Hebron und seine palästinensischen Viertel

Beitrag von Selena Ofer

 

Hebron ist mit 215.452 Einwohnern (Stand: 2016) die größte palästinensische Stadt im besetzten Westjordanland und der einzige Ort, in dem jüdische Siedler inmitten des Stadtzentrums leben. Dort ist das komplizierte Verhältnis zwischen Arabern und Israelis allgegenwertig.

 

Das Problem an Hebron ist, dass es viele Wahrheiten gibt. Es kommt immer wieder zu gewalttätigen Angriffen auf Menschen, die jeweils der anderen Partei angehören. Sowohl die Israelis als auch die Araber sehen sich im Recht und sind deswegen von der Richtigkeit ihrer Handlungen überzeugt. Das macht die Stadt zu einem der Brennpunkte des Nahost-Konfliktes.

 

Im Folgenden soll kurz, für ein besseres Verständnis der momentanen Situation, auf die Aufteilung des Westjordanlandes eingegangen werden. Anschließend wird die Sicht der Palästinenser, die in dem von Israelis besetzten Teil Hebrons leben, dargestellt.

 

 

Die Aufteilung des Westjordanlandes

Während des Sechs-Tage-Krieges, auch Junikrieg genannt, eroberte die israelische Armee 1967 unter anderem das Westjordanland und Ost-Jerusalem. Das von den Palästinensern bewohnte Gebiet unterlag von nun an der Besetzungs- und Siedlungspolitik der israelischen Regierung.

 

Es folgten weitere kriegerische Auseinandersetzungen, Aufstände und gewalttätige Übergriffe. In den 1990er Jahren kam es zu vielversprechenden Verhandlungen, die erstmals ein Ende des Nahost-Konfliktes in Aussicht stellten. Zunächst wurde im Oslo-Abkommen von 1993 eine Basis für weitere Gespräche über einen endgültigen Friedensschluss und für die Durchsetzung einer autonomen Selbstverwaltung der Palästinenser in den besetzten Gebieten geschaffen. Anschließend einigten sich die Palästinenser und Israelis in dem Übereinkommen von Oslo I und Oslo II auf konkrete Handlungsweisen, vor allem hinsichtlich der Zuständigkeiten im Westjordanland sowie im Gaza-Streifen. Diese wurden in A-, B- und C- Zonen aufgeteilt, in welchen der Palästinensischen Autonomiebehörde und dem Staat Israel je unterschiedliche Befugnisse anerkannt wurden. Für Hebron, das dem Gebiet A angehört, fand man eine Sonderregelung, da im Herzen der Altstadt radikale jüdische Siedler leben. Ihre religiösen und politischen Ansprüche verhindern bisweilen die vollständige Übergabe der Stadt an die Palästinenser.

 

Abb. 1: Die leeren Straßen in Hebrons H-1 Zone.

 

 

Das Hebron-Abkommen

Im sogenannten Hebron-Protokoll, das im Jahr 1997 unterzeichnet wurde, einigten sich beide Parteien auf Bedingungen für den israelischen Abzug aus Hebron und den Schutz für die in ihr lebenden Siedler. Die Stadt wurde nochmals in die Zonen H-1 und H-2 untergliedert (siehe Abb. 2). Die Zone H-1, die 80 Prozent Hebrons umfasst, unterliegt der Autorität der Palästinenser. Israel zog sich aus diesem Teil zurück, hat aber die Kontrolle über H-2, dem alten Stadtkern. Dort leben mehr als 20.000 Araber zusammen mit 480 radikalen Siedler, die von über 650 Soldaten bewacht werden.

 

 

Der Alltag in den palästinensischen Vierteln der besetzten Zone

Die Palästinenser sind in ihrer alltäglichen Lebensgestaltung sehr eingeschränkt. Um die Siedler zu schützen, werden immer wieder Ausgangssperren über die 20.000 Araber verhängt. Während sich außerhalb der Altstadt das Leben tummelt, verwandelt sich das Zentrum in eine Geisterstadt. Abgesehen von ein paar israelischen Soldaten, die auf den Straßen patrouillieren, ist niemand zu sehen.

 

Abb. 2: Die leeren Straßen in Hebrons H-1 Zone.

 

Nachts machen die Truppen hin und wieder Krach, werfen eine Blendgranate oder dringen in ein Haus ein. So lassen sie die Einwohner wissen, dass sie dauerhaft präsent sind. Ihr Ziel ist es, ihren Alltag zu stören und durch solche Aktionen keine Routine entstehen zu lassen.

 

Ein in Hebron stationierter Soldat, berichtete der Organisation „Breaking the Silence“[1], dass kaum ein Tag vergeht, an dem sie nicht irgendeinen Araber verprügeln oder ihm zumindest Schläge androhen. Liest man weitere Interviews, fällt auf, dass die meisten dort Stationierten sehr frustriert über ihre Situation sind. Sie erkennen den Sinn ihrer Arbeit nicht. Eine Soldatin erzählt, dass es eigentlich die Palästinenser seien, die ihren Schutz bedürfen. Die Juden machen was sie wollen und niemand interessiert es. So kam es beispielsweise mal dazu, dass ein kleiner Junge einer Siedlerfamilie sich sehr ärgerte, weil ein sechsjähriges palästinensisches Mädchen immerzu unter ihrem Haus vorbeiging. Vor lauter Wut nahm er einen Ziegelstein und schlug den Kopf des kleinen Mädchens blutig. Niemand tat etwas dagegen. Im Gegenteil, der Junge wurde im Nachhinein von seinen Eltern für sein Vorgehen gelobt. Nachdem die Soldatin mehrere solcher Erfahrungen machte, sagte sie, dass man nicht wisse auf welcher Seite man stehe. Dies sei das Seltsame an Hebron. „Ich soll gegen die Araber sein, weil sie meine Feinde sind, […] ich beginne zu denken, dass sie nicht in Ordnung sind, dass die Juden nicht in Ordnung sind“ (Breaking the Silence, S. 343).

 

Doch nicht nur die Kinder gehen so rigoros mit ihren arabischen Nachbarn um, sondern auch die Erwachsenen. Während man bei den Kindern eventuell noch unterstellen könnte, dass sie aufgrund ihres Alters nicht wissen was sie tun würden, kann man das bei den Männern und Frauen definitiv nicht mehr behaupten.

 

Allifa Jussif wohnt mit ihrer Familie am Fuß eines Hügels. Ihr Haus gleicht einem Gefängnis, denn der Hof des Gartens ist von allen Seiten vergittert. Der dicke Maschendrahtzaun soll sie vor den Siedlern schützen, die oberhalb von Allifa auf dem Hügel leben und immer wieder große Steine nach unten werfen. Manchmal kommen sie auch mit einem Bulldozer, der ihr Haus zum Einstürzen bringen soll oder bieten ihr viel Geld, damit sie endlich geht. Nur noch eines von zehn Zimmern ist bewohnbar, da die Siedler das Haus über die Jahre hinweg zerstörten.

 

Trotzdem gibt Allifa nicht auf. Sie verteidigt das Haus, wie es früher ihr Vater tat, der sich, als einmal der Bulldozer kam, vor das Gebäude stellte und meinte, sie müssten erst ihn töten, bevor sie sein Eigentum dem Erdboden gleichmachten. Daraufhin gaben die Siedler nach. Als der Vater schließlich einige Jahre später starb, feierten sie seinen Tod. Sie hofften, dass sie die fünfköpfige Familie nun endlich vertreiben konnten, doch dies war nicht der Fall. Über die ganze Zeit hinweg konnte Allifa nicht auf Hilfe hoffen und wird es ihrer Meinung nach auch in Zukunft nicht können.

 

 

Literatur

  • Muriel Asseburg und Jan Busse, Der Nahostkonflikt. Geschichte, Positionen, Perspektiven, Bonn 2016.
  • Breaking the Silance (Hrsg.), Breaking the Silance. Israelische Soldaten berichten von ihrem Einsatz in den besetzten Gebieten, Berlin 2012.
  • Reportage aus der Süddeutschen Zeitung vom 11. September 2001, Steine auf Allifas Haus. Augenschein in Hebron, von hrsg. Heiko Flottau (Die Eiserne Mauer. Palästinenser und Israelis in einem zerrissenen Land), Berlin 2009.
  • Ludwig Watzal, Feinde des Friedens. Der endlose Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern, Berlin 2001.

Abbildungen

  • Abb. 1 und 2: © Selena Ofer, März 2018.

 

[1] 60 ehemalige Soldaten der israelischen Armee stellten im Juni 2004 schriftliche Augenzeugenberichte und Fotografien aus, die ihren Wehrdienst im besetzten Hebron dokumentierten. Die Organisation beschreibt die Vorkommnisse aus der Sicht der Soldaten und dies natürlich anonym.

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