Transkulturelle Diskursräume. Eine wissenssoziologische Perspektive auf öffentliche Räume im globalen Zeitalter.

Projektstart: 01.01.2013

 

Projektträger: Universität Augsburg

 

Projektverantwortung vor Ort: Prof. Dr. Reiner Keller

 

Beteiligte WissenschaftlerInnen der Universität Augsburg: Annette Knaut (Habilitandin)

 

 

Zusammenfassung

Öffentlichkeit wird im 21. Jahrhundert von Menschen aus aller Welt über kulturelle, sprachliche, regionale und nationale Grenzen hinweg realisiert, ausgestaltet und wahrgenommen. Ob die Occupy-Bewegung, das Weltsozialforum, das Weltwirtschaftsforum in Davosoder internationale Kunstausstellungen, sie alle produzieren Diskursräume, die nicht mehr der klassischen ‚Erzählung’ (bzw. Narrativ) von Öffentlichkeit als einem an eine Staatsnation und ein Volk gekoppelten Raum entsprechen. Eine alternative Erzählung fehlt jedoch bisher: Wie lässt sich Öffentlichkeit heute denken? Im Rahmen der Habilitationsoll das Konzept der transkulturellen Diskursräumeals neue soziologische Erzählung von Öffentlichkeit vorgestellt werden, die die Struktur des alten Öffentlichkeitsnarrativ aufbricht und es für Phänomene des globalen Kultur-und Wissenstransfers öffnet, die von den heutigen Öffentlichkeitstheorien nicht erfasst werden. Um dieses neue Konzept zu entwickeln, wird das tradierte Narrativ durch die Heranziehung zentralerLiteratur exemplarisch rekonstruiert und um Theorien zur Entstehung von neuen transkulturellen Räumen erweitert und aufgebrochen.Am Beispiel der ‚documenta 14‘, die 2017 an zwei Ausstellungsorten in Athen und Kassel stattfindet, soll die Entstehungeines(transkulturellen)Diskursraums rekonstruiert bzw. das Konzept einem ersten Plausibilitätstest unterzogen.

 

Motivation für dieses Projekt ist die Beobachtung, dass vermeintlich neutrale bzw. objektive Meta-Konzepte in den Gesellschaftswissenschaften, wiees hier am Beispiel der Öffentlichkeit diskutiert wird, in vor-wissenschaftliche Erzählungen eingebettet sind. So offenbart der in den Sozialwissenschaften gängige Öffentlichkeitsbegriff eine Erzählstruktur, die an die im 18. Jahrhundert entstandene Vorstellung einer Einheit aus Nation, Territorium, Volk und Kultur gebunden ist. Staat, Volk und Öffentlichkeit werden als kongruent und geschlossen gedacht. Öffentlichkeit wird als attische Agora vorgestellt, auf der die StaatsbürgerInnen die öffentlichen Angelegenheiten verhandeln. Trotz vielfach beschriebener Wandlungsprozesse im Zuge von Prozessen der Transnationalisierung und Globalisierung bleibt die Grundstruktur des Narrativs erhalten. Die Persistenz und Gültigkeit des Narrativs wird kaum reflektiert. Dies führt zu Analysen und Urteilsbildungen über gesellschaftliche Prozesse, die dem ‚globalen Zeitalter‘ nicht mehr angemessen sind. Die reichhaltige Literatur zum Transfer von Wissen, Ideen, Gütern und Menschen im 21. Jahrhundert macht hingegen darauf aufmerksam, dass mit der Entstehung neuer hybrider, kultureller Formen auch öffentliche Räume entstehen, in denen Menschen die Welt anders und neu deuten können. Öffentlichkeit ist nicht länger an den geschlossenen Raum des Nationalstaates gebunden, sondern konstituiert sich in vielfältigen transkulturellen Diskursen, die bestehende Wissensordnungen und Sinnzuschreibungen über die Welt in der wir leben, verändern können.

 

Um das Konzept des transkulturellen Diskursraumes diskutieren zu können, müssen zunächst anhand von Erzählungen zu Öffentlichkeit die Wissensordnungen(die ‚Grammatik’)des Narrativs rekonstruiert werden. Hierfür werden breit rezipierte, auf den ersten Blick kontrastierende sozialwissenschaftliche Theorien zu Staat und Öffentlichkeit ausgewählt, welche die Erzählung von Öffentlichkeit als attischer Agora weitertragen: Jürgen Habermas’ Theorie der deliberativen Öffentlichkeit, Hannah Arendts Ausarbeitungen über das Politische und öffentliches Handeln, John Deweys Konzept lokaler (Netzwerk-)Öffentlichkeiten als Kern des Staates sowie Niklas Luhmanns systemtheoretischer Ansatz. Erweitert werden diese Theorien durch Arbeiten zu öffentlicher Räumen in der Soziologie bei Georg Simmel, Pierre Bourdieu und Anthony Giddensund im Hinblick auf ihren Beitrag zur Erzählung von Öffentlichkeit als an Nationalstaaten und ihre Gesellschaften diskutiert. Drittens werden kritisch die Narrativstrukturen von Theorien zu öffentlichen Räume jenseits des methodologischen Nationalismus rekonstruiert (Saskia Sassen, Ulrich Beck, David Held, Daniele Archibugi, Martin Albrow). Kontrastiert und schließlich reflektiert werden diese Ansätze mit Theorien zur ‚Kulturverschränkung’: einmal durch Theorien zu wandernden Begriffen und Konzepten(Edward Said, Mieke Bal), weiter über Theorien, die explizit die Entstehung von ‚Räumen’ durch Kulturaustausch und Wissenstransfer thematisieren (Arjun Appadurajs, Homi K. Bhabha, Paul Gilroy) und solche die andere (postkoloniale, provinzielle) Räume problematisieren (Dipesh Chakrabarty, Achille Mbembe, Mahmood Mamdani); Gayatri Ch. Spivak, Chanrdra Talpade Mohanty).Im Ergebnis lässt sich das in den Sozialwissenschaften etablierte Narrativ von Öffentlichkeit bzw. öffentlichen Räumen mit Raumvorstellungen zum Transfer kulturellen Wissens von Kulturtransfer und der Entstehung von transkulturellen Räumen gegenlesen. Diese Reflexion ist die Grundlage für die Entwicklung eines alternativen Konzepts öffentlicher Räume im globalen Zeitalter –dem Konzept der Transkulturellen Diskursräume.

 

Das Konzept der transkulturellen Diskursräume soll die ‚Blindheit‘ des tradierten Öffentlichkeitsnarrativs für Phänomene des transkulturellen Wissenstransfers und der Entstehung von Diskursen überwinden helfen. Das gewählte Beispiel der ‚documenta 14‘ ist hierbei aufgrund der Anlage als transkulturelle und sich selbst als politisch verstehende Weltausstellung von besonderer Relevanz. Ihr Slogan ‚Von Athen lernen‘ zielt darauf ab, KünstlerInnen und BesucherInnen aus einer globalisierten Welt über beide Ausstellungsorte hinweg in einen Dialog zu bringen, aus dem ein neuer Diskurs über die Zukunft Europas entstehen soll. Die Entwicklung eines methodologischen Vorschlags einer Rekonstruktion des Diskursraumes und die vorgenommenkomplexe Diskursanalyse des Raumes zur‚documenta 14‘ werden dazu dienen, das skizzierte theoretische Konzept zu verdichten, so dass am Ende eine alternative Erzählung zu öffentlichen Räumen entfaltet werden kann.

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