Tag der EKG 2018 © Universität Augsburg

Zum inzwischen dritten Mal veranstaltete das Institut für Europäische Kulturgeschichte (IEK) der Universität Augsburg am 18. Juni 2018 den „Tag der Europäischen Kulturgeschichte“. Dieser wurde wieder in Kooperation mit der Universitätsbibliothek und der Stadtbücherei Augsburg sowie mit Unterstützung der Gesellschaft der Freunde der Universität Augsburg durchgeführt. Inspiriert wurde der Tag einerseits durch das anhaltende Forschungsinteresse an den nicht auseinanderzudenkenden Themenfeldern Krieg und Frieden, und andererseits von zwei bedeutenden Geschichtsereignissen, die sich 2018 jähren: Vor vierhundert Jahren brach der Dreißigjährige Krieg aus, während am 11. November 1918 der Waffenstillstand des Ersten Weltkrieges geschlossen wurde. Dies bietet zahlreiche Anlässe, diese beiden Geschichtsdaten unter neuen Forschungsperspektiven erneut zu diskutieren. So war es ein zentrales Anliegen des diesjährigen Tages der Europäischen Kulturgeschichte, sich aus verschiedenen Perspektiven Aspekten der kulturhistorischen Bedeutung von Krieg und Frieden anzunehmen, indem interdisziplinäre und epochenübergreifende Vorträge gehalten wurden.

Das Nachmittagsprogramm eröffneten Prof. Dr. Bernd Oberdorfer, Geschäftsführender Direktor des IEK, sowie Dr. Ulrich Hohoff, Leiter der Universitätsbibliothek, die erneut ihre Räumlichkeiten für den Tag der Europäischen Kulturgeschichte zur Verfügung stellte. Vier Wissenschaftler unterschiedlicher Disziplinen der Universität Augsburg gaben Einblicke in ihre Forschungen mit einer kulturhistorischen Perspektivierung auf Krieg und Frieden.

Zu Beginn beschrieb Prof. Dr. Freimut Löser den mittelalterlichen Autoren Wolfram von Eschenbach als Vordenker seiner Zeit, indem er in Wolframs Werks ‚Willehalm‘ (1210–1220) frühe Züge von religiöser Toleranz und Friedensansätzen herausstellte. Anders als das Gros mittelalterlicher Autoren führte Wolfram die Ambiguität des Krieges in seiner Vielfalt aus: die Schrecken des Mordens und die Profanität des Sterbens, aber auch die Notwendigkeit eines christlichen Verteidigungskrieges gegen die Heiden; kurz die Heillosigkeit und parallele Faszination des Krieges. In Willehalm finde sich keine Kreuzzugsbegeisterung, vielmehr erscheinen die Heiden nahezu menschlich. Sie kämpften wie ihre christlichen Gegner für ihre eigene Religion und wurden ebenso durch ritterliche Charakteristika beschrieben. Auch in der theologisch anmutenden Rede Gyburcs, Christen und Heiden seien Kinder Gottes, sah Löser eine Annäherung an eine Gleichrangigkeit der Religionen. Zentral bleibt bei ‚Willehalm‘ jedoch die Familie: Der Krieg zwischen den Religionen ist eingebettet in ein familiär bedingtes Spannungsfeld, da Gyburc mit Willehalm verheiratet war, der gegen seinen Schwiegervater Terramer kämpfte. Das tragische Element des Krieges wird dadurch verstärkt, dass es sich nicht nur um die Ermordung von Heiden, sondern um einen Verwandtenmord handelt – selbst dann, wenn der Krieg gegen die Heiden gerecht sei. Freilich siegt am Ende die Christenheit über die Heiden, dennoch lässt Wolframs ‚Willehalm‘ pazifistische Tendenzen anklingen.

