Bukowina-Deutsche

von Alexander Weidle

 

Der Begriff „Bukowina-“ bzw. „Buchenland-Deutsche“ dient in heutiger Verwendung als Bezeichnung der verschiedenen, primär deutschsprachigen Gruppierungen, die in direktem bzw. indirektem Bezug zur historischen Region der Bukowina stehen. Grundsätzlich abzielend auf die ehemalig bzw. gegenwärtig dort lebende deutschsprachige Bevölkerung, findet der Begriff heute auch Anwendung in der Selbst- und Fremdbezeichnung der Nachfahren der ehemaligen BewohnerInnen, insofern diese die „Bukowina“, die Geschichte und die kulturellen Einflüsse ihrer Vorfahren als prägend in Bezug auf die eigene Identität ansehen.

 

 

Historischer Überblick

Zeitlich grob gegliedert, reicht die vornehmliche „Epoche“ einer deutschsprachigen Besiedlung von 1775 (Jahr der Okkupation der Bukowina durch Habsburg) bis hin zur, im Rahmen des Hitler-Stalin-Paktes realisierten, ‚Umsiedlung‘ der Buchenlanddeutschen des Jahres 1940 (‚Heim ins Reich‘).

 

In der Zeit vor 1775 lebte in der Bukowina nur eine unwesentliche Anzahl deutschsprachiger Siedler. Mit der vertraglich legitimierten Okkupation der Bukowina durch die Habsburger, die das Gebiet vom Fürstentum Moldau mit Einvernehmen des Russländischen Reichs erhielten, wandelte sich diese Situation grundlegend. Mit dem Wunsch, aus der Region ein sogenanntes „Musterland der Monarchie“ zu formen, ging eine gezielte Anwerbung deutschsprachiger Siedler einher. Jenen wurden, abhängig von ihren beruflichen Qualifikationen, verschiedene Privilegien in Aussicht gestellt (z.B. Befreiung vom Militärdienst, Steuerminderungen, Bereitstellung von Grund, Haus, Geräten und Tieren etc.). Die Zuwanderung vollzog sich in mehreren Etappen. Im Anschluss an eine eher „wilde“ Besiedlung durch deutsche Handwerker, die während der Zeit der Militärverwaltung (1774-1786) in den Bauaufträgen der deutschen Beamten lohnende Verdienstmöglichkeiten sahen, folgte die gezielte Ansiedlung deutscher Bauern und ländlicher Handwerker, die vornehmlich aus Südwestdeutschland stammten. Bergleute aus der Zips (Oberungarn) und deutschböhmische Glas- und Waldarbeiter stellten die zweite bzw. dritte größere Gruppe dar. Durchweg besiedelten bürgerliche Schichten aus den Städten der gesamten Habsburgermonarchie die Region und trugen entsprechend zur ausgeprägten Multiethnizität der Bukowina bei, in der Ukrainer („Ruthenen“), Rumänen, Polen, Juden, Armenier, Ungarn, Slowaken, Tschechen, Lippowaner, Sinti und Roma und Deutsche lebten. In Czernowitz, der Hauptstadt der Bukowina, stellte die Deutsche Sprache um 1910 die am häufigsten verwendete Umgangssprache dar. Auf dem Lande wiederum bot sich ein anderes Bild: Hier wurde – entsprechend der verhältnismäßigen Bevölkerungszahlen – überwiegend Rumänisch bzw. Ukrainisch gesprochen. Von den ca. 800.000 Einwohnern der Bukowina, die in einer österreichischen Volkszählung des Jahres 1910 erfasst wurden, gaben 21,2% (davon 60% Juden) die deutsche Sprache als die primär verwendete an. Die deutschsprachigen Juden aus solchen Statistiken herausgerechnet, überstieg der Anteil der Deutschen an der Gesamtbevölkerung bis 1910 nie neun Prozent. Das Deutsche als Amtssprache (ab 1860 ergänzt durch Rumänisch und Ruthenisch), die Einrichtung der überwiegend deutschsprachigen Universität Czernowitz 1875 (der östlichsten deutschsprachigen Universität) sowie der – verglichen mit der restlichen Bevölkerungsschicht – verhältnismäßig hohe Bildungsgrad lassen sich als zentrale Ursachen für die außerordentliche Stellung der deutschsprachigen Kultur anführen. Vor allem die sozial, wirtschaftlich und kulturell aktiven Bukowiner Juden trugen maßgeblich zu Betitelungen der Bukowinischen Hauptstadt als „Klein-Wien“, oder „Babylon des südöstlichen Europas“ bei.

