Abschlusstagung Projektphase I: Jüdische Emanzipation und Jüdische Renaissancen

Universität Augsburg 

Abschlusstagung vom 22. – 24. Februar 2022

 

Leitung: Bettina Bannasch, George Y. Kohler

 

 

In den ästhetischen und religionsphilosophischen Erneuerungsbewegungen um 1900 scheint das spezi­fisch Jüdische zunächst aufzugehen. Literaten und Philosophen der Jahrhundertwende sowie der Moderne verwenden den Begriff Emanzipation explizit nur selten. Das Phänomen gerade von gescheiterten jüdi­schen Emanzipationsprozessen wird aber oftmals zum Gegenstand ihrer literarischen und essayistischen Überlegungen. Der Emanzipationsdiskurs findet sich hier vermehrt verschränkt mit Fragen der Religions­freiheit, aber auch einer nihilistischen Abkehr vom Glauben. Nach der rechtlichen Gleichstellung der Juden in Deutschland 1871, spätestens aber nach 1933 wird die Forderung nach einem Bekenntnis zum Juden­tum auch, vielleicht sogar vor allem zu einer moralischen Verpflichtung. Die Erfahrung der Shoah bekräftigt die Verpflichtung auf die jüdische Gemeinschaft als Leidensgemeinschaft. Glaubensfragen werden fortan unter diesem Vorzeichen verhandelt: Dies betrifft Debatten um eine Sakralisierung der Shoah ebenso wie Abwendungen von jeglicher Art religiöser Erklärungsmodelle angesichts der Shoah wie auch für Rückbe­sinnungen auf die jüdische Tradition und Religion. Letztere begreifen sich nun nicht mehr als ‚emanzipa­torische‘, doch – wie etwa bei Aharon Appelfeld – unter Berufung auf Buber, Scholem, Bergmann und andere als „postassimilatorische“.

Die Unterscheidung in ‚deutschen‘ und ‚jüdischen‘ Geist kann als Indiz für Strategien der Selbstvergewis­serung verstanden werden, die im Kontext der jüdischen Emanzipation im 19. Jahrhundert entwickelt und bis in die 1930er Jahre hinein verhandelt werden. Dabei ist die zeitübergreifende, ungelöste Spannung aller emanzipativer Hoffnungen, zwischen Individuum und Kollektiv, für das erste Drittel des 20. Jahrhun­derts unter (religions-)philosophischer Perspektive noch genauer zu systematisieren. Der Niederschlag, den diese Spannung in den unterschiedlichen religionsphilosophischen und literarischen Strömungen fin­det, ist für das 20. Jahrhundert bis 1933 unter dem spezifischen Blickwinkel des Emanzipationsprozesses und dessen Einschätzung als gelungen oder gescheitert zu analysieren. Zu diskutieren sind in diesem Zu­sammenhang auch Diskurse und Texte, die sich in den Jahren nach 1933/1945 im Rückblick auf diese Aus­einandersetzungen beziehen.

In enger Verbindung mit dem Gedanken der Emanzipation steht auch der Begriff der politischen Freiheit, wie er vor allem von Hannah Arendt geprägt und zur Diskussion gestellt wurde. Mit der rechtlichen Gleich­stellung der Juden ergab sich nun dringend die Frage nach freier politischer Betätigung, nach jüdischer Beteiligung an übergreifender emanzipatorischer Politik, von der Frauenbewegung bis zum jüdischen En­gagement für Sozialismus und Revolution nach dem ersten Weltkrieg. Hier spielt aber auch der politische und juristische Kampf gegen Antisemitismus eine Rolle, der sich, zusammen mit dem allgemeinen politi­schen Engagement in zahlreichen Texten niedergeschlagen hat, die es zu untersuchen gilt. Schließlich stellt sich die komplexe Frage, inwieweit sich jüdische Emanzipation auch in den oft irrationalen Denk-Strömun­gen des 20. Jahrhunderts wiederfindet, inwieweit also jüdische Identitätsbildung bis 1933 von Aspekten mobilisierender Emotionen, psychologischer Dispositionen, nationalistischer Hoffnungen oder sozialer Ängste beeinflusst ist.

Die geplante internationale und interdisziplinäre Tagung, mit der die erste Phase der Zusammenarbeit der Gruppe im Februar 2022 gebündelt und abgeschlossen wird, leistet eine Fortsetzung der Präsentationen und Diskussionen, die im Rahmen der sechs Workshops erarbeitet wurden. Die Tagung legt die im Netz­werk erarbeiteten Resultate einem internationalen wissenschaftlichen Forum zur Diskussion vor und macht dessen Anregungen und Kritik für die zweite Projektphase nutzbar. Sie versteht sich zugleich als eine impulsgebende Verknüpfung der beiden Projektphasen.

Kontakt

Prof. Dr. Bettina Bannasch
Professorin
Neuere Deutsche Literaturwissenschaft 2
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  • E-Mail:
  • Raum 4031 (Gebäude D)

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