Programm der Exkursion
30.10. Zeitzeugengespräch und Vortrag von PhDr. Martin Jeřábek
Am Auftaktabend der Exkursion trafen die Teilnehmenden eine Zeitzeugin aus dem Riesengebirge, die bei einem gemeinsamen Abendessen von ihrer persönlichen Geschichte erzählte. Ihr Bericht zeigte eindrücklich die Herausforderungen, Deutsch als Minderheitensprache unter politischen Zwängen zu bewahren. So lernte sie die Sprache im Alter von 16 Jahren innerhalb von nur drei Monaten, obwohl Deutsch damals in der Tschechoslowakei verdrängt wurde.
Ihre Erzählung spiegelte auch die Einschränkungen der Reisefreiheit wider sowie den tiefen inneren Wunsch, Deutschland zu besuchen. Die familiären Zwiespältigkeiten im Spannungsfeld zwischen Herkunft und Heimat wurden anschaulich dargestellt und vermittelten Gefühle von Sehnsucht, Verlust und Identität. Ihre Geschichte machte greifbar, dass Deutsch als Heritage Language weit mehr als ein linguistisches Phänomen ist; es ist ein Ausdruck gelebter Geschichte und Generationserfahrung.
In einem anschließenden Vortrag widmete sich PhDr. Martin Jeřábek, Spezialist für mitteleuropäische Geschichte an der Karls-Universität Prag, dem sogenannten „deutschen Kulturerbe“ in der Tschechischen Republik. Sein Vortrag bot eine tiefgehende Analyse der historischen, politischen und gesellschaftlichen Dimensionen der deutsch-tschechischen Beziehungen. Er legte dar, wie die Vertreibung der Deutschen nach dem Zweiten Weltkrieg mit Schmerz und Entwurzelung, aber auch mit der Chance auf Versöhnung und neuen Dialogen verbunden ist.
Dabei betonte Jeřábek die Bedeutung der Erinnerungskultur, die unter anderem durch Vertriebenenorganisationen und die Deutsch-Tschechische Erklärung von 1997 geprägt wird. In diesem Kontext ging er ebenfalls auf kulturelle Erhaltungsformen wie individuelle Memoiren, materielle Kulturgüter und ethnographische Traditionen ein, die Brücken zwischen den Nationen und generationenübergreifende Identitäten schaffen. Sein Plädoyer für eine differenzierte und dialogische Auseinandersetzung hinterließ bei der Gruppe einen nachhaltigen Eindruck.
31.10. Besuch des Masaryk-Instituts inkl. Vortrag von Dr. Lucie Merhautová und Besuch der Karls-Universität
Am zweiten Tag besuchte die Exkursionsgruppe das Masaryk-Institut und das Archiv der Akademie der Wissenschaften der Tschechischen Republik, wo Frau Dr. Lucie Merhautová zunächst einen ausführlichen Vortrag zur Arbeit des Instituts hielt. Besonders beeindruckend sind die umfangreichen Bestände, darunter die persönliche Bibliothek von Tomáš Garrigue Masaryk mit etwa 180.000 Büchern und handschriftlichen Anmerkungen. Das Institut widmet sich der Erforschung der Wissenschafts- und Sozialgeschichte der Zeit Masaryks sowie der tschechoslowakischen Akademie der Wissenschaften, wobei hier immer wieder deutlich wird, wie eng politische und kulturelle Identitäten mit Sprache verwoben sind.
Nach dem Vortrag öffnete Herr Dr. Jan Chodejovsky die Türen zu den Archivbeständen. Er stellte unterschiedliche Dokumente vor, die die multikulturelle und mehrsprachige Geschichte der Tschechoslowakei widerspiegeln, darunter Materialien deutscher Wissenschaftsinstitutionen. Das Archiv erstreckt sich über vier klimatisierte Stockwerke und enthält neben Dokumenten auch einzigartige Objekte wie den Nobelpreis von Professor Jaroslav Heyrovský. Auch persönliche Fonds von Professoren der Deutschen Prager Universität wurden präsentiert, viele noch unerforscht, was das große Forschungspotenzial der Bestände verdeutlicht. Dr. Chodejovsky betonte die Bedeutung der Digitalisierung und den Bedarf an weiteren Forschenden für diese Schätze.
Im Anschluss führte die Exkursion in das Archiv der Karls-Universität im Carolinum. Dort wurden die Teilnehmenden von Frau Dr. Jana Ratajová herzlich empfangen und erhielten Einblicke in die bewegte Geschichte der deutschsprachigen Universität, die von 1882 bis 1945 parallel zur tschechischen Universität bestand. Das Archiv beherbergt etwa 500 Dissertationen jener Zeit, darunter wichtige Werke im Bereich Sprachwissenschaft wie etwa die Arbeiten von Prof. Ernst Schwarz, welche einen nachhaltigen Einfluss auf die Germanistik und Ortsnamenforschung hatten. Die Geschichte der Universität ist eng mit gesellschaftlichen Umbrüchen verbunden, allen voran der jüdischen Emigration und der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Krieg. Trotz teilweisem Verlust der Bestände bewahrt das Archiv ein wertvolles Kulturerbe, das heute aufbereitet und erforscht wird.
01.11. Stadtführung durch Prag
Der letzte Tag der Exkursion stand im Zeichen einer Stadtführung durch Prag, die viele bedeutende historische und kulturelle Orte umfasste. Von der Erinnerung an den Nationalhelden Jindřich Fügner und die christlichen Missionare Cyrill und Method über moderne Architektur im Tanzenden Haus bis hin zur symbolträchtigen Karlsbrücke und der Kampa-Insel mit Museum waren vielfältige Facetten der Stadt zu erleben.
Auch politische Stationen wie die Deutsche und die US-Botschaft mit ihren zeitgeschichtlichen Bezügen wurden besucht. Die Nerudova Gasse bot einen Einblick in barocke Symbolik, während die Prager Burg, die Goldene Gasse und jüdische Stätten kulturelle und religiöse Vielfalt repräsentierten.
Höhepunkte wie die Prager Astronomische Uhr und der kinetische Kafka-Kopf von David Černý rundeten das Programm ab. Die Führung verband mittelalterliche Geschichte mit moderner Erinnerungskultur.