Die Forschungsarbeit des Lehrstuhls zielt auf:

 

  • Die konkrete Analyse der breiten mittelalterlichen Überlieferung in Texteditionen, Archiven, Museen und Baudenkmälern in europäischer Perspektive.
  • Die enge Vernetzung der verschiedenen Forschungsprojekte untereinander. Dabei schließen wir auch ambitionierte Bachelorarbeiten mit ein.

 

Die Forschung des Lehrstuhls richtet sich auf eine 1000jährige Epoche europäischer Geschichte (ca. 500 bis 1500 n. Chr.). Es gilt, Spezialisierungen so zu verbinden, dass sie im Zusammenspiel ein Verständnis des Mittelalters und seines besonderen Beitrags zur europäischen Geschichte befördern. Das Forschungsinteresse richtet sich auf die politische Geschichte, die Kultur- und Kirchengeschichte und in jüngerer Zeit auch auf die Wirtschaftsgeschichte. Sie werden in einer Verbindung von archivgestützter Quellenarbeit und vergleichender Interpretation in europäischer Perspektive analysiert.

Im Zentrum stehen dabei die Akteure des Mittelalters (Männer und Frauen) und ihre Bemühungen, sich in einer komplexen, unsicheren und uns vielfach fremden Umwelt zu behaupten.

Quellennähe und Vernetzung

Die Forschungen am Lehrstuhl für Mittelalterliche Geschichte sollen neue Fragestellungen und neue Arbeitsfelder erschließen und sie sollen den interessierten Studierenden die Möglichkeit geben, ihren eigenen Forschungsbeitrag zu leisten oder vorzubereiten. Im Rahmen der universitären Lehre möchten wir die Studierenden neben der Vermittlung von Grundkenntnissen über die Epoche für die Herausforderung gewinnen, die eigenen Fragestellungen an das Mittelalter heranzutragen und  sie darin unterweisen, diese Fragestellungen mit eigener Kompetenz zu bearbeiten. Dabei kommt sowohl der angeleiteten als auch der selbständigen Quellenarbeit eine zentrale Rolle zu. Die Universität Augsburg strebt den Ausbau digital gestützter Lehre an. Multimediale Online-Angebote, wie etwa die am Lehrstuhl konzipierte und betreute können dabei unterstützen.

 

Die konkreten Forschungen gelten den Quellen und der Geschichte des Bistums Augsburg von seiner Entstehung bis in das 15. Jahrhundert, der Auswertung des Archivs Konrads von Weinsberg, des „Finanzministers″ der deutschen Könige, und der Entstehung politischer Gesellschaften in Deutschland, England und Frankreich in vergleichender Perspektive (beides im späten Mittelalter). 

 

Die Arbeit mit den Beständen der Augsburger Archive galt der Ausbildung einer eigenen reichsstädtischen Schriftlichkeit im späten Mittelalter und der Rolle dieser Überlieferung im städtischen Leben und für die Regierung der Stadt. Dabei stehen die regionalen Augsburger Untersuchungen in einer vergleichenden Perspektive, um die Ursachen der Veränderungen präziser zu fassen. Die Erschließung der Urkunden des Augsburger Domstiftsarchivs lässt die personalen Verbindungen allmählich hervortreten, in denen sich die Entscheidungsträger der Augsburger Diözese im hohen und späten Mittelalter bewegten, und erlaubt so die Einordnung alltäglicher und bedeutender Entscheidungen in bislang wenig fassbare familiäre und Besitzstrukturen. Die Einbindung in einen globalen Horizont wurde für die Zeitgenossen des 14. Jahrhunderts durch die grausame Erfahrung der Pest evident. Die Untersuchung richtet sich auf die Frage, ob diese „Globalisierungserfahrung“ den Verschriftlichungs- und Kontrollschub befördert hat, der in der Überlieferung des 14. Jahrhunderts erkennbar ist und der eine Parallele in den modernen bürokratischen Erfahrungen hat.

 

 

Von Augsburger Bischöfen, Handschriften, Frauen und der Frage nach der Dynamik des Zusammenlebens im späten Mittelalter

 

Als fortlaufendes "Work in Progress" werden in einem DFG-Projekt die Regesten der Augsburger Bischöfe im hohen und späten Mittelalter am Lehrstuhl bearbeitet (Leitung: Prof. Dr. Thomas M. Krüger); es erschien 2015 bereits die zweite Auflage des Einführungsbuchs Handschriften des Mittelalters: Grundwissen Kodikologie und Paläographie (mit 7 Lehrfilmen auf DVD) unter weitgespannter Beteiligung auswärtiger Experten (konzipiert und herausgegeben von PD Dr. Mathias F. Kluge); eine dritte, erweiterte Auflage erschien 2019. Der einführende Sammelband diente zudem als Grundlage für den inzwischen realisierten Relaunch des Web-Portals www.mittelalterliche-geschichte.de, einer digitalen Einführung in das Studium der Mittelalterlichen Geschichte. Durch eine stetig wachsende Zahl an fachwissenschaftlichen Gastbeiträgen wird diese kostenlose und frei zugängliche Plattform fortlaufend ergänzt bzw. erweitert.

 

Die im November 2017 veröffentlichte Untersuchung zur Rolle des Reiches in der spätmittelalterlichen Stadt (Diss. Daniela Kah) konzentrierte sich in starkem Maße auf deren Sach- und Bauüberlieferung; auch die zweibändige Erschließung und Transkription der Augsburger Baumeisterbücher für das 14. Jahrhundert konnte im Herbst 2017 veröffentlicht werden (Diss. Dieter Voigt), und die Untersuchung spätmittelalterlicher Handelsrouten im Tiroler Alpenraum wurde ebenfalls erfolgreich abgeschlossen und 2019 publiziert (Diss. Manuel Widmann).

Einen weiteren Schwerpunkt bildet in jüngerer Zeit die Erforschung des menschlichen Zusammenlebens, der sozialen Ordnung und Dynamik im frühen und im späten Mittelalter. So stehen etwa die Formen und Funktionen physischer Gewalt im Selbstverständnis deutscher Ritter im ausgehenden Mittelalter im Fokus eines Projekts (Diss. Florian Dörschel). Gewalttätige Auseinandersetzungen zwischen königlichen Verwandten prägen auch die Geschichte Englands im Spätmittelalter. Die hierarchisch abgestufte, dynastische Rangordnung zwängte alle Angehörigen der Königsfamilie in ein starres, geschlechtsspezifisches und normatives Rollen-Korsett. Nicht immer erwiesen sich die angeborenen Rollen als glücklich. Das dynastische Prinzip kannte auch Verlierer/innen. Ausgehend von diesem Befund analysiert eine 2020 begonnene Studie am Beispiel der Plantagenets familiale Rollenkonflikte und den persönlichen Preis dynastischer Königsherrschaft im spätmittelalterlichen England (13. bis 15. Jahrhundert) (Diss. Philipp Müller-Augustin).

 

Eine weitere, 2018 bereits erfolgreich abgeschlossene und verteidigte Qualifikationsarbeit widmete sich indes der Untersuchung der Geschichte religiöser Frauengemeinschaften und des Dominikanerordens im spätmittelalterlichen Augsburg (13. bis 15. Jahrhundert) (Diss. Florian A. Dorn). Im Rahmen dieses Projekts entstanden auch aufschlussreiche Regesten zur Geschichte des Frauenklosters St. Ursula in Augsburg. Ein weiteres Projekt mit Lokalbezug erforscht das Leben und Wirken des Augsburger Bischofs Burkhart von Ellerbach (1373-1404) (Diss. Rebekka Gampel). Eine weitere Qualifikationsstudie mit lokalem Themenschwerpunkt nimmt den Augsburger Dom als soziales, wirtschaftliches und religiöses Zentrum im Spätmittelalter (Diss. Jakob Rasch) in den Blick.

 

Dass theologischer Anspruch und (orts-)kirchenpraktische Realität auch im Spätmittelalter nicht immer ganz deckungsgleich waren, zeigt das Projekt Reform und Visitation im spätmittelalterlichen Bistum Eichstätt unter der besonderen Berücksichtigung der Visitation des Chorherrn Johannes Vogt von 1480 (Diss. Andreas Schießler). Inwieweit das kirchen-politische Martyrium im 15. Jahrhundert eine neue gesellschaftlich relevante Dimension erfuhr wird erforscht (Diss. Armin Bergmann) und mit Blick auf das späte Mittelalter stellt sich grundsätzlich die Frage, ab wann wir überhaupt von europäischen Gesellschaften sprechen können (Prof. Dr. Martin Kaufhold).

 

Ein jüngeres Projekt nimmt die Beziehungen zwischen Augsburg und Venedig im 15. Jahrhundert in den Blick (Diss. Philipp Werner). Dabei soll besonders auch die transalpine Vernetzung von „Waren, Wissen, Menschen“ im Spätmittelalter herausgearbeitet werden, der facettenreiche „Kulturaustausch“ zwischen dem römisch-deutschen Reich und Italien. Mit Kultur- und Wissenstransfer befasst sich auch ein frühmittelalterliches Promotionsprojekt, dass die mitunter spannungsreichen Diskurse um Kulturen, Wissen und Erinnerungen im spätkarolingischen Rom (858-882) (Diss. Johannes Kroh) herausarbeitet. Die Konflikte mit den verschiedenen karolingischen Teilreichen Westeuropas, Mährern und Bulgaren auf dem Balkan, dem Byzantinischen Reich im Osten und den fragmentierten Herrschaften Süditaliens förderten die Reinterpretation alter, die Nutzung wiedergefundener (teils gefälschter, teils authentischer) sowie die Niederschrift neuer Texte im hegemonialen Diskurs um die Ordnung der Welt, das korrekte Verständnis des christlichen Glaubens und die Bedeutung gemeinsamer Vergangenheiten und Geschichtsbilder.


Die Frage nach der Rolle der Finanzen in der Politik der deutschen Könige und nach den Veränderungen, die die Geldwirtschaft in der europäischen Politik herbeiführte, war die Frage der HabilitationsprojektsVerschuldete Könige. Geld, Politik und die Kammer des Reiches im 15. Jahrhundertvon PD Dr. Mathias F. Kluge. Dieses Vorhaben, das den „Finanzhunger der Herrscher im 15. Jahrhundert“ untersuchte, konnte bereits 2017 durch ein Feodor Lynen-Forschungsstipendium der Alexander von Humboldt-Stiftung unterstützt werden. Für das Jahr 2018/19 konnte zudem die Förderung durch ein Junior Fellowship des Historischen Kollegs in München gesichert werden. Ende November 2018 konnte das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden. Der Druck ist in Vorbereitung und für 2020 in der renommierten Reihe der Monumenta Germaniae Historica (MGH) Schriften geplant (Verschuldete Könige. Geld, Politik und die Kammer des Reiches im 15. Jahrhundert, (= MGH Schriften, Bd.  77), Harrassowitz Verlag, Wiesbaden vorauss. 2020).

 

Suche