Die wechselhafte Geschichte der Brotvermehrungskirche in Tabgha

Beitrag von Ulrike Renz-Smietana

 

Bereits in der Spätantike galt Tabgha am Ufer des Sees Genezareth als Stätte der „Speisung der Fünftausend“. In den Evangelien finden sich mehrere Varianten dieser Erzählung, doch es bleibt unklar, ob die Begebenheit tatsächlich in Tabgha stattfand. Obwohl im Laufe der Jahrhunderte ver-schiedene Orte am See Genezareth als Stätte von Jesu wundersamer Brot- und Fisch-vermehrung diskutiert wurden, kann die Brotvermehrungs-kirche in Tabgha auf die längste Tradition des christlichen Ge-denkens der „Speisung der Fünftausend“ zurückblicken.

 

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Abb. 1: Außenansicht der modernen Kirche.

 

 

Das frühe Kirchengebäude

Am Ende des 4. Jahrhunderts n. Chr. verfasste Egeria (auch Aetheria), die das Heilige Land als Pilgerin besuchte, einen Reisebericht und erwähnte darin auch eine Kirche in Tabgha. Sie beschrieb einen Steinblock in der Kirche, auf dem Jesus während der „Speisung der Fünftausend“ das Brot abgelegt haben soll, und der zu Egerias Zeit als Altar genutzt wurde.

 

Dieses Kirchengebäude, ein kleiner, einschiffiger Bau aus der 2. Hälfte des 4. Jahrhunderts, wurde um 419 n. Chr. aller Wahrscheinlichkeit nach durch ein Erdbeben teilweise zerstört. Um 480 n. Chr. wurde an derselben Stelle eine weitaus größere Kirche errichtet; eine dreischiffige, byzantinische Basilika, die zudem mit einem breiten Querschiff und zwei Seitenkapellen versehen war. Im Osten und Westen schlossen sich an die Basilika verschiedene Räumlichkeiten an, die wohl handwerklichen und liturgischen Zwecken dienten. Sogar eine Olivenpresse mit zwei Lagerräumen fand sich dort. Diese Räumlichkeiten könnten zu einem Kloster gehört haben, dessen Mönche sich um die christlichen Pilger kümmerten, die ihren Weg in die Brotvermehrungskirche fanden. Die Mönche boten den Pilgern, wie an Pilgerorten üblich, sicherlich auch in Tabgha Begleitung und Herberge.

 

Der Fußboden der Basilika war mit verschiedenen, detailrei-chen Mosaiken versehen. Ein Motiv stellt symbolisch die Brot-vermehrung dar, in Form eines Brotkorbes, flankiert von zwei Fischen. Die Mosaike in den beiden Seitenschiffen zeigen das Motiv einer Nillandschaft mit realistisch ausgearbeiteten Pflan-zen und Vögeln, unter anderem Lotusblüten und einem Flamingo, der mit einer Schlange kämpft. Auch ein Nilometer, ein Wasserstandsanzeiger, ist in Form eines Turmes dar-gestellt. Spätantike Mosaiken mit Nillandschaften finden sich zwar eher in Privathäusern als an heiligen Orten, doch wahrscheinlich war die Nähe von Tabgha zum See Genezareth und damit die Nähe des Ortes zum Wasser ausschlaggebend für die Motivauswahl: Möglicherweise waren die Auftraggeber des Mosaikbodens auch für die Bewässerung der Umgebung zuständig. Eine andere Deutung sieht in diesem Motiv wiederum Anklänge an „exotische“ Paradiesvorstellungen, aufgrund der Darstellung einiger Tiere und Pflanzen, die zwar typisch für den weit entfernten Nil, aber in der Gegend um Tabgha nicht heimisch sind.

 

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Abb. 2: Altar in der heutigen Kirche, darunter der Stein, auf den Jesus das Brot gelegt haben soll, und davor die symbolische Mosaikdarstellung der Brotvermehrung aus dem 5. Jahrhundert.



Zu Beginn des 7. Jahrhunderts fielen Perser während des Römisch-Persischen Krieges in Palästina ein und zerstörten viele christliche Klöster und Pilgerstätten. Es ist nicht ganz klar, ob die Brotvermehrungskirche bereits zu dieser Zeit vollständig zerstört wurde oder ob ein Erdbeben im 8. Jahrhundert für den endgültigen Zerfall des Gebäudes ausschlaggebend war. Die Kirche wird zwar möglicherweise noch in einer arabischen Quelle aus dem 10. Jahrhundert erwähnt, doch scheinen in dieser Zeit höchstens noch Mauerreste vorhanden gewesen zu sein, und der genaue Standort des Gebäudes geriet in den folgenden Jahrhunderten in Vergessenheit. Was aber blieb, war die Erinnerung an die Kirche und an Tabgha als den Ort von Jesu wundersamer Brot- und Fischvermehrung.

