Himmels(t)räume

 

Tag der EKG 2016 Poster © Universität Augsburg

Am 29. Juni 2016 wurde vom IEK erstmals ein Tag der Europäischen Kulturgeschichte ausgerichtet. Unter dem Motto ‚Himmels(t)räume‘ beschäftigten sich mehrere Veranstaltungen in unterschiedlichen Perspektiven mit Konstruktionen, Deutungen, literarischen Umsetzungen und bildlichen Darstellungen von Himmel und Himmelserscheinungen in der europäischen Geschichte. Die Projektion himmlischer Welten und die Erforschung des sichtbaren Himmels stellen zwei zentrale Achsen der europäischen Kulturgeschichte dar. Ihr jeweiliges Wechselverhältnis bestimmte den Weg Europas von der Christianisierung zur Säkularisierung (und zurück?) maßgeblich. Die bisherige Forschung ist jedoch spezialisiert; d. h. sie befasst sich entweder kultur- oder naturwissenschaftlich mit dem Himmel (heaven vs. sky). Beide Ansätze zusammenzubringen, stellt deshalb eine große Herausforderung dar. Einige Überlegungen zu diesem Themenkomplex stellte das IEK am Tag der Europäischen Kulturgeschichte der Öffentlichkeit vor.

Den Auftakt der Veranstaltung bildete die Sektion ‚Der Himmel als christliche Jenseitsvorstellung und ethischer Raum‘, die am Vormittag an der Universität Augsburg ausgerichtet wurde. Die Referenten Herr Prof. Dr. Bernd Oberdorfer und Frau Prof. Dr. Stephanie Waldow, beide Universität Augsburg, setzten sich mit dem Thema in theologischer und literaturwissenschaftlicher Perspektive auseinander.

Stephanie Waldow behandelte in ihrem Vortrag Facetten des Himmels als ethischer Raum in der Literatur. Sie hob insbesondere den Niederschlag zeitgenössischer astronomisch-naturwissenschaftlicher Auseinandersetzungen mit dem Himmel sowohl auf die ästhetische Behandlung dieses Gegenstandes als auch auf die Erfahrung des Verhältnisses zwischen Individuum und Kosmos hervor. Als einschlägige literarische Verarbeitung dieser Aspekte verwies sie auf Johann Wolfgang von Goethes ‚Wilhelm Meisters Wanderjahre‘: Beim Besuch einer Sternwarte überkommen den Protagonisten bei der Beobachtung des Himmels Gedanken an seine innere Nichtigkeit angesichts der Unendlichkeit von Raum und Zeit, zugleich wird er zur Reflexion über sein Menschsein angestoßen und der Blick auf sein Inneres gerichtet. In dieser Szene zeigt sich beispielhaft die Verbindung von Astronomie, Ästhetik und Ethik in der literarischen Verarbeitung des Themas.

Der Himmel als religiöser Imaginationsraum war Gegenstand des Vortrags von Bernd Oberdorfer. Im Zentrum stand die Frage, wie in der christlichen Deutungstradition der Himmel als kosmologischer Ort zum religiösen Topos, wie also sky zu heaven wurde. In den kanonischen Texten des Christentums begegnen beide Dimension. Das Verhältnis zwischen kosmologischem und religiösem Himmel, zwischen Diesseits und Jenseits sowie zwischen Erde und Himmel lässt sich allerdings nicht auf eine simple Dichotomie reduzieren. In der biblischen Schöpfungsgeschichte begegnet der Himmel zunächst als Teil der diesseitigen Schöpfung und damit als sky. Erst später wurden Gott sowie das eschatologische Sehnsuchtsziel menschlicher Vollendung im Himmel verortet. Als dem Menschen unverfügbarer, unermesslicher, erhabener, allseits präsenter und auf das menschliche Leben ständig einflussnehmender Raum scheint dessen theologische Aufladung naheliegend. Wie aber die verschiedenen Vorstellungen von der Heimstatt Gottes, vom Gottesreich und vom menschlichen Sehnsuchtsziel, wie sie in den religiösen Texten artikuliert werden, Himmel und Erde – auch in engem Zusammenhang mit dem Verhältnis Gottes oder Christus‘ zur Welt und zu den Menschen – jeweils unterschiedlich bestimmen, so changiert hier auch der Himmel zwischen heaven und sky, wobei zwischen den beiden Dimensionen ein hoch komplexes Verhältnis zutage tritt.

Der Nachmittagsteil wurde in Kooperation mit der Universitätsbibliothek Augsburg in der Ausstellungshalle der dortigen Zentralbibliothek veranstaltet. Er begann mit der Eröffnung der Ausstellung ‚Die Himmel im Bild: Imaginationen und Reproduktionen seit der Renaissance‘, die von den Bibliotheksmitarbeitern Dr. Günter Hägele und Dr. Peter Stoll in Zusammenarbeit mit dem IEK eigens für diesen Tag der Europäischen Kulturgeschichte eingerichtet wurde. Die Ausstellung zeigte astronomische Literatur des 16. bis 19. Jahrhunderts aus den reichhaltigen Altbeständen der Universitätsbibliothek. Ausgestellt waren besonders Werke mit Illustrationen und Titelkupfern, mitunter großformatig, farbig und prachtvoll gestaltet, die vormoderne und neuzeitliche Darstellungen des Sternenhimmels, des Sonnensystems und seiner Planeten, des Kosmos oder von Kometen zeigten. Die Ausstellung bot so den Besuchern einen eindrucksvollen Einblick in Himmelsbilder aus drei Jahrhunderten.

