Tagung 'Haltung und Form'

Herzlich Willkommen und schön, dass Sie sich für die Tagung Haltung und Form interessieren.

Untenstehend finden Sie das Exposé zur Tagung sowie am Ende der Seite das Programm.

 

 

 

 

EXPOSÉ ZUR TAGUNG

(27.01.22-28.01.22)

 

Hier das Exposé als PDF

 

In einer zunehmend ausdifferenzierten und globalisierten Gesellschaft wird der Ruf nach Haltung immer lauter. Betrachtet man die gesellschaftspolitische Gemengelage aus Pandemiebewältigung, Kampf um Ressourcenverteilung und Nachhaltigkeitsdiskursen, scheint dieser Ruf durchaus berechtigt. Doch was verbindet sich mit der Forderung nach Haltung? Die vielfältigen, teils kontroversen Assoziationen, die mit dem Begriff verbunden sind, machen den spontanen Zugriff auf diese Forderung nicht eben leicht.

 

Das Bemerkenswerte an dem Begriff Haltung ist – und das macht ihn gegenüber Begriffen wie, attitude oder habitus durchaus attraktiv - dass er einerseits den geistig reflexiven Aspekt des Haltung findens betont, andererseits aber auch auf die durchaus körperliche Akzentuierung des Haltung einnehmens rekurriert. Haltung ist also weder nur einstudierte Körperhaltung, noch allein Ausdruck einer inneren politischen Einstellung gedacht als Gesinnung. Haltung kann das Ergebnis ethischer Reflexion sein, aber auch moralischer Setzung oder Gewöhnung und Disziplinierung. Sie ist ein relationales Phänomen und macht Sinn nur im Kontext des Handelns Anderer. Aufgrund dieser Bezüglichkeit scheint sie Voraussetzung eines sog. Umweltdenkens zu sein.

 

Sie kann das öffentliche Kapital von Intellektuellen oder in der Öffentlichkeit wirkenden Künstler*innen sein und ihnen eine bestimmte Haltung abverlangen, ihnen aber auch eine gesellschaftliche Position und Verhaltensweise zuerkennen, die anderen Personengruppen nicht ohne weiteres zugestanden wird. Haltung kann Standhaftigkeit in der Prinzipienfestigkeit offenbaren, sie kann sich aber auch als Haltung der gesinnungstreuen Kompromisslosigkeit als sperrig oder gar dogmatisch erweisen. Ist etwa Resilienz eine Haltung oder verhilft Haltung zur Resilienz? Müsste nicht auch Haltung als Form der Selbst(er)haltung nach gesellschaftlichen Krisen diskutiert werden?


Die Aufladung des seit der Antike bis in die Gegenwart hinein zirkulierenden Begriffs der Haltung kann selbst schon als eine „Haltungssehnsucht“ angesehen werden und zeigt mindestens die Notwendigkeit und Vielfältigkeit der Beschäftigung mit Begriff und Sache der Haltung in den Geistes- und Sozialwissenschaften und den benachbarten Disziplinen.

 

Offenkundig bedarf die Haltung einer interdisziplinär vermutlich einer transdisziplinären Haltung der Forschenden, denn eines scheint sicher: die Beschäftigung mit Konzeptionen der Haltung kann Aufschluss geben über die Verfasstheit und das Selbstverständnis gegenwärtiger Gesellschaften und deren Akteure.

 

Bei aller Vielfältigkeit ist aber vor allem interessant, dass in der Konzeption von Haltung immer auch ein Formaspekt mitgedacht ist. Ganz gleich ob es um ästhetische Schreibhaltungen, Inszenierungen von Körperformen im Bereich der bildenden Kunst oder der darstellenden Künste geht oder Rhetoriken der öffentlichen Rede. Die Form scheint Ausdruck einer Positionierung im öffentlichen Raum zu sein, die auf Prozessen einer geistigen, nicht selten auch einer ethischen Reflexion zu beruhen scheint. Gemäß Roland Barthes Vermutung: ‚In der Form zeigt sich das Ethos‘ sollen also insbesondere Formaspekte der Haltung untersucht werden, um auf diese Weise die enge Bezogenheit von geistigen Reflexionsprozessen und körperlichen Positionierungen herauszuarbeiten und um die hohe gesellschaftliche Relevanz des Formaspekts zu diskutieren.

 

Im Folgenden finden sich einige unterschiedliche Perspektiven, aus denen man sich dem Thema Haltung nähern könnte, sie verstehen sich als Diskussionsangebote und erste Strukturierung.

 

1. Haltung als Form – Positionsbestimmungen

Zunächst einmal würde es darum gehen, grundsätzliche Überlegungen zu Begriff und Konzept der Haltung zu diskutieren. Gibt es Zusammenhänge zwischen Haltung und Resilienz, welche alternativen Begrifflichkeiten können erwogen werden und welche Rolle spielen vor allem Aspekte der Form sowohl beim Prozess des Haltung findens als auch beim Haltung einnehmen.

 

2. Intellektuelle vs. Aktivisten

Welche Möglichkeiten der konkreten Positionierung im öffentlichen Raum gibt es, wie wird der Formaspekt genutzt, um eine geistige Haltung auszudrücken? Welche Autorisierungsaspekte liegen vor, wer berechtigt wen zu sprechen im öffentlichen Raum. Welche Rolle spielen Medialisierung und Digitalisierung? Wie unterscheiden sich politische Aktivisten von Intellektuellen in der Wahl ihrer Ausdrucksformen, aber
auch in den Erwartungen, die an sie herangetragen werden?

