Birte Bambusch-Groetzki, M.A.

Die Tradierung der Mordgeschichte von Hinterkaifeck – wenn der Fall jetzt aufgelöst werden würde, dann wär alles hinüber

In der Nacht vom 31. März auf den 1. April 1922 wurden auf dem oberbayerischen Einödhof Hinterkaifeck eine ganze Bauernfamilie sowie deren Magd grausam ermordet. Der Fall konnte bis heute nicht aufgeklärt werden und gilt als einer der bekanntesten bayerischen Kriminalfälle. Eingeschrieben in das regionale Gedächtnis stellt er einen Teil der bayerischen Kriminalitätsfolklore dar. Die schwierigen Familienverhältnisse der Opferfamilie, zahlreiche Gerüchte, über hundert Verdächtigungen und vielfältige Widersprüche kennzeichnen den Fall als Mysterium. Über Jahrzehnte hinweg beschäftigten sich eine Vielzahl von Journalisten, Autoren, Filmemachern, (Hobby)kriminologen und -historikern sowie Heimatforschern mit dem Kriminalfall. In unterschiedlichen Medien wurden verschiedene Erzählungen hervorgebracht, welche die Erinnerungen an das Verbrechen aktualisierten und beim Publikum auf großes Interesse stießen. Das Verbrechen von Hinterkaifeck avancierte zu einem Stoff der Geschichte(n) schreibt.

Im Zentrum des Dissertationsprojektes steht die Tradierung der Mordgeschichte, die kulturelle und narrative Aneignung des Falles. Die Geschichten werden nicht vor dem Hintergrund betrachtet, ob sie faktisch beleg- und nachprüfbar sind, um etwa Wahrheit und Unwahrheit zu kalkulieren. Sie werden als Erzählungen betrachtet, die selbst ›Wirklichkeiten‹ hervorbringen. Denn Erzählungen stehen immer auch in Verbindung mit der Alltags- und Lebenswelt von Erzähler und Rezipient. Sie sind abhängig von der jeweiligen historischen sowie soziokulturellen Realität und den Norm- und Wertvorstellungen der Menschen.

Die Forschung wird von der Frage geleitet, wie das Geschehen Hinterkaifeck von 1922 bis in die Gegenwart erzählt und dargestellt wird, welche Sinnzuschreibungen und Deutungsmuster vor dem Hintergrund der jeweiligen Gegenwart sichtbar werden und von welchen Norm- und Wertvorstellungen sowie Empfindsamkeiten die Erzählungen getragen sind.

Untersucht werden unterschiedliche Quellen, Medien und Praktiken aus verschiedenen Gegenwarten, was einen methodenpluralistischen Ansatz erforderlich macht – im Sinne einer „multi-sited ethnography entlang der Zeitachse“ wie sie Monique Scheer vorschlägt. Interviews, Beobachtungen, Medienanalysen und archivalische Quellen werden miteinander in Beziehung gesetzt. Das Feld, als Assemblage, wird so aus verschiedenartigen Teilen und Erzählungen rund um die Kriminalgeschichte aus unterschiedlichen Gegenwarten mithilfe unterschiedlicher Methoden zusammengefügt.

 

(Dissertationsprojekt)

Beteiligte Personen

 

 

Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Europäische Ethnologie/Volkskunde

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