Im zweiten Vortrag verdeutlichte Dr. Benjamin Durst mittels vierer Titelkupfer zu Dokumentensammlungen und Geschichtswerken zur europäischen Mächtepolitik die frühneuzeitlichen Friedensdarstellungen und analysierte, wie letztere Rückschlüsse auf die zeitgenössische Konzeption von Frieden vermitteln. Gemein waren den von Durst analysierten Titelkupfern der Rekurs auf antike und biblische Bildtradition sowie Motive der Regierungs- und Tugendlehre. Diese wurden aber je nach ihren spezifischen Kontexten und der intendierten Wirkung vielfältig verwendet, modifiziert oder mit neuen Elementen versehen. So zeigten alle analysierten Titelkupfer die allegorische Figur Pax, mal in Kombination mit der Personifikation Justitia, angereichert mit Symbolen des Friedens, wie den Olivenzweig oder den Merkurstab. Kontrastierend zum Triumph des Friedens wird der besiegte Krieg, oftmals in Figur des Mars mit verschiedenen Lastern dargestellt. Dass die Friedensdarstellungen jedoch nicht nur auf gängigen Motiven beruhten, sondern auch einem Wandel unterlagen, stellte Durst exemplarisch an der Urkunde des Friedensvertrags heraus, die seit Mitte des 17. Jahrhunderts zu einem neuen Friedenssymbol avancierte: Auf dem Titelkupfer von Dumonts ‚Mémoires politiques pour servir à la parfaite intelligence de l‘histoire de la paix de Ryswick‘ (1699) ist sie das zentrale Element und wird von der personifizierten Pax übergeben. Die unterstützende Funktion dieser Titelkupfer für die ihnen nachfolgenden Dokumente und Abhandlungen machte Durst am Beispiel von Dumonts Hauptwerk, dem ‚Corps universel diplomatique du droit des gens‘ (1726) deutlich. Das Kupfer zeigt einen Vertragsschluss zweier Herrscher, umringt von Allegorien leitender Werte und Tugenden, Norm- und Rechtssysteme, darüber leuchtet das göttliche Auge der Vorsehung: Dumont wollte die völkerrechtliche Ordnung sowie ihre Rechtsinstrumente, also die in seinem Werk gesammelten völkerrechtlichen Verträge, in ihrer Bedeutung für die Mächtebeziehungen überhöhen – dieses Vorhaben wird durch die zentrale Repräsentation des Vertragsschlusses auf dem Titelkupfer maßgeblich unterstützt.

Aus pädagogischer Perspektive bot PD Dr. Rebecca Heinemann einen Einblick in die Kriegserfahrung von Kindern im Ersten Weltkrieg sowie in Aspekte der zeitgenössischen Kinderforschung. Anhand verschiedener Tagebucheinträge von Kindern führte sie aus, wie eine überschwängliche Euphorie zu Beginn des Krieges progressiv verschwand und Angst, Verlustängste, Friedenshoffnungen und Kritik am Kriegsgeschehen die Kindheitserfahrungen prägten. In einem zweiten Schritt wandte sie sich der pädagogischen, psychologischen und medizinischen Literatur der Kinderforschung zu: Ganz im Zeichen der nationalen Propaganda zielte die Kindererziehung auf die Vermittlung kriegsspezifischen Wissens und letztlich die Mobilisierung der Kinder für die Heimatfront ab. Stand vor Kriegsbeginn das Wohl des Kindes im Zentrum, stellte die Literatur unterschiedlicher pädagogischer Strömungen die individuellen Belange der Kinder nun gänzlich unter das nationale Interesse: Der Fokus lag auf der Disziplinierung und Steigerung der Leidesfähigkeit der Kinder, um die sogenannten Kinderpflichten erfüllen zu können. Indem Verlustängste nicht überbewertet werden sollten, Mangelernährung und die erhöhte Sterblichkeitsrate verschwiegen und die bemerkbar wachsende Nervosität der Kinder auf erbliche Schäden zurückgeführt wurden, kam es zu einer Marginalisierung der psychologischen und körperlichen Auswirkungen des Krieges. Dahinter stand die ebenfalls propagandistische Annahme, der Krieg sei der Normalzustand. Insgesamt betonte Heinemann die funktionalisierende und neutralisierende Perspektivierung auf die Kinder: Sie wurden auf ihren physischen Kriegsnutzen reduziert oder – erneut im Sinne der Kriegspropaganda – zu Kriegshelden stilisiert. Kritische Stimmen, die die belastenden Konsequenzen des Krieges für die Kinder thematisierten, wurden scharf kritisiert oder vollends zensiert.