Im Anschluss an die Ausstellungseröffnung wurden aktuelle Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Kulturgeschichte präsentiert. Herr Prof. Dr. Gregor Weber stellte, neben dem aktuellen Heft der MITTEILUNGEN des IEK, den von ihm herausgegebenen, in der Reihe Colloquia Augustana erschienenen Sammelband Artemidor von Daldis und die antike Traumdeutung vor. Der Band beinhaltet die Beiträge einer 2013 am IEK veranstalteten internationalen Tagung, in deren Zentrum die von Artemidor gegen Ende des zweiten nachchristlichen Jahrhunderts verfassten ‚Oneirokritika‘ standen. Bei diesem Werk handelt es sich um das einzige aus der griechisch-römischen Antike erhaltene Traumbuch. Die Aufsätze analysieren Artemidors Werk im Kontext der antiken Traumdeutung und untersuchen seine Rezeption und Wirkung bis in die Neuzeit. Herr Prof. Dr. Wolfgang E. J. Weber präsentierte zwei in der Reihe Documenta Augustana erschienene Bände: zum einen eine von Sven Schmidt erarbeitete kommentierte Edition des Gewerbebuchs der Augsburger Christoph-Welser-Gesellschaft, entstanden in den Jahren 1554 bis 1560. Der Band erschließt der Wissenschaft eine bislang wenig berücksichtigte Quelle für die Erforschung kaufmännischer Wissensformen im Übergang zur Neuzeit, die umso wertvoller ist, als für dieses Thema gerade für den süddeutschen Raum nur wenig einschlägiges Material überliefert ist; zum anderen eine von Gerhard Seibold verfasste Monographie zum in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhundert entstandenen Album amicorum des Johann Franz Reichwein. Der Band nimmt eine in der historischen Forschung eher selten ausgewertete Quellengattung in den Blick. Thema sind neben den Gewohnheiten und Praktiken der frühneuzeitlichen Stammbuchkultur die Bekanntschaften und Netzwerke, die der Stammbuchhalter Reichwein während seiner Bildungsreisen knüpfte, die ihn durch Italien, Frankreich und das Reich, hier u. a. auch nach Augsburg, führten.

Die Abendveranstaltung befasste sich unter dem Motto ‚Himmelsboten – Himmelskörper‘ mit dem Thema Kometen und fand passend zum Motto des Tages im Sparkassen-Planetarium Augsburg statt. Frau Prof. Dr. Marion Gindhart von der Universität Mainz untersuchte in ihrem Vortrag Darstellungen, Beschreibungen und Deutungen von Kometensichtungen im Jahr 1618 in der zeitgenössischen Druckliteratur. Die Aufmerksamkeit, die diese „geschwentzten sterne“ erregten, war erheblich und entsprechend intensiv die mediale Auseinandersetzung mit ihnen. Die Deutungen fielen dabei sehr unterschiedlich aus. So wurden die Himmelserscheinungen etwa in religiöser Perspektive als Zeichen göttlichen Zorns gedeutet oder als Signale im konfessionellen Kampf verstanden – in diesen Interpretationen fanden sie insbesondere Eingang in politische Propagandaschriften –, wurden aber auch zum Gegenstand wissenschaftlicher Abhandlungen, in denen sie etwa als Beweise für das heliozentrische System diskutiert wurden. Gindharts historische Ausführungen wurden vom Planetariumsleiter Herr Gerhard Cerny unter Nutzung der beeindruckenden technischen Möglichkeiten des Planetariums mit Darstellungen der Kometenbahnen und Visualisierungen der – in ihrer Größe und Helligkeit tatsächlich beeindruckenden – Kometenerscheinungen von 1618 sowie einem allgemeinen Überblick zu Kometen aus aktueller astronomisch-naturwissenschaftlicher Perspektive ergänzt. Neben neuesten Erkenntnissen zu Ursprüngen, Erscheinungsformen und Eigenschaften von Kometen thematisierte Cerny aber auch die Angst vor diesen Himmelskörpern, die in der Bevölkerung auch heute angesichts der theoretischen Möglichkeit von Kollisionen mit der Erde herrscht – ein in diversen Hollywoodblockbustern bildgewaltig inszeniertes Schreckensszenario. Nicht zuletzt wurde hier deutlich, welche anhaltende Faszination der Himmel mit seinen Erscheinungen und in seinen unterschiedlichen Facetten auch auf den modernen Menschen ausübt und wie stark er bis heute Raum unterschiedlichster Wahrnehmungen, Deutungen, Projektionen und Phantasien ist. Dieser Umstand lässt eine weitere Erforschung von „Himmels(t)räumen“ in kulturhistorischer Perspektive umso lohnender erscheinen.

 

Benjamin Durst

 

 

 

 

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