CONTEMPO2 - Controlling temperature and oxygen
Projektteam:
- Prof. Dr. Jens Soentgen
- Prof. Dr. Matthias Schmidt
- Matthias Settele
Projektpartner:
- Lechwerke AG
- TU München
- Aueninstitut Neuburg an der Donau (KU Eichstätt-Ingolstadt)
- Umweltbildungszentrum Augsburg
- Fischereiverband Schwaben
- Stadt Gersthofen
Förderung:
- EU
- Lechwerke AG
Projektlaufzeit:
2023-2026
Die Auswirkungen des Klimawandels werden auch in Deutschland immer deutlicher sichtbar. Steigende Temperaturen, langanhaltende Hitzeperioden, Starkregen und andere Extremwetterereignisse stellen nicht nur für Menschen eine hohe Belastung dar, sondern werden auch für die Fließgewässerökosysteme in Bayern immer problematischer. Das EU-Projekt CONTEMPO2 versucht Lösungen für die ökologischen Probleme am unteren Lech zu finden.
Aufgrund des Klimawandels ist in den nächsten Jahren in europäischen Flüssen mit höheren Wassertemperaturen zu rechnen. Wasser mit einer höheren Temperatur löst deutlich weniger Sauerstoff, u.a. deshalb ist wärmeres Wasser für viele Gewässerorganismen, insbesondere für Fische, ein Problem. Die Europäische Wasserrahmenrichtlinie, die für Fließgewässer den „guten Zustand“ als Ziel vorgibt, umfasst bislang keine wasserbaulichen Handlungsempfehlungen oder Maßnahmenvorschläge für das Management der Wassertemperaturen und des Sauerstoffgehalts in Ausleitungsstrecken. Das Thema hat aber eine hohe nationale und internationale Relevanz, da aufgrund des Klimawandels die Erwärmung und der Sauerstoffgehalt in nahezu allen Flusssystemen ein Problem darstellen, wie in den letzten Sommern auch in Deutschland sehr deutlich wurde, als in manchen Flüssen aufgrund der hohen Temperaturen Sauerstoff knapp wurde und Fische starben. Hier setzt das Projekt CONTEMPO2 an und versucht neue Wege zu erproben, um die Lebewesen und Ökosysteme im und am unteren Lech zu stärken.
In dem Projekt sollen neue Lebensräume geschaffen und bestehende gestärkt werden. Das von der Lechwerke AG koordinierte und von der EU geförderte LIFE-Projekt wird in den nächsten Jahren gemeinschaftlich mit Kommunen, Behörden, Verbänden und Bürgern um und am Lech entwickelt und umgesetzt. Die Erkenntnisse des Vorhabens sollen europaweit auf vergleichbare Flüsse mit Ausleitungsstrecken übertragen werden. Die Projektkosten belaufen sich auf 7,2 Millionen Euro. Von diesen werden 60 Prozent durch die EU gefördert.
Trotz Klimawandel in Balance
Im Fokus stehen Flüsse mit Ausleitungskraftwerken wie am Lech zwischen Gersthofen und Meitingen. Ziel ist es, die Wassertemperaturen und den Sauerstoffgehalt aktiv zu beeinflussen und so in einem unkritischen oder jedenfalls für Fische erträglichen Bereich zu halten. Denn viele heimische Flussfischarten sind auf kaltes und sauerstoffreiches Wasser angewiesen. Außerdem sollen Maßnahmen ergriffen werden, die durch zusätzliche Auebäche den Flusslebensraum der Ausleitungsstrecke möglichst robust in Bezug auf die Folgen des Klimawandels gestalten. Gleichzeitig soll die zuverlässige Stromerzeugung durch Wasserkraft auch in Trockenperioden sichergestellt bleiben.
CONTEMPO2 kann damit zu einem Projekt mit Vorbildcharakter werden, das durch gezielte Maßnahmen zwei zentrale Herausforderungen der EU angeht: Die Sicherstellung einer nachhaltigen Energiegewinnung und die Stärkung der Flussökologie.
