Entwicklung der Eisenbahnnetze 1860-1913

Welteisenbahnstatistik. Michael Wobring

Vom Ausbau der Eisenbahnnetze ging in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine kaum zu überschätzende Wirkung auf das Weltverkehrssystem und die Weltwirtschaft, aber auch den Nachrichtenverkehr aus. Die Eisenbahn konnte starke Wachstumsimpulse für den Güter-, Personen- und Postverkehr bieten, weil sie diese zu relativ geringen und zunehmend sinkenden Preisen in nie zuvor gegebener Regelmäßigkeit, Häufigkeit und Zuverlässigkeit über immer größere Entfernungen hinweg zu transportieren vermochte. Die Entwicklung der Eisenbahnnetze stand in enger Wechselwirkung mit der Entwicklung von Industrie und Handel. Dabei bildeten Eisenbahn- und Dampferlinien ein fein aufeinander abgestimmtes globales Verkehrsnetz, das Menschen, Güter und Post an alle größeren Orte der Welt brachte. In seinen Knotenpunkten war dieses Weltverkehrssystem mit den Telegraphenstationen des seit 1902 bestehenden Welttelegraphennetzes verbunden, das Land- und Seetelegraphenlinien verknüpfte und schriftliche oder bildliche Nachrichten zuerst binnen weniger Stunden, später in Minutenschnelle rund um den gesamten Globus senden konnte. In der 2. Hälfte des 20. Jahrhunderts wurde der weltumspannenden Telegrammverkehr zunehmend auch durch das Telefax unterstützt, nachdem Ende der 50er Jahre die (leitungsgebundene) interkontinentale Telefonie eingesetzt hatte.
 

Vor dem Ersten Weltkrieg war die weltweite Dichte der Eisenbahnnetze regional sehr ungleichmäßig entwickelt. Das höchste Niveau wiesen die europäischen Industriestaaten und die USA auf, wohingegen in weiten Teilen der europäischen Kolonialgebiete in Afrika und Asien, anders als z.B. in Britisch-Indien, der Eisenbahnbau kaum eingesetzt hatte. Großbritannien, das bereits 1825 die erste Eisenbahnverbindung gebaut hatte, verfügte bis zum Ersten Weltkrieg weltweit über die größte Netzdichte.
 

Die erste Aufbauphase des Weltschienennetzes lag zwischen 1840 und 1860. In dieser Zeit verzwölffachte sich der weltweite Schienenbestand von knapp 9.000 auf über 106.000 Kilometer. Zwischen 1860 und 1880 verdreifachte er sich auf rund 320.000 km und verdoppelte sich von 1880 bis zur Jahrhundertwende. Bis zum Ersten Weltkrieg wuchs er noch einmal um die Hälfte des Bestandes von 1900, so dass das Welteisenbahnnetz von 1914 rund 1.102.000 Kilometer umfasste.

In den USA und in Europa wurden die meisten Streckenkilometer zwischen 1840 und 1880 aufgebaut. Bis zum Ersten Weltkrieg verlangsamte sich das prozentuale Wachstum, während auf anderen Kontinenten erst in den letzten Jahrzehnten des Jahrhunderts der Eisenbahnbau einsetzte und um die Jahrhundertwende starke prozentuale Wachstumsraten aufwies.
In Lateinamerika begann der Ausbau der Eisenbahnlinien in den 1860er Jahren. Vor dem ersten Weltkrieg verfügten die lateinamerikanischen Staaten mit 112.040 km knapp über 10 Prozent des Weltschienennetzes.

Um 1860 besaß Britisch-Indien als einzige Region Asiens eine" in britischer Regie erbaute, mit britischem Kapital finanzierte und britisch kontrollierte" Eisenbahn. Der Aufbau in anderen asiatischen Ländern setzte erst um 1880 ein und verstärkte sich vor dem Ersten Weltkrieg kaum. So verfügte Britisch-Indien um 1914 über etwa 60 Prozent des asiatischen Schienennetzes.

Japan errichtete staatliche Eisenbahnlinien, um die wichtigsten Plätze des Landes zu verbinden. Hinzu kamen Kolonialbahnen, etwa in Korea (bis zum Zweiten Weltkrieg japanische Kolonie) von Pusan (Südostküste) nach Seoul. Von dort aus bestand vor dem Ersten Weltkrieg eine Verbindung nach Mugkden (China) mit Anschluß an die transsibirische Eisenbahn bis Europa.
 

Der Eisenbahnbau in Afrika begann in Ägypten, wobei die Verbindung zwischen Alexandria und Suez eine überaus wichtige Transitstrecke für den Postverkehr zwischen Europa und Asien und Australien darstellte. Als wichtiger Handelspartner der europäischen Industriestaaten verfügte Südafrika jedoch bis 1914 über mehr Schienenkilometer als Ägypten. Ingesamt lagen vor dem Ersten Weltkrieg nur vier Prozent des Weltschienenbestands in Afrika, davon etwa 40 Prozent in Südafrika und 13 Prozent in Ägypten.
 

Literaturhinweise:

  • Pohl, Hans: Aufbruch der Weltwirtschaft, Stuttgart 1989, S. 226f.
  • Woodruff, William: Impact of Western Man. A Study of Europe's Role in the World Economy 1750-1960, London 1966.
  • Hennig, Richard: Die Hauptwege des Weltverkehrs, Jena 1913.

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