Zeitenwende beim Strafschadensersatz?

Das von der Daimler und Benz Stiftung mit 40.000 € geförderte Forschungsprojekt führt internationale Entwicklungen in Rechtprechung und empirischer Forschung zum Strafschadensersatz mit Entwicklungslinien im deutschen und europäischen Recht zusammen. Konkret sucht es eine Antwort auf die Frage, ob und inwieweit die strikte Ablehnung der Anerkennung ausländischer Strafschadensurteile durch deutsche Gerichte noch zeitgemäß ist.

 

Hintergrund

Spätestens seit der öffentlichkeitswirksamen (erstinstanzlichen) Verurteilung der Fast-Food-Kette McDonald’s zur Zahlung von fast 3 Millionen US-Dollar an die Käuferin eines zu heiß aufgebrühten Kaffees gehören Verurteilungen zu teilweise astronomischen Schadensersatzbeträgen zu den prominentesten Eigenheiten des US-amerikanischen Rechts. Derartige Ersatzansprüche, deren Zweck nicht im Ausgleich eines erlittenen Schadens oder Verlustes, sondern in der Verhaltenssteuerung und Bestrafung des Schuldners besteht, werden freilich auch in anderen, vorwiegend vom englischen common law geprägten Rechtsordnungen gewährt.


Dem deutschen Recht ist ein solcher Strafschadensersatz dagegen fremd. Nach der Grundsatzentscheidung des BGH aus dem Jahr 1992 (BGHZ 118, 312) dient Schadensersatz einzig und allein dem Schadensausgleich; etwaige Präventions- oder gar Vergeltungseffekte sind allenfalls „eine nützliche Folge“. Dies führt indes nicht nur dazu, dass deutsche Gerichte selbst den Opfern vorsätzlich begangener Rechtsverletzungen niemals mehr zusprechen dürfen, als zur Wiederherstellung des status quo ante erforderlich ist, sondern auch dazu, dass sie ausländische Urteile, in denen einer Partei Strafschadensersatz zuerkannt wurde, die Anerkennung versagen müssen, da diese „mit wesentlichen Grundsätzen des deutschen Rechts offensichtlich unvereinbar“ sind.


Das Projekt geht vermittels zweier aufeinander aufbauender Symposien der Frage nach, ob dieser restriktive Umgang mit ausländischen Strafschadensurteilen einer Neubewertung bedarf. Hierfür könnten gleich drei Gründe sprechen: Erstens erscheint die Befürchtung, ausländische Strafschadensersatzurteile drohten wegen ihrer oft unverhältnismäßig großen Höhe „die gesamten inländischen Haftungsmaßstäbe zu sprengen“, angesichts der jüngeren Rechtsprechung des US Supreme Court (zuletzt Philip Morris USA v. Williams, 549 U.S. 346 (2007)) und aktueller empirischer Forschung kaum haltbar: tatsächlich liegt das Verhältnis zwischen den für Ausgleich und Strafe zugesprochenen Beträgen selbst in den USA im Median bei unter 1:1. Zweitens ist Schadensersatz auch im deutschen Recht längst nicht mehr nur auf den bloßen Schadensausgleich beschränkt, sondern enthält insbesondere in Folge europäischer Vorgaben (vgl. jüngst EuGH, Rs. C-100/21) längst unbestreitbar auch verhaltenssteuernde, wenn nicht gar pönale Elemente. Und drittens sind die Gerichte zahlreicher anderer Staaten, in denen ausländischen Strafschadensersatzurteilen traditionell ebenfalls die Anerkennung versagt wird, zwischenzeitlich von dieser Fundamentalposition abgerückt (so z.B. die italienische Corte Suprema di Cassazione, Urt. v. 5.7.2017 – Nr. 16601) und prüfen nunmehr im Einzelfall, ob sich die zugesprochene Höhe mit Blick auf den konkreten Schaden als unverhältnismäßig darstellt.

1. Tagung: Who's Afraid of Punitive Damages?

8. und 9. März 2024 in Augsburg

Die erste, internationale Tagung fand am 8. und 9. März an der Augsburger Fakultät statt. 17 Referent:innen aus 10 verschiedenen Rechtsordnungen diskutierten mit über 50 weiteren Teilnehmer:innen, von denen es die meisten trotz des Doppelstreiks bei Lufthansa und Bahn und der kurzfristig eingerichteten Möglichkeit einer Online-Teilnahme in Person nach Augsburg geschafft hatten, die skizzierten Entwicklungslinien im Ausland.

 

Sie diskutierten dabei sowohl grundlegende Fragen wie die Grenzziehung zwischen Privat- und Strafrecht, die Versicherbarkeit von Strafschadensersatzrisiken und die Eignung des ordre-public-Vorbehalts zur Abwehr ausländischer Strafschadensersatzurteile. Zudem gingen sie vertieft sowohl auf diejenigen Rechtsordnungen ein, in denen Strafschadensersatz zugesprochen wird, als auch auf diejenigen, die selbst keinen Strafschadensersatz kennen, entsprechende ausländische Entscheidungen inzwischen aber – jedenfalls im Einzelfall – anerkennen oder – wie zuletzt Japan (vgl. Saikō-Saibansho, Urt. v. 25.5.2021) – auch weiterhin ausdrücklich nicht anerkennen.

 

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2. Tagung: Schadensrecht im Wandel

11. und 12. Oktober 2024 in Augsburg

Die zweite, deutschsprachige Tagung wird auf den Erkenntnissen der ersten Tagung aufbauen und im Oktober 2024 auf dieser Grundlage Entwicklungen im deutschen und – insbesondere – europäischen Recht diskutieren, die die Behauptung, Schadensersatz diene „in der modernen deutschen Zivilrechtsordnung“ ausschließlich dem Schadensausgleich (BGHZ 118, 312, Rn. 73, 75), seit Jahren immer weiter in Zweifel ziehen. Sie wird dabei auch der Frage nachgehen, inwieweit angesichts dieser Entwicklungen die Zeit für eine Neubewertung der Anerkennung und Vollstreckung ausländischer Strafschadensersatzurteile gekommen ist.

 

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Veröffentlichung

Die Ergebnisse beider Tagungen werden als Doppelband in der Reihe Studien zum ausländischen und internationalen Privatrecht bei Mohr Siebeck veröffentlicht. Dank der Unterstützung durch die Daimler Stiftung können beide Bände open access erscheinen.

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