Neben der Gewässerökologie ist es Ziel des Projektes, den Lech und seine Probleme in Zeiten des Klimawandels stärker ins Bewusstsein der Menschen zu bringen, ihnen den Lech in jedem Sinne näher zu bringen. Daher spielt die sogenannte Sozialfunktion des Lechs als Naherholungsgebiet und Ort der Umweltbildung eine wichtige Rolle bei CONTEMPO2. Auch die Kooperation der Akteure vor Ort wird gefördert.
Integratives Projekt unter wissenschaftlicher Leitung
Entwickelt und umgesetzt wird das Projekt gemeinsam mit Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen. Beteiligt sind neben der Universität Augsburg auch noch die KU Eichstätt sowie die TU München, hinzu kommt u.a. für das Fischmonitoring der Fischereiverband. Die Universität Augsburg führt eine sozialwissenschaftliche Akteursanalyse durch, um die politischen Transformationsdebatten am Lech zu dokumentieren und zu analysieren. Damit soll das innerökologische Konfliktfeld zwischen klimafreundlicher Wasserkraftnutzung und Naturschutz besser überblickt werden und es können auch mögliche Kompromisse besser identifiziert werden.
Mit sozialwissenschaftlichen Methoden und Forschungskonzepten aus der Humangeographie und Transformationsforschung bzw. der politischen Ökologie werden die Akteure und Interessensgruppen im Projektumfeld am unteren Lech untersucht. Mithilfe von leitfadengestützten Interviews und einer anschließenden qualitativen Inhaltsanalyse können Wertvorstellungen, Interessen und Ziele der Stakeholder erfasst und ausgewertet werden.
Wer will welchen Lech?
Im Zuge der Stakeholder-Befragung wurden bisher ca. 30 qualitative, leitfadengestützte Experten-Interviews durchgeführt, in welchen mehr als 35 Personen zu Wort kamen. Der Leitfaden wurde mit Blick auf die Hauptforschungsfragen und die Ziele des Contempo2-Projekts erstellt und diente während der Gespräche als Orientierung. Ziel war dabei durch die vertiefte Analyse von Einzelfällen Einblicke in die soziale Realität der Stakeholder und ein Verständnis für ihr Handeln zu gewinnen. Die Gespräche waren im Durchschnitt etwa 45-60 Minuten lang. Etwa drei Viertel der Interviews wurden im direkten Gespräch durchgeführt, der Rest online via Zoom.
In der qualitativen Forschung werden einzelne Aussagen, z.B. die Interviews mit einzelnen repräsentativen Personen, als Indikatoren für ein allgemeines Konzept ausgewertet. Die Gespräche dienen dazu, die Wertvorstellungen, Ziele, Machtpositionen, Meinungen, Ansichten und persönlichen Einschätzungen der unterschiedlichen Akteure erfassen und analysieren zu können. Das Forschungsinteresse besteht darin, Erfahrungen und Einstellungen der Gesprächspartner bezüglich des Klimawandels und der Transformationen am Lech zu analysieren. Für ein derartiges Forschungsdesign sind teilstrukturierte Leitfadeninterviews gut geeignet. Durch den thematischen Fokus, die geringe Standardisierung der Interviewstruktur und die offenen Fragen ist es möglich, persönliche Einschätzungen und Ansichten zu erfragen. Die teils offene, teils standardisierte Form des Leitfadens ermöglicht es einerseits, auf die Besonderheiten jedes Interviewpartners einzugehen, gewährleistet aber andererseits auch eine Nachvollziehbarkeit der Methodik und Vergleichbarkeit der Ergebnisse. Zu Beginn des Jahres 2024 wird mit der Kodierung und Kategorisierung, also der Auswertung der Interviewaus-sagen begonnen. Hierbei werden die Gesprächsinhalte paraphrasiert und vorher definierten Kategorien zugeordnet, sodass das Vorgehen lückenlos nachvollzogen werden kann. Letztendlich können Gemeinsamkeiten und Kompromisse, aber auch bedeutende Hürden und potenzielle Konfliktfelder identifiziert werden, welche für den weiteren Verlauf der Projektumsetzung von Bedeutung sein können.
Der Lech im Klimawandel
Zusätzlich werden von Wissenschaftlern der Universität Augsburg Veranstaltungen im Projektumfeld geplant und durchgeführt, welche die Projektziele, die geplanten Maßnahmen und die für das Vorhaben relevanten Sachverhalte einer breiten Öffentlichkeit vorstellen und verständlich bzw. nachvollziehbar machen.