Den Abschluss des Nachmittagsprogramms bildete der Vortrag von Prof. Dr. Bernd Oberdorfer, der das protestantische Verständnis von Krieg und Frieden im Laufe der Geschichte beleuchtete. Ausgehend von Luthers Verständnis vom Gehorsam der Untertanen gegenüber der von Gott eingesetzten Obrigkeit führte Oberdorfer aus, wie Luther – ähnlich wie Wolfram von Eschenbach – Krieg nur im Sinne einer Verteidigung akzeptierte; der Frieden sei dem Krieg stets vorzuziehen. Auch Widerstand gegen eine tyrannische Obrigkeit, so Oberdorfer, sei für Luther undenkbar gewesen: Statt aufzubegehren, habe der Untertan eine schlechte Obrigkeit als Strafe Gottes zu ertragen. Jegliche Form des aktiven Protestes gegen die Obrigkeit, wie er in den Bauernaufständen geschah, lehnte Luther kategorisch ab. Darauf basierend erscheint nachvollziehbar, warum Luther von der Obrigkeit einforderte, mit „Gottes Faust“ die Bauern niederzuschlagen, um wieder Frieden und Ordnung herzustellen – obwohl sich die Bauern in ihrer Rechtfertigung auf Luther beriefen. Luthers Aussage mutet also nur auf den ersten Blick paradox an. Von der Entstehung dieser Prämisse, der Obrigkeit gehorsam zu sein, entwickelte sich eine Staatsnähe des Protestantismus, wobei Oberdorfer einen synoptischen Bogen zum 20. Jahrhundert schlug. Hinsichtlich des genuin protestantischen Verständnisses von Frieden und Krieg im 20. Jahrhundert machte Oberdorfer deutlich, dass der Krieg nach wie vor als heilsames Mittel für das Gemeinschaftswesen empfunden wurde und der entstehende Pazifismus, der während der Weltkriege als fehlende Nächstenliebe gedeutet wurde, erst nach dem Zweiten Weltkrieg Einzug in den Protestantismus erhielt. An die Stelle eines bedingungslosen Obrigkeitsgehorsams traten konditionierte Gewaltenteilung zur Einschränkung obrigkeitlichen Handelns, politische Rationalität und Rechtsloyalität. So schloss Oberdorfer, das protestantische Konzept von Krieg und Frieden habe sich vom ‚gerechten Krieg‘ zum ‚gerechten Frieden‘ entwickelt. Anschließend an die Vorträge wurden einschlägige Exponate der bibliothekseigenen Bestände zum Dreißigjährigen Krieg wie zum Ersten Weltkrieg in der Ausstellungshalle der Universitätsbibliothek vorgestellt, um einen Eindruck der jeweiligen zeitgenössischen Drucke zu erhalten.

Den Abschluss des Tages bildete der Gastvortrag von Prof. Dr. Marian Füssel (Göttingen) in der Stadtbücherei zur Kulturgeschichte der Schlacht im 18. Jahrhundert. Am Beispiel des Siebenjährigen Krieges zeigte er einleitend die aufkommende epistemologische Problematik der Beobachtung einer Schlacht auf, da letztere durch ihre zunehmende Komplexität für die Zeitgenossen als unbeobachtbar beschrieben wurde. In Reaktion auf diese Komplexität kam es zu einer Vielzahl an Repräsentationen der Schlachten des Siebenjährigen Krieges – so handelte es sich nicht nur um einen Krieg der Schlachten, sondern zugleich um einen Medienkrieg. In diesem Kontext stellte Füssel die Frage nach dem Umgang dieser „Undarstellbarkeit“ der Schlacht und führte exemplarisch an den Schlachten bei Lobositz (1756) und Zorndorf (1758) an, wie die Rolle der medialen Behauptung einer Schlacht progressiv an Bedeutung gewann, um den Sieg geltend zu machen. So galt es vor allem, den Sieg ex post durch Kriegsberichterstattungen in Zeitungen, Kupferstichen etc. für sich zu behaupten. Derart veranlasste etwa der unklare Ausgang der Schlacht von Zorndorf sowohl die preußische wie russische Seite, den eigenen Sieg durch das Absingen des Te Deums oder Dankespredigten zu verkünden. Indem beide Seiten sich verschiedener Kriterien bedienten – u. a. die Definition der Wahlstatt, das gegnerische Abrücken von vermeintlich geometrischen Formen etc. –, versuchten sie den Sieg für sich zu behaupten. Zugleich musste die mediale Siegesbehauptung der Gegner als Falschmeldung deklariert und ihre Verbreitung eingedämmt werden – der performative Akt auf dem Schlachtfeld selbst geriet dadurch sukzessive in den Hintergrund des Geschehens. Füssel betonte, dass diese mediale Repräsentation gleichermaßen als zentrales Medium der adeligen Selbstdarstellung gesehen werden muss. Neben der Rezeption der medialen Kriegsberichterstattung, die fast einer gesellschaftlichen Sensationsgier über die Neuigkeiten zur Schlacht glich, ging Füssel auch auf die Materialität der Schlachtbilder ein, die einer nachträglichen und öffentlichen Kommunikation der siegreichen Schlacht dienten, und gab zwei Beispiele: Einerseits die Darstellung der Schlacht von Zorndorf auf Tabak- und Emaillendosen, wobei Abschnitte von Flugblättern auf die Dose gedruckt waren. Andererseits die sogenannten Vivat-Bänder, die ebenfalls die jeweiligen Schlachten und Ereignisse aus einer bestimmten Perspektive wiedergaben. Beide Beispiele setzten beim Rezipienten eine Reihe von Assoziationen zur jeweiligen Schlacht frei. Die einzelnen Schlachten waren dabei nicht mehr an ihrer ikonographischen Repräsentation, sondern nur noch durch ihre Betitelung erkennbar und konnten in der bildlichen Darstellung gegen einander ausgetauscht werden.

In mythologisierenden Darstellungen des 19. und 20. Jahrhunderts wurde versucht, die Schlacht entweder in ihrer Komplexität abzubilden oder sie auf eine verdichtete Darstellung zu reduzieren. Füssel verdeutlichte an Karl Röchlings Gemälde aus dem Jahr 1904, wie der Siebenjährigen Krieg auf einige wenige Ereignisse reduziert wurde, die das Gesamtbild der Schlacht auf Dauer prägen würden: Friederich wird als soldatischer Held inszeniert und die dargestellte Schlacht steht paradigmatisch für den gesamten Krieg. Röchlings Gemälde avancierte zum Referenzbild der friderizianischen Schlachten. Doch nicht nur im Rahmen von populärwissenschaftlicher Thematisierungen des Siebenjährigen Krieges findet das Gemälde als Referenzobjekt Verwendung – auch auf aktuellen Brettspielen, die in keinem Zusammenhang zum Siebenjährigen Krieg stehen, wird das Gemälde abgedruckt. Füssel gelang hier ein Beispiel für die kritische Reflexion historischer Darstellungen par exellence. Resümierend zog er den Schluss, dass die Wahrnehmung der Schlacht im 18. Jahrhundert zwar begrenzt war, dafür aber vielfältige Deutungsräume entstanden. Die mediale Repräsentation wurde selber zu einem bedeutenden Bestandteil der Schlacht und des Krieges insgesamt, beeinflusste sie doch erheblich den weiteren Verlauf des Krieges. Füssel schaffte es, die Darstellung der Undarstellbarkeit der Schlacht anschaulich zu machen und bot mit seinem Vortrag die Möglichkeit für anregende Diskussionen über die kulturhistorische Perspektive auf die Schlacht, was einen gelungenen Abschluss zur Thematik „Krieg und Frieden“ bot.

 

Stephanie Bode

 

 

 

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