Tel Aviv als moderne „Lifestyle Metropole“

Beitrag von Luisa Hagen

 

Tel Aviv ist auch bekannt als New York des Nahen Ostens, Tiny Apple und Big Orange – in Anlehnung an New York als Big Apple. Der Name Big Orange spielt auf die Organgenplantagen an, die früher hier angelegt wurden, bevor sie der immer weiterwachsenden Stadt weichen mussten. Der Vergleich mit New York wird wohl unter anderem so oft angestellt, da New York als Einwanderer-Metropole mit einer großen jüdischen Gemeinde bekannt ist. Außerdem blickt Tel Aviv als junge Stadt gerne auf große, auch europäische Metropolen, die als Referenzpunkte dienen. Das war bereits zur Zeit der Stadtgründung der Fall. So wurde Tel Aviv in den 1920er und 30er Jahren Tiny Paris genannt. In den 1980er Jahren haben dann die Tel Aviver Zeitungen das Image der Stadt als dynamisch und hedonistisch gepusht und Tel Aviv in die gleiche Liga wie Amsterdam, Berlin, London, Paris und New York gestuft. Heute ist sie gerade für junge europäische Individualreisende ein beliebtes Citytrip-Ziel, die von vielen über Billigflieger erreicht wird. Genächtigt wird gerne in günstigen AirBnB-Unterkünften.        

Abb. 1: Bunte Häuser und Privatterrasse in Strandnähe, Tel Aviv.

 

Tel Aviv gilt als Schmelztiegel der Nationen mit Bewohnern aus mehr als 140 Ländern. Es wird neben Hebräisch unter anderem Russisch, Arabisch, Französisch und Englisch gesprochen. Der Lifestyle wird geprägt von Toleranz, Vielfalt, Weltoffenheit, Genuss- und Vergnügungskultur und einem ausgeprägten Nachtleben. Die Stadt trägt zudem den Namen Gay TLV, der ebenfalls auf die tolerante Seite der Stadt hinweist. Sie wurde bereits zur besten Stadt für Homosexuelle ausgezeichnet, noch vor London und New York. Im Juni findet seit den 1990er Jahren jährlich im Zuge des Christopher Street Days die Tel Aviv Gay Pride Parade an der Strandpromenade mit zahlreichen internationalen Besuchern statt. 2017 waren es ca. 200.000 Teilnehmer.

 

Tel Aviv ist die Stadt der Fröhlichkeit, der Lässigkeit und der Catwalk der Schönen. In der Mode setzt die Stadt Trends für ganz Israel. Ein lässiger, luftiger Look ist beliebt, was auch mit den hohen Temperaturen in Verbindung steht. Das kulturelle Angebot ist sehr breitgefächert. In Tel Aviv siedeln sich die meisten jungen Künstler Israels an. Zahlreiche Galerien und einige Museen verleihen Tel Aviv auch den Ruf als Kunst- und Kulturmetropole. Das Tel Aviv Museum of Art verfügt zum Beispiel über Kunstwerke renommierter Künstler wie Pablo Picasso, Edvard Munch, Claude Monet, Edgar Degas und Marc Chagall. Die Bezeichnung White City spielt auf Tel Avivs bedeutende Bauhaus-Architektur an. 

 

Es wird immer wieder betont, dass Jerusalem betet, Haifa arbeitet, Tel Aviv hingegen feiert. Tel Aviv ist mit gut 400.000 (mit den Vorstädten drei Millionen) Einwohnern die zweitgrößte Stadt Israels und wird oft mit Jerusalem verglichen, wohl gerade deshalb, weil die beiden Städte so gegensätzlich sind. Tel Aviv gleicht einem frechen, konventionslosen Teenager, Jerusalem hingegen einer biederen, koscheren und religiösen alten Tante. Der Grundstein der Stadt wurde 1909 durch russische Einwanderer gelegt, die in den Dünen im Norden Jaffas den Vorort Ahusat Bayit begründeten. Die Siedlung wurde Frühlingshügel, Tel Aviv, getauft, nach Theodor Herzls utopischem Roman „Altneuland“. Er referiert auf das Buch Ezechiel im Alten Testament, wo der Prophet Ezechiel im babylonischen Tel-Abib von Gott zum Wächter über Israel berufen wurde. In Tel Aviv gilt im Allgemeinen eher Hedonismus statt Zionismus, Genuss statt Glaube, Strand statt Steinmauern:  

    

„Wie die Menschen zum Beten nach Jerusalem kommen, so kommen sie zum Atmen nach Tel Aviv. […] Wenn in dem jahrtausendealten Jerusalem für die Ewigkeit gekämpft und gestorben wird, so lebt das lächerlich junge Tel Aviv ausschließlich für den Augenblick.“ (Schumacher 2012, S. 66.)