 

3. Professionalisierung und Haltung

Vermitteln bestimmte Berufe eine spezifische Haltung? Werden Inhaber bestimmter Berufe an ihrer Haltung erkennbar? Wie sieht es mit der Haltung in der professionalisierten Öffentlichkeit aus? Welche journalistischen Formate eignen sich, um Haltung auszudrücken. Welche Rolle spielt die Meinungsfreiheit, welche Rolle die Digitalisierung? Wie sieht es mit dem Ethos der Informationsvermittlung aus? Zu
fragen wäre aber auch nach der Rhetorik des öffentlichen Rechts oder öffentlicher, teils auch ethischer Entscheidungen, wie etwa durch den Ethikrat.

 

4. Bildungsaspekte

Haltung wird nicht nur erforscht, sie ist das Ziel des forschenden Wirkens. Der Leitbegriff des Grundgesetzes sei die Würde, aber als Haltung begriffen und die politische Bildung ziele auf die Vermittlung von Haltung. Die Haltung sei der Kern der pädagogischen Profession, heißt es in einem Papier der Gewerkschaft Erziehung und Unterricht von 2017. Welche Rolle spielt also Bildung bei dem Erwerb und der
Reflexion von Haltung. Kann Haltung sogar gelehrt, einstudiert, als Pose eingeübt werden, oder ist sie das Ergebnis von Erfahrung oder gar von Urteilskraft?

 

5. Identität und Haltung

Haltung scheint aber nicht nur in der Öffentlichkeit eine Rolle zu spielen, sondern betrifft auch den scheinbar privaten und intimen Raum. Interessant sind hier vor allem auch die Korrespondenzen zwischen privatem und öffentlichem Raum. Zu fragen wäre hier u.a. wie Menschen mit der phänotypischen Ausprägung des eigenen Geschlechts umgehen, welche Rolle Inszenierungspraktiken für die Vergewisserung der eigenen Identität spielen und inwiefern die Privatheit zum öffentlichen Statement wird. Im Bereich der künstlichen Intelligenz wäre zu diskutieren, ob ein humanoider Roboter von seinem Benutzer eine andere Haltung einfordert, wie etwa Respekt oder Zuneigung, als formlose Maschinen und ob an der Grenze von Mensch und Maschine die Frage nach Identität neu gestellt werden muss. Schließlich ist auch im Bereich der Animal Studies nachzufragen, welche Haltung nehmen wir als Mensch ein und wie machen wir diese gegenüber dem Tier sichtbar?

 

 

 

Programm der Tagung

Donnerstag, 27.01.2022

[9.00 – 12.30 Uhr]

  • 09.00 Uhr: Ankommen und Begrüßung
  • 09.30 Uhr: Prof. Dr. Marcus Llanque (Politische Theorie - Augsburg)
    Antigone und die Haltung der Kompromisslosigkeit
  • 10.30 Uhr: Prof. Dr. Stephanie Waldow (Neuere Deutsche Literaturwissenschaft/Ethik - Augsburg)
    „die politik hat ein formproblem“- Haltung und Form: eine soziale Utopie?
  • 11.30 Uhr: Prof. Dr. Frauke Kurbacher (Philosophie - Münster)
    Wie Relation denken? - Haltungsphilosophische Perspektiven

[14.00 – 17.00 Uhr]

  • 14.00 Uhr: Prof. Dr. Alexander Gallus (Politische Theorie und Ideengeschichte - Chemnitz)
    Intellektuelle oder Zum schwierigen Ort freischwebender Haltungskünstler
  • 15.00 Uhr: Prof. Dr. Katja Sarkowsky (Amerikanistik - Augsburg)
    ‚Haltung‘ und ‚Haltung als‘ im autobiographischen Schreiben
  • 16.00 Uhr: Prof. Dr. Rotraud von Kulessa (Romanische Literaturwissenschaft Französisch/Italienisch - Augsburg)
    Die Haltung des Autors und die Heteronomie des heutigen literarischen Feldes: Das Gesetz des Marktes

Freitag, 28.01.2022

[9.00 – 12.00 Uhr]

  • 09.00 Uhr: Prof. Dr. Dr. h.c. Heiner Bielefeldt (Menschenrechte und Menschenrechtspolitik - Erlangen)
    Das wackere und fröhliche Herz des tugendhaften Menschens. Haltung in der Ethik Immanuel Kants
  • 10.00 Uhr: Prof. Dr. Elisabeth André (Menschenzentrierte Künstliche Intelligenz - Augsburg)
    Künstliche Intelligenz und Demokratie: Chancen, Herausforderungen und Risiken
  • 11.00 Uhr: Prof. Dr. Annette Keck (Germanistik - München)
    Von Gussformen und Modulationen: Geschlecht und Haltung im Zeichen von Kontrollgesellschaften

[14.00 – 17.00 Uhr]

  • 14.00 Uhr: Prof. Dr. Mathias Mayer (Neuere Deutsche Literaturwissenschaft - Augsburg)
    Die Sprache einer Haltung: Zu Paul Celans Bremer Rede (1958)
  • 15.00 Uhr: Prof. Dr. Thomas Wild (Germanistik - New York)
    Im Aufbruch: Mit Ilse Aichinger ein Foto des Jahrhunderts betrachten
     

Organisation

Professorin
Neuere Deutsche Literaturwissenschaft (Ethik)
Lehrstuhlinhaber
Politikwissenschaft, Politische Theorie

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