Großbritanniens Seekabel bis zum Ersten Weltkrieg
Die interkontinentalen Seekabel waren bis auf wenige Ausnahmen in den Händen privater Telegraphenbetriebsgesellschaften. Ordnet man die Seekabel dieser Unternehmen den jeweiligen Nationen zu, in denen diese ihren Sitz hatten, dann läßt sich die kommunikationstechnische Einbindung der führenden Welthandels- und Industriemächte in vier Karten darstellen.
Diese Aufteilung darf jedoch nicht den Eindruck erwecken, daß die Zeitgenossen nur auf den Kabeln der Telegraphenbetriebsgesellschaften der jeweils eigenen Nation Telegramme versenden konnten. Der Telegrammbetrieb wurde auf den Kabeln der Gesellschaften anderer Nationen sowie der innerstaatlichen Binnennetze weitergeleitet. Für die Nutzer machte sich das durch höhere Gebühren und längere Telegrammlaufzeiten (GB-Indien, GB-New York) bemerkbar. Diese Aufteilung des Weltnetzes ist also in erster Linie ein Blick der Forschung.
Nach der Jahrhundertwende kam es jedoch aufgrund eines Vorfalls, der "Telegraphenzensur von Aden", zu einer starken Politisierung der Kabelfrage unter den Kabelmächten, vor allen Dingen in Frankreich und Deutschland. Die Abhängigkeit der Kabelmächte von England, das allein über ein unabhängiges Weltnetz mit allen Interessengebieten in direkter Verbindung stand, trat voll ins Bewußtsein und beeinflußte die Kabelpolitik bis zum Ersten Weltkrieg.
Großbritanniens Seekabelnetz bis zum Ersten Weltkrieg
Als einzige Macht der Welt verfügte Großbritannien über ein interkontinentales Seekabelnetz, das unabhängig von den Kabelbeständen der Telegraphengesellschaften anderer Mächte war. Britische Kabelgesellschaften betrieben Kabel in allen Räumen der Welt. Der Aufbau des Weltnetzes richtete sich nach den britischen Überseeinteressen. Auch quantitativ besaßen die britischen Gesellschaften mit Abstand die meisten Kabel. Der britische Anteil am Weltnetz umfaßt vor dem Ersten WK ca. 55 Prozent. Das Zentrum des britischen Weltnachrichtenverkehrs war London.
Die Verlegung von Seekabeln durch britische Unternehmen hatte 1851 Jahre mit einem ersten Seekabel im Ärmelkanal seinen Anfang genommen. Britische Pioniere waren an den ersten Versuchen zur Verlegung von Kabeln im Atlantik beteiligt. Ebenso wichtig für Großbritannien war die telekommunikationstechnische Anbindung Britisch-Indiens. In beiden Räumen wurden die Kapazitäten bis zum Ersten Weltkrieg erweitert. Die Telekommunikationsanbindung nach Indien wurde ausschließlich von Großbritannien dominiert.
Seit Beginn der 1870er Jahre wurden die Kabelverbindungen in die hinterindischen Räume, Südostasien, Ostasien und Australien ausgebaut. Zur selben Zeit erfolgten Kabelverlegungen in Westindien, die in den 1870er Jahren entlang der Südamerikanischen West- und Ostküste weitergeführt wurden.
Seit den 1880er Jahren erfolgte die kabeltechnische Anbindung Afrikas. Hierbei standen britische Kolonialinteressen im Vordergrund. Von Aden aus wurden Kabelverbindungen entlang der afrikanischen Ostküste bis Durban verlegt und von Dakar aus entlang der Westküste bis Kapstadt.
Während dieser Zeit war die Eastern Telegraph Company mit ihren zahlreichen Tochtergesellschaften zur mächtigsten Telegraphenbetriebsgesellschaft der Welt aufgestiegen. Am Beginn des 20. Jahrhunderts, vor dem Hintergrund des Burenkrieges, realisierte die Eastern eine Kabelverbindung von Großbritannien nach Kapstadt über St. Vincent und Ascension. Eine Verbindung von Südafrika nach Australien über Mauritius und die Cocos Inseln wurde zur selben Zeit realisiert. Der letzte große Raum, der vor dem Ersten Weltkrieg erschlossen wurde, war der Pazifik. 1902 kam es in einem britisch-kanadisch-neuseeländisch-australischen Gemeinschaftsprojekt zur Herstellung eines ersten transatlantischen Kabels.
Bis zu dieser Zeit waren alle britischen Interessengebiete in den britischen Kabelbestand eingebunden. In vielen Räumen bestand die Möglichkeit, Telegramme, je nach Telegrammaufkommen und Bedarf, auf unterschiedlichen Wegen an den Bestimmungsort zu leiten. Z.B. konnten Telegramme von Australien nach Europa den Weg über das Mittelmeer nehmen oder über transkontinentale Routen über Indien oder Sibirien laufen. Alternativ stand die Seekabelroute über den Pazifik zur Verfügung. Die Telegramme wurden transkanadisch über den Nordatlantik nach Europa übertragen. Auch über das afrikanische Kap wurden Telegramme, wenn auch sehr wenige, von Australien nach Europa geleitet.
Die größte britische Telegraphenbetriebsgesellschaft war die Eastern Telegraph Company. Ihr Chairman John Pender (1816 - 1896), der das Imperium bis zu seinem Tod leitete, war der mächtigste Mann im interkontinentalen Telekommunikationsgeschäft. Mit ihren zahlreichen Tochtergesellschaften war die Eastern in allen Räumen der Welt etabliert (außer im Nordaltantik). Die größte Kabelproduktionsfirma war die Telegraph Construction and Maintenance Company. Von ihr wurden die meisten Kabel, die im Weltnetz verlegt wurden, nicht nur die der britischen Gesellschaften, produziert.
Literaturhinweise:
- Neutsch, Cornelius: Erste "Nervenstränge des Erdballs": Interkontinentale Seekabelverbindungen vor dem Ersten Weltkrieg, in: Teuteberg, Hans-Jürgen/ Neutsch, Cornelius (Hrsg.) Vom Flügeltelegraphen zum Internet. Geschichte der modernen Telekommunikation, Stuttgart 1998, 47-66.
- Wobring, Michael: Die Globalisierung der Telekommunikation im 19. Jahrhundert. Pläne, Projekte und Kapazitätsausbauten zwischen Wirtschaft und Politik. Frankfurt/M 2005.
- Barthy-King, Hugh: Girdle Round the Earth. The Story of Cable and Wireless and its predecessors to mark the group's jubilee 1929-1979, London 1979.
- Röper, August: Unterseekabel, Leipzig 1910.
- Roscher, Max: Die Kabel des Weltverkehrs hauptsächlich in volkswirtschaftlicher Hinsicht, Berlin 1911.