 

 

Die Wiederentdeckung          

Ende des 19. Jahrhunderts kaufte der deutsche Palästina-Verein – der sich später dem Deutschen Verein vom Heiligen Lande anschloss – ein Grundstück am See Genezareth und errichtete dort ein Pilgerhospiz. Auf diesem Grundstück stieß man bei Bauarbeiten in den 1890er Jahren auf die Mauern einer Kirche. Bei weiteren Grabungen im Jahre 1911 entdeckte ein Stipendiat der Görres-Gesellschaft (eine Vereinigung katholischer Akademiker) den Altar und verschiedene Mosaikreste der alten Brotvermehrungskirche. Daraufhin veranlasste die Görres-Gesellschaft zu Beginn der 1930er Jahre eine systematische, archäologische Untersuchung des Geländes, unter Leitung des Salvatorianers Andreas Evaristus Mader. Im Zuge dieser Grabung wurden die Grundmauern der byzantinischen Kirche und weitere Bodenmosaike freigelegt, und nur kurze Zeit später entdeckte man bei einer weiteren Ausgrabung auch die Grundmauern der wesentlich kleineren Vorgängerkirche aus dem 4. Jahrhundert.      
Weitere Grabungen folgten in den kommenden Jahrzehnten, bei denen die Reste beider Kirchengebäude genauer untersucht wurden und sich anhand zahlreicher Keramikfunde auch gute Datierungsmöglichkeiten ergaben.

 

 

Moderne Kirche auf alten Grundmauern     

Um die freigelegten Mauern und Mosaiken des alten Kirchengebäudes zu schützen und sie den Pilgern dennoch präsentieren zu können, hatte man bereits in den 1930er Jahren einen provisorischen Überbau, eine Art Notkirche, errichtet. 1979 entschied sich der Deutsche Verein vom Heiligen Lande jedoch, diese Behelfslösung durch einen neuen Kirchenbau zu ersetzen.

 

Zwei Kölner Architekten entwarfen die Pläne für das neue Gebäude im byzantinischen Stil, das 1982 fertiggestellt wurde. Die Mauern der neuen Kirche wurden zum größten Teil auf den Grundmauern aus dem 5. Jahrhundert errichtet, so dass der moderne Grundriss dem der spätantiken Basilika entspricht und die Fußbodenmosaike auf ihren ursprünglichen Plätzen belassen werden konnten. Nur das Mosaik der Brotvermehrung, das sich im alten Kirchengebäude hinter dem Altar befunden hatte, ziert nun den Fußboden vor dem Altar.

 

Der mittlere Eingang der Basilika wird heutzutage durch ein Bronzeportal verschlossen, das von dem Kölner Bildhauer Elmar Hillebrand entworfen wurde. Auf dem Portal sind verschiedene Stationen aus Jesu Leben und aus alttestamentlichen Geschichten dargestellt, das verbindende Element der Abbildungen ist mit der Thematik „Brot und Wasser“ verknüpft.

 

Im Jahre 1939 übertrug der Deutsche Verein vom Heiligen Lande die Betreuung der Stätte den Benediktinermönchen der deutschen Dormitio-Abtei in Jerusalem. 1954 wurde nahe der Brotvermehrungskirche ein Klostergebäude für die Mönche und ein Gästehaus errichtet. Beide Gebäude mussten 2012 abgerissen und durch einen Neubau ersetzt werden, da sie nicht mehr baulichen Sicherheitsanforderungen entsprachen.

 

Heutzutage leben etwa 20 Mönche der Dormitio-Abtei im Priorat Tabgha. Leider erregte die christliche Gemeinschaft in Tabgha das Missfallen einiger extremistischer Siedler aus dem Westjordanland: 2015 verübten sechzehn jugendliche Siedler einen Brandanschlag auf das Kloster, bei dem ein Mönch und eine Volontärin Rauchvergiftungen erlitten. Zwar wurde die Brotvermehrungskirche selbst kaum beschädigt, doch der Eingangsbereich des Klosters wurde stark in Mitleidenschaft gezogen: Das Atrium brannte vollständig aus und auch das Klosterportal wurde zerstört. Mit Hilfe von Spenden und finanzieller Unterstützung des Staates Israel konnten die Gebäude wiederaufgebaut und im Jahre 2017 eingeweiht werden.

 

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Brotvermehrungskirche Tabgha:

 

Öffnungszeiten: Montag - Freitag: 8.00 - 17.00 Uhr, Samstag: 8.00 - 15.00 Uhr, Sonntag: 11.00 - 17.00 Uhr.
Einlass jeweils bis 15 min. vor Schließung.

 

Adresse: Benedictine Monastery of Tabgha
P.O.B. 52, 1410001 Tiberias/ Israel

 

Tel.: +972 - 4 - 6678 - 100

 

Webseitehttp://www.dormitio.net/tabgha/tabgha.gottesdienste/index.html 

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Quellen

  • Egeria: Egeria's travels to the Holy Land. Newly translated with supporting documents and notes, übers. und komm. von John Wilkinson, Jerusalem / Warminster 1981.

 

 

Literatur

 

 

Abbildungen

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