2. Workshop: Deutscher Geist - Jüdischer Geist
Universität Augsburg
Forschungskonferenz Deutscher Geist – Jüdischer Geist (9.-11. Januar 2019)
Leitung: Thomas Meyer / Itta Shedletzky
Keynote Astrid Deuber-Mankowsky (Universität Bochum)
Ein Gefühl der Fremdheit“. Anmerkungen zu Hermann Cohens Gelegenheitstext „Der Jude in der christlichen Kultur
Für die Forschungskonferenz möchten wir zwei Formationen des Feldes Deutscher Geist – Jüdischer Geist behandeln. Beide sind aufs engste miteinander verzahnt.
1.
1867, elf Jahre nach Heinrich Heines Tod, veröffentlichte Hermann Cohens (anonym) einen Aufsatz über Heinrich Heine und das Judentum. Dies war ein bemerkenswert subversiver Auftakt zur kontroversen Heine-Rezeption (ein Jahr vor der ersten quasi offiziellen Heine-Publikation durch Gustav Karpeles), in der deutscher und jüdischer Geist im Zusammenhang mit Emanzipation und/oder Religion eine zentrale Rolle spielen. Cohen untersucht die theologische Substanz in Heines Schriften, definiert seinen „jüdischen Pantheismus“ aufgrund der Geistesverwandtschaft zwischen Moses, Spinoza und Heine, in dessen „Hellenismus“ er die eigentlich jüdische Substanz seines Denkens sieht. Heine selber hat in seinen Schriften den kontroversen Spielarten seiner Rezeption fruchtbaren Vorschub geleistet. So definiert er in der Harzreise (1824, ein Jahr vor seiner Taufe) die Emanzipation als den aktuellen „heilgen Geist“. Dort, im Gedicht über die „Klausthaler Nacht“, beantwortet der Harzreisende die Gretchenfrage nach seinem Glauben: schon als Knabe glaubte er an „Gott den Vater“, später auch „An den lieben Sohn, der liebend/Uns die Liebe offenbart“ und zum Lohn „wie gebräuchlich“ gekreuzigt wird, glaubt jetzt vor allem an den heiligen Geist, der „erneut das alte Recht:/Alle Menschen, gleichgeboren,/Sind ein adliches Geschlecht“ und bekennt „Denn ich selber bin ein solcher / Ritter von dem heilgen Geist“. In den Geständnissen (1854) thematisiert er die Affinität zwischen dem Judentum und dem Protestantismus: „Es ist für den beschaulichen Denker ein wunderbares Schauspiel, wenn er die Länder betrachtet, wo die Bibel schon seit der Reformation ihren bildenden Einfluss ausgeübt auf die Bewohner, und ihnen in Sitte, Denkungsart und Gemütlichkeit jenen Stempel des palästinischen Lebens aufgeprägt hat, das in dem alten wie dem neuen Testament sich bekundet. […] Vielleicht liegt es nicht nur in der Bildungsfähigkeit der erwähnten Völker, dass sie das jüdische Leben in Sitte und Denkweise so leicht in sich aufgenommen. Der Grund dieses Phänomens ist vielleicht auch in dem Charakter des jüdischen Volks zu suchen, das immer sehr große Wahlverwandtschaft mit dem Charakter der germanischen und einigermaßen auch der celtischen Race hatte. Judäa erschien mir immer wie ein Stück Okzident, das sich mitten in den Orient verloren.“ Hier nimmt Heine gewissermaßen den problematischen Begriff von der „deutsch-jüdischen Symbiose“ im 20. Jahrhundert vorweg. Vor allem in der deutschen und deutsch-jüdischen Heine-Rezeption des 19. und 20. Jahrhunderts spalten, ja zersplittern sich die Geister, wann immer ihm die Zugehörigkeit zum deutschen oder jüdischen Geist zu- oder abgesprochen wird. Ein markantes Beispiel dafür ist die Debatte über die Errichtung eines Heine-Denkmals zu seinem 50. Todestag 1906.
