Sabrina Hadwiger: „Niemand ist vorübergehend tot.“

Traumata, ausgelöst durch sexualisierte Gewalt, sind durch die 2017 entstandene und nach wie vor aktuelle Metoo-Debatte stärker als je zuvor ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gerückt. Betroffene begeben sich oftmals in therapeutische Prozesse, in denen sie ihre traumatischen Erfahrungen zu versprachlichen suchen. Als Zeug*innen vor Gericht wird von ihnen die Fähigkeit eingefordert, mittels einer möglichst genauen Beschreibung des Tathergangs Täter*innen strafrechtlich belangen zu können.
Literarische Texte über sexualisierte Gewalterfahrungen unterscheiden sich von psychotherapeutischen Gesprächen sowie rechtskräftigen Zeug*innenaussagen. Sie erkunden Möglichkeiten und Grenzen der Sprache, um das seelische Trauma, welches sich der Versprachlichung zu entziehen versucht, in Worte fassen und ästhetisch überzeugend darstellen zu können. Solche Gestaltungsmöglichkeiten reichen von Sprachlosigkeit über das Andeuten bis hin zu dem konkreten Aussprechen der sexualisierten Gewalterfahrung. Dabei kann sich das Trauma zwischen den Zeilen zu erkennen geben, durch zwanghafte Wiederholungen, Steigerungen und Widersprüchlichkeiten artikuliert oder auf der Handlungsebene körpersprachlich ausagiert werden. Die vollzogenen Akte der literarischen Figuren reichen dabei von Verdrängung, Rückzug und Verweigerung bis hin zu Selbst-, Fremdverletzung und -tötung.
Das Dissertationsprojekt sichtet und systematisiert einschlägige Texte der neuesten deutschsprachigen Gegenwartsliteratur, in denen sexualisierte Gewalt dargestellt ist. Es widmet sich den spezifischen Formen und
Verfahren der literarischen Inszenierung von Traumata, die durch sexualisierte Gewalt ausgelöst wurden. Es untersucht, ob und inwieweit diese Darstellungen als Narrative von Selbstermächtigungen verstanden werden können und sollen – in den Texten für die handelnden Figuren, als Texte für die Lesenden. Die zeitgenössischen Romane Blaue Frau von Antje Rávik Strubel, Zwischen Du und Ich von Mirna Funk sowie Sharon Dudua Otoos Adas Raum stellen hierbei den Untersuchungsschwerpunkt dar.
Das Projekt kategorisiert die Texte nach thematischen Aspekten und im Blick auf ihre narrativen Verfahrensweisen. Um Entwicklungslinien nachzuzeichnen, werden auch ältere Texte zu Vergleichen hinzugezogen und der Analyse der Primärtexte vorangestellt. Ein Beispiel hierfür wäre der intertextuelle Verweis von Strubels Blaue Frau auf Ingeborg Bachmanns Malina.

Im Fokus des angestrebten Promotionsprojekts stehen literarische Werke von unter anderem Ingeborg Bachmann, Gert Deppe, Karin Duve, Mareike Fallwickl, Johann Wolfgang von Goethe, Ulla Hahn, Marlen Haushofer, Christoph Hein, Elfriede Jelinek, Bodo Kirchhoff, Heinrich von Kleist, Karin Köhler, Ursula Krechel, Libuše Moníková, Robert Musil, Inka Parei, Judith Schalansky, Caroline Schmitt, Marlene Streeruwitz, Bettina Wilpert.

 

Madeleine Hadwiger

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Wissenschaftliche Mitarbeiterin
Neuere Deutsche Literaturwissenschaft 2

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