Aktuelle Forschungsprojekte

Katholische Presse und konfessionelle Milieubildung in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in Deutschland

Prof. Dr. Silvia Serena Tschopp

 

Im Rahmen des Projekts sollen das katholische Verlagswesen vornehmlich im süddeutschen Raum sowie die Bedeutung populärer katholischer Periodika für die sich seit der Mitte des 19. Jahrhunderts manifestierende „religiöse Revitalisierung“ (Christopher Clark) katholischer Milieus untersucht werden. Im Fokus stehen zum einen die durchaus kontroversen Auseinandersetzungen um eine auf die Herausforderungen des sich zeitgenössisch etablierenden publizistisch-literarischen Massenmarkts reagierende Pressepolitik innerhalb katholischer Institutionen, zum anderen das sich im Spannungsfeld von religiösem Antimodernismus und ‚ökonomischer Modernität‘ bewegende Geschäftsgebaren katholischer Verleger. Vor allem jedoch zielen meine Forschungen auf die in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhundert an Geltung gewinnende, bislang so gut wie gar nicht untersuchte populäre katholische Publizistik – namentlich religiöse Kalender und Familienzeitschriften –, die, so die Ausgangshypothese, einen maßgeblichen Beitrag zur konfessionellen Milieubildung leisteten.

Pressefreiheit und Pressekontrolle im Vorfeld der Gründung des Schweizerischen Bundesstaats 1848

Prof. Dr. Silvia Serena Tschopp

 

In der Wahrnehmung nicht weniger deutscher Verfechter eines politischen Liberalismus erscheint die Schweiz im Vorfeld der Revolution von 1848 als eine Insel der Glückseligen, die jenem freien öffentlichen Austausch politischer Ideen Raum lässt, der in den Staaten des Deutschen Bundes aufgrund der im Gefolge der Karlsbader Beschlüsse 1819 erlassenen Restriktionen für Presseerzeugnisse nicht mehr möglich war. In meinem Projekt geht es darum, am Beispiel des Kantons Bern, in dessen Verfassung vom 6. Juli 1831 die Pressefreiheit ausdrücklich gewährleistet wird, exemplarisch zu überprüfen, wie sich Schweizer Regierungen jenen Akteuren des literarisch-publizistischen Marktes gegenüber verhielten, deren schriftstellerische und verlegerische Tätigkeit zu innen- und außenpolitischen Verwerfungen führten. Der Umgang der bernischen Behörden mit Autoren und Verlegern, welche die deutsche Zensur durch die Konstituierung einer exilliterarischen Öffentlichkeit zu umgehen versuchten, die Maßnahmen, mittels derer Verleger und Redakteure, welche linksliberalen, kommunistischen oder anarchistischen Positionen zu Publizität verhalfen, juristisch sanktioniert wurden, stehen dabei im Zentrum der Analyse. Erste Sondierungen haben gezeigt, wie inkonsistent sich die Bernische Pressepolitik im interessierenden Zeitraum gestaltete und in welchem Maße sie zum Gegenstand publizistischer Kampagnen wurde, in denen die Pressefreiheit als Fundament eines republikanisch organisierten Staates verteidigt bzw. gefordert wird. Letztere bilden ebenfalls einen Gegenstand der Untersuchung.

Moravian Lives - Die Lebensläufe der Herrnhuter Brüderunität als Quellen kulturhistorischer Forschungen

Prof. Dr. Silvia Serena Tschopp

 

Das Projekt, das von einem internationalen wissenschaftlichen Netzwerk, bestehend aus US-amerikanischen, skandinavischen und deutschen Forscherteams sowie Spezialisten für Digital Humanities getragen wird, dient der (digitalen) Erschließung und der Erforschung von Lebensläufen Angehöriger der Herrnhuter Brüderunität. Die über 60‘000 seit dem 18. Jahrhundert überlieferten, in europäischen sowie US-amerikanischen befindlichen Lebensläufe bilden eine faszinierende serielle Quelle, die nicht nur in digitaler Form für die Forschung zugänglich gemacht, sondern unter vielfältigen Aspekten analysiert werden soll. Im Vordergrund stehen gegenwärtig folgende thematischen Schwerpunkte: In Anbetracht der sich aus Missionstätigkeit und einem weltumspannenden Netz von Brüdergemeinden ergebenden, in den Lebensläufen vielfältig dokumentierten Mobilität der Angehörigen der Herrnhuter Brüderunität interessieren erstens Aspekte interkultureller Wahrnehmung bzw. kulturellen Transfers. Mit Blick auf die bemerkenswert aktive Rolle von Frauen innerhalb der Herrnhuter Brüderunität und der umfangreichen pädagogischen Aktivitäten der Herrnhuter erscheinen zweitens für die Gemeinschaft konstitutive Geschlechterkonzepte und Auffassungen von Kindheit und Alter bedeutsam. Die (nicht nur) innerkirchliche Kommunikation mitsamt den dem Austausch zwischen den Gemeinden dienenden publizistischen Instrumenten sowie religiöse Vorstellungen und Praktiken und deren Signifikanz für konfessionsspezifische Identitätsbildungprozesse bilden aktuell weitere Schwerpunkte.

 

Romantiker_innen kritisch beobachten. Eine Herkunftsgeschichte rechtsextremer Mythologien 1800–1945

Berit Tottmann, M.A.

 

Ich möchte im Rahmen meines Promotionsprojektes rechtsextreme Äußerungsmodi vom Beginn der Moderne bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts epistemisch sichtbar machen und rechtsextreme Mythologien in Form einer Herkunftsgeschichte der menschenverachtenden Diskurse sowie Praktiken des modernen Denkens in der europäischen Romantik historisieren. Als theoretische Grundlage des Dissertationsvorhabens habe ich den Konstruktivismus als Modell der Betrachtung von Geschichtlichkeit gewählt. Die Zeitgenoss_innen, die ihre ›Wirklichkeiten‹ durch das geschriebene Wort konstruierten und konstituierten, lassen sich als Beobachter_innen ihrer Zeit interpretieren, die ich selbst rekursiv beobachten möchte. Dabei gehe ich von einer hypothetisch angenommenen Vielfalt romantischer Denkformationen aus, die in einem Zusammenschluss aus Historischer Diskursanalyse und Roland Barthes Mythentheorie untersucht werden, um so Mytheme der Romantik erfolgreich rekursiv mit der Diskursoberfläche des 20. Jahrhunderts verbinden zu können und um so eine Herkunftsgeschichte der selbigen von etwa 1800 bis 1945 nachzeichnen zu können. Dabei interessiert, welche Prozesse der Differenzierung, der Segmentierung, der Gestaltung des Anderen auftauchen, welche Diskurse verstärkt, negiert, ignoriert werden und welche sich mit der Zeit verlieren bzw. Bestand haben.

Mit dieser Arbeit intendiere ich, einen Beitrag zur kritischen Romantikforschung zu leisten und an eine Forschungskontroverse anzuknüpfen, die in meinen Augen bisher nicht hinreichend bearbeitet worden ist. Es sind aktuell in der historischen und literaturwissenschaftlichen Forschung deutliche Tendenzen zu sehen, dass die Romantik als eine methodologische Basis genutzt wird, ohne die kritische Perspektive auf dieses ideologische Feld des intrinsisch rechtsextremen Gedankengutes, das die Romantik (nicht unwesentlich) trägt, zu integrieren. Dem stelle ich meine Hypothese entgegen, dass die rechtsextremen Mythologien, welche die Grundlage der ideologischen Ausformungen dieses politischen Feldes bilden, ihre Herkunft in genau jenem problematischen Phänomen der Moderne haben – und das sich eben nicht mehr als die ästhetisch-neutrale Romantik beschreiben lässt.

"Zwischen Alterität und Union" – Koloniale Narrative in intraimperialer Reiseliteratur des 18. und 19. Jahrhundert

Matthias Lehmann, M.A.

 

Das Promotionsprojekt untersucht Erzählungen von Eigenheit und Fremdheit innerhalb von multiethnischen Imperien im Zeitraum von 1750 bis 1850. Im Fokus der Untersuchung stehen englische Perspektiven auf Schottland sowie österreichische Wahrnehmungen Ungarns. Untersucht werden diese Erzählmuster anhand von Reiseberichten, -briefen und -führern, welche als populäre Gattungen ihrer Zeit eine breite Rezeption erfuhren. In diesen werden als peripher beschriebene Landesteile, oft als Kolonien inszeniert, welche den Verfasser*innen fremd und zivilisierungsbedürftig erscheinen. Beide Herrschaftsbereiche - Großbritannien und die Habsburgermonarchie - weisen Konstellationen einer spezifischen internen Alterität auf, die in der räumlichen Nähe der so wahrgenommen Kolonien sowie in der politischen Struktur einer vermeintlichen Einheit liegen. Trotz geografischer und politischer (Teil-)Einheit finden sich in der Reiseliteratur erzählerische Dimensionen, welche koloniale Codes tragen und der Legitimierung imperialer Ordnung zu dienen scheinen. Sie besetzen die räumlich-politische Nähe durch Muster sozialer, kultureller, wirtschaftlicher oder religiöser Distanz um und schaffen damit Imaginationsräume des Fremden.

 

Das Forschungsprojekt befasst sich mit internen Konstellationen und Dynamiken, der im 18. und 19. Jahrhundert neu entstanden oder erweiterten Herrschaftsgebilde. Welche Formen von Fremddarstellungen und Selbstinszenierungen beinhaltet landesinternes Reiseschreiben und inwieweit waren diese mit dem politischen Konstrukt einer Union vereinbar? Welche Erzählmuster des Anderen werden im Quellenkorpus etabliert? Wie spiegeln sich Intentionen und Biografien der Autor*innen in den Texten? An welche Leserschaften waren die unterschiedlichen Figurationen der Reiseerzählung gerichtet und wie wurden sie rezipiert? Diese Fragen sucht das Forschungsprojekt durch eine hermeneutische Quellenanalyse ausgewählter Reisetexte zu beantworten. Theoretisch stützt das Projekt sich auf Forschung aus dem Feld postkolonialer Studien, insbesondere auf die Subaltern Studies sowie noch jungen Forschungslinien (post-)kolonialer Studien mit Fokus auf innereuropäischen Entwicklungen.

 

Zeitlich ist das Promotionsprojekt in Abschnitten imperialer Konsolidierung, der Ausbildung nationalstaatlicher Interessen, aber auch des Widerstandes gegen Zentralisierungsvorgänge angesiedelt. Grade im Zuge umfassender Ausdifferenzierungen von regionalen Identitäten im Europa des 21. Jahrhundert ist die Frage nach der historischen und erzählerischen Konstruktion von imperialen Selbstverständnissen, (gegenläufiger) Nationalidentitäten und ihren Ausgrenzungsmechanismen von besonderer Relevanz und Aktualität.

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