Reflexive Außenpolitik-Beratung

Projektbeschreibung

Um globale Herausforderungen bearbeiten zu können, sind außenpolitische EntscheiderInnen auf handlungsrelevantes Wissen angewiesen. Solches Wissen kommt unter anderem im Austausch mit wissenschaftlichen PolitikberaterInnen zustande. Damit sind Prozesse wissenschaftlicher Politikberatung auf unterschiedliche Weise am Zustandekommen außenpolitischer Entscheidungen beteiligt.
Allerdings führt „mehr Wissen“ nicht zwangsläufig zu einem besseren Umgang mit Problemlagen oder gar zu unmittelbaren Lösungen. Wissen schränkt Perspektiven auch ein, indem es die Wahrnehmung und Beschreibung von Problemen und Lösungswegen vorstrukturiert. Dementsprechend kann Politikberatung anhand etablierter Wissensbestände und Überzeugungen auch dazu führen, dass Ursachen nicht erkannt werden, Probleme sich verfestigen und neue, aber möglicherweise bessere Wege nicht beschritten werden. Solche Denkblockaden will Reflexive Politikberatung aufbrechen.

Gesellschaftlicher Wandel besteht nicht erst in beobachtbaren Veränderungen von sozialen Umständen, sondern beginnt bereits bei einer veränderten Betrachtungsweise von sozialen Zusammenhängen. Daher fragen wir im Sinne der reflexiven Politikberatung: Wie können unhinterfragte, vermeintlich gesicherte Wissensbestände aufgedeckt werden, die möglicherweise selbst zu einer Problemlage beitragen oder sie gar verschärfen? Wie können Beratungsstrukturen gestaltet werden, damit eine solche Reflexion aktueller Problem- und Krisenbeschreibungen in der deutschen Außenpolitik möglich wird?

In diesem Forschungsprojekt untersuchen wir daher die Frage: Welche Rolle spielt wissenschaftliche Politikberatung in der deutschen Außenpolitik und wie wird in den entsprechenden Beratungsprozessen mit Wissen umgegangen? Wird die Entstehung von Wissen als offen, ungesichert und wandelbar reflektiert? Welche Formen der Politikberatung sind diesem Verständnis von Wissen angemessen?

Reflexive Politikberatung bedeutet, die Umstrittenheit und Unsicherheit von Wissen und das Nicht-Wissen unmittelbar in den Beratungsprozess mit einzubeziehen. Weit verbreitete Annahmen, herkömmliche Problembearbeitungen oder etablierte Perspektiven werden in Frage gestellt. Zugleich bedeutet das, die selbst mitgestalteten wissenschaftlichen Beratungsprozesse reflexiv zu halten, also bewusst mit der eigenen Eingebundenheit in etablierte Erkenntnis- und Wissensstrukturen umzugehen.
Wir bezeichnen mit Reflexiver Politikberatung kein Beratungsmodell, sondern einen ständig veränderlichen Prozess des Umgangs mit Wissen, Unsicherheiten und Wissens-Kommunikation. Das Konzept "Reflexive Politikberatung" nimmt in diesem Projekt also die Rolle einer Forschungsperspektive ein.

Resilienz ist in den Sozialwissenschaften ein noch neues und umstrittenes Konzept. Resilienz verstanden als Widerstandsfähigkeit und/oder Anpassungsfähigkeit erfordert die Bestimmung einer Identität oder eines erwünschten Zustands. Dies ist bezogen auf soziale Systeme jedoch stets ungewiss und Gegenstand politischen Streits.
Vor diesem Hintergrund können auch SozialwissenschaftlerInnen keine abschließend resilienten Lösungen anbieten. Aber der Umgang mit politischem Streit, gegensätzlichen Situationsbeschreibungen und konkurrierenden Lösungsansätzen kann mehr oder weniger resilient vonstatten gehen.
Insofern bedeutet Resilienz aus unserer Sicht vor allem Offenheit für alternative Deutungsangebote und eine reflexive Wissens-Kommunikation. Gerade die globalen Problembeschreibungen in der Außenpolitik erfordern hohe Lern- und Anpassungsfähigkeit, um gestaltungsfähig zu sein. Kann Reflexive Politikberatung einen Beitrag dazu leisten?
Zu dieser Frage forschen wir unter anderem im Rahmen des bayerischen Forschungsverbundes

