1. Workshop: Religion und Emanzipation im 20. Jhd.

Universität Augsburg 

Workshop vom 6. – 8. Juni 2018

Organisatorinnen: Prof. Dr. Bettina Bannasch / PD Dr. Doren Wohlleben

 

 

Jüdische Emanzipation, den Idealen der Französischen Revolution verpflichtet, steht im Spannungsfeld von Säkularisierung und Selbstbehauptung in einer christlichen Mehrheitsgesellschaft. Die deutsch-jüdische Literatur der Moderne ist, wie Itta Shedletzky gezeigt hat1, gekennzeichnet von dem Paradoxon, dass die Entfremdung von der Tradition, als Folge der Emanzipations- und Akkulturationsprozesse ebenso wie als Folge der antisemitischen Verfolgung, den deutsch-jüdischen Autorinnen und Autoren zugleich als Movens dient, sich mit der eigenen Tradition auseinanderzusetzen.

 

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts verschieben sich die Kontexte dieser Rückbesinnungen auf jüdische Tradition und Religion und nehmen ein ‚typisch modernes‘ Gepräge an: im Zusammen- und Widerspiel mit anderen religiösen Erneuerungsbewegungen, einschließlich der Lebensreformbewegungen, sowie in den künstlerischen Avantgarde-Bewegungen um 1900, in denen sich neue, säkulare und quasi-religiöse Erlösungsutopien artikulieren. Das Jüdische findet seinen Ort nicht zuletzt im Zionismus, dessen Vielstimmigkeit sich zu einem beträchtlichen Teil aus den heterogenen Bezugnahmen auf das religiöse Erbe speist.

 

In den ästhetischen und religionsphilosophischen Erneuerungsdynamiken scheint das spezifisch Jüdische zunächst aufzugehen. Dies mag ein Grund dafür sein, weshalb Literaten und Philosophen der Jahrhundertwende sowie der Moderne den Begriff ,Emanzipation‘ explizit nur selten verwenden, das Phänomen von (gescheiterten) jüdischen Emanzipationsprozessen aber oftmals zum Gegenstand ihrer literarischen und essayistischen Überlegungen werden lassen. Der Emanzipationsdiskurs findet sich hier vermehrt verschränkt mit Fragen der Religionsfreiheit, aber auch einer nihilistischen Abkehr vom Glauben.

 

Die Forderung, es sei unabhängig von jeder persönlichen religiösen Überzeugung ein klares Bekenntnis zur jüdischen Gemeinschaft abzulegen, artikuliert und verstärkt sich angesichts des wachsenden Antisemitismus’ der christlichen Mehrheitsgesellschaft. Mit der rechtlichen Gleichstellung 1871, spätestens aber seit 1933, wird die Forderung nach einem solchen Bekenntnis zur moralischen Verpflichtung; Akte der Distanzierung, des Austritts und der Konversion gelten als ‚Verrat‘.

 

Die Erfahrung der Shoah bekräftigt die Verpflichtung auf die jüdische Gemeinschaft als Leidensgemeinschaft. Glaubensfragen werden fortan unter diesem Vorzeichen verhandelt: dies betrifft Debatten um eine Sakralisierung der Shoah ebenso wie Abwendungen von jeder Art religiöser Erklärungsmodelle angesichts der Shoah wie auch für Rückbesinnungen auf die jüdische Tradition und Religion, die sich nun nicht mehr als ‚emanzipatorische‘, doch – wie etwa bei Aharon Appelfeld – unter Berufung auf Buber, Scholem, Bergmann und andere als „postassimilatorische“ begreifen.

 

Den dialektischen Dynamiken, die in diesen Prozessen der Aushandlung von Fragen der Zugehörigkeit zur jüdischen (Glaubens-)Gemeinschaft zu beobachten sind, soll anhand literarischer, philosophischer, kultur- und religionshistorischer Zeugnisse nachgegangen werden: Wie wird Emanzipation im 20. und 21. Jahrhundert – thematisch, aber auch formalästhetisch – verhandelt? Lässt sie sich im Sinne eines ästhetischen Befreiungsakts auch als Denkstil der Zeit, als Epochen-Signatur beschreiben? Auf welche religions- und kulturphilosophischen Diskurse wird Bezug genommen, und wie entstehen inner- und interreligiöse Wechselwirkungen?

 

Diesen Fragen stellt sich der interdisziplinäre Workshop, der vom 06.06. bis 08.06.2018 an der Universität Augsburg stattfindet und mit einem Vortrag von Nathanael Riemer eröffnet wird. Der Workshop bildet den Auftakt für die Zusammenarbeit einer interdisziplinären trilateralen (Israel/USA/Deutschland) Arbeitsgruppe, die sich dem Thema „Emanzipation nach der Emanzipation. Jüdische Geschichte, Literatur und Kultur von 1900 bis heute“ widmet.

 

[1] Itta Shedletzky: Existenz und Tradition. Zur Bestimmung des „Jüdischen“ in der deutschsprachigen Literatur. In: Deutsch-jüdische Exil- und Emigrationsliteratur im 20. Jahrhundert. Hg. v. Itta Shedletzky u. Hans Otto Horch. Tübingen 1993. S. 3-14.

Kontakt

Prof. Dr. Bettina Bannasch
Professorin
Neuere Deutsche Literaturwissenschaft 2
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