Am 26. April 2023 fand der erste CONTEMPO2-Workshop am Wissenschaftszentrum Umwelt statt. Der Workshop wurde von Matthias Settele organisiert und moderiert und
in Konzeption und Durchführung von Jens Soentgen und Matthias Schmidt unterstützt. Das Thema war die „Revitalisierung von Auwäldern“. Die Veranstaltung wurde inhaltlich durch vier Vortragende gestaltet. Dr. Thomas Henschel (Bayerisches Landesamt für Umwelt) sprach über „Auen in Bayern: Vielfalt und Entwicklungspotentiale“. Prof. Dr. Bernd Cyffka (Katholische Universität Eichstätt-Ingolstadt) berichtete über die „Dynamisierung der Donauauen zwischen Neuburg und Ingolstadt“ und sein Kollege Sebastian Blaß gab Einblicke in weitere „EU-Projekte an der Donau und am Lech“. Den Abschluss der Veranstaltung bildete der Vortrag von Gunther Wölfle (Wasserwirtschaftsamt Donauwörth) zum Thema „Die wasserwirtschaftlich-ökologische Entwicklung der Iller“.
Der zweite Projekt-Workshop zum Thema „Der Lech im Klimawandel“ fand am 18. Juli 2023 statt. Thematisiert wurden die Einflüsse, welche der Klimawandel auf das lokale Klima im Augsburger Umland und ganz besonders auf die Fließgewässerökosysteme in Bayern ausübt. Dabei ging es nicht nur um Entwicklungen am bzw. über Wasser, sondern auch um jene unter Wasser. Prof. Dr. Ralf Ludwig (Ludwig-Maximilians-Universität München) sprach über „Klimawandel und Extremereignisse: Risiken und Herausforderungen für Bayerns Flüsse“. Romy Wild (Technische Universität München) gab detaillierte Einblicke in die Arbeit des Lehrstuhls für aquatische Systembiologie unter der Leitung von Prof. Dr. Jürgen Geist und referierte zum Thema „Klimawandeleffekte in Fließgewässerökosystemen: Räumliche, zeitliche und organisatorische Aspekte“. Den Abschluss der Veranstaltung bildete Christian Witt (Fischereifachberatung Bezirk Schwaben) mit seinem Vortrag „Gewässer und Fische in der (Klima-)Krise“.
Ausblick
Nachdem 2023 die empirischen Grundlagen für das sozioökonomische Monitoring erarbeitet werden konnten wird 2024 die qualitative Inhaltsanalyse folgen, welche sich an den von Philipp Mayring beschriebenen Methoden orientiert. Die Kodierung und Kategorisierung der Gespräche macht dabei den Anfang. Letztendlich können dann die gewonnenen Erkenntnisse der Akteursanalyse beschrieben und – im Sinne der politischen Ökologie – in die größeren Zusammenhänge lokaler, regionaler und globaler Perspektiven eingebettet werden.
Die Workshop-Reihe wird 2024 fortgesetzt. Während die ersten Vorträge in den Räumen der Universität Augsburg stattfanden und einen Einblick in die komplexe Welt bayerischer Fließgewässerökosysteme und der Energieerzeugung durch Wasserkraft gaben, sollen im Laufe des Jahres 2024 die ersten Workshops auch im CONTEMPO2-Projektgebiet angesiedelt werden.
Publikationen:
- Settele, M. (2023): Rezension von: Herbert Friedmann: Vom Wildfluss zur Kraftwerkstreppe. Umweltgeschichte des Lechs, in: Berichte. Geographie und Landeskunde, Band 96, Heft 2, S. 185-186.
- Settele, M. (2024): Das Augsburger Wassermanagement-System. Eine historische Verbindung mit Wasser in Zeiten des Klimawandels. In: Antonia Hager, Bernd Paulowitz, Dr. Matthias Ripp (Hg.): Kulturerbe - Klimazukunft – Wertekonflikte. Regensburg: Verlag Schnell & Steiner (im Druck).
- Soentgen, J. (2023): Vom Naturschutz zur Produktion von Natur. In: Merkur, Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken, Nr. 890, 77. Jahrgang.