 

Abb. 2: Draußen & umsonst: Live-Konzert am Magen David Square, Tel Aviv.

 

Sogar nach dem Selbstmordattentat von 2001 im Tel Aviver Club Dolphinarium mit 21 Toten und über 100 Verletzten, das die Stadt und ganz Israel erschüttert hat, wurde an der Stelle des Anschlags ein Mahnmal von den Freunden der Verstorbenen errichtet, auf dem geschrieben steht: „Wir hören nicht auf zu tanzen.“      
Tag und Nacht ist die Stadt in Bewegung. Das ist ein weiterer Grund, warum sie auch oft mit New York verglichen wird – eine Stadt, die niemals schläft. Tel Aviv findet man regelmäßig in Rankings der weltweit besten Partystädte und gilt als die Partystadt des Nahen Ostens. Das liegt wohl auch an dem im Vergleich zum restlichen Israel relativ hohen Singleanteil in der Stadt. Selbst am Sabbat erfreuen sich viele Nachtschwärmer Tel Avivs am Shabbat Night Fever. Vor 23 Uhr ist im Nachtleben nicht viel geboten. Am Alten Hafen bzw. Old Port ist ein Zentrum der nächtlichen Vergnügungskultur mit 25 Piers, Bars und Cafés in alten Lagerhäusern. Die Stadt verfügt über mehrere Pubs, die mit Besonderheiten wie israelischem Granatapfel-, Rosmarin- oder Mangobier locken.

 

Der Strand für die Tel Aviver sehr zentral: Er ist Partymeile, Fitnessstudio, Solarium und Saftbar zugleich. An der 15 Kilometer langen Standpromenade kann man vielerorts frischgepresste Säfte kaufen, einem beliebten Getränk in Tel Aviv. Am Strand treffen sich unterschiedlichste Gruppierungen: Homosexuelle Frauen und Männer bevorzugen den Hilton-Strand im Norden. Daran grenzt der Strandabschnitt für die ultraorthodoxen Juden an. Hier gibt es jeweils drei fest geregelte Frauen- und drei Männerbadetage. Der südlich gelegene Banana-Beach ist allabendlicher Treffpunkt für moderne Hippies und in der Nähe von Jaffa gehen wohl arabische Frauen in Burkinis baden. Das Meer teilen sich alle gemeinsam. Auf jeden Fall sagt man, dass man Tel Aviver eher am Strand als in der Synagoge vorfindet. Der Strand lädt viele zum (Sonnen-)Baden und Matkot spielen ein. Matkot, ein beliebtes Strandballspiel und eine Art israelischer Nationalsport, lässt sich mit Tischtennis vergleichen. Doch man braucht dazu nichts weiter als zwei Spieler, zwei Schläger und einen Ball. Die Skyline Tel Avivs – die vor allem in den 1960er und 70er Jahren mithilfe finanzieller Unterstützung aus den USA und in jüngster Zeit entstand –, und die meisten hochpreisigen Hotels befinden sich an der Strandpromenade.

 

Abb. 3: Strandpromenade Tel Avivs mit Palmen, Surfern und Hochhäusern.

 

Tel Aviv hat den Ruf der teuersten Stadt im Nahen Osten. Aufgrund der hohen Preise und des Platzmangels weichen viele Tel Aviver auf die Dachterrassen aus: Dort befinden sich Künstlerateliers, Exerzierplätze der Armee, Wohnzimmer, Gärten und Pools. Als Tel Avivs Soho wird das Stadtviertel Neve Tzedek, das 1887 als Vorort von Jaffa gegründet wurde, betitelt. Es zeichnet sich durch einen arabischen Baustil und schmale Gassen aus. Hier leben Künstler und wohlhabende Familien. Neve Tzedek im Herzen der Stadt galt nach dem Unabhängigkeitskrieg Israels 1948/49 als Brennpunktviertel Tel Avivs. Erst durch die Eröffnung des bekannten Tanz- und Theaterzentrums Suzanne Dellal in Neve Zedek zogen Künstler und Studenten zu. Es mauserte sich zum Szeneviertel, welches die Tel Aviver Bohème beheimatet, sodass im Zuge der Gentrifizierung Neve Zedek nun den Ruf hat, angesagt und teuer zu sein.       
1950 wurden Jaffa und Tel Aviv als Tel Aviv – Yafo verbunden. Jaffa wurde von den Tel Avivi zu einem neuen Lieblingsviertel auserkoren. Die arabische Architektur sowie das stolze Alter faszinieren, sodass neue Designerboutiquen und Bars eröffnet haben.   

