Der Rumänische Holocaust

von Martin Bader

 

In den Jahren 1940 bis 1944 gehörte Rumänien unter dem Diktator Ion Antonescu zu den Alliierten des national-sozialistischen Deutschland. Im Zuge des Krieges fiel das gewonnene, dünnbesiedelte Transnistrien an Rumänien, in dessen gesamten Autonomiegebiet mehrere 100.000 Juden systematisch verfolgt und getötet wurden.

 

Deportationen nach Transnistrien   

Entgegen dem deutschen Wunsch, die jüdische Bevölkerung ins Reich zu deportieren, wurde eine Vielzahl von ihnen in Lager nach Transnistrien gebracht; darunter vor allem auch Juden aus Bessarabien und der Nordbukowina, denen in der Propaganda der rumänischen Regierung eine Hauptschuld an dem Ultimatum der Sowjetunion vom 26. Juni 1940 und den damit in Verbindung stehenden Gebietsverlusten zugeschrieben wurde. Später wurde die Deportation in die transnistrischen Lager auch auf das Gebiet der Südbukowina ausgeweitet. Dabei überlebten in den Lagern von rund 200.000 Gefangenen nur wenige 10.000.

 

 

Pogrom in Jassy/Iași        

An kaum einem Ort lässt sich aus heutiger Sicht der Rumänische Holocaust besser verorten als an der Stadt Jassy bzw. an dem dort verübten Pogrom vom 29. Juni 1941 sowie den Folgetagen, an welchen rund 15.000 Juden ihr Leben verloren.

 

Neben der Unterstellung, dass die Juden mit dem Ultimatum und den Gebietsabtretungen an die Sowjetunion zu tun gehabt hätten, wurde von der rumänischen Regierung aber auch Teilen der Zivilgesellschaft immer wieder behauptet, dass von der jüdischen Bevölkerung Signale weitergegeben wurden, die den Feinden bei der Bombardierung im Juni 1941 maßgeblich geholfen hätten.

 

Diese Anschuldigungen sind kurz vor dem Überfall auf die Sowjetunion als Rechtfertigung und Ursache für den Pogrom in Jassy angeführt worden. Bei diesem wurden etwa 3.500 Juden durch rumänische sowie deutsche Soldaten auf dem Gelände des Polizeihauptquartiers gesammelt und in Massenerschießungen hingerichtet. Bei der Plünderung der jüdischen Wohnungen und Siedlungen wurden weitere Juden ermordet.

 

Den grausamen Höhepunkt des Pogroms stellen wohl die zwei vermeintlichen Deportationszüge dar, die als die „Todeszüge von Iasi“ bekannt wurden. Rumänische Truppen hatten tausende Juden in die dort bereitstehenden, angeblichen Evakuierungs-züge gepfercht und stundenlang ohne Ziel umherfahren lassen.

 

In den Wagons der Züge war Kuhmist und Kalk ausgebreitet worden, dessen chemische Reaktion Temperaturen um 65 Grad erzeugen kann. In anderen Abteilen befand sich Calciumcarbid, dessen Gasentwicklung früher in Lampen und der Industrie Verwendung fand und optisch nicht als chemische Verbindung erkennbar war. Die entstandenen Dämpfe in Kombination mit der hermetischen Abdichtung der Züge durch die Soldaten, brachten den Wagons den traurigen Ruhm, „die ersten Gas-kammern auf Rädern“ gewesen zu sein. In diesen Zügen fanden über 2.500 Juden ihren Erstickungstod oder verdursteten; viele andere der Insassen erlitten schwerste Verletzungen.

 

 

Erinnerungskultur in Jassy       

Nicht nur für die historische Betrachtung und Einordnung des Rumänischen Holocausts ist die Stadt Jassy von großer Bedeutung, sondern gerade auch für die Suche nach Erinnerungs-arbeit und Gedächtniskultur in Rumänien.

 

So ist dort heute ein Obelisk als Denkmal für die Opfer der Deportationszüge und des Pogroms von 1941 zu finden, welcher am 28. Juni 2011 aufgestellt wurde. Erkennbar ist dieser Zusammenhang an der Menora, dem siebenarmigen Leuchter, die eines der wichtigsten religiösen Symbole des Judentums darstellt. Dieses Denkmal befindet sich vor der einzigen erhaltenen Synagoge der Stadt. Neben diesem Obelisken finden sich in der Stadt auch andere Erinnerungsstätten. Ein Ort zum Gedenken dieses „Schwarzen Sonntags“ (29. Juni 1941) ist der jüdische Friedhof.

 

 

Rumänische Erinnerungskultur           

Auch im restlichen Land gab es gut 60 Jahre nach den schrecklichen Ereignissen erstmals am 9. Oktober 2004 einen Gedenktag: den „Tag des Holocausts“. In diesem Zusammenhang wurde von Präsident Ion Iliescu erstmals darüber gesprochen, dass „250.000 Juden […] unter rumänischer Administration getötet wurden“.

Die im Oktober 2009 von Traian Băsescu eingeweihte Gedenkstätte in Bukarest ist über 17 Meter hoch und besteht aus einer Mahntafel mit den Namen der vernichteten Juden und einem zerbrochenen Davidstern sowie einem „Rad der Roma“. Denn unter den hunderttausenden Menschen, die dem Rumänischen Holocaust zum Opfer fielen, waren auch 25.000 Roma, die bis dato, noch mehr als die jüdischen, in Vergessenheit geraten waren und an die nun auch dieses Denkmal erinnern soll.

 

Dieses kolossale Mahnmal steht in klarem Wiederspruch zum bis dahin gängigen Umgang mit diesem Teil der rumänischen Geschichte. Der damalige rumänische Präsident Ion Iliescu verharmloste noch im Juli 2003 den Rumänischen Holocaust und förderte damit seine ohnehin weitverbreitete Bagatellisierung und Leugnung.

In Folge von internationaler Empörung und Widerstand beschäftigte sich die Wiesel-Kommission mit der Aufarbeitung der historischen Fakten und veröffentlichte 2004 einen Abschlussbericht, der auch von der rumänischen Regierung anerkannt wurde.

 

Darin wurde unter anderem festgehalten, dass vor dem Ausbruch des Krieges etwa 750.000 Juden im rumänischen Gebiet lebten, von denen eine Vielzahl verfolgt, deportiert und getötet wurde oder durch Hunger und Krankheit ihr Leben verlor. Ebenso machte der Bericht deutlich, dass Rumänien unter Ion Antonescu an diesen Verbrechen, dem Rumänischen Holocaust, vorsätzlich beteiligt war.

 

Neben der Aufarbeitung und Bewertung der eigentlichen Ereignisse rund um die Judenverfolgung im Zweiten Weltkrieg befasste sich die Kommission auch mit der weiten Verbreitung des Antisemitismus in Rumänien vor dem Weltkrieg.   

     

Rumänischer Antisemitismus    

Der Rumänische Holocaust und der exzessive Antisemitismus war von der rumänischen Regierung gewollt und wurde von großen Teilen der Bevölkerung getragen. Antisemitismus war schon weit vor den Weltkriegen in Rumänien verbreitet. Die ersten Wurzeln sind bereits im 18. Jahrhundert zu sehen, da bereits dort Juden einen anderen Rechtsstatus innehatten und nach ihrer Nützlichkeit klassifiziert wurden.

 

In Folge der „Organischen Reglements“ in den Jahren 1831und 1832 wurden Juden als Zugehörige einer „fremden Nation“ sowie die Judengesetzgebung als die „Abwehr von Fremden“ und „unerwünschten Zuwanderern“ definiert. Die jüdische Bevölkerung wurde gezielt durch verschiedene Gesetzgebungen diskriminiert und entrechtet, um vor allem die reichen Juden zu Zahlungen von Geldern an Parteien und Einzelpersonen zu bewegen, die ihnen im Gegenzug individuellen Schutz und Rechte gewährten.

 

Die Verfassung des Jahres 1866 räumte nur Christen das Recht ein, die Nationalität annehmen zu können, wenngleich in der Berliner Konferenz 1878 die Anerkennung des Königreichs an die Bedingung geknüpft wurde, dass die Erlangung der Staatsbürgerschaft von der Religionszugehörigkeit gelöst werde. Von dieser generellen Lockerung der Gesetzte profitierte die jüdische Bevölkerung aber wenig. Vielmehr wurden die antisemitischen Vorbehalte gestärkt und die Juden für zahlreiche negative Ereignisse verantwortlich gemacht.

 

Im Jahr 1919 trat Ministerpräsident Ion Brătianu von der Regierungsverantwortung zurück, als die Sicherung der Minderheitenrechte zu beschließen und die jüdische Bevölkerung gleichzustellen. Bereits zu dieser Zeit wurden Juden pauschal bolschewistische Sympathien unterstellt, die im Laufe der Jahre immer wieder aufgegriffen wurden und bis zum Rumänischen Holocaust eines der Hauptargumente der Anti-semiten blieben. Doch die Verachtung der Juden wurde von ver-schiedensten Gruppierungen und gesellschaftlichen Schichten anders gerechtfertigt. Von der Behauptung, dass die ostjüdische Bevölkerung rückständig und nicht bereit zur Integration sei, über den Vorwurf der Wucherei, sowie der Gleichsetzung mit allem Sündhaften und Unreinen, bis hin zu der Überhöhung des Kampfes gegen alles Jüdische, variierten die antisemitischen Argumente.

 

Allem voran aufgrund der Tatsache, dass sich der Nationsbegriff Rumäniens auf ethnische Aspekte beschränkte, ließ dies die extreme Vermischung des rumänischen Nationalismus und des Antisemitismus zu, welcher 1938 zum Regierungsprogramm erklärt wurde.

 

 

Literatur

  • Simon Geissbühler: Blutiger Juli. Rumäniens Vernichtungskrieg und der vergessene Massenmord an den Juden 1941, Paderborn 2013.
  • Armin Heinen: Rumänien, der Holocaust und die Logik der Gewalt, München 2007.
  • Paul Milata: Zwischen Hitler, Stalin und Antonescu: Rumäniendeutsche in der Waffen-SS, Böhlau Köln 2007.

 

Internet

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