemerkenswerte Rückgang der kanonischen Eheschließungen, zumindest in den Ländern alter Evangelisierung, scheint auch die Nachfrage nach Gerechtigkeit schrittweise zu verringern[44]. Diese Beobachtung lässt uns erkennen, dass die wichtigste kirchliche Aufgabe nicht so sehr darin besteht, Ehekrisen zu bekämpfen, sondern den Reichtum des ehelichen Lebens zu fördern. Der Verlust der Attraktivität der Ehe ist vielleicht die größte und wichtigste Herausforderung für die Zukunft von Kirche und Gesellschaft.     

Beten wir zum Heiligen Geist und zur Muttergottes, Mater misericordiae und Speculum iustitiae, dass unsere Arbeit immer im Einklang mit dem Geist und dem Herzen von Papst Franziskus stehen möge.

 

[1] Vgl. BENEDIKT XVI, Discorso alla Curia Romana in occasione della presentazione degli auguri natalizi, 22 dicembre 2005, in: AAS 98 [2005], S. 45 – 46.

[2] Papst Franziskus bekräftigte, dass es wichtig ist, dass die neue Gesetzgebung in Inhalt und Geist rezipiert und vertieft wird, insbesondere von den Betreibern der Kirchengerichte, um den Familien einen Dienst der Gerechtigkeit und der Nächstenliebe zu erweisen (Franziskus, Discorso ai partecipanti al corso promosso dal Tribunale della Rota Romana, Città del Vaticano, 2016, in: URL: www.vatican.va.

[3] Vgl. M. DEL POZZO, Il processo matrimoniale piç breve davanti al vescovo, Roma, 2021, S. 34 – 43.

[4] Vgl. SECRETARIA STATUS , Rationarium generale Ecclesiae. Annuarium Statisticum Ecclesiae 2013, Città del Vaticano, 2015, S. 431 und 441.

[5] Vgl. Motu proprio Mitis Iudex Dominus Iesus, Criterio fondamentale VI.

[6] Vgl. M. DEL POZZO, L’organizzazione  giudiziaria ecclesiastica alla luce del m.p. Mitis Iudex, in Stato, Chiesa e pluralismo confessionale, in: Rivista telematica (www.statoechiese.it), Nr. 36 (2015), S. 1 - 5.

[7] III ASSEMBLEA GENERALE STRAORDINARIA DEI SINODO DEI VESCOVI, Relatio Synodi, n. 48, 18 ottobre 2014.

[8] Vgl. ebda., nn. 48 – 49.

[9] CONCILIUM VATICANUM II, Decr. Christus dominus, n. 6; Enchiridion Vaticanum, vol. 1, n. 582.

[10] Vgl. FRANZISKUS , Motu proprio Mitis Iudex Dominus Iesus, Proemio.

[11] Vgl. FRANZISKUS, La mens del Pontefice sulla riforma dei processi matrimoniali, in: L’Osservatore Romano, 8 novembre 2015.

 

[12] Vgl. La mens del Papa Francesco, Rescritto 8 novembre 2015, n. 1.

[13] Ebda.

[14] Vgl. FRANZISKUS, Lettera Apostolica in forma di “Motu Proprio” Mitis Iudex Dominus Iesus, 15 agosto 2015.

[15] Ebda.

[16] Ebda.

[17] Ebda.

[18] Vgl. FRANZISKUS, Rescritto del Santo Padre Francesco sul compimento e l’osservanza della nuova legge del processo matrimoniale, Città del Vaticano 2015.

[19] Vgl. FRANZISKUS, Lettera in forma di “Motu Proprio” con la quale il Santo Padre istituisce la Commissione Pontificia di verifica e applicazione del M. P. Mitis Iudex nelle Chiese di Italia, Città del Vaticano, 26 novembre 2021.

[20] Vgl. FRANZISKUS, Rescrittum ex audientia Sanctissimi, 7 dicembre 2015.

[21] Vgl. M. p. Mitis Iudex Dominus Iesus, Proemio, passim.

[22] Vgl. J. ORTIZ HERRAIZ, “La gratuidad del processo”, in Revista general de derecho canonico y de derecho eclesiástico del estado (www.iustel.com), 41 (2016), S. 1 – 12; Rescriptum ex audientia Ss.mi al Decano della Rota Romana, 22 gennaio 2016, III.

[23] FRANZISKUS, Rescriptum ex Audientia SS.mi, 22 ianuarii 2016, in Quaderni dello Studio Rotale, 23 (2016), S. 48.

[24] Vgl. FRANCESCO, Rescrittum ex audientia Sanctissimi, 22 ianuarii 2016, in Quaderni dello Studio Rotale 23 (2016), S. 47-48.

[25] ROTAE ROMANAE TRIBUNAL, Sussidio applicativo del motu proprio Mitis Iudex Dominus Iesus, Città del Vaticano 2016, S. 5.

 

[26] CONFERENZA EPISCOPALE ITALIANA, UFFICIO NAZIONALE PER LE COMUNICAZIONI SOCIALI, Comunicato Stampa: Gli esiti del tavolo di lavoro voluto da Papa Francesco, 19 luglio 2016m in URL: www.chiesacattolica.it.

[27] Ebda.

[28] Vgl. ROTAE ROMANA TRIBUNAL, Sussidio applicativo del motu proprio Mitis Iudex, Città del Vaticano, 2016, pp. 24 e 25; Testo del Tavolo di Lavoro coordinato dalla Segretaria della CEI, Roma, 20 luglio 2016, n. 5.

 

[29] Vgl. M. DEL POZZO, “L’organizzazione giudiziaria ecclesiastica alla luce del m.p. “Mitis Iudex”, in Stato, Chiese e pluralismo confessionale, n. 36, (2015), S. 5-7.

 

[30] Proemio VI.

[31] Ebda.

[32] Vgl. G. P. MONTINI, “Esigenze vecchie e nuove di formazione del personale dei tribunali ecclesiastici”, in Educatio Catholica, 2/3-4 (2016), S. 43 – 55.

[33] Cf. FRANCESCO, Rescritto 5 giugno 2018, in L’Osservatore Romano, 6 luglio 2018.

[34] Ebda.

[35] Vgl. can. 1687 § 3.

[36] Vgl. SIGNATURAE APOSTOLICAE TRIBUNAL, Lettera circolare circa la concessione del decreto di esecutività in vista della delibazione in ambito civile della prima sentenza affermativa divenuta esecutiva, 30 gennaio 2016, in: Ius Ecclesiae 28 (2016), S. 735-736.

 

[37] Vgl. SIGNATURAE APOSTOLICAE TRIBUNAL, Lettera circolare “Inter munera” sullo stato e l’attività dei Tribunali, 30 luglio 2016.

[38] Vgl. FRANCISCUS, Allocuzione alla Rota Romana, 29 gennaio 2018.

[39] Vgl. FRANCISCUS, Discorso alla Conferenza Episcopale Italiana, 20 maggio 2019.

[40] Vgl. can. 381.

[41] Vgl. Exhortatio ap. Amoris laetitiae, n. 244.

[42] Vgl. M. p. Mitis Iudex Dominus Iesus, Regole procedurali, Art. 2 – 3.

[43] Vgl. Kompendium des Katechismus der Katholischen Kirche, n

. 19.

[44] Vgl. SECRETARIA STATUS, Rationarium generale Ecclesiae. Annuarium statisticum Ecclesiae, Città del Vaticano, [2000], S. 316; [2019], S. 337.

 

 

 

Suche