                  

Der Stadtteil Florentin wurde in den 1930er Jahren von jüdischen Einwanderern aus der Türkei, Griechenland und Bulgarien gegründet. Hier leben und arbeiten Handwerker, DJs und Graffiti Künstler. Das Lebensgefühl wird als kreativ-chaotisch bezeichnet. Der Wohnraum ist (noch) bezahlbar. Florentin ist vor allem für seine Street-Art-Szene berühmt. Es werden sogar Führungen zu den besten Graffiti des Viertels angeboten. Das Tel Aviv Museum of Art hat für die Straßenkunstwerke auch eine eigene Ausstellung eingerichtet.

 

Abb. 4: Farbenfrohe Graffiti.

 

Das Silicon Valley Israels, Silicon Wadi, trägt ebenfalls dazu bei, dass der Ruf der Stadt als erfolgreiche Lifestyle-Metropole, die gezielt junge, innovative, kreative Köpfe anziehen will und anzieht, weitergeführt wird. Tel Aviv gehört zu den international besten Regionen, um ein Startup zu gründen. Hier haben sich Hightech-Größen wie Google, Microsoft und Intel angesiedelt. Die Stadt gilt nicht nur im Wirtschaftsbereich, sondern auch was das von Coolness geprägte Lebensgefühl angeht, als das neue Kalifornien. Tel Aviv scheint schon seit Jahrzehnten das zu leben – und führt beständig weiter –, wovon Theodor Herzl geträumt hat: Eine im Kontrast zum religiösen Jerusalem stehende und von einem jüdischen Unternehmertum geprägte säkulare Stadt, die anderen Weltmetropolen das Wasser reichen kann. Bereits 1959 äußerte sich Chaim Levanon, der damalige Bürgermeister, im Rahmen des 50. Geburtstags Tel Avivs, folgendermaßen zum Lebensgefühl der Stadt:

 

In this jubilee year Tel Aviv already fulfills its destiny. […] a vibrant center of Hebrew literatur, journalism, and art of all kinds ... a big city for God and people, a city full of life and movement. Life! This is Tel Aviv's lifestyle: To live! To effervesce! To act! (Azaryahu 2007, S. 134.)

 

 

 

Clubs:

 

  • Lima Lima (42 Lilenblum St.) bekannt für Soul, Funk und Hip-Hop.
  • Shabul Jazz Club (Tel Aviv Airport, Hangar 13).

 

Zum Trinken und für den kleinen Hunger:            

  • Teder.fm (Derech Jaffa 9) wurde nach dem früheren Radiosender benannt, der sich in den großzügigen Räumlichkeiten befand; jetzt ist es als Bar angesagt, jung, alternativ und bietet Drinks und Pizza an.
  • Porter & Sons (14 Haarbaa St.) mit vielen verschiedenen Biersorten und dazu passenden Speisen.

 

 

Literatur

  • Azaryahu, Maoz: Tel Aviv. Mythography of a city (= Space, place, and society). Syracuse 2007.
  • Dachs, Gisela: Israel kurzgefasst. 2. Aufl. Bonn 2010.       
  • Fishman, Robert B. u. a.: Israel, Palästina (= Baedeker Wissen). 14. Auflage. Ostfildern 2016.
  • Knaul, Susanne: Neve Zedek. Das Herz der Stadt ist ein Dorf. In: Merian Tel Aviv, 1 (2015), S. 30–33.       
  • Krasa, Daniel: City-Trip Tel Aviv (= Reise-Know-how). Bielefeld 2013.         
  • Nassib, Selim: Tag und Nacht in der Doppelstadt. Ein Besuch in Tel Aviv und Jaffa. In: Le Monde diplomatique, 21 (2017), S. 32–33.    
  • Schumacher, Winfried: Tel Aviv tanzt. In: Merian Israel, 12 (2012), S. 56–68.
  • Tempel, Sylke: Israel. Reise durch ein altes neues Land. 2. Aufl. Berlin 2009.

 

 

Internetquellen

 

Abbildungen

  • Abb. 1–4: © Luisa Hagen, 2018.

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