Literatur

  • Mehring, Fabian 2018: Funkenschlag zwischen Wissen und Macht. Eine Rekonstruktion der Prozesse, Wirkungen und Herausforderungen wissenschaftlicher Policy-Beratung deutscher Außenpolitik. Dissertation, Augsburg.
  • Rungius, Charlotte/ Schneider, Elke/ Weller, Christoph 2018: Resilienz - Macht - Hoffnung: Der Resilienzbegriff als diskursive Verarbeitung einer verunsichernden Moderne, in: Karidi, Maria/Schneider, Martin/ Gutwald, Rebecca (Hrsg.): Resilienz. Interdisziplinäre Perspektiven zu Wandel und Transformation, Wiesbaden: Springer, 33-59.
  • Rungius, Charlotte (Arbeitspapier): Making Sense of Scientific Policy Advice in a Post-Factual World. An Epistemological Inquiry.
  • Weller, Christoph/ Rungius, Charlotte 2017: Reflexive Politikberatung. Wandel erforschen und gestalten, in: Bayerischer Forschungsverbund ForChange (Hrsg.): Ergebnisse und Handlungsempfehlungen, München, 30-31.
  • Weller, Christoph 2017: Krisenprävention bedarf reflexiver Formen der Außenpolitikberatung“ erschienen im PeaceLab 2016 des Auswärtigen Amts zur Entwicklung neuer Leitlinien der Bundesregierung für Krisenengagement und Friedensförderung.
  • Rungius, Charlotte 2017: TTIP und die transatlantischen Beziehungen in einer geo-ökonomischen Weltordnung, in: Roos, Ulrich (Hrsg.): Deutsche Außenpolitik. Arenen, Diskurse und grundlegende Handlungsregeln, Wiesbaden.
  • Weller, Christoph 2016: "Im Resilienztunnel - Bitte nehmen Sie mal die Brille ab! Reaktion auf Meyens 'Verheißungen der Resilienz'" im Blog "Resilienz" des bayerischen Forschungsverbunds ForChange .
  • Rungius, Charlotte/ Schneider, Elke/ Weller, Christoph 2016: Resilienz - Macht - Hoffnung: Der Resilienz-Begriff als diskursive Verarbeitung einer verunsichernden Moderne, Blog des Forschungsverbundes ForChange .
  • Weller, Christoph 2016: "Resiliente Brexit-Reaktionen?" Beitrag im   „Resilienz“ des bayerischen Forschungsverbunds ForChange.
  • Roos, Ulrich/ Rungius, Charlotte 2016: Neue Macht, neue Mächte, gute Gründe? Rekonstruktion einer außenpolitischen Diskursoffensive in Deutschland, in: Zeitschrift für Außen- und Sicherheitspolitik (ZfAS), 1/2016, 39-78.
  • Rungius, Charlotte/ Weller, Christoph 2016: Die verheißungsvolle Schönheit der Resilienz: Zur Epistemologie eines Begriffs, Blog des Forschungsverbundes ForChange .
  • Weller, Christoph 2007: Bundesministerien, in: Schmidt, Siegmar / Hellmann, Gunther /Wolf, Reinhard (Hrsg.): Handbuch zur Deutschen Außenpolitik. Wiesbaden: Springer, 210-224.
  • Weller, Christoph 2004: Internationale Politik und Konstruktivismus. Ein Beipackzettel, in: WeltTrends Nr. 41, Winter 2003/2004, 107-123.
  • Weller, Christoph 2003: Praxisnahe Beratung: Die verschiedenen Blickwinkel auf Konflikte, in: Chojnacki, Sven / Eberwein, Wolf-Dieter / Mehler, Andreas (Hrsg.): Sich kreuzende Blickwinkel auf innerstaatliche Gewalt und Krisenprävention. Ein Workshopbericht. Berlin: Wissenschaftszentrum Berlin.
  • Weller, Christoph 2002: Das fehlende Kohärenzmanagement deutscher Außenpolitik, in: Entwicklung und Zusammenarbeit (E+Z) 43, 183.
  • Eberlei, Walter/ Weller, Christoph 2001: Deutsche Ministerien als Akteure von Global Governance: Eine Bestandsaufnahme der auswärtigen Beziehungen der Bundesministerien, INEF-Report 51. Duisburg: Institut für Entwicklung und Frieden.
  • Weller, Christoph 1999: Demokratie in der Globalisierungsfalle? Vom demokratischen Dilemma internationaler Politik zu den Demokratisierungschancen der Globalisierung, in: Greven, Michael T./ Schmalz-Bruns, Rainer (Hrsg.): Politische Theorie - heute. Ansätze und Perspektiven. Baden-Baden: Nomos, 415-443.

Ansprechpartner*in

Lehrstuhl für
Politikwissenschaft, Friedens- und Konfliktforschung

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