Ein Jahr zuvor gibt es eine dominante Bezugnahme auf Heine in Freuds Abhandlung über den Witz und das Unbewusste von 1905. In Else Lasker-Schülers Werk spielt die ex- und implizite Bezugnahme auf Heine eine zentrale Rolle. Darüber hinaus thematisiert und problematisiert sie in ihrer zunehmend pointierten Hinwendung zum Jüdischen (Hebräische Balladen 1913, Der Malik 1919, Der Wunderrabbiner von Barcelona 1921, Arthur Aronymus 1932, Das Hebräerland 1937, IchundIch ca.1941) die Spannungen zwischen Deutschtum-Judentum und Judentum-Christentum. Ein markantes Beispiel ist die ambivalente Beziehung zwischen Jussuf und Giselheer im Malik (1919), wo u.a. die Faszination der Juden vom deutschen Geist problematisiert wird: „Und Jussuf Abigails spielerische Menschen erröteten im Angedenken der Schande, die ihnen einst Prinz Jussuf bereitet hatte, da Sein selig Herz den feindlichen Arierfürsten umgaukelte während des Krieges Ernst.“
2.
1916 erschien Hermann Cohens Schrift „Deutschtum und Judentum. Mit grundlegenden Betrachtungen über Staat und Internationalismus“ in einer „durchgesehenen, ergänzten und mit einem kritischen Nachwort als Vorwort“ versehenen Auflage. Laut dem publizierenden Verlag Alfred Töpelmann in Gießen, ging diese Auflage mit dem „9. und 10. Tausend“ in Druck. Diese heute äußerst seltene, maßgebliche Auflage der Schrift war wie die Erstausgabe in der Reihe „Von deutscher Zukunft“ erschienen, deren „1. Stück“ sie darstellte. Grundlage der Schrift war ein am 14. Oktober 1914 in der Berliner Kant-Gesellschaft gehaltener Vortrag Cohens „Über das Eigentümliche des deutschen Geistes“, der nur kurz darauf in wesentlich erweiterter Form in der Reihe „Philosophische Vorträge“ der Kant-Gesellschaft, der mit Abstand weltweit größten philosophischen Gesellschaft.
Cohens Bestrebungen einer Bestimmung des „deutschen Geistes“ aus jüdischer Perspektive
wurden in der rechten Presse aufmerksam verfolgt. Als der Philosophieprofessor Bruno Bauch sich positiv zu Cohens Überlegungen äußerte, wurde er äußerst scharf von der Publizistin Lenore Ripke-Kühn attackiert. Die Kontroverse, an dem sich jüdische und nichtjüdische Deutsche Intellektuelle und Professoren beteiligten, hatte die Spaltung der Kant-Gesellschaft, der größten philosophischen Gesellschaft der Welt, zur Folge. Eine Gruppe um Bauch gründete 1917 die „Deutsche Philosophische Gesellschaft“, die auch die einflussreichen „Beiträge“ bzw. ab 1928 die „Blätter für deutsche Philosophie“ bis 1945 herausgab.
Und schließlich fand am 1. November 1916 die sogenannten „Judenzählung“, eine zweite, geplante Zählung im Jahr darauf, ging wohl nicht über die Planung hinaus, die im deutschen Judentum den nachhaltigen Eindruck einer von deutscher, nichtjüdischer Seite unbedingten Sündenbocksuche hinterließ.
1916 wird so zu einem „Entscheidungsjahr“ (Eugen Werner Mosse/Arnold Paucker), dessen Fragen und Antworten bis 1938/39 eine wesentliche Rolle spielen
Die Forschungskonferenz Deutscher Geist – Jüdischer Geist will anhand der hier typologisch-historisch herausgestellten markanten Beispiele eine der zentralen Fragen nachgehen, die im „Zeitalter der Emanzipation“ (Max Wiener) auftauchten. Mit der Kombination von „Deutsch“ bzw. „Jüdisch“ mit „Geist“ wurde nicht nur auf philosophische Tradition zurückgegriffen, sondern sollte – noch allgemeiner gefasst – das vermeintliche „Wesen“ des „Deutschen“ oder „Jüdischen“ bestimmt werden. Dabei kam es zu den merkwürdigsten Argumentationen, die aber fast ohne Ausnahme als Insistieren von jüdischer Seite auf die natürliche Teilhabe am „Deutschen“ verstanden werden wollte bzw. verstanden wurde.
Und natürlich gab es in den diversen zionistischen und orthodoxen Kreisen eine scharfe Kritik an den Bemühungen „deutschen“ und „jüdischen Geist“ miteinander in Beziehung zu setzen oder mehr noch: auf die Frage nach einem „jüdischen Geist“ zu verzichten und stattdessen einen jüdischen Eigensinn (Nationalstaat, Sprache etc.) zu entwickeln.
Kontakt
- Telefon: +49 821 598 - 2778
- E-Mail: bettina.bannasch@philhist.uni-augsburgphilhist.uni-augsburg.de ()
- Raum 4031 (Gebäude D)