 

 

Zweiter Weltkrieg und Umsiedlung

Mit dem Untergang des Habsburgerreiches, der Angliederung der Bukowina an Rumänien (1919/1920) und der einsetzenden Rumänisierung erfolgte eine schrittweise Abnahme der zuvor durchaus rechtlich ermöglichten Multiethnizität. Von Einschränkungen betroffen waren nicht etwa nur Deutsche und Juden, sondern auch alle weiteren Minderheiten, die gemeinsam 60 % der Gesamtbevölkerung darstellten. Bewaffneter Widerstand, vor allem von ukrainischer Seite, die Reduzierung deutschsprachigen und ukrainischen Schulunterrichts und die Etablierung des Rumänischen als alleinige Amtssprache verstärkten das Konfliktpotenzial. Nationale bzw. ethnische Interessensvertretungen, die sich verstärkt im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts etablierten, setzten sich gegen diese Rumänisierung zur Wehr. Unter anderem mit der Umwandlung der Czernowitzer Universität 1920 in eine rein rumänisch-sprachige Bildungseinrichtung wurde vor allem der Deutschen Minderheit ihre nun völlig veränderte Rolle bewusst. Im Gegensatz zu großen Teilen der jüdischen Interessensvertretungen hatte sie noch 1918 überwiegend für den Anschluss der Bukowina an Rumänien gestimmt. Nach der Machtübernahme 1933 trafen die Deutschen Nationalsozialisten bei einem Großteil der Bukowina-Deutschen nicht nur wegen der Aussicht auf Wahrung und Sicherung der eigenen Rechte auf breites Interesse, sondern auch, weil viele der Bukowina-Deutschen seit mehreren Jahren auf eine finanzielle Unterstützung aus der Weimarer Republik zurückgriffen. Basierend auf der Initiative sowohl konfessioneller Institutionen, wie auch völkisch-nationaler Einrichtungen für Auslandsdeutsche, war in Kombination mit der dauerhaften Auseinandersetzung um die Rechte der eigenen Ethnie der Boden für eine grundsätzliche Akzeptanz deutschnationaler Ansichten geebnet. 75.533 Deutsche wurden bei einer amtlichen Volkszählung im Jahr 1930 in der Bukowina registriert. Als 1940 der Molotow-Ribbentrop-Pakt realisiert wurde und ein Großteil der Buchenlanddeutschen dem freiwilligen Ruf ‚Heim ins Reich‘ folgte, wurden insgesamt 95.770 Personen umgesiedelt – knapp 20.000 Personen mehr, als sich zehn Jahre zuvor als Deutsche registriert hatten. Grund für diesen Anstieg sind zum einen nichtdeutsche Partner der ‚Umsiedler‘, aber auch die sogenannten ‚Deutschstämmigen‘, bei denen sich mindestens ein Großelternteil zum Deutschtum bekannt haben musste: Auch ihnen war die Umsiedlung gestattet, die größtenteils auf Freiwilligkeit beruhte. Vor allem im nördlichen Teil der Bukowina machten viele Menschen aus Angst vor einer Unterdrückung durch sowjetische Soldaten von dieser Möglichkeit Gebrauch. ‚Heim ins Reich‘ stellte sich letztlich für den Großteil der Bukowina-Deutschen als Enttäuschung heraus. Im Anschluss an lange Lageraufenthalte erfolgte oftmals die Unterbringung in Höfen, von denen zuvor andere Menschen vertrieben wurden. Eine relativ große Anzahl der Bukowina-Deutschen wurde als „nicht ansiedlungstauglich“ betrachtet. Viele der „rassenhygienisch minderwertigen Menschen“ wurden ermordet.

 

 

Heutiges Leben

Die ‚Heim ins Reich‘-Bewegung, das Ende des Zweiten Weltkriegs und die sich anschließende Spaltung der Region durch den Eisernen Vorhang zog eine enorme Distribution der deutschsprachigen Bewohner mit sich. Diese, bzw. deren Nachfahren, leben heute über die ganze Welt verteilt.

 

In München wurde 1949 die Landsmannschaft der Buchenlanddeutschen gegründet. 1955 übernahm der Bezirk Schwaben die Patenschaft. Im Jahr 1989 wurde das Bukowina-Institut in Augsburg eröffnet. Beinahe 80 Jahre nach der „Umsiedlung“ kann auch heute noch eine enge Vernetzung der Bukowina-Deutschen festgestellt werden. Diese finden sich neben Deutschland und Österreich, so der Vorsitzende im Bundesverband der Bukowinadeutschen, Ewald Zachmann (2005), in „den USA, Kanada, Brasilien, Rumänien, Ukraine, Venezuela, Frankreich, Südafrika, Australien oder in der Schweiz“. Öffentliche Zentren der Kulturförderung finden sich in der Bukowina (Südbukowina: „Regionalforum Buchenland“/Suceava; „Verein der Buchenlanddeutschen Radautz“; Nordbukowina: „Österreichisch-Deutscher Kulturverein“/Czernowitz), auch wenn sich dort nur wenige Bewohner noch als „Deutsch“ bezeichnen: Im Jahr 2000 gaben dies nur 0,3 Prozent der Einwohner des Bezirks Suceava an; im Gebiet Czernowitz gar nur 0,02 Prozent. Zweifelsfrei beruht dieser Umstand ganz wesentlich auf der Tatsache, dass der überwiegende Teil der Bukowina-Deutschen das Buchenland um 1940 – sei es nun freiwillig oder erzwungenermaßen – verließ, und nur eine vergleichsweise geringe Anzahl an deutschsprachigen Familien vor allem in der Südbukowina zurückblieb. Andererseits könnte die Frage abgeleitet werden, in wieweit die Beschäftigung mit historischen Regionen unter dem Aspekt einer „verlorenen Heimat“ verstärkt zur Identifikation des Einzelnen anhand und durch die Vergangenheit anregt. Weitere öffentliche Zentren existieren in Augsburg (Bukowina-Institut/ monatlich erscheinende Zeitschrift der Landsmannschaft der Buchenlanddeutschen „Der Südostdeutsche“) oder in Österreich. Deren Arbeit zielt heute auf eine wissenschaftlich fundierte Auseinandersetzung mit der historischen Region der Bukowina ab.

 

 

Literatur

  • Alfred Wanza, Emilian Federowytsch: Bukowinafreunde. Die Bukowina- das Buchenland, vergangen und dennoch gegenwärtig. ohne Ortsangabe (Self-Publishing bei epubli Deutschland) 22016.
  • Otfried Kotzian: Die Umsiedler. Die Deutschen aus Welt-Wolhynien, Galizien, der Bukowina, Bessarabien, der Dobrudscha und in der Karpatenukraine. München 2005 (Vertreibungsgebiete und vertriebene Deutsche 11).
  • Willi Kosiul, Ortsgeschichten aus der Bukowina. Aachen 2015.
  • Maren Röger, Gaelle Fisher: Bukowina. In: Online-Lexikon zur Kultur und Geschichte der Deutschen im östlichen Europa, 2017. URL: http://ome-lexikon.uni-oldenburg.de/p32554 (Stand 07.06.2017).

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