Eisenbahnlinien in Britisch-Indien (bis 1879) und Telegraphenseekabel bis zum Ersten Weltkrieg

Michael Wobring

Das indische Eisenbahnnetz

Die Verwirklichung einer Kolonialwirtschaft war nur mit der Hilfe von Kommunikations- und Verkehrsinfrastruktur möglich. Über die interkontinentalen Telegraphenverbindungen und die telegraphischen Binnennetze (nicht in der Karte dargestellt) wurde Kolonialwirtschaft koordiniert. Mittels Eisenbahn und Schifffahrt (Küsten- und Seeschifffahrt) wurden die Transaktionen realisiert (Schiffahrtsrouten nicht in der Karte dargestellt). Hierzu zählte auch der Bau von Häfen, Kanälen, Schleusen, Brücken und Straßen. Die Funktion der Infrastruktur aller Art bestand darin, den Kolonialraum zwecks besserer Anbindung an den britischen Wirtschaftsraum zu durchdringen.
 

Neben anderen britischen Kolonien behauptete das Indische Reich, das 1857 aus der Herrschaft der East India Company in die Krone übergegangen war, insofern eine Sonderstellung, als neben dem Kaiserreich Indien rund 450 indische Fürstentümer bestanden.

Nachdem entsprechende Planungen bereits zur Mitte der 1830er Jahre mit dem Aufkommen der ersten Eisenbahnen in Europa eingesetzt hatten, wobei entscheidende Anstöße von Londoner Wirtschafts- und Politikkreisen ausgegangen waren, begann Großbritannien in den 1850er Jahren erste Bahnstrecken in Britisch-Indien zu bauen und errichtete hier bis zum Ersten Weltkrieg eines der größten Eisenbahnnetze der Welt. Dabei standen kolonialwirtschaftliche und -politische Interessen Großbritanniens und nicht die verkehrsinfrastrukturelle Entwicklung der Region im Vordergrund. Gleiches gilt für den Aufbau des Telegraphennetzes.

Da Britisch-Indien Ausgangspunkt der gesamten Kolonialaktivität Großbritanniens im hinterindischen Raum war, wurden diese Systeme ebenfalls zu Hilfsmitteln für diese Aktivitäten.
 

Generell gestaltete sich der Eisenbahnbau in den Kolonien deutlich kostenintensiver als in den Industriegesellschaften, da vor Ort viele der notwendigen Voraussetzungen fehlten. Beispielsweise existierten in Indien, wie auch in anderen Kolonialgebieten, keine Schwerindustrie, kein Lokomotiv- und Waggonbau und auch keine nennenswerte Kohleförderung, so dass man nahezu sämtliche Bau- und Betriebsstoffe aus Großbritannien in das Kolonialgebiet transportieren musste. Hinzu kam, dass Eisenbahnanlagen, ebenso wie Telegraphenlinien, bei politischen Unruhen immer wieder attackiert wurden, wie z.B. im Sapoy-Aufstand von 1857/58.

Das erforderliche Kapital stammte fast ausschließlich vom Londoner Kapitalmarkt, wo staatlich garantierte Dividenden den wichtigsten Investitionsanreiz bildeten. Bis 1879 war die indische Eisenbahn der Hauptinvestitionsgegenstand des britischen Kapitalexports in die Kolonie, doch erst seit Beginn des 20. Jahrhunderts konnte man mit dem indischen Eisenbahnsystem tatsächliche Gewinne erwirtschaften.
 

Die Aufgabenverteilung zwischen den privaten Eisenbahngesellschaften und der indischen Regierung wechselte mit unterschiedlichen Prioritäten und Strategien bei Konzeption, Bau, Verwaltung und Betrieb der Anlagen, wobei neben ökonomischen Interessen immer auch kolonialpolitische wirksam wurden, da die Eisenbahn, wie in anderen Kolonialgebieten auch, als Hilfsmittel für die politisch-militärische Kontrolle begriffen wurde. In diesem Kontext spielte beispielsweise der Sapoy-Aufstand 1857/58 eine wichtige Rolle, weil die Kolonialmacht das damals mit ca. 480 Streckenkilometern nur schwach ausgebaute Eisenbahnnetz im Zuge der Niederschlagung der Revolte als großen Nachteil empfand.
 

Von den Eisenbahn-Fernstrecken, die die indischen Metropolen vernetzten und diese an die Häfen des Weltseeverkehrs anbanden, profitierte vor allem die Kolonialwirtschaft. Beispielsweise konnte seit 1870 mit dem Aufeinandertreffen der Great Indian Peninsular Eisenbahn mit der East India Eisenbahn in Jubbolpur ein Teil der Güterausfuhr Kalkuttas über Bombay realisiert werden, was Seeweg und Transportdauer erheblich verkürzte. Dies war auch für das Baumwolle produzierende Hinterland bedeutsam, das durch die Eisenbahn mit Zentren wie Bombay verbunden wurde.
 

Literaturhinweis:

  • Thorner, Daniel: The Pattern of Railway Development in India, in: The Far Eastern Quarterly 14 (2/1955), S.201-216.
  • Headrick Daniel: The Tentacles of Progress. Technology Transfer in the Age of Imperialism 1850-1940, New York 1988, S. 49-78.

Telegraphenseekabel in Britisch-Indien

Zeitgleich zu den ersten Kabelprojekten im Nordatlantik wurden auch erste Kabelverbindungen nach Indien realisiert, deren Kapazitäten bis zum Ersten Weltkrieg kontinuierlich ausgebaut werden sollten. Neben anderen britischen Kolonien behauptete das Indische Reich, das 1857 aus der Herrschaft der East India Company in die Krone übergegangen war, insofern eine Sonderstellung, als neben dem Kaiserreich Indien rund 450 indische Fürstentümer bestanden.

Indien war für Großbritannien das wichtigste Produktions- und Ausfuhrland für Baumwolle, Jute, Tee und Getreide. Der britisch-indische Handel hatte bereits im Jahre 1858 ein Volumen erreicht, das mit rund siebzehn Millionen Pfund sogar das Volumen des US-amerikanisch-britischen Handels übertraf, das sich im selben Jahr auf 14,5 Millionen Pfund belief.
 

Die britisch-indischen Kabelverbindungen dienten nicht nur dem Telegrammverkehr zwischen Großbritannien und Indien, sondern auch dem Nachrichtenverkehr mit den hinterindischen Räumen, deren Kommunikationsbedarf seit dem ausgehenden 19. Jahrhundert zunehmend stieg.
 

Ein wichtiger Impuls für die Verbesserung der Kommunikation mit der indischen Kolonie ging vom Sapoy-Aufstand 1857 aus. Dieser hatte gezeigt, wie empfindlich der Kontakt zwischen Mutterland und Kolonie gestört werden konnte. Die Notwendigkeit, die Kommunikationsverbindungen sowie den Transport (vgl. auch Eisenbahnbau) in den Kolonialraum mit allen Mitteln zu verbessern, trat in Großbritannien zunehmend mehr ins Bewusstsein von Politik, Wirtschaft und Öffentlichkeit.


Mehr noch als die Errichtung von Transkontinentalleitungen bedeutete die Verlegung von Seekabeln eine große technische und finanzielle Herausforderung. So scheiterten beispielsweise die ersten Versuche zur Seekabelverlegung im Mittelmeer und Roten Meer, weil man das Problem der Kabelbeschädigung durch Riffe und Korallenbänke noch nicht hinreichend lösen konnte. Somit ging 1865 als erste direkte Telegraphenverbindung von Großbritannien nach Indien eine Transkontinentalroute, die so genannte "Türkenlinie", in Betrieb, die über das Osmanische Reich und Persien führte. Deren Leistungen blieben jedoch weit hinter den Erwartungen zurück, weil technische und organisatorische Probleme dazu führten, dass die Telegramme viele Tage unterwegs und oft auch langsamer als die konventionelle Briefpost waren, die nach Ägypten verschifft wurde.
 

Erst nach der Öffnung des Suezkanals (1869) gelang der entscheidende Durchbruch. Im Jahre 1870 konnten zwei leistungsstarke Telegraphenleitungen in Betrieb genommen werden: eine erste Seekabelverbindung der Eastern Telegraph Company (vgl. die Isolierung der Seekabel mit Guttapercha) sowie eine transkontinentale Linie der Indo-European Telegraph Company, deren Planung und Bau maßgeblich in den Händen von Siemens lag: die so genannte "Siemens-Linie". Damit war das Telekommunikationsproblem mit Indien prinzipiell gelöst, und der Nachrichtenverkehr zwischen Mutterland und Kolonie erfuhr eine entscheidende Beschleunigung.

In den folgenden Jahrzehnten kam es zu zahlreichen Kapazitätsausbauten auf einzelnen Teilstücken der Seekabelroute zwischen Gibraltar, Malta, Suez, Aden und Bombay. Über Indien hinaus verlegten Tochtergesellschaften der Eastern Telegraph Company Kabelverbindungen in die hinterindischen Räume zur Anbindung Südostasiens, Ostasiens und Australiens (vgl. auch die Entwicklung des Weltkabelnetzes in den Jahren 1880 und 1914). Diese Erweiterungen korrelierten mit der zunehmenden Bedarfsentwicklung der britisch-indischen Wirtschaft, die nach 1870 stark expandierte.
 

Der britisch-indische Telegrammverkehr bestand, wie auch anderswo, zu über 95 Prozent aus Wirtschaftstelegrammen, wobei das auf Europa und die USA gerichtete Telegrammaufkommen der hinterindischen Räume zunehmend an Bedeutung gewann.


Literaturhinweise:

  • Museum für Kommunikation (Hrsg.): In 28 Minuten von London nach Kalkutta. Gesammelte Aufsätze von Hans Pieper, Bern 2000.
  • Wobring, Michael: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert, Frankfurt/Main 2005.

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