Zeitenwende beim Strafschadensersatz?
Das von der Daimler und Benz Stiftung mit 40.000 € geförderte Forschungsprojekt führt internationale Entwicklungen in Rechtprechung und empirischer Forschung zum Strafschadensersatz mit Entwicklungslinien im deutschen und europäischen Recht zusammen. Konkret sucht es eine Antwort auf die Frage, ob und inwieweit die strikte Ablehnung der Anerkennung ausländischer Strafschadensurteile durch deutsche Gerichte noch zeitgemäß ist.
Hintergrund
Dem deutschen Recht ist ein solcher Strafschadensersatz dagegen fremd. Nach der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 1992 (BGHZ 118, 312) dient Schadensersatz einzig und allein dem Schadensausgleich; etwaige Präventions- oder gar Vergeltungseffekte sind allenfalls „eine nützliche Folge“. Dies führt indes nicht nur dazu, dass deutsche Gerichte selbst den Opfern vorsätzlich begangener Rechtsverletzungen niemals mehr zusprechen dürfen, als zur Wiederherstellung des status quo ante erforderlich ist, sondern auch dazu, dass sie ausländische Urteile, in denen einer Partei Strafschadensersatz zuerkannt wurde, die Anerkennung versagen müssen, da diese „mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar“ sind.
Das Projekt geht vermittels zweier aufeinander aufbauender Symposien der Frage nach, ob dieser restriktive Umgang mit ausländischen Strafschadensurteilen einer Neubewertung bedarf. Hierfür könnten gleich drei Gründe sprechen: Erstens erscheint die Befürchtung, ausländische Strafschadensersatzurteile drohten wegen ihrer oft unverhältnismäßig großen Höhe „die gesamten inländischen Haftungsmaßstäbe zu sprengen“, angesichts der jüngeren Rechtsprechung des US Supreme Court (zuletzt Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346 (2007)) und aktueller empirischer Forschung kaum haltbar: tatsächlich liegt das Verhältnis zwischen den für Ausgleich und Strafe zugesprochenen Beträgen selbst in den USA im Median bei unter 1:1. Zweitens ist Schadensersatz auch im deutschen Recht längst nicht mehr nur auf den bloßen Schadensausgleich beschränkt, sondern enthält insbesondere in Folge europäischer Vorgaben (vgl. jüngst EuGH, Rs. C-100/21) längst unbestreitbar auch verhaltenssteuernde, wenn nicht gar pönale Elemente. Und drittens sind die Gerichte zahlreicher anderer Staaten, in denen ausländischen Strafschadensersatzurteilen traditionell ebenfalls die Anerkennung versagt wird, zwischenzeitlich von dieser Fundamentalposition abgerückt (so z.B. die italienische Corte Suprema di Cassazione, Urt. v. 5.7.2017 – Nr. 16601) und prüfen nunmehr im Einzelfall, ob sich die zugesprochene Höhe mit Blick auf den konkreten Schaden als unverhältnismäßig darstellt.
1. Tagung: Who's Afraid of Punitive Damages?
8. und 9. März 2024 in Augsburg
Die erste, internationale Tagung wird rechtsvergleichend ausgerichtet sein und die skizzierten Entwicklungslinien im Ausland diskutieren. Dazu wird sie einerseits die Perspektive derjenigen Rechtsordnungen abbilden, in denen Strafschadensersatz zugesprochen wird und auf die dortige jüngere, nicht zuletzt empirische Forschung und Diskussion eingehen. Andererseits wird sie die Perspektive derjenigen Rechtsordnungen reflektieren, die selbst keinen Strafschadensersatz kennen, entsprechende ausländische Entscheidungen inzwischen aber – jedenfalls im Einzelfall – anerkennen oder – wie zuletzt Japan (vgl. Saikō-Saibansho, Urt. v. 25.5.2021) – auch weiterhin ausdrücklich nicht anerkennen.
8 March 2024
Welcome Address
TBD
Introduction
Prof Tobias Lutzi, University of Augsburg
I. Afraid of What?
Compensation, Punishment, and the Idea of Private Law
Prof Lukas Rademacher, University of Kiel, Germany
Punitive Damages & Insurance
Prof Jan Lüttringhaus, University of Hannover, Germany
Discussant:
TBD
II. Why to be Afraid? – The Exorbitant Nature of Punitive Damages
Who's Afraid of Punitive Damages for Product Liability?
Prof Catherine Sharkey, New York University, US
[UK Perspective]
Prof Rachael Mulheron, Queen Mary University London, UK
Discussant:
Dr Eleni Katsampouka, University of Cambridge, UK
9 March 2024
III. When to be Afraid – The Public Policy Exception
[Punitive Damages & Public Policy]
Prof Cedric Van Leenhove, University of Ghent, Belgium
[The Public Policy Exception in the Hague Judgments Convention]
Prof Marko Jovanović, University of Belgrade, Serbia
Discussant:
TBD
IV. Who is (Still) Afraid?
Panel 1: Still Afraid
Netherlands
Prof André Janssen, Radboud University, Netherlands
Japan
Prof Beligh Elbalti, University of Osaka, Japan
Germany
Dr Johannes Ungerer, University of Oxford, UK
Discussant:
TBD
Panel 2: No Longer Afraid
Spain
Prof Marta Requejo Isidro, CJEU / Universidade de Santiago de Compostela, Spain
Italy
Dr Caterina Benini, Università Cattolica del Sacro Cuore, Italy
South Korea
Dr Min Kyung Kim, Incheon District Court, South Korea
Discussant:
TBD
2. Tagung: Schadensrecht im Wandel
Oktober 2024 in Augsburg
Die zweite, deutschsprachige Tagung wird auf den Erkenntnissen der ersten Tagung aufbauen und voraussichtlich im Oktober 2024 auf dieser Grundlage Entwicklungen im deutschen und – insbesondere – europäischen Recht diskutieren, die die Behauptung, Schadensersatz diene „in der modernen deutschen Zivilrechtsordnung“ ausschließlich dem Schadensausgleich (BGHZ 118, 312, Rn. 73, 75), seit Jahren immer weiter in Zweifel ziehen. Sie wird dabei auch der Frage nachgehen, inwieweit angesichts dieser Entwicklungen die Zeit für eine Neubewertung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Strafschadensersatzurteile gekommen ist.
Veröffentlichung
Dank der Unterstützung durch die Daimler Stiftung werden die Ergebnisse beider Tagungen zeitnah open